Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
GEGEN-SÄTZE ALS GRUND-SÄTZE
von Pfarrer Wilfried Blum
Sonntag, 19.11.2006
Bei Meister Eckehart (1260-1327)
findet sich folgende Geschichte:
Ein Weiser wurde gefragt, welches
die wichtigste Stunde sei, die der Mensch erlebt, welches der
bedeutendste Mensch, der ihm begegnet, und welches das notwendigste
Werk sei.
Die Antwort lautete: Die wichtigste
Stunde ist immer die Gegenwart, der bedeutendste Mensch immer jener,
der dir gerade gegenübersteht, und das notwendigste Werk ist immer
die Liebe.
Heute ist Sonntag. Es ist für mich
jener Tag der Woche, der besonders geeignet ist, diesen Fragen nach
den wesentlichen Stunden, Menschen und Werken nachgehen zu können.
Im Getriebe des Alltags fehlt es uns meist an Zeit und Energie dazu:
Ist die Gegenwart wirklich die
wichtigste Stunde? Verlieren wir uns nicht allzu gerne in der
Vergangenheit, in der alles rosarot gesehen wird? Oder flüchten
gedankenlos in die Zukunft, weil der Augenblick schwer zu ertragen
ist?
Ist jener Mensch, der mir gegenüber
steht oder mir heute begegnen wird, der bedeutendste?
Und ist die Liebe tatsächlich die
treibende Kraft meines Wirkens?
Der Sonntag als Gegen-Tag Gottes
ermögliche es uns, durch Nachdenken dem Leben im Alltag einen
anderen Glanz zu geben.
Montag, 20.11.2006
Bei einem Vortrag in Dornbirn
sprach Bischof Erwin Kräutler zum Thema „Globalisierung der Liebe“.
Er meinte: Gegen den neoliberalen Grundsatz: Ich profitiere, also
bin ich, setzen wir als Christen die Maxime: Ich liebe, also bin
ich.
Welche Konsequenzen das mit sich
bringen kann, spürt Dom Erwin derzeit wiederum am eigenen Leib. Er
kann sich in seiner Bischofstadt nur noch mit Polizeischutz bewegen.
Sein konsequentes Handeln für eine
gerechtere Aufteilung des Landes, sein Eintreten für die
gerichtliche Verfolgung von honorigen Kinderschändern und seine
Solidarität mit den einfachen Menschen wurzeln in seiner gelebten
Überzeugung, dass Liebe alle Bereiche umfasst, die für ein
gerechteres und menschlicheres Leben nötig sind.
„Ich liebe, also bin ich“ ist ein
radikaler Gegen-Satz zu: „Ich profitiere, also bin ich“.
Ob unsere auf Nutzen und Profit
ausgerichtete Gesellschaft durch uns Christen nachhaltig bewegt und
verändert wird, bleibt mehr als nur eine Frage.
Es ist gut darüber nachzudenken,
was die eigene Lebens-Maxime ist: nur profitieren oder lieben. Den
schnelleren Vorteil bekomme ich, wenn Profitdenken mein Handeln
bestimmt. Nachhaltig zufriedener und erfüllender wird das Leben
hingegen, wenn ich liebe.
Dienstag,
21.11.2006
Die Ordensfrau, Mystikerin und
Kirchenlehrerin Theresa von Avila hat – nach einer Überlieferung aus
dem 16. Jahrhundert - in ihrem Gebetsbuch stets folgende Worte bei
sich getragen:
“Nada te turbe!
Nichts soll dich ängstigen,
nichts dich verwirren,
alles vergeht.
Gott bleibt derselbe.
Wer sich an Gott hält,
dem fehlt nichts.
Solo diós, basta.
Gott allein genügt.“
Ich finde, die Heilige Theresa
trifft den Nagel auf den Kopf unseres Christseins.
Wer - wenn nicht wir Christen haben
allen Grund, uns nicht in den Abgrund der Ängste und Ängstlichkeiten
ziehen zu lassen?
Wer - wenn nicht wir Christen können
unserem Gott trauen, ja vertrauen, auch wenn und obwohl vieles um
uns herum wackelig und unsicher geworden ist?
Wer - wenn nicht wir Christen können
uns einklinken in das Wort der Theresa: Solo diós, basta?
Man kann einwenden: Die hat leicht
reden, das war eine Heilige! Doch so leicht und unkompliziert war
ihr Leben ganz und gar nicht. Hart war ihr Ringen. Aber sie hat es
gewagt, sich auf Gott einzulassen.
Diese Freiheit haben wir auch. Ist
es nicht einen Versuch wert?
Mittwoch, 22.11.2006
Es gibt Gegen-Sätze. Das sind Sätze,
die gegen den Trend wichtige Seiten des Lebens beleuchten. Ein
solcher ist für mich der folgende Satz, dessen Urheber ich nicht
mehr weiß:
Freiheit ist nicht, das zu tun, was
man liebt, sondern das zu lieben, was man tut.
Unsere Zeit ist doch sehr von einem
hohen Maß geprägt, das und gerade nur das zu tun, was einem Spaß
macht oder wo man scheinbar seine größtmögliche Erfüllung finden
kann. So wird dann auch Freiheit verstanden, nämlich das und vor
allem nur das zu tun, was Freude und Vergnügen bereitet. Der Frust
ist folglich umso größer, wenn Leben Zwänge, Abhängigkeiten und
Einschränkungen mit sich bringt. Man beginnt, sich innerlich dagegen
zu wehren. Schlimmstenfalls kann es zum Verlust von Lebensfreude und
Sinn und in der Folge zur Vereinsamung führen.
Die tiefere Weisheit „das zu lieben,
was man tut“ ist für mich eine motivierende Einladung, dem Leben und
der Sehnsucht nach Freiheit anders zu begegnen, „den Spieß sozusagen
umzudrehen“.
Wer mit seiner Freiheit anders
umgehen will, für den lohnt es sich, heute mit diesem Gegen-Satz zu
leben versuchen. Freiheit ist, das zu lieben, was man (gerade) tut.
Donnerstag, 23.11.2006
Ein Kardinal hat auf der
letztjährigen Bischofssynode in Rom folgendes chinesisches
Sprichwort erzählt: „Statt im Dunkeln zu fluchen, zünde eine Kerze
an.“
Wer ein wenig die Ereignisse und
Vorgänge in unserer Gesellschaft verfolgt, der kann manchmal den
Eindruck bekommen, als gäbe es bei uns fast nur Jammerer und
Nörgler. Natürlich kommen zahlreiche Situationen vor, wo Menschen
sich im Dunkel ihres Lebens durchkämpfen müssen: sei es eine
Krankheit, ein Beziehungsproblem, eine finanzielle Not usw.
Verständlicherweise beginnt man mit seinem Schicksal zu hadern und
über die Situation zu fluchen. Wer kennt sie nicht? Das ewige
Grübeln nach den vielen Warum´s hat aber noch selten etwas
verbessert oder verändert.
Da gilt doch viel mehr dieser
Gegen-Satz: Zünde (dann) eine Kerze an!
Die Frage nach dem Wozu der
Situation eröffnet einen anderen Blickwinkel. Und wenn ich dann noch
beginne, jemanden etwas Gutes zu tun oder mich für etwas Sinnvolles
oder bei einer der vielen Initiativen zu engagieren, dann verliert
das Dunkel seine lebensfeindliche Kraft.
Viel Energie für Neues und eine
neue Perspektive für das Leben beginnt Licht ins Dunkel zu bringen.
Aus einem Gegen-Satz wird ein Einsatz für etwas Gutes!
Freitag, 24.11.2006
"Die Menschen feiern lieber
Halloween, anstatt sich mit Trauer oder auch dem eigenen Tod
auseinander zu setzen", erklärte vor kurzem der Leiter der Deutschen
Hospiz-Stiftung in Berlin. Zugleich nehme die Zahl der psychisch
Kranken zu und die "weg gedrückten Gefühle" äußerten sich in
Depressionen. "Menschen müssen trauern, damit sie nicht krank
werden. Das Erinnern an die eigene Endlichkeit könne auch die
Lebensqualität intensivieren. Denn auf diese Weise wird uns wieder
klar, was wichtig ist und was nicht."
Menschen müssen trauern! – ein mehr
als aktueller Gegen-Satz zu einer Tendenz, die auch bei uns – in den
Städten noch verbreiteter als auf dem Land – als eine Flucht vor der
Trauer spürbar wird.
Manchmal kann es nicht schnell genug
gehen, bis alles rund um den Tod erledigt ist. Stille Beerdigungen
zum Beispiel berauben oft Mitmenschen, die den Verstorbenen auch
geschätzt haben, der persönlichen Anteilnahme und der eigenen
Trauerarbeit.
Gerade der Herbst erinnert uns wie
in einer ständigen Lebensschule, dass Vergänglichkeit zum Leben
gehört und Zeiten zum Trauern notwendig sind. Es ist die wesentliche
Voraussetzung, dass nach Wochen wieder Frühling werden und neues
Leben aufblühen kann.
Samstag, 25.11.2006
Im Franziskanerkloster in Lyon kann
man auf einer alten Inschrift lesen:
Hüte dich,
alles zu begehren, was
du siehst,
alles zu glauben, was
du hörst,
alles zu sagen, was du
weißt,
alles zu tun, was du
kannst!
In diesem Spruch steckt eine
alternative Anleitung zum Leben. Heute läuft der Zeitgeist eher in
eine andere Richtung – nach dem Motto:
Halte dich nicht zurück,
alles haben zu müssen, was du
überall siehst,
alles kritiklos nachzuplappern, was
rund um die Uhr vorgegaukelt wird;
halte dich nicht zurück,
alles brühwarm weiter zu erzählen,
was man hört, und
alles zu unterlassen, was nach
selbstlosen Einsatz ausschaut.
Hinter der Inschrift des Klosters
steckt wohl eine tiefere und klügere Lebensweisheit. Es sind – im
wahrsten Sinn des Wortes - Gegen-Sätze. Sie lehren uns, kritisch und
ehrlich nachzuspüren, wie wir im Alltag leben und handeln.
Sie ermutigen aber genauso, nicht
einfach durch äußere Umstände und Zwänge gelebt zu werden, sondern
das Heft des Handelns selber zu behalten.
Und das entspricht wohl dem, was
Gott uns zumuten möchte und auch will.
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