Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Dr. Angelika Pressler, katholische Theologin und Psychotherapeutin aus Salzburg

 

 

Sonntag, 28.1.2007

In der Dschungel-Kathedrale

Schon in aller Früh entführe ich sie in eine andere Welt. In den Regenwald Costa Ricas in Mittelamerika. Dorthin verschlug es mich auf einer Reise, in der ich fast zwei Monate lang alleine unterwegs war, um Fremdes in und außer mir kennen zu lernen. Meine Angst vor dem Unbekannten war groß, wenn alles neu ist, anders, fremd. Aber ich wollte mir Fremdes vertrauter machen. Und als ich das erste Mal die Dschungelpfade eines Regenwaldes beschreite, raubt es mir den Atem. Es ist unheimlich, aber bezaubernd. Alles um mich herum dampft und atmet in vielfarbigem Grün. Mir ist, als hörte ich die Symphonien der Schöpfung mit völlig fremden Noten und Intervallen. Es ziept und fiept, knarrt und knackt, rauscht und raschelt. Bald schon bin ich schweißnass. Ich starre hinauf in die Maßlosigkeit der Urwaldriesen, die sich wie die Kuppel eines riesigen Domes im Himmel verlieren. Und fast hätte ich mich bekreuzigt in der fremden und doch heimeligen Dschungel-Kathedrale. Eine solche Schönheit im Fremden zu erfahren, das wünsche ich ihnen für den heutigen Tag.

 

 

Montag, 29.1.2007

Der Quetzal und andere bunte Vögel

Auf meiner Reise in die Fremde begleiten sie mich heute wieder in die Wälder. Diesmal ist es nicht der Regen- sondern der Nebelwald. Der ist dunkler, dumpfer, von moosigem Grün, mit Flechten und Wassertropfen durchwebt, abweisender als die Dschungelkathedralen an der Küste. Noch geheimnisvoller.

Der Wald in unserer mitteleuropäischen Märchenwelt ist bevölkert von merkwürdigen Gestalten und Ereignissen. Hier leben Rotkäppchen und der Wolf, Hexen und Räuber, die sieben Zwerge. Im Nebelwald Costa Ricas lebt der heilige Vogel der Azteken, der Quetzal. Ihn wollte ich sehen, den sagenumwobenen, dessen Federn metallisch schillern, irisierendes ins Türkis gehende Grün, ein Rot, das in der Sonne blau und lila-stichig glänzt. Der Quetzal, dessen Federn nur Priester tragen durften, der heute noch seinen Namen der Währung in Guatemala gibt. Ich habe ihn gesehen, diesen bunten Vogel, hoch in den Ästen, mit dem langen Federschwanz, wunderschön. Und ich wünsche mir, sie und ich können auch bei uns die bunten Vögel erspähen, die nicht Angepassten, die Verrückten, sehen und wertschätzen.

 

 

Dienstag, 30.1.2007

Warten auf den Bus und anderes Fremdes

Wenn sie in der Früh an der Bus-Haltestelle stehen und der Bus kommt nicht, ist zu spät, fünf, zehn Minuten, dann ärgern sie sich über diese sinnlose Warterei.

In Costa Rica habe ich warten gelernt. Ich stehe an einer Haltestelle und warte. Eine, zwei, drei Stunden, ich weiß nicht, ob heute überhaupt noch ein Bus kommt. Einheimische sagten, es werde schon einer kommen. Aber die Landstraße entlang rollt nur hie und da ein LKW, ein Pritschenwagen; einmal kommt ein Bus, aber der fährt durch. Gegenüber meiner als Bretterbude getarnten Haltestelle hat jemand ein merkwürdiges Gebilde aufgebaut. Es besteht aus unzähligen blank geputzten Radkappen, die in der Morgensonne glitzern und schimmern. Schön.

Dann kommt der Bus – ich die einzige weiße Ausländerin an Bord. Um mich nur dunkelhäutige Menschen mit Rastalocken; ein alter Mann im Unterhemd, eine Frau mit türkisfarbenen Lockenwicklern, eine andere mit einer Art Unterrock. Es ist so fremd, die Gerüche, das Warten, die Hautfarbe. Als ich am vermeintlichen Zielort aussteigen will, bedeuten mir die Dunkelhäutigen: Bleib hier, du bist nicht dran. Dann, bei der nächsten, helfen sie mir beim Aussteigen.

 

 

Mittwoch, 31.1.2007

Die Eidechse auf der Kniebank

Kennen sie den Unterschied zwischen allein sein und einsam sein?

Auf meiner Reise durch Costa Rica war ich oft allein, aber nur manchmal einsam. Und einsam fühlte ich mich, wenn ich an einen Ort kam, der mir unwirtlich erschien. So wie damals in Tortuguerro an der Karibik. Von der Natur her traumhaft, vom Wetter her, entschuldigung: „Besch…euert!“ Klassischer Tropenregen. Alles tropfnass, düster und nebelig. Zugleich schwül und dunstig.

Ich hatte Heimweh nach frischer Luft, vertrauten Abläufen, Geborgenheit. Im schwül feuchten Dorf Tortuguerro bin ich dann in die Kirche gegangen, ein luftiger Holzbau mit Ventilatoren. Als ich mich in eine Bank setzen will, schrecke ich zurück: Sie ist besetzt durch eine 30cm lange Eidechse. Die genießt auf einer Kniebank, den Kopf erhoben, die Kühle des Raumes. Ich bewundere sie.

Einen Tag später bin ich bei einem Gottesdienst, die Sprache ist fremd, der katholische Ritus vertraut, und viele Menschen geben mir beim Friedensgruß strahlend die Hand und sagen: La Paz, Friede! Und ich bin allein – aber nicht einsam.

 

 

Donnerstag, 1.2.2007

Ein Blick in die Schöpfungsküche

Haben sie schon das Fernseh-Programm für heute studiert? Gibt es vielleicht „Universum“ oder andere Sendungen, die sie in die Welt der Natur führen? Ich liebe diese Sendungen! Und immer schon wünschte ich mir: „Einmal das alles live erleben!“ Ich habe es erlebt. Das war so: Tatort ist Tamarindo an der Pazifikküste von Costa Rica. Hierher kommen zur Eiablage riesige Schildkröten, fast 2m lang, die Ledernackenschildkröten.

Ich hatte das Glück, an einer Nachttour zur Eiablage teilzunehmen. Fünf Stunden müssen wir warten, bis Mond- und Gezeitenstand so sind, dass die Schildkröten an Land gehen und ihre kraterähnlichen Nester schaufeln. Schweigend folgen wir dem Ranger im Strahl seiner Infrarotlampe, neben uns die Wellen des Pazifiks, unter uns der feuchte Sand, über uns ein sternklarer Himmel. Dann sehe ich das mächtige, vorzeitliche Tier. Wie in Trance getaucht füllt es nach und nach das Nest mit Eiern. Nur hie und da höre ich ein Schnauben und Keuchen. Mir fallen die Wörter aus dem Kopf, ich fühle mich umweht von einer unnennbaren mächtigen Lebenskraft. Ich durfte in die Schöpfungsküche Gottes schauen. Guten Morgen!

 

 

Freitag, 2.2.2007

Bäume wachsen in den Himmel

Sie kennen sicher das geflügelte Wort, vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen. Das will heißen, ich sehe nur noch Teile, nicht mehr das Ganze, ich habe den Überblick verloren, bin orientierungslos. Bei meiner zweimonatigen Reise durch Costa Rica bin ich oft stundenlang alleine in den dschungelartigen Nationalparks umhergewandert. Und dort sehen sie wahrhaftig vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Doch für mich war es ein seltsamer Genuss, den Über-Blick zu verlieren. Mich zu verlieren im Staunen über die Vielfalt und die verschwenderische Üppigkeit. Es gibt Hunderte verschiedener Bäume, manche wie riesige ineinander verschraubte Korkenzieher, manche mit Wurzeln, die wie gewölbte Bretter empor gewachsen sind. Dann wieder baut sich Bambus in riesigen fetten Bündeln vor mir auf, und es gibt die zarten Luftwurzeln der Würgfeige, die schon bald ihre Tödlichkeit für den Wirtsbaum zeigen werden. Alles strebt nach oben ins Licht, aber für mich und die anderen Erdlinge ist der Himmel hier unten nur hie und da geöffnet. Und trotzdem ist er da. Inwendig. Wahrlich, ich habe gekostet von den Bäumen der Erkenntnis.

 

 

Samstag, 3.2.2007

Der Gang über die Wasser und die Leichtigkeit des Seins

Kennen sie das, wenn das Leben schwer auf den Schultern lastet und die innere Leichtigkeit nur mehr selten zu Gast ist? Auch ich habe das zuweilen gefühlt auf meiner Reise durch die Tropenwelt Costa Ricas. Dann konnte ich die Freiheit des Unterwegsseins nicht so genießen. Mehr aber erlebte ich doch Zeiten heiterer Gelassenheit. Besonders dann, wenn ich mich einfangen ließ von der fremden Tierwelt Mittelamerikas. Am frühen Morgen in einem Kanu endlose Flussläufe entlang zu paddeln und das Erwachen der Natur zu erleben. Reiher, die lautlos über die Bäume streichen, Brüllaffen, die lautstark ihr Revier abstecken, das Quieken von Kaimanjungen im Unterholz, eine Faultier-Mutter, die mit ihrem Jungen am Rücken wie ein Sack kopfüber in den Bäumen hängt. Einmal beobachtete ich eine Eidechse, die musste Gott geschaffen haben, als er in besonders heiterer Stimmung war. Auf englisch heißt das Tier: Jesus Christ Lizard. Jesus Christus Eidechse. Sie flitzt auf ihren Hinterbeinen in einem Affentempo über die spiegelnde Wasserfläche. Sie reizt zum Lachen, verführt zur Leichtigkeit des Seins. Eine solche wünsche ich ihnen für heute.