Morgengedanken

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ORF Regionalradios

 

 

 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

"Paul Gerhardt"

von Pfr. Wolfgang Olschbaur, Bregenz

 

 

Sonntag, 10. Juni 2007

Paul Gerhardt hat Kirchenlieder geschrieben.

 Na denn! Aber man sollte ihn nicht

unterschätzen. Jetzt erst kommt heraus, dass

ihn eigentlich recht viele kennen. Seine Lieder

haben die Kirchenmauern längst übersprungen.

"Geh aus mein Herz und suche Freud", ist fast

zu einem Sommer-Hit geworden. "Nun ruhen

alle Wälder ...", damit sind Generationen von

Kindern behutsam in den Schlaf gewiegt

worden.

"Die güldne Sonne, voll Freud und Wonne"

ist ein wahrer Muntermacher.

Mit "O Haupt voll Blut und Wunden, voll

Schmerz und voller Hohn" kann man tiefste

Stunden seines Lebens durchstehen.

 

Unglaublich, wie seine Liedtexte wirken! Sie

sind zwar nicht spektakulär, dafür aber

nachhaltig. Wenn man bedenkt, dass sie

vor 350 Jahren entstanden sind! Mit ihnen

kann man leben. Heute noch.

 

Dieter Falk, der Popmusiker, hat unlängst

eine CD produziert "A Tribut to Paul

Gerhardt". "Aufs erste kommen seine

Texte altertümlich daher", schreibt er im

Booklet, "aber dann bleiben an einem

unglaublich kernige Aussagen kleben".

 

Die Jazzinterpretin Sarah Kaiser ist mit

 Hip-Hop und Soul aufgewachsen.

Der Text eines Paul-Gerhardt-Liedes hat

sie eines Tages getroffen und getröstet,

ganz persönlich und poetisch!

 

"Befiehl du deine Wege

und was dein Herze kränkt,

der allerbesten Pflege

des, der den Himmel lenkt.

Der Wolken, Luft und Winden

gibt Wege, Lauf und Bahn,

der wird auch Wege finden,

da dein Fuß gehen kann."

 

Jetzt tourt sie mit Paul-Gerhardt-Songs

durch Deutschland.

 

 

Montag, 11. Juni 2007

Bei Gerhardts, daheim in Gräfenhainichen,

wurde viel gebetet.

Aber gerochen hat es nach Landwirtschaft

und Bier. Der Vater betrieb einen Hof und

eine Gastwirtschaft. Er braute und war

zeitweise Bürgermeister. Die Mutter

stammte aus einer Pfarrersfamilie.

Zu schnuppern gab es für den jungen Paul

und seine Geschwister noch anderes. Da

roch es nach frisch gebackenem Brot,

nach Kuchen und eingelagerten Früchten.

Das alles hat etwas mit Vertrautheit  zu tun,

mit Verlässlichkeit.

 

Aber dann zerbrach die Idylle. Der Vater

starb. Zwei Jahre später auch die Mutter.

Der 12jährige kam ins Internat, studierte

dann Theologie und Poesie in Wittenberg,

wurde ewig nicht fertig, war Hauslehrer

und heiratete die Tochter seines Vermieters.

Als dichtender Pfarrer in Berlin machte er

sich einen Namen. Er lebte während des

30jährigen Krieges. Das bedeutet Verwüstung,

Krankheit  und Tod. Seine Frau starb nach

13 Jahren Ehe. Nur eines von fünf Kindern

hat ihn überlebt.

 

In einem seiner Texte heißt es:

 

"Mich hat auf meinen Wegen

manch harter Sturm erschreckt;

Blitz, Donner, Wind und Regen

hat mir manch Angst erweckt."

 

Trotzdem hat sich Paul Gerhardt seinen

Glauben, seine Hoffnung, seine Liebe

bewahrt. Sein Leben steht für Trost und

Trotz, für beides.

 

"Ist Gott für mich so trete

gleich alles wider mich;

sooft ich ruf und bete,

weicht alles hinter sich."                                  

 

Paul Gerhardts Balladen vom guten Ausgang

sind ein kräftiger Einspruch gegen alle

Resignation.

 

 

Dienstag, 12. Juni 2007

"Das Leben ist kein Schokki!", sagen die

Kinder unserer Schweizer Nachbarn. Sie

meinen damit, dass das Leben ganz schön

schwer sein kann. Nicht nur für Kinder. Ein

Blindgänger, der meint, keine Probleme zu

haben!

 

Paul Gerhardt hat zur Zeit des 30jährigen

Krieges gelebt. Er kennt Zerstörung, Hunger,

Tod und Pest. Bis auf einen Sohn, sind ihm

alle gestorben. Seine Frau, sein Bruder, die

Kinder. Das Leben beißt wie ein Hund!

 

Wie konnte dieser Mensch mit seinen

Extremerfahrungen zum großen Tröster

werden für so viele - bis in unsere Tage hinein?

 

Die Menschen bestehen auf ihrem Glück. Sie

fordern es ein - und das möglichst sofort. Aber

gibt es ein Recht auf Glück? Für Paul Gerhardt

keine Frage. Zum Menschsein gehört auch der

Mangel an Glück. Leid und Schmerzerfahrungen

machen den Menschen erst zum Menschen.

 

"Solang ich denken kann,

hab ich so manchen Morgen,

so manche liebe Nacht

mit Kummer und mit Sorgen

des Herzens zugebracht."

 

 

Gott ist für ihn nicht einfach der "liebe" Gott, der

jedes Leid verhindert, sondern der, der hilft, es zu

tragen.

 

"Ich wandre meine Straße,

die zu der Heimat führt,

da mich ohn alle Maße

mein Vater trösten wird."

 

Keine Flucht ist das in ein besseres Jenseits,

sondern eine Hoffnung,

die stark macht für das Leben hier und heute, für

ein Leben mit Defiziten, aber liebenswert.

 

 

Mittwoch, 13. Juni 2007

Kann man Zahnschmerzen mit einem Nasenspray

bekämpfen?

So läppisch klingt es, wenn man hört, was Ärzte

im 30jährigen Krieg gegen die Pest verschrieben

haben. Von magischen Räucherstäbchen über

zerriebene Arnikawurzeln bis hin zum Schlangengift.

Auch das Singen gegen den Tod wurde als Arznei

empfohlen!

 

Tatsächlich ist der Bedarf an Liederbüchern in der

Pestzeit gestiegen.

Paul Gerhardt hatte einen Musiker zum Freund.

Johann Crüger. Wäre er nicht gewesen,  hätten

sich die Texte des Dichterpfarrers nicht so schnell

verbreitet. Man sang Paul Gerhardt mit Crügers

Melodien gegen die Angst und gegen den Tod. Seine

Lieder konnten das Elend zwar nicht verhindern, aber

sie konnten es erträglicher machen.

 

Noch heute wissen sich Menschen angesichts des

Todes aufgehoben in Gott.  Und die Gerhardtschen

Texte erweisen sich als behutsame Begleiter:

 

"Ich bin ein Gast auf Erden

und hab hier keinen Stand,

der Himmel soll mir werden,

da ist mein Vaterland.

Hier reis ich bis zum Grabe,

dort, in der ewgen Ruh,

ist Gottes Gnadengabe,

die schließt all Arbeit zu."

  

"Ich bin ein Gast auf Erden", das ist an einem Tag

voller Pläne ein sachtes Anklopfen und die

Erinnerung daran, dass alles einmal enden wird.

Wer die Kunst des Abschiednehmens erlernt hat,

wer Vergänglichkeit einbedenkt, darf fröhlich und

frei - ja gelassen - seinen Weg gehen.

Den Himmel muss er nicht erzwingen, er kommt

ganz einfach auf ihn zu!

 

 

Donnerstag, 14. Juni 2007

Der 30jährige Krieg hat seine Spuren hinterlassen.

Geblieben ist dem Pfarrer und Poeten nur ein

einziger Sohn, Andreas. Der war noch ein Kind.

 

Ihm hat er ein Testament gewidmet. Es sind

eigentlich zusammengefasste Lebenseinsichten

und Regeln, die auch heute noch eine gewisse

Bedeutung haben könnten.

 

"Meinem ... Sohne überlasse ich von irdischen

Gütern wenig, dabei aber einen ehrlichen Namen,

dessen er sich sonderlich nicht wird zu schämen

haben."

 

- Folge nicht böser Gesellschaft, sondern dem

Willen Gottes!

- Tue nichts Böses, in der Hoffnung, es werde

nicht bemerkt!

- Sei nicht zornig, schweige lieber oder bete!

- Wenn du einmal heiratest, heirate mit Gott und

gutem Rat, frommer,

   treuer und verständiger Leute!

- Tue den Menschen Gutes, auch wenn sie dir

nichts Gutes tun!

- Fliehe den Geiz wie die Hölle, sei zufrieden mit

dem, was du mit gutem    

  Gewissen erworben hast!

 

"Daneben bitte ich von Grund meines Herzens,

Gott wolle mir, wenn mein Stündlein kommt, eine

fröhliche Abfahrt ver­leihen, meine Seele in seine

väterlichen Hände nehmen, - und dem Leibe eine

sanfte Ruhe in der Erde bis zu dem lieben

jüngsten Tage bescheren ..."

 

Dann ist er gestorben, hat sich vorher noch

getröstet mit einem Gedicht und ist begraben

worden. Auf einer Inschrift ist zu lesen: "Paulus

Gerhardt, der Theologe, erprobt im Sieb Satans,

hernach fromm gestorben zu Lübben ..., im 70.

Lebensjahr."

 

 

Freitag, 15. Juni 2007

"Morgenstund hat Gold im Mund", dieses

Sprichwort unserer Großeltern hat heute kaum

Konjunktur. Und das Buch "Vom Glück des

Erwachens" bleibt auch meistens liegen in der

Bibliothek.

 

Aber stellen Sie sich bitte vor, Sie wären heute

Morgen nicht erwacht. Ich krame in Erinnerungen.

Gab es da nicht Tage, wo ich mich wie ein "Kind

zur Weihnachtsgabe" gefreut habe, aufzuwachen?

 

Erwachen heißt zum Leben erwachen. Und Glück

ist es nur, wenn es einen freundlich anlacht, wenn

man es liebt, das Leben.

 

Der Wecker als Todfeind. So fängt der Tag ja

meistens an. Und dann der Spiegel im

Badezimmer. Das soll ich sein? So liebt mich

Gott, mit meinen verdrückten Augen, Bartstoppeln

oder Haarstränen im Gesicht?

 

Paul Gerhardt hat ein Lied geschrieben für den

Morgen. Einen wahren Muntermacher. Nicht

jeder wird gleich am Morgen singen können

oder wollen. Aber vom Sinn her, wäre das ein

guter Start in den neuen Tag:

 

"Die güldne Sonne, voll Freud und Wonne

bringt unsern Grenzen mit ihrem Glänzen

ein herzerquickendes, liebliches Licht".

 

Paul Gerhardt hat viele "Sonnenlieder"

geschrieben. Die Sonne als Lebensspender,

als Quelle der Freude, als Gnade der Natur,

als Symbol für das Licht, das Jesus in die Welt

gebracht hat.

 

"Es ist mir immer, als ginge mir die Sonne auf,

wenn der Name Paul Gerhardt in mein

Gedächtnis tritt", schreibt der Dichter Rudolf

Alexander Schröder.

 

Für wen geht heute eigentlich die Sonne auf,

wenn er an Sie denkt?

 

 

Samstag, 16. Juni 2007

Paul Gerhardt, der Dichterpfarrer, der die Gabe

hatte, Gott mit dem Alltagsleben zusammen zu

bringen, ist weniger bekannt als sein berühmter

Sommergesang:

 

"Geh aus, mein Herz, und suche Freud

in dieser schönen Sommerzeit

an deines Gottes Gaben;

schau an der schönen Gärten Zier

und siehe, wie sie mir und dir

sich ausgeschmücket haben!"

 

 

Da schickt er also sein Herz auf Reisen. Der

Sommer macht es leicht.

Und was es da alles zu sehen gibt!  Bäume

voller Laub, bunte Gärten, Blütenpracht, Tiere,

groß und klein, Bäche, Wiesen ... Das Herz

geht ihm auf und der Mund über. Es sprudelt

nur so heraus. Weil aber das Herz bekanntlich

mehr sehen kann als das Auge, erkennt er

hinter allem Gottes gute Gabe, das Wunder

der Schöpfung.

 

Schau an! - fordert er sein Herz auf. Man muss

schon genau hinschauen,

denn die Freude kann sich auch verstecken.

Beim Anblick der bedrohten Natur z.B.,

ausgebeutet, vermarktet, entstellt. Man fragt

sich, ob Paul Gerhardt nicht einfach ein zu

sonniges Gemüt gehabt hat.

 

Aber er schreibt knapp nach dem 30jährigen

Krieg. Die Erde war noch verbrannt. Ein Kind

ist ihnen gerade gestorben. Für seine Frau

schreibt er dieses Sommerlied! Es soll ihr

gehen wie dem Noah, der nach der Sintflut

aus der Arche steigt, den Regenbogen über

sich sieht und weiß: Das Leben kann noch

einmal beginnen!