Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
"Aufstehen
zum Leben"
von
Pfarrer Dietmar Stipsits, Bad Tatzmannsdorf, Burgenland
Sonntag, 1. 4. 2007:
Aufstehen zum Leben.
Unter diesem Motto lade ich Sie ein, die heurige Karwoche mit mir zu
gehen. Bis ins 3. Jahrhundert war die Osternachtfeier das höchste
Fest im christlichen Liturgiekalender. Ein paar Tage davor bereitete
man sich auf Ostern vor. Bis ins 3. Jahrhundert war es den
ChristInnen wichtig, sich daran zu erinnern: Christ-Sein bedeutet,
erfüllt zu leben. Erst später wurde die Karwoche erweitert um
Palmsonntag, Gründonnerstag und Karfreitag, und das Leiden Jesu
wurde immer mehr in den Mittelpunkt gestellt. Die Christen der
ersten Jahrhunderte bereiteten sich in der Karwoche darauf vor, dass
das Leben stärker ist als der Tod, dass die Fesseln, die uns am
Leben hindern, gelöst werden können, dass die Erstarrung in meinem
Lebensalltag verwandelt wird in neue Lebendigkeit. Aufstehen zum
Leben: Ob ich Sie wohl in dieser Karwoche dazu ermuntern darf?
Montag, 2. 4. 2007:
Aufstehen zum Leben
konfrontiert mich mit der Frage: Was hindert mich, erfüllt zu leben?
Auf unserem Lebensweg kann es viele Steine geben, die uns behindern.
Da ist z. B. bei vielen die persönliche Vergangenheit: An welche
Ereignisse erinnere ich mich, wo ich ganz tiefe Verletzungen
erfahren habe? Diese alten Verwundungen können schwere Steine sein,
die ich mein ganzes Leben lang mitschleppe. Diese Altlasten lassen
mich nicht aufstehen, damit ich meinen Weg aufrechten Ganges gehen
kann. Aber genauso können es Beschwernisse der Zukunft sein: Die
Angst, meinen Arbeitsplatz zu verlieren oder Ängste vor der
bevorstehenden Chemotherapie. Oft sind es bestimmte Menschen, die
wie Steine auf mir liegen. In ihrer Nähe kann ich nicht frei atmen,
fühle ich mich völlig eingeengt, bin total blockiert. Nehmen Sie
sich heute Zeit, darüber konkret nachzudenken: Welche Steine hindern
mich, damit ich aufstehe zum Leben?
Dienstag, 3.4. 2007:
Aufstehen zum Leben -
heißt für mich nicht nur, mir bewusst zu machen, welche Steine,
Belastungen, Verletzungen mich daran hindern, sondern auch einen
Neubeginn zu wagen. Ich erlebe es sehr oft in Seelsorgegesprächen,
dass Menschen mir ihre Verwundungen klagen. Aber sie schaffen es
kaum, sich davon zu lösen, sich mit den Verletzungen auszusöhnen.
Eine Hilfe dafür kann sein, dass ich mich hinsetze, ein Blatt Papier
nehme und mein Leben anschaue mit der Frage: Welche Steine
blockieren mein Leben? Alles, was in mir da aufbricht, schreibe ich
auf das Blatt Papier. Wenn ich das offen und ehrlich mir selbst
gegenüber mache, wird dieser Prozess nicht ohne Schmerz und wohl
auch nicht ohne Tränen möglich sein – und das ist gut so! Lassen Sie
sich Zeit dafür. Dann nehmen Sie das Blatt – vermutlich sind es
sogar mehrere Blätter geworden – verbrennen diese, und verabschieden
sich so ganz bewusst von Ihren Lebenswunden. Aufstehen zum Leben,
Ostern kann nur gelingen, wenn ich loslassen kann und den Mut habe,
neu zu beginnen.
Mittwoch, 4.4. 2007:
Mein Aufstehen zum Leben
muss sich vollziehen, indem ich meine Sehnsüchte wahrnehme und sie
entfalte. Und wohl eine der größten Sehnsüchte von uns Menschen ist
der Wunsch nach Ergänzung, nach einem Menschen, der mit mir mein
Leben teilt. Und dazu gehört ganz existenziell meine Sexualität. P.
Anselm Grün OSB, wirtschaftlicher Leiter der Benediktiner-Abtei
Münsterschwarzach in Deutschland und Autor von spirituellen
Bestsellern, sagt: „Wer die Sexualität zu Ende denkt, wird auf seine
Ursehnsucht nach Lebendigkeit stoßen.“ Wie sieht es da bei mir aus?
Welche Einstellung habe ich zu meiner Sexualität? Versuche ich,
meine Sexualität „in den Griff zu bekommen“ oder kann ich sie als
gute Gabe Gottes annehmen? Unterdrückte Sexualität – davon bin ich
felsenfest überzeugt – führt zu Härte, Unzufriedenheit,
Selbstgerechtigkeit und Depression. Eine integrierte Sexualität
jedoch drückt sich in Lebendigkeit und Lebensfreude aus. Wenn ich
mit meiner Sexualität in Berührung bin, dann führt das nicht nur zur
Freude an meinem Körper, sondern vor allem zur Lust am Leben.
Sexualität ist etwas Schönes, Lebensbejahendes, Lustvolles,
Positives, ja Gnadenvolles – meine Sexualität hilft mir beim
Aufstehen zum Leben.
Donnerstag, 5.4. 2007:
Aufstehen zum Leben.
Heute am Gründonnerstag erinnert sich die kath. Kirche an das Letzte
Abendmahl Jesu. Vor wenigen Tagen wurde ein neues Schreiben von
Papst Benedikt XVI. veröffentlicht, in dem die Eucharistiefeier
thematisiert wird. Dabei hält Papst Benedikt neuerlich fest, dass
wiederverheiratet Geschiedene nicht die Kommunion empfangen dürfen
und „dass es für nicht katholische Christen allgemein unmöglich ist,
das Sakrament der Kommunion zu empfangen“. Wenn ich auf Jesus in den
Evangelien blicke, entdecke ich einen Jesus, der immer wieder Mahl
gehalten hat mit Zöllnern und Pharisäern, mit Dirnen und Sündern.
Jesus lädt alle ein, Sünder genauso wie Fromme. Jesus schließt
niemand von seinem Leben in Fülle aus. D. h. für mich: das
Einswerden mit Jesus in der Kommunion ist nicht eine exklusive
Belohnung für jene, die sich brav an die kirchlichen Vorschriften
halten, sondern Heilmittel für alle, die sich im umfassenden Sinn
„krank“ fühlen und nach Heil-Sein sehnen. Ob wir nicht auch als
Kirche wie Jesus handeln müssten, damit die Menschen aufstehen zum
Leben?
Freitag, 6.4. 2007:
Aufstehen zum Leben -
dazu gehören auch die Erfahrungen von Leid, von Ohnmacht, von
Ausweglosigkeit. Auch Jesus blieben diese Erfahrungen nicht erspart
– bis zum Tod am Kreuz. In meinem eigenen Leben habe ich gelernt –
im Nachhinein betrachtet -, dass Krisen Chancen waren, die mich
reifen ließen und die mich sensibel machten für Gott und für mein
Innerstes. Krisen beinhalten für mich zwei Möglichkeiten: entweder
ich sehe mich als verflucht an – so wie ein Gekreuzigter zur Zeit
Jesu - und meine Lebensprobleme werden mich zerbrechen, oder ich
weiß, dass ich Gottes geliebte Tochter, Gottes geliebter Sohn bin.
Dann werde ich Gottes Berührung erfahren, indem ich meine
Verletzungen anschaue und sie Gott hinhalte. Das öffentliche
Auftreten von Jesus begann mit der Zusage: Du bist mein geliebter
Sohn. Ich wünsche Ihnen heute am Karfreitag, dass Sie sich immer
wieder als von Gott Geliebte erfahren und so durch Krisenzeiten
hindurch aufstehen zum Leben.
Samstag, 7.4. 2007:
Aufstehen zum Leben war
mein Thema in der heurigen Karwoche, und jetzt liegt Jesus doch tot
im Grab. Karsamstag: endgültiges Aus, unwiderruflicher Tod. Doch wir
ChristInnen ahnen schon den Morgen des Ostertages. Jesus bleibt
nicht im Tod, das Grab verwandelt sich zum Ort der Auferstehung.
Gott schenkt uns Menschen neues Leben, mit Jesus begann dieser Weg
zum erfüllten Leben. Das Johannesevangelium verwendet dafür nicht
den griech. Begriff bi&oj, sondern zwh&, das meint Lebendigkeit,
Lebensqualität, Lust am Leben, Leben in Fülle. Zu diesem erfüllten
Leben wollte ich Sie hinführen. Irenäus von Lyon (+ 202) bringt mein
Anliegen auf den Punkt, wenn er sagt: „Die Ehre Gottes ist der
lebendige Mensch“. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in der heutigen
Osternachtfeier beschenkt werden mit dieser Lust am Leben; ich
wünsche Ihnen Mut und Vertrauen für Ihr persönliches Aufstehen zum
Leben!
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