Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Dr. Wilhelm Krautwaschl, Regens am Bischöflichen Seminar und Gymnasium in Graz

 

 

Sonntag, 25. Februar, 1. Fastensonntag

Die Fastenzeit hat begonnen: 40 Tage bewusstes Leben und bewussteres Glauben stehen auf meinem und vielleicht auch Ihrem Speisezettel für diese Wochen. Was könnte das für mich oder Sie zu Hause bedeuten?

Nun: Wenn ich etwa aus meinem Fenster mitten in Graz blicke, sehe ich neben einem Hochhaus einen Sportplatz, auf dem sich das Jahr über viele Seminaristen und Schülerinnen und Schüler unseres Gymnasiums tummeln. Ich blicke auf unseren Park und nehme unseren Fischteich wahr. Eigentlich, so denke ich mir, ein ungeheurer Reichtum mitten in der Stadt!

Wenn ich mich dann in meiner Wohnung umschaue, sehe ich meinen Computer, den Drucker und sonst noch manches für das Büro, den Fernseher, eine DVD-Anlage und noch vieles andere.

Wenn mich junge Seminaristen besuchen, staunen sie, welchen "Reichtum" ich besitze. Da denk ich mir: "Passt das so? - Ist das gut?" Dabei wird mir dann bewusst: "Es geht darum, wie ich mit alledem, was mir gehört, umgehe." Daher gibt es immer wieder Filmabende mit den Burschen, mitunter surfen sie im Internet oder drucken bei mir was aus. So wie die Natur vor meinem Fenster für alle da ist, so will auch ich meinen Besitz mit anderen teilen.

 

 

Montag, 26. Februar 2007

Ich bin ein Morgenmuffel. Und daher wird bis zur letzten Minute das Bett gehütet. Wenn ich mich dann auf den Weg in unsere Kapelle mache, kommen mir schon die jungen Leute entgegen, die unser Gymnasium besuchen. Manche sitzen schon etliche Minuten vor der Tür und warten darauf, bis sie in die Klasse gehen können. - Ich male mir aus, wie viele eigentlich schon längst auf den Beinen sind, ehe mein Wecker läutet ... Das alles lässt mich nicht achtlos an den Jugendlichen vorüber gehen. Ein morgendliches "Grüß Gott!" oder das eine oder andere "Wie geht's?" muss da schon Platz haben, auch wenn das Gebet ruft.

Nach dem "Start mit Gott" heißt es dann erst recht aufmerksam zu sein für Jeden und Jede. Daher gehe ich dann bewusst durch den Speisesaal, wo sich unsere Seminaristen beim Frühstück stärken. Da und dort ein Augenblick des Grußes, ein kurzes aufmerksam Sein. -
Auch das scheint mir eine Art zu sein, die Wochen vor Ostern zu leben: Nicht darauf warten, dass andere auf mich zugehen, sondern mich selbst auf den Weg machen zu ihnen hin!

 

 

Dienstag, 27. Februar 2007

Schon lange ist es mir zur Selbstverständlichkeit geworden, den Tag mit gemeinsamem Gebet zu beginnen. So ist es auch jetzt: Einige Schüler, Lehrer und wir Priester verrichten miteinander am Morgen das Stundengebet, feiern Messe oder starten mit einem kurzen Gedanken "7 nach 7" in den Tag. Dabei nehmen wir die Freuden und die Sorgen aller, die in diesen Minuten unser Schulhaus betreten mit vor Gott.

Meist habe ich auch schon meinen Kalender dabei. Da stehen die Termine drin; da drin sind aber auch Menschen vermerkt, denen ich mein Gebet versprochen habe oder an die ich gerade heute besonders denken will. Damit wird deutlich, dass nicht nur ich bete, sondern durch mich auch andere mit ihrem Leben vor Gott hin gebracht werden. Ich bin ja nicht für mich selber Priester, weil ich auch nicht für mich allein Christ bin.

Bewusst vor Gott hintreten - und die kleine und die große Welt um mich herum mitnehmen mit ihrem Lachen und Weinen, mit ihren Hilfeschreien und Freudentränen. Das ist eigentlich eine schöne Art des Fastens für Sie zu Hause und in der Arbeit und für mich!

 

 

Mittwoch, 28. Februar 2007

"Als Priester haben Sie sicher viel zu tun!" höre ich oft. Wenn ich darüber nachdenke, fallen mir auch andere ein, die durch ihre Arbeit sehr eingespannt sind. Ich kenne viele, die ständig gehetzt sind, nie Zeit haben und dauernd auf die Uhr schauen, weil sie wieder wo zu spät kommen.

Mit der Zeit richtig hauszuhalten ist freilich auch für mich wichtig. - So manche würden staunen, wenn sie meinen Kalender anschauen. Da sind nämlich auch Zeiten eingetragen, zu denen ich mich erholen möchte. Da sind Gebetszeiten und Zeiten der Stille vermerkt. Weil sie besonders wichtig sind. - Gott schreit nämlich nicht, er drängt sich nicht auf - das bewusste Hinhören auf IHN ist aber für mich und eigentlich für jeden Christen das Wichtigste, weil dadurch alles im Leben ins Lot kommt.

Vielleicht gehe ich mit einem meiner Kollegen in diesen Tagen der Fastenzeit wieder meinen Kalender bewusst durch um mir klar zu werden, ob ich meine Zeit ausgeglichen lebe. Ich bin mir sicher: eine solche kritische Durchsicht ihres Tagesablaufes würde vielen Menschen gut tun.

 

 

Donnerstag, 1. März 2007

Schon als Kind wurde mir beigebracht, mich schön anzuziehen. Heute als Priester achte ich auch bei der Feier des Gottesdienstes darauf, dass die Kleidung nicht nur in Ordnung, sondern auch schön ist. Als ich im vergangenen Herbst im Bischöflichen Seminar mein Zimmer eingerichtet habe, habe ich andere gebeten, mir dabei zu helfen, damit es schön wird. - Vielleicht klingt das danach, dass ich Äußerlichkeiten wichtiger nehme als die wahren Werte im Leben.

Andererseits merke ich: Die Gestaltung des Zimmers trägt viel dazu bei, dass Menschen, die mich als Priester um Rat fragen oder Freud und Leid mit mir teilen wollen, sich bei mir willkommen fühlen. Schließlich hat ja auch Jesus die ersten Jünger zu sich eingeladen und gemeint: "Kommt und seht!"

Wenn dann die eine oder der andere aufgrund des Aufenthaltes bei mir vielleicht sogar meint, ein Stück weit Gott näher gekommen zu sein, dann wird mir wieder mal klar: Mein Wohnen ist bedeutsam - auch für das Glauben der Menschen. - Den Anderen bei mir, ja "in mir" Raum geben: das ist eine Umschreibung für das, was Christsein ausmacht und wofür uns diese 40 Tage der Fastenzeit einladen zu leben.

 

 

Freitag, 2. März 2007

Im Bischöflichen Seminar werde ich oft mit Fragen des Glaubens unserer jungen Burschen förmlich bombardiert. Sie sind ja alle - so wie ich - auf der Suche nach dem, was wirklich zählt im Leben.

Vor Jahren kam eine Frau mit ihrer Enkelin nach der Messe in die Sakristei. Sie hat mich gebeten, der Kleinen zu erklären wer denn der "Heilige Geist" sei. Ich war mehr als erstaunt: einem Kindergartenkind erklären, worüber sich die großen Theologen den Kopf zerbrechen? Wie soll das gehen? Ich schaute das Mädchen an und fragte: "Spürst du, dass Mama und Papa dich gern haben?" Die Kleine antwortete: "Ja!" Und ich sagte darauf: "Schau: auch Gott liebt uns. Das spüren wir. - Und das ist es, was wir Heiliger Geist nennen."

Meine Antwort hält theologischen Auseinandersetzungen wohl nicht Stand. Diese und andere Begebenheiten erinnern mich aber daran, dass sich Glaube und Leben nicht voneinander trennen lassen. Umgekehrt gilt auch: alles, was ich erlebe, hat was mit Glauben zu tun.

Ich staune darüber, wie reich unser Glaube ist. Diesen Schatz möchte ich in diesen Tagen vor Ostern für mich wieder heben.

 

 

Samstag, 3. März 2007

Die erste Woche der Fastenzeit geht zu Ende. Ich nutze sie, um alle Aspekte meines Lebens bewusster zu gestalten. Denn mit Glauben ist nicht nur mein Gebetsleben gemeint. Dazu gehört auch die Bereitschaft zu teilen, auf die anderen zuzugehen und die Zeit ausgeglichen zu leben; es gilt, den Menschen um mich herum Raum zu geben oder auch mich auf das Nachdenken über unseren Glauben einzulassen. Und: bewusstes Fasten, also Leben aus dem Glauben, bedeutet auch, alles mit den anderen zu leben.

So etwa habe ich jeden Samstag eine geschützte Zeit, in der ich mit Kollegen aus ganz Österreich telefoniere. Wir erzählen einander, was in den vergangenen Tagen los war und teilen dabei Freud und Leid. Manchmal bitten wir uns auch, im Gebet aneinander zu denken, weil die eine oder andere Situation dies besonders verlangt. So wird deutlich, dass andere mit mir leben. Und ich werde von ihnen dazu eingeladen, Anteil zu nehmen an ihrem priesterlichen Alltag. Auf diese Weise bin ich in Graz mit vielen verbunden und lebe gleichsam nicht mehr für mich allein. Auch heute Vormittag werde ich mit meinen Brüdern telefonieren. Ich lade aber auch Sie zu Hause ein, heute jemanden anzurufen, der vielleicht schon lange darauf wartet.