Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer Gilbert
Schandera, Schwanenstadt OÖ
Sonntag, 03.06.2007
WALLFAHRTEN
Manche „Gesundheitsrunde“
mit dem Fahrrad führt mich zum ehemaligen Wohnhaus Thomas Bernhards.
Ich spüre bei einer Rast auf seiner Hausbank wieder neu die innere
Verwandtschaft, eine „geistige Heimat“ bei ihm. Er hat die Fähigkeit
gehabt, das in Literatur zu verwandeln, was ich selber fühle. Er hat
anscheinend ähnliche Erfahrungen gemacht – und hat sie in
autobiographischen Schriften veröffentlicht. Ich fühle mich bestärkt
in manchen Gefühlen und Ansichten und in der Art, wie ich Menschen
begegne.
Die ein wenig boshaft
gemeinte Bemerkung eines Nachbarn: „Warst Du wieder bei Bernhard auf
Wallfahrt in Ohlsdorf?“ macht mir eine Ähnlichkeit bewusst. Sind
nicht die Lebensorte etwa von Heiligen deswegen Wallfahrtsziele
geworden, weil Menschen von ihrer Lebensweise und ihrer
Glaubenskraft fasziniert waren? Am Geburtsort oder am Wirkungsort
ist der „Geist“ eines Menschen, dem man sich
ähnlich fühlt oder der wertvolle
Anregungen für das eigene Leben gibt, mehr zu spüren als anderswo.
Wallfahrten sind momentan modern.
Aber viele sogenannte Wallfahrten unterscheiden sich heute kaum von
touristischen Reisen. Damit Wallfahrten sinnvoll sind, braucht es
die Frage: Wo fühle ich mich zu Hause? Wo bekomme ich einen Impuls
für mein Leben? Dafür muss ich vielleicht gar nicht so weit gehen
oder fahren. Auf den Weg machen muss ich mich aber schon, vor allem
auf einen inneren Weg.
Montag, 04.06.2007
BEZIEHUNGEN
Wenn Beziehungen zwischen
Menschen oft nicht gelingen, dann nicht deshalb, weil man an der
Partnerschaft nicht arbeitet und zu wenig Beziehungs-Seminare
gemacht hat. Wenn Beziehungen nicht gelingen, krankt es oft an der
Beziehung zu sich selbst.
Der gute Umgang mit sich
selbst ist Voraussetzung aller Beziehung zu anderen. Eine gute Sicht
auf die eigenen Schwächen, auf die eigenen Bedürfnisse, auf die
eigenen Stärken und die eigenen Wünsche und Besonderheiten schenkt
eine gute „Sicht“ auf die Anderen. Ein liebender Umgang mit sich
selber ist der Anfang aller guten Beziehung zum Mitmenschen.
Mancher hat Vieles, hat
aber sich selber nicht. Mancher reist durch die ganze Welt, kommt
aber nirgends richtig an. DER SCHWERSTE UND LÄNGSTE WEG IST DER INS
EIGENE INNERE.
Es braucht manchmal den
Mut, weniger zu erleben als „möglich“ ist, manches Angebot
abzuschlagen und an Manchem vorbeizugehen. In den dadurch gewonnenen
Freiräumen finden wir uns selber. Und es braucht Ruhe und wirklich
freie Zeit dazu.
Wer sich selber nicht
gefunden hat, findet den Anderen nicht. Vielleicht müssten wir dem
natürlichen Bedürfnis, in Ruhe gelassen zu werden, öfter nachgeben.
Sind wir bei uns gut „zu Hause“, tut es nicht nur selber gut, - wir
kommen auch unseren Mitmenschen nahe.
(Thomas Bernhard: „Jeder
Mensch will gleichzeitig teilnehmen und gleichzeitig in Ruhe
gelassen sein. Und da das eigentlich nicht möglich ist, ist man
immer in einem Konflikt.“)
Dienstag, 05.06.2007
KOMMUNIKATION
Viele Missverständnisse,
viele Beleidigungen und viel Streit gäbe es nicht, wäre uns bewusst,
dass wir unsere Meinungen und Gefühle nur bruchstückhaft dem anderen
sagen können. „Die Wahrheit ist nicht mitteilbar“ sagt Thomas
Bernhard. Wir wollen etwas deutlich machen.
Zunächst ist es unser
Blick auf den Sachverhalt, den wir darstellen wollen. Ein Anderer
sieht die Sache von vornherein ganz anders. Dann beschreiben wir die
Sache aus unserer Sicht. Und schließlich hört der Andere nur das,
was er aufgrund seiner inneren Erfahrungen herausfiltert – natürlich
unbewusst. So sage ich etwas, von dem beim Anderen nur wenig
ankommt. Umgekehrt höre ich oft etwas ganz Anderes als mein
Gegenüber aussagen will.
Wir versuchen immer
wieder KOMMUNIKATION (heute ein Modewort) – sie gelingt aber nur in
Ansätzen.
Es geht nicht ums hören.
Wir können die Wirklichkeit, auch unsere eigene, nicht so
beschreiben, wie sie wirklich ist, das ist das Beängstigende. Da
helfen mir auch die so genannten „Kommunikationsmittel“ nicht. Was
hilft es mir, mit der ganzen Welt verbunden zu sein, wenn ich mich
meinem Nachbarn nicht verständlich machen kann?
Bescheidenheit ist
angesagt. Es muss genügen, dass mein Gesprächspartner einen Gedanken
versteht. Die anderen drei überlasse ich der Zukunft. Diese Geduld
schafft Begegnung und Frieden.
Mittwoch, 06.06.2007
EINSAMKEIT
Von Blaise Pascal ist der
Gedanke überliefert, dass alles Unglück in der Welt daher komme,
dass es die Menschen nicht allein in ihrer Kammer aushalten könnten.
Jetzt, ein paar Hundert
Jahre später, spüren wir noch deutlicher, dass er einen wunden Punkt
getroffen hat. Vor lauter Beziehung und Kommunikation nach außen
haben wir den guten Umgang mit unserem Inneren verlernt. Es täte uns
gut, die ständige Geselligkeits-Verpflichtung in Frage zu stellen.
Wer nicht überall „dabei ist“, muss deswegen nicht einsam sein. Und
überhaupt ist „Einsamkeit“ von seinem negativen Image zu befreien.
Vielleicht sollten wir sogar eine Kultur der EINSAMKEITS-FÄHIGKEIT
entwickeln.
Je einsamer jemand sein
kann, umso weniger ist er es. Allein kommen wir in der Welt, allein
gehen wir aus ihr hinaus. Noch so viel Geselligkeit und
Mitgliedschaften in Gruppen können Einsamkeit nicht verhindern.
Zuerst ist die
Geborgenheit in sich selbst zu suchen, dann können wir gut auf
andere zugehen und mit ihnen leben. Menschen, die sich innerlich
geborgen wissen bei sich selbst, bei ihren Erinnerungen, bei ihrem
Vertrauen in die eigene Kraft, erleben Einsamkeit, wo immer sie sich
einstellt, auch als ein Gefühl, aus einer letzten Geborgenheit nicht
herauszufallen. Die Welt ist ja nicht so sehr draußen, sondern IN
MIR.
(Mit Einsamkeit umgehen
zu können, ist etwas Kräftiges. Wer gut allein sein kann, kann auch
gut mit anderen umgehen.)
Donnerstag, 07.06.2007
FRONLEICHNAM
In einer Kirche las ich
einmal auf einem Transparent: „Hier dürfen Sie schweigen!“
Was in der Kirche
selbstverständlich ist – trotzdem war es bewusst angesprochen.
Nicht: Du musst schweigen, sondern: Du DARFST schweigen. Hier ist
kein Zwang zum Reden, zum „Smalltalk“, und kein Druck, etwa mit dem
Handy „in Kommunikation zu sein“.
Gute Kommunikation ist
oft wichtig. Doch es braucht auch Räume des Schweigens und der
Stille, damit Kommunikation nicht zum Gerede verkommt. Der
Kommunikationsmüll, den man in Restaurants oder öffentlichen
Verkehrsmitteln an die Ohren geworfen bekommt, ist schon bedrohlich.
Manchmal tut es gut, wenn
etwa auf einer Wallfahrt gesagt wird: Die nächste halbe Stunde gehen
wir schweigend. Ich muss mich nicht um ein Gespräch bemühen und kann
die eigenen Gedanken und Empfingen hochkommen lassen. Ich habe das
Recht zu schweigen und das Recht auf Stille. Alles reden braucht das
Schweigen, um nicht sinnlos zu verklingen.
Das heutige Fest
FRONLEICHNAM möchte zur Anbetung führen. Nicht einmal im Gebet muss
immer innerlich geredet werden. Es genügt die Erfahrung, „im
Angesicht Gottes zu leben“. Das Brot des Lebens als sichtbares
Zeichen für die Gegenwart Gottes in dieser Welt.
Die Eucharistie, die Gott
schweigend sagen lässt: Ich bin da für dich. Und die mich antworten
lässt: Herr, da bin ich. Das genügt.
Freitag, 08.06.2007
SICH HINTERFRAGEN
Spreche ich mit jemandem
über meine innere Beziehung zu Thomas Bernhard, wird mir oft
entgegengehalten, er sei so negativ und er übertreibe zu sehr. Ich
jedoch mache – gerade auch in meinem Beruf als Pfarrer – die
Erfahrung, dass die Wirklichkeit schlimmer ist als jede Dichtung.
Wer kann schon über sich
selber lachen? Wer schafft es, sich selber so wenig wichtig zu
nehmen, dass er die Sorgen des anderen überhaupt bemerkt?
Wie absurd und lächerlich
sorgen wir uns um Dinge, die sich letztlich als sinnlos erweisen.
Wie wenig hören wir
aufeinander und lassen uns etwas sagen. Die sorgenvollen Kritiker
erklären wir zu Narren. Wir beschimpfen sie und machen sie schlecht.
So können wir getrost unsere Irrwege weitergehen.
Es kann hilfreich sein,
die Absurditäten dieser Welt und des eigenen Lebens wahrzunehmen und
auch andere darauf aufmerksam zu machen. In der Bibel sind es die
Propheten und dann Jesus Christus und seine ersten Jünger, die
hellsichtig und hellhörig waren. (Sie waren keine Nörgler.) Aber sie
haben gewusst, dass wir unser Tun täglich hinterfragen müssen. Und
dass es gut ist, manchmal zu übertreiben. Wir hören sonst nicht hin,
wenn unser Lebensgebäude zum eigenen Wohl hinterfragt wird.
Samstag, 09.06.2007
FREUDE ÜBER DAS LEBEN
Thomas Bernhard sagte in
einem Interview etwa Folgendes: „Einmal am Tag freut man sich, dass
man am Leben ist – und noch nicht tot – das ist ein
unwahrscheinliches Kapital.“
Als Pfarrer, der ich oft
mit Todesfällen zu tun habe und Begräbnisse gestalte, fühle ich
ähnlich. Wie unwichtig werden Sorgen und Auseinandersetzungen, wie
unwichtig das Streben nach immer neuen und besonderen Erlebnissen.
Wie bereichernd wird die einfache Erfahrung, am Leben zu sein.
Nicht immer zeigt sich
die Lebendigkeit in unseren vielen Beschäftigungen, sondern eher in
der Fähigkeit, die Welt um uns wahrzunehmen. Versuchen wir, wenig zu
erleben, nehmen wir paradoxerweise das Leben erst wahr.
Die Dankbarkeit (auch
einem Größeren – Gott – gegenüber) für das Leben und beglückende
Erfahrungen (und sei es nur die aufblühende Natur im Frühling oder
der Wechsel der Jahreszeiten) gibt Kraft und Festigkeit und
Lebendigkeit.
Ein Freund hat mir vor
einiger Zeit geraten, über jedes positive Erlebnis eine Notiz zu
machen und diese Notizen auf einen Stoß zu legen. Wenn mich manches
Belastende zu sehr gefangen nimmt (wir verweilen halt sosehr beim
Negativen), betrachte ich einzelne Notizen. Die aufsteigende
Dankbarkeit löst manche Spannung.
Eine andere Möglichkeit,
Dankbarkeit zu fördern, ist das offene Gespräch darüber, was uns
aneinander freut und gut tut. Leider lassen wir manches geistige
Kapital stumm und ungenutzt liegen.
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