Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Michael
Landau, Caritasdirektor der Erzdiözese Wien
Sonntag, 10.12.2006
Der Duft von Weihnachtsbäckerei
zieht in diesen Tagen auch durch das Caritas-Seniorenhaus, in dem
ich selbst als Seelsorger tätig bin. Unsere Damen und Herren backen
in der Küche Vanillekipferln. Mit viel Begeisterung. Manchmal gibt
es einen Wettbewerb, wer schneller beim Formen ist; und die Kipferln
fallen dann ein wenig größer aus. Aber sie schmecken trotzdem fein.
Und alle sind zu Recht stolz und haben eine Freude über das, was sie
geschaffen haben. Es sind Stunden voll von Erinnerungen, an Zuhause,
an die Kindheit, an liebe Menschen, daran, wie es früher einmal war.
Und ich bin froh und dankbar im Blick auf die Frauen und Männer, die
all das möglich machen und begleiten – als haupt- und ehrenamtliche
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege, der Seelsorge, in
der Küche, bis hin zum Hausarbeiter, denn manchmal ist danach dann
doch noch einiges aufzuräumen.
Oft sind es die kleinen Dinge, auf
die es ganz entscheidend ankommt. Ein Lächeln, ein gutes Wort, ein
Zeichen, dass ein Mensch nicht vergessen ist. Und manchmal eben die
Zeit, gemeinsam Vanillekipferln zu backen. All das – diese kleinen
Dinge – können auch wir einander schenken, und vielleicht ist all
das in diesen Tagen des Advent ganz besonders kostbar.
Montag, 11.12.2006
Unser Caritas-Haus Am Himmel für
schwer- und mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche hat eine ganz
besondere Kapelle. Mit Vögeln, Chinchillas, mit vielen Pflanzen und
Blumen und jeder Menge selbstgezeichneter Bilder und Basteleien. Sie
ist so bunt, so vielfältig und besonders, wie die Kinder und
Jugendlichen Am Himmel es sind. Und auch die Gottesdienste in dieser
Kapelle gehören zu den lebendigsten, die man sich vorstellen kann.
Was mich immer besonders berührt:
Vorne, beim Altar, eigentlich auf dem großen Stein unter dem Altar,
befinden sich die Bilder der verstorbenen Kinder und Jugendlichen.
Auch das Bild des früheren Heimleiters, der viel zu früh an einer
Krebserkrankung verstorben ist.
Für die Kinder Am Himmel ist klar:
Sie alle dort beim Altar, die Verstorbenen, sie gehören dazu. Und
sie feiern mit. Gerade auch jetzt im Advent und im Blick auf die
Freude von Weihnachten. Denn der Tod hat nicht das letzte Wort,
sondern das Leben.
Ich denke mir: Von diesen Kindern
und Jugendlichen können wir als Erwachsene einiges lernen – von
ihrem Glauben und auch von ihrer Unverstelltheit und Authentizität.
Die Begegnung mit ihnen ist ein Geschenk. Sie sollte viel mehr zum
Alltag gehören, etwa auch in unseren Schulen. Der Abbau von
Barrieren tut allen gut: Denn es ist normal, verschieden zu sein.
Dienstag, 12.12.2006
Immanuel, das heißt übersetzt: Gott
ist mit uns. Unser Caritas-Mutter-Kind-Haus trägt diesen Namen.
Einen Namen, der jedes Jahr am Heiligen Abend im Evangelium
aufscheint: Immanuel, Gott ist mit uns. Und ich bin mir dann dessen
besonders gewiss: Gott ist mit den Kindern und Müttern in diesem
Haus, und mit allen Menschen, die hier und an vielen anderen Orten
versuchen, ein wenig Ruhe zu finden, Kraft für einen Neubeginn,
Hoffnung für eine bessere Zukunft.
Weihnachten, Advent, diese Zeit, sie
erinnert uns daran, dass Gott sich für uns klein gemacht hat, dass
er in Armut und Schutzlosigkeit, in der Gestalt eines Kindes, zu uns
gekommen ist. Gott kennt unsere Not, er hört unser Rufen. Wir können
Ihm vertrauen, uns Ihm anvertrauen; Er verlässt uns nicht, keine und
keinen. Diese Zuversicht, wir sind nicht alleine, weil Gott um uns
weiß, sie gehört zum Kern christlichen Glaubens.
Und gerade im Blick auf die Kinder
in diesem Haus „Immanuel“, im Blick auf die Kinder mit ihren ganz
unterschiedlichen Geschichten, mit all dem für uns zum Teil
unvorstellbaren Leid, im Blick auf die Schwächsten, die
Schutzlosesten auch in unserer Gesellschaft, bin ich mir dessen ganz
und gar sicher: Es gibt nur ein Maß: die Maßeinheit Mensch.
Mittwoch, 13.12.2006
Mehr als 100.000 Kinder und
Jugendliche gelten in Österreich als akut arm. Und das sind keine
Caritaszahlen, sondern die offiziellen Daten der Republik. Die Not
stirbt nicht aus, auch nicht in Österreich.
Für uns als Caritas geht es nicht um
Statistik, sondern immer um konkrete Menschen. Und gerade die Kinder
gehören zu den Schwächsten. Für sie heißt Armut zumeist
Chancenmangel – eine schlechtere Ausbildung, eine schlechtere
Gesundheit, ein schlechterer Start ins eigene Leben. So wird Armut
erblich. Und zum Mangel an Chancen tritt die Scham der Kinder hinzu,
weil sie, wie ein Kind es einmal gesagt hat, irgendwie anders sind
als andere Kinder.
In unseren carlas, den
Spendendrehscheiben der Caritas, geben wir alleine in Wien Tag für
Tag etwa 100 Kleiderpakete für Bedürftige aus. Und oft geht es um
diese ganz handfeste Hilfe: Müttern etwas zum Anziehen für die
eigenen Kinder zu geben. Gerade zu Weihnachten sollte kein kleines
Kind, kein Baby frieren. Und ich bin überzeugt: Wir dürfen uns mit
Kinderarmut nicht abfinden. Es ist an der Zeit, mit dem Wegsehen
aufzuhören, mit der Wirklichkeitsverweigerung.
Donnerstag, 14.12.2006
Wir können auf Österreich stolz
sein. Gerade auch, wenn es um die Hospizarbeit geht. Da ist viel in
Bewegung gekommen in den vergangenen Jahren. Viele Menschen
engagieren sich hier ganz konkret. Mit der Familienhospizkarenz ist
ein wichtiger Mosaikstein geschaffen, um die eigenen Angehörigen am
Ende des Lebens begleiten zu können. Und es gibt einen breiten
Konsens in unserem Land: Menschen sollen an der Hand eines anderen
Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen Menschen.
Doch wir dürfen beim Erreichten
nicht stehen bleiben! Gerade die Zeit des Advent will uns hellhörig
machen für die Not an den Rändern des Lebens. Es darf nicht am Geld
scheitern, dass Menschen am Ende ihres Lebens jene Zuneigung und
Nähe erhalten, die sie brauchen. Bei der Familienhospizkarenz ist
eine existenzielle Absicherung unabdingbar. Das ehrenamtliche
Engagement muss besser gefördert werden, denn Hospizarbeit braucht
beides: haupt- und ehrenamtliche Professionalität. Und auch ein
klarer Plan für den Auf- und Ausbau der Hospizarbeit ist jetzt
erforderlich und umzusetzen – im mobilen, wie im stationären
Bereich.
Diesen österreichischen Weg gilt es
weiterzugehen. Denn wer aktive Sterbehilfe nicht will, muss für
optimale Sterbebegleitung sorgen. Und wenn ich an Kardinal Franz
König denke, dann frage ich mich, ob die Zeit nicht reif dafür wäre,
das Ja zur Hospizarbeit und das Nein zur Euthanasie, für das er
steht, auch in der Verfassung zu verankern.
Freitag, 15.12.2006
Das Christuskind war ein
Flüchtlingskind. So einfach kann man die Erzählung von der Flucht
nach Ägypten, von der das Evangelium am Anfang, nach der Geburt Jesu
berichtet, zusammenfassen. Herodes wollte das Kind töten, und Josef,
dem dies im Traum geboten worden war, floh mit Maria und dem Kind
nach Ägypten, so lesen wir es bis zum heutigen Tag.
Auch die Caritas ist Tag für Tag mit
dem Schicksal von Menschen auf der Flucht konfrontiert – jetzt im
Advent und das ganze Jahr über. Oft genug sind es Kinder und
Jugendliche, so erleben wir es in unseren Häusern und in den
Wohngemeinschaften für minderjährige Flüchtlinge. Manche von ihnen
haben Unsagbares durchlitten, die Tötung von Verwandten, Folter und
Flucht, die Ermordung der Eltern, der eigenen Geschwister.
Ich habe Verständnis, wenn
Österreich hier jeden Fall einzeln überprüft. Schließlich geht es um
Fragen internationalen Rechts. Aber ich glaube, es ist wichtig,
dabei die Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren. Hier habe ich
viel Respekt vor den Beamtinnen und Beamten unseres Landes, weil
sich die allermeisten, so meine ich, redlich bemühen, einen guten
Weg zu finden. Doch bei manchen Wortmeldungen, auch aus dem Bereich
der Politik, denke ich mir: Es geht doch um Menschen! Und wer
Österreich liebt, spaltet es nicht!
Samstag, 16.12.2006
Immer wieder denke ich an die Aktion
„72 Stunden ohne Kompromiss“, wo sich etwa 5000 junge Menschen
österreichweit in 350 Sozialprojekten engagiert haben. Ein breites
Spektrum von Projekten ist da umgesetzt worden: Vom Herrichten eines
Gartens in einem Frauenhaus, über das Ausgestalten von Räumen für
Menschen mit Behinderungen bis hin zum Einstudieren etwa von
Sitztänzen mit rüstigen Seniorinnen und Senioren. Trägerin der
Aktion war die Katholische Jugend. Ein ganz wichtiger Unterstützer
war der ORF mit dem Sender Ö3. Und auch die Caritas hat sich hier
engagiert.
Für mich war das ein Intensivkurs
der Mitmenschlichkeit und der Solidarität. Und ich war sehr
beeindruckt, wie sich hier junge Menschen mit viel Energie und mit
Tatkraft, aber auch mit viel Freude für andere eingesetzt haben.
Gerade Jugendliche spüren sehr oft: Der Einsatz von Mensch zu Mensch
macht einen Unterschied, bringt wirklich etwas in Bewegung.
Es gibt viel Gutes im Verborgenen.
Das gilt nicht zuletzt im Blick auf die mehr als 3000 Pfarrgemeinden
in unserem Land, die vielfach ein letztes Netz der Nähe, der
Aufmerksamkeit und Mitmenschlichkeit bilden. Gerade auch jetzt, in
dieser Zeit des Advent, wenn die Tage dunkel und die Nächte lang
sind. Ihr Beispiel gelebter Nächstenliebe macht auch anderen Mut.
Und vielleicht ist es auch eine Einladung für uns, in unserem
eigenen Alltag…
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