Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Birgit Diestler, Pastoralassistentin in der Pfarre Graz-Salvator
Sonntag, 20.5.2007
Ich brauche sehr lang
Fröhlich folge ich einem meiner Lieblingswege: Da ein verheißungsvolles
Blätterrascheln, dort eine sich gerade öffnende Blüte, hier ein
glänzender Stein, dort drüben ein sprühender Wasserfall. Sich
mühende Ameisen, frei schwebende Vögel, ein Gekrieche, Gehüpfe,
Gezitter rundum.
Wie ein Kind schaue und lausche ich – gefangen – fasziniert. Und
plötzlich steigt die Gewissheit auf: Das alles bist Du, Gott; Dein
Atem, Dein Leben, Dein Geist durchpulst die Welt.
Ein Gedicht eines großen Liebenden fällt mir ein, des steirischen
Priesters und Künstlers Josef Fink:
Die Frommen
gehn schnurstracks zu Dir
Ich weiche stets ab
Es sind die Tänze der Gräser
es sind die Pfade der Würmer
die vielen Spuren der Käfer
Ich brauche sehr lang
diese Schnörkel entlang
bis zu Dir
Warte
ich komme verträumt
Montag, 21.5.2007
Weißspitze
Ich stehe auf einem schneebedeckten Gipfel und nehme den Rucksack auf, um
abzusteigen. Auch der Bergführer neben mir mahnt seine Gruppe zum
Aufbruch. Seine Leute beginnen sich anzuseilen. Plötzlich fühle ich
mich elend: Die haben ein Seil. Die gehören zusammen. Die geben
einander Sicherheit. Obwohl der Abstieg leicht ist, wird mir schwer
ums Herz. Der Grat erscheint plötzlich schmäler und der Abhang
tiefer als noch kurz zuvor. War es nicht doch Leichtsinn, allein
hier heraufzukommen? Da fällt mir ein, dass im Rucksack der dicke,
wollene Bergsteigerpullover meines Vaters ist. Für alle Fälle. Ich
schleppe ihn mit als Gewand für die Seele. Seine Gegenwart beruhigt
mich. Es ist, als stünde mein Vater neben mir. Er erinnert mich an
gemeinsame Touren und an meine eigene Kraft.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie Vertrauen haben in Ihre Stärke. Und dass Sie
sich beschützt und geborgen fühlen – bei Ihren Lieben und bei Gott.
„Du umschließt mich von allen Seiten / und legst deine Hand auf mich“
heißt es in einem Liedvers in der Bibel und: Er (Gott) beschirmt
dich mit seinen Flügeln, / unter seinen Schwingen findest du
Zuflucht.
Dienstag, 22.5.2007
Quasselaufstieg
Er redet noch immer. Zwei Stunden gehe ich jetzt sicher schon hinter
dieser Gruppe her. Der Aufstieg ist nicht besonders schwierig, die
Landschaft prächtig. Ich wandere allein und habe zu einer
Männergruppe aufgeschlossen, die auf das gleiche Ziel hin unterwegs
ist. Einer erzählt von anderen Touren: Berühmten Bergen, schwierigen
Routen, gefährlichen Situationen. Je länger wir unterwegs sind,
desto fantastischer werden seine Geschichten.
Schließlich beginnt die Umgebung zu verblassen: Die Pflanzen, Tiere,
Steine verlieren ihren Glanz. Was sind sie schon im Vergleich zu den
exotischen Landschaften, von denen der Kamerad spricht? Achtlos
werden auch die letzten Meter zum Gipfel abgespult. Kein Blick mehr
für diese Landschaft, keine Freude mehr an diesem Gipfel.
Als sie absteigen, bleibe ich allein zurück. Es dauert eine Weile, bis
ich mich wieder finde. Mich selbst. Hier und jetzt. Auf diesem Berg.
In dieser Welt. Ein wunderschönes Fleckchen Erde. Ein paar
Augenblicke zeitlosen Friedens.
Ich wünsche Ihnen für diesen Tag irgendwann einen Moment, wo Sie ganz da
sein können. Ganz da – und zufrieden.
Mittwoch, 23.5.2007
Der nächste Schritt
Es herrscht Schlechtwetter. Weil an ein höheres Hinaufsteigen nicht zu
denken ist, verlasse ich den markierten Steig und gehe auf gleich
bleibender Höhe „wild“ im Gelände herum. Ich versuche mich im
Wege-Finden und erprobe verschiedene Möglichkeiten von A nach B.
Dabei eilen meine Augen voraus soweit es die schlechte Sicht
erlaubt. Haben sie ein lohnendes Ziel entdeckt, geht’s erst richtig
los: Wie komme ich jetzt hin? Manchmal probiere ich zig Varianten
schauend aus, bis ich mich für eine entscheide und den nächsten
Schritt setze.
Auch im Alltag geht’s manchmal „wild“ zu. Da will man ein Ziel erreichen
und weiß noch nicht wie. Da sind Weggefährten gut, die die Visionen
teilen, die einen gangbaren Weg suchen wollen, auch wenn scheinbar
gar keiner da ist. Außerdem: Schauen und diskutieren allein reicht
nicht – ich muss den ersten Schritt tun.
Frère Roger Schutz hat junge Menschen ermutigt, die ein bewussteres,
christliches Leben beginnen wollten: Lebe das, was du vom Evangelium
verstanden hast und sei es noch so wenig. Erfahrene Weggefährten
wissen: Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt.
Donnerstag, 24.5.2007
Pfingstsequenz
Vor einigen Jahren war es klar: Ich verbringe Pfingsten am Berg! Ich
wollte aber nicht „geistlos durch die Gegend koffern“, also steckte
ich mir einen kirchlichen Text zum Pfingstfest in die Außentasche
der Berghose und lernte ihn während des Anstiegs auswendig.
Der Beginn des Textes lautet:
Komm herab, o Heil´ger Geist,
der die finstre Nacht zerreißt,
strahle Licht in diese Welt.
Komm, der alle Armen liebt,
komm, der gute Gaben gibt,
komm, der jedes Herz erhellt.
Höchster Tröster in der Zeit,
Gast, der Herz und Sinn erfreut,
köstlich Labsal in der Not,
in der Unrast schenkst du Ruh,
hauchst in Hitze Kühlung zu,
spendest Trost in Leid und Tod.
Komm, o du glückselig Licht,
fülle Herz und Angesicht,
dring bis auf der Seele Grund.
Ohne dein lebendig Wehn
kann im Menschen nichts bestehn,
kann nichts heil sein, noch gesund.
An diesem Abend war ich nicht nur um eine Bergerfahrung reicher. Das
Gebet hatte mich begleitet und die Worte waren wirklich bis auf den
Grund meiner Seele gedrungen. Ich hatte erfahren, was Kardinal
Newman „to learn by heart“ nennt: Dass ich wichtige Worte nicht nur
auswendig hersagen kann, sondern dass sie mir wirklich zu Herzen
gehen.
Ich wünsche ihnen für diesen Tag ein gutes Wort, das sie stärkt und
begleitet.
Freitag, 25.5.2007
Fehlerkette
Stur rede ich mir ein, dass gleich die nächste Markierung kommen muss;
gleich, da, da vorn... Stehen bleiben und mich orientieren? Doch
nicht bei so einer Babytour! Zurückgehen bis zur letzten Markierung?
Doch nicht jetzt, wo ich schon so weit bin! Aus. Es wird zu steil,
zu felsig. Endlich gestehe ich´s mir ein: Ich bin falsch gegangen –
und drehe um.
Am Abend fällt mir eine Bezeichnung aus der Theorie ein: „Unterbrechung
der Fehlerkette“. Das ist die Kunst, umzukehren, zuzugeben, dass man
auf dem falschen Weg ist. So kann man verhindern, dass ein Fehler
den nächsten nach sich zieht bis zum „bitteren“, manchmal tödlichen
Ende. Hintennach drängt sich oft die Frage auf: „Wo wäre ein
Ausstieg noch möglich gewesen?“
Wie anders könnte unser Leben aussehen, wenn wir es im Alltag schafften,
„Fehlerketten“ zu durchbrechen: Wo ist der Punkt, einen Streit zu
beenden? Wo ist es möglich, Diskriminierung zu stoppen oder bei
einer Hetze nicht mitzumachen?
Jesus, der Gekreuzigte, zeigt uns, dass Gott ausgestiegen ist aus der
Spirale von Gewalt und Gegengewalt.
Vielleicht bekommen Sie heute die Chance, eine Fehlerkette zu
durchbrechen.
Samstag, 26.5.2007
Gletscherstille
Wir sind das ganze, lange Tal heraufgestiegen. Bis an den Rand des weiten
Gletscherplateaus. Vor mir Vater und Sohn: Sie sind aus Holland und
der Vater zeigt dem Jugendlichen „die Berge“. Jetzt steigen sie über
das letzte Zipfelchen Fels hinaus in den Schnee, gehen ein paar
Schritte, bleiben stehen, schauen und schweigen. Ich stehe
ebenfalls, andächtig, ein kleines Stück hinter ihnen und betrachte
die strahlend-weiße Fläche. Tiefe Stille umfängt uns und die Zeit
scheint stehen geblieben zu sein. Vor uns nur Blau und Weiß. In uns:
Nichts – alles. Nur Schauen und Staunen. Nur Atmen und Da sein. Ich
denke, dass der Mann seinem Sohn nichts Wertvolleres geben kann als
ihn hier herauf zu bringen. Was ihm jetzt geschenkt wird, wird er
ein Leben lang im Herzen tragen.
Ich vermute, auch Sie kennen Räume der Stille; Suchen Sie sie wieder
einmal auf! Gönnen Sie sich Momente des Schweigens. Sie sind wie
lebensnotwendiges Brot, denn: Lauschend tasten wir dabei nach dem
tiefsten Geheimnis - der Welt, von uns selbst, von Gott.
|