Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Dr. Florian Huber, Propst zu St. Jakob in Innsbruck

 

  

Sonntag, 25. 3. 07

Vor einigen Jahren hat man die Besucherinnen und Besucher des Domes St. Jakob in Innsbruck gezählt. Insgesamt - Gottesdienstbesucher, Beter, Touristen - betreten jährlich an die 800 000 Menschen diese Kirche. Viele kommen in Gruppen und erhalten eine Führung. Auch Innsbrucker nehmen Bekannte aus aller Welt in den Dom mit und zeigen ihnen dieses herrliche Gotteshaus.

 

Einmal bin ich Zeuge einer solchen Führung geworden. Da steht ein Mann im strahlend vom Sonnenlicht durchfluteten Kirchenraum. Er hat den Kopf weit in den Nacken gelegt und bewundert mit staunend offenen Augen die Deckengemälde und die Stuckaturen der Gebrüder Asam. Der offensichtlich Englischsprachige bekommt dabei ganz begeistert mehrfach zu hören: "That´s the idea to bring the heaven." "That´s the idea to bring the heaven."

 

Den Himmel auf Erden zu bringen, so charakterisiert man Barock. Ich habe persönlich oft im Dom in die Höhe geschaut und den hochbarocken Raum auf mich wirken lassen. Erst nach einiger Zeit habe ich eine Entdeckung gemacht: wenn ich die Kirche betrete und nach vorne gehe, bewege ich mich auf dem Längsbalken eines Kreuzes. Der Grundriss dieser den Himmel öffnenden Architektur ist ein Kreuz. Seitdem bewegt mich öfter im bewussten Durchschreiten des Domes St. Jakob die Frage, auf welchen Grundlagen mein Leben beruht.

 

 

Montag, 26. März 07

Neun Monate vor der Geburt Christi feiert die römisch-katholische Kirche am 25. März das Fest der Verkündigung des Herrn. Wegen der Vorrangstellung des Sonntags wird es in diesem Jahr auf heute verschoben. Aus dem Text des Evangelisten Lukas über die Ankündigung der Geburt Jesu durch den Engel Gabriel ist im Mittelalter das Gebet "Der Engel des Herrn" entstanden. Bis heute läuten unsere Kirchenglocken dreimal am Tag als Einladung, sich im Engel des Herrn das Geheimnis der Menschwerdung als Beginn unserer Erlösung in Erinnerung zu rufen.

 

Wer in den Dom St. Jakob in Innsbruck geht,  b e g e h t  diese Erinnerung auf eine ganz eigene Weise. In der Vierung, genau im Kreuzungspunkt des Längs- und Querschiffes, ist im alten Steinboden unübersehbar ein Stern dargestellt - der Stern von Bethlehem. Er weist den suchenden Magiern aus dem Osten den Weg zur Krippe. Eingebettet in den Grundriss des Kreuzes verweist der Stern hier gleich weiter auf das Geschick Jesu. Seine Liebe geht für uns bis ans Kreuz.

 

Besucherinnen und Besuchern ist es möglich, den Stern auf dem Kreuzungspunkt zu begehen. Ist das nicht wie eine Einladung, das innerste Geheimnis unseres Glaubens zu betreten und zu spüren, dass die Liebe Gottes, die uns im Kreuz Jesu aufstrahlt, als Fundament unser Leben tragen kann?

 

 

Dienstag, 27. März 2007

Auf die Fastenzeit 2005 hin hat Frau Elke Maier den Dom zu St. Jakob in Innsbruck mit Seidenfäden versponnen. Sie hat Faden für Faden, über die ganze Breite des Innenraumes hinweg, die Säulen der Seitenaltäre miteinander verbunden. Dieses Projekt war ein gewagtes Unternehmen. Es ist gelungen. Bis heute werde ich immer wieder darauf angesprochen. Die Künstlerin hat mit ihren Seidenfäden im Dom neue Beziehungen geknüpft. Sie hat im scheinbar bekannten Raum ganz neue Räume erschlossen. Im Spiel des sich ständig verändernden Lichtes in den Seidenfäden sind unterschiedliche Stimmungen aufgeleuchtet. Die Rede davon, dass die Herrlichkeit des Herrn erstrahlt: hier ist das erlebbar geworden.

 

Besonders beeindruckend ist schon das Erleben der Entstehung dieses Kunstwerkes gewesen. An die 60 km feines Seidengarn wurde benötigt. Unzählig oft wurde da die Leiter bestiegen, der Faden befestigt, zur anderen Seite hinauf in die Höhe gespannt - ein ständiges auf und ab, hin und her. Nach eigener Aussage der Künstlerin ist das für sie auch ein spiritueller Weg gewesen: eine langsame Annäherung vom Eingang der Kirche hin zum Allerheiligsten.

 

Ein Weg, eine langsame Annäherung an das Allerheiligste, an die Begegnung mit 

d e m   Heiligen: das Bild der gespannten Seidenfäden und deren Entstehung vor Augen ist für mich seither zu einem Bild des Glaubens geworden.

 

 

Mittwoch, 28. März 07

In der Fastenzeit des Jahres 2006 hat der Dom St. Jakob in Innsbruck für die Besucherinnen und Besucher eine Überraschung bereit gehalten. Der Künstler Georg Planer hat im Dom eine Klang- und Duftinstallation mit Bienen, Bienenwachs und Waben angebracht.

 

Dazu wurden unter anderem oben in den beiden Türmen - mit einer Flugschneise ins Freie - vier lebende Bienenvölker untergebracht. In den Dom hinein wurde außerhalb der Gottesdienstzeiten live das Summen der Bienenvölker übertragen. Die Bienenvölker befinden sich in der Fastenzeit in einer kritischen Zeit. Die Nahrungsreserven drohen auszugehen. Die Aufzucht der Jungbienen ist in Gefahr. Hier entscheidet sich die Zukunft.

 

Wenn die Außentemperatur sinkt, sind die Bienen in der Wintertraube. Um die Königin herum bildet sich ein Wärmezentrum, erzeugt durch die Bewegung der großen Flugmuskeln der Bienen. Der dadurch entstehende Summton variiert je nach Stimmung im Volk.

 

Ich habe viele beobachtet wie sie das live übertragene Summen aus den Bienenstöcken gehört haben. Auf manchem Gesicht ist ein Widerschein dessen zu sehen gewesen, welche Stimmung im Bienenstock geherrscht hat: ob traurig, aufgeregt, oder heiter und fröhlich.

 

Manchmal, denke ich, funktioniert es mit der Übertragung einer Stimmung auch bei uns Menschen so: wer fröhlich gestimmt seine Wege geht, auf den kommen auch fröhliche Gesichter zu.

 

 

Donnerstag, 29. März 07

Für diese Fastenzeit hat der Künstler Hans Dragosits einen rundum schwarzen Kubus im südlichen Querschiff des Domes St. Jakob in Innsbruck platziert. Die Maße dieses Raumobjektes sind ganz auf die Maße des Domes abgestimmt. Die Breite etwa entspricht genau der Breite des gegenüberliegenden Grabmals des Hoch- und Deutschmeisters Maximilian III.

 

Dieses Grabmal, ein Kunstwerk von europäischem Format, bezaubert in seiner Gestaltung der gewundenen vier Bronzesäulen. Da gibt es viel zu sehen: Käfer und Schmetterlinge, Bienen und allerlei Kleingetier, zahlreiche Vögel, und alles ist umgeben von Weinranken und Trauben. Es ist ein Blick hinein in den Reichtum der Schöpfung. Wer sich davon ansprechen lässt, wird sicher in sich das Wort Jesu vernehmen: "Ich bin der Weinstock, ihr seid die Rebzweige. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht." (Joh 15,5)

 

In den vergangenen Jahren ist die Sensibilität dafür gewachsen, dass der Mensch und sein Tun und Lassen hineinverwoben ist in die belebte und unbelebte Umwelt. Christinnen und Christen haben in sich die Verpflichtung zur Bewahrung der Schöpfung, zum sorgsamen Umgang mit dem uns Anvertrauten entdeckt.

 

Der Weg zu einem heileren Leben für alle auf dieser Welt ist ein mühevolles Unterfangen. Es ist die Herausforderung, ein Kunstwerk zu vollbringen, nicht allein von europäischem Format, sondern von wahrhaft globaler Bedeutung.

 

 

Freitag, 30. März 07

Im hochbarocken Raum des Domes St. Jakob in Innsbruck ist im südlichen Querschiff bis eine Woche nach Ostern ein vom Künstler Hans Dragosits geschaffener, durch und durch schwarzer Kubus zu sehen. Bei näherer Betrachtung entbirgt sich dieser als ein begehbares Raumobjekt. In seinem Innern entdeckt der Besucher auf seiner Wegsuche, dass er einen Kreuzraum durchschreitet. Neonröhren an der Decke erleuchten das Innere und lassen durch ihre kreuzförmige Anordnung diesen Weg noch deutlicher als Kreuzweg erleben.

 

Der Künstler selbst gibt nur wenige, sehr dichte Worte mit auf den Weg:

zu schweigen, zu warten,

im licht der dunkelheit

schritt vor schritt zu setzen

 

Wie die schwarze Farbe als Kontrapunkt zur opulenten Farbenpracht des Domes gesehen werden kann, so sind diese Worte ein Kontrapunkt zur bevorzugten Weise heutiger Erlebnissuche: da eilen wir von Event zu Event, Worte und Bilder in bisher nie gekannter Fülle drängen sich in unsere Ohren, fesseln unser Augenmerk, lassen unseren Sinnen kaum Zeit zur Besinnung.

 

Wir möchten alles schnell und rasch haben. Echte, tiefe Erfahrungen aber brauchen ihre Zeit. Zeit, die wir uns nehmen können:

zu schweigen, zu warten,

im licht der dunkelheit

schritt vor schritt zu setzen

 

 

Samstag, 31. März 07

Wer in den Dom St. Jakob in Innsbruck hineingeht, kommt natürlich nicht umhin, einen Blick auf unseren wertvollsten Schatz, das Original des Mariahilfbildes von Lukas Cranach zu werfen. Vor nachtschwarzem Hintergrund stellt Lukas Cranach den Betrachtern ein Kind vor Augen, das sich vertrauensvoll in seiner ganzen Haltung und seinem Blick der Mutter zuwendet. Und diese wiederum schaut auf eine einladende Weise zu allen Besucherinnen und Besuchern und birgt in ihrem Blick alles, was Menschenherzen ihr und ihrem Kind entgegen tragen.

 

Ich habe einmal einen Schüler erlebt, der beim Hinschauen auf das Mariahilfbild gefragt hat: "Wer ist dieses Kind, und wer ist die Frau?" Die Frage kann einen schon etwas aus der Fassung bringen. Aber eigentlich hat der Fragesteller recht gehabt. Lukas Cranach hat in seiner Darstellung einfach eine junge Frau und ein kleines Kind gemalt. Nichts deutet, wie bei anderen Darstellungen, - durch Bekrönung und Heiligenschein etwa -, darauf hin, dass hier jemand Besonderer dargestellt wird. Vielmehr ist gerade das ja das Besondere, dass Gott ein einfaches junges Mädchen aus Israel als Mutter seines Sohnes ausgesucht hat. Im Mariahilfbild leuchtet uns Gott in Jesus und Maria als uns ganz nah, als menschenfreundlich, entgegenkommend auf. Kein Wunder, dass das Gnadenbild Mariahilf bis heute die Menschen anspricht. So ist unser Glaube: menschenfreundlich; einer, der die Erde liebt.