Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pater Dr. Berthold Mayr, Wels

 

 

Sonntag, 17.12.2006:

Ich möchte in diesen Tagen vor Weihnachten von Dichtern reden, die mir Herz und Hirn bewegten. Immer wieder – bis zum heutigen Tag – habe ich erfahren, dass es Dichter waren, die mir ein Stück Wahrheit erschlossen haben.

Mitte des 18. Jahrhunderts hat der Pastorensohn und Morallehrer Christian Fürchtegott Gellert ein Weihnachtslied geschrieben:

 

„Dies ist der Tag, den Gott gemacht;

sein wird in aller Welt gedacht!

Ihn preise, was durch Jesus Christ

im Himmel und auf Erden ist!

Herr, der du Mensch geboren wirst,

Immanuel und Friedensfürst,

auf den die Väter hoffend sahn,

dich, Gottes Messias, bet ich an.“

 

In sieben Strophen hat Gellert Weihnachten als große Heilstat, als großes Wunder für den Menschen illustriert. Von Zweifeln an Inhalten keine Spur. Völlig geborgen im christlichen Glauben, hat sich der Dichter als Sprachrohr der Kirche und als Wegweiser des Volkes verstanden.

 

 

Montag, 18.12.2006:

Es gibt weihnachtliche Texte, die mir ins Blut und in’s  Hirn gegangen sind. Sie sind ein Stück von meinem Gedächtnis, ein Teil von meinem geistigen Haushalt.

Im Jahr 1837 erschien das Gedicht „Weihnachten“ von Joseph Von Eichendorff:

 

 

„Markt und Straßen steh’n verlassen,

Still erleuchtet jedes Haus,

Sinnend geh ich durch die Gassen,

Alles sieht so festlich aus.

 

An den Fenstern haben Frauen

Buntes Spielzeug fromm geschmückt.

Tausend Kindlein stehn und schauen,

Sind so wunderstill beglückt.

 

Und ich wandre aus den Mauern

Bis hinaus ins freie Feld.

Hehres Glänzen, heil’ges Schauern!

Wie so weit und still die Welt!

 

Sterne hoch die Kreise schlingen,

Aus des Schnees Einsamkeit

Steigt’s wie wunderbares Singen –

O du gnadenreiche Zeit.“

 

Hier ist die Welt verwandelt. Es ist die Vision einer versöhnten Welt, eine Welt ohne Widersprüche, ohne soziale Verwerfungen, ohne geistige Zerrissenheit und politischen Streit. Ein Text von ergreifender Schlichtheit, stiller Zartheit und Glück.

 

 

Dienstag, 19.12.2006:

Lebenserfahrungen waren für mich oft Leseerfahrungen. Immer wieder habe ich erfahren, dass es weniger Predigten, Katechismen und theologische Aufsätze, sondern die Dichter waren, die mir ein Stück Wahrheit erschlossen haben. 1862 schrieb Theodor Storm die Weihnachtserzählung „Unter dem Tannenbaum“. Knecht Ruprecht ist der Gehilfe des Christkindes, der die braven von den bösen Kindern scheiden soll, ein Gerichtshelfer, der durch die Rute mit einem Strafinstrument ausgestattet ist:

 

„Hast denn das Säcklein auch bei Dir?

Ich sprach: Das Säcklein, das ist hier:

Denn Apfel, Nuß und Mandelkern

Fressen fromme Kinder gern.

 

Von drauß’ vom Walde komm ich hier;

Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr!

Nun sprecht, wie ich’s hierinnen find!

Sind’s gute Kind, sind’s böse Kind?“

 

Wo elterliche Ermahnungen das Jahr über nichts geholfen hatten, da versprachen sich die Erzieher vom Nikoloabend die nötige Wirkung. Nikolaus, Knecht Ruprecht und der Weihnachtsmann wurden zu festen Größen im Repertoire familiärer Erziehungsmaßnahmen.

 

 

Mittwoch, 20.12.2006:

Eine ergreifende Weihnachtsgeschichte hat 1948 Ilse Aichinger geschrieben.

Auf einem Dachboden spielen jüdische Kinder ein Krippenspiel, ein Spiel von der Welt, von Krieg und Frieden, von der Herbergsuche, von den Königen und der Flucht. Die Kinder spielen, während sie jeden Moment darauf gefasst sein müssen, dass draußen die SS-Männer vor der Tür stehen, um sie in Lastwagen nach Polen in die Vernichtungslager zu deportieren. Jedes Läuten an der Tür kann das Signal sein, das über Leben und Tod entscheidet.

Der Höhepunkt dieses Spiels ist erreicht, als die Kinder einen fremden Mann einlassen, der sie mit den Worten beruhigt: „Es ist alles abgeblasen. Die Deportationen nach Polen sind eingestellt.“ Die Kinder sehen, wie der Mann erschüttert weint. Sie begreifen: Dieser Mann ist von der Geheimpolizei. Er will die Kinder warnen, sie sollen weglaufen. Aber die Kinder bleiben. Wo sollen sie denn „den Frieden suchen gehen“?

 

 

Donnerstag, 21.12.2006:

Weihnachten ist im Verlauf der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts zu einem Reservat bürgerlicher Gefühlsseligkeit geworden. Erich Kästner schreibt 1928 einen Gedichtsband. „Morgen Kinder, wird’s was geben“ ist ein Weihnachtslied aus dem 18. Jahrhundert. Dem stellt Erich Kästner die soziale Wirklichkeit im Deutschland 1928 entgegen.

 

„Morgen Kinder, wird’s nichts  geben!

Nur wer hat, kriegt noch geschenkt.

Mutter schenkte euch das Leben.

Das genügt, wenn man’s bedenkt.

Einmal kommt auch eure Zeit.

Morgen ist’s noch nicht so weit.

 

Doch ihr dürft nicht traurig werden.

Reiche haben Armut gern.

Gänsebraten macht Beschwerden.

Puppen sind nicht mehr modern.

Morgen kommt der Weihnachtsmann.

Allerdings nur nebenan.

 

Das Gedicht endet:

Morgen Kinder, wird’s nichts geben!

Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld!

Morgen, Kinder, lernt für’s Leben!

Gott ist nicht allein dran schuld.

Gottes Güte reicht so weit ...

Ach, du liebe Weihnachtszeit!“

 

 

Freitag, 22.12.2006:

In der Lübecker Mengstraße Nummer 4 ist alles noch vorhanden, was zu Weihnachten gehört! Alles ist noch vorhanden in Thomas Mann’s Roman „Die Buddenbrooks“. Aber nichts ist mehr echt. Weihnachten ist eine Kulissenwelt.

Christian Buddenbrook, der Bruder des regierenden Senators, ist ein unsolider Lebemann. Beinahe hätte er die Weihnachtsfeier vergessen. Und da erzählt er von einem Heiligen Abend, den er zu London in einem Tingeltangl fünfter Ordnung verlebt hat.

Hanno Buddenbrook, der einzige Sohn des regierenden Senators, wird ins Bett gebracht und im Einschlafen sieht er den Unglücksfall des vorigen Jahres. Während Sesemi Weichbrot, die Freundin der Familie, bei der Weihnachtsfeier von Gottes Güte gesprochen hatte, war ein Transparent mit der Aufschrift „Ehre sei Gott in der Höhe“ in Flammen aufgegangen.

Thomas Mann lässt Hanno Buddenbrook diesen Weihnachtsabend mit der Erinnerung an diese groteske Szene so beenden: „Während mehrerer Minuten lachte er ganz ergriffen, irritiert und nervös belustigt, leise und unterdrückt in seine Kissen hinein.“

 

 

Samstag, 23.12.2006:

Französische Theologen, die 1941 in Trier in Kriegsgefangenschaft waren, haben den Philosophen und Schriftsteller Jean-Paul Sartre gebeten für sie ein Weihnachtsspiel zu schreiben. Und er tut es. Sartre stellt darin die Frage: Wie, wenn Gott Mensch würde? Und seine Antwort: Dann wäre menschliche Liebe Gottesliebe. Die Pflicht des Menschen wäre dann Hoffnung, auch und gerade angesichts des Todes. Sartre lässt Barjona so sprechen: „Ein Gott sich in einen Menschen verwandeln? Der Allmächtige, mitten in seiner Herrlichkeit, würde dieses lausige Gewimmel auf dieser alten Kruste namens Erde, die es mit seinem Kot verschmutzt, betrachten und sagen: Ich will eines dieser Ungeziefer werden?

Wenn ein Gott für mich Mensch würde, für mich, liebte ich ihn, ihn ganz allein. Es wären Bande des Blutes zwischen ihn und mir und für das Danken reichten alle Wege meines Lebens nicht. Barjona ist nicht undankbar.“