Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrer Dr. Christoph Weist (Wien)

 

 

Sonntag, 8. Juli 2007

Troas (Apg 16, 9)

Nein, Troas an der äußersten Westspitze der asiatischen Türkei ist nicht das sagenumwobene, von Touristen oft besuchte Troja. Etwas südlich davon erinnern nicht eindrucksvolle Ruinen, sondern nur ein paar Mauern und Steine auf einem mit Disteln und Bäumen bewachsenen Gelände an eine antike Hafenstadt. Hier in Troas sind vor fast zweitausend Jahren nicht heroische Kämpfe ausgetragen worden, hier wurde Europageschichte geschrieben.

 

Nach dem Bericht des Neuen Testaments soll in Troas der Missionar Paulus im Traum einen Mann aus Mazedonien gesehen haben, der ihm zurief: „Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!“ Daraufhin, so die Bibel, habe sich Paulus mit seinen Begleitern sofort per Schiff nach der römischen Provinz Mazedonien im heutigen Griechenland aufgemacht. So kam die christliche Botschaft in jenen Teil der Welt, den wir heute Europa nennen. So wurde Paulus zum Europamissionar.

 

Nein, eindrucksvolle Ausgrabungen oder tolle Strände gibt es in Troas nicht. Nur die Erinnerung an den Entschluss eines Mannes. An einen Entschluss, der Europa bis heute bestimmt. Schon deshalb meine ich: Ein Besuch von Troas lohnt sich.

 

 

Montag 9. Juli 2007

Ephesus (Acta 19, 23 - 40)

Jahr um Jahr strömen tausende Menschen durch die antiken Prachtstraßen von Ephesus,  stehen staunend vor der Fassade der Bibliothek des Celsus, klettern im  riesigen Theater umher, sehen den leeren Platz des einst gewaltigen Artemistempels. Wer von ihnen denkt wohl daran, dass der Missionar Paulus sich in dieser damals schwerreichen Stadt mehrere Jahre aufgehalten hat? Doch im großen Theater erzählen es die Fremdenführer: Hier fand nach einem Bericht des Neuen Testaments der Aufstand des Demetrius statt, jenes Goldschmiedes, der seine Devotionalienproduktion durch die Predigt des Paulus bedroht sah. Im großen Rund des Theaters riefen er und seine Zunftgenossen: „Groß ist die Artemis der Epheser!“ Die Sache wuchs sich zum Volksgetümmel aus, das von den Behörden nur mühsam beruhigt werden konnte. Das Verhältnis von Geschäft und Religion war durcheinander geraten.

 

Was übrigens noch heute geschieht, wenn Christinnen und Christen wirtschaftliche Vorgänge kritisch unter die Lupe nehmen. Dass durch die Predigt des Paulus in Ephesus Arbeitsplätze verloren gegangen seien, hat man nicht gehört. Aber die christliche Botschaft ist hier auf ganz massive kommerzielle Interessen geprallt. Für mich ist das große Theater von Ephesus ein Denkmal dafür. Schon deshalb lohnt sich dort ein Besuch.

 

 

Dienstag, 10. Juli 2007

Attalia (Antalya) (Apg 14, 25)

Den Namen Antalya liest man oft auf Plakaten in Reisebüros. Nahe dieser Millionenstadt an der türkischen Südküste mit ihren Steilküsten und Stränden liegen riesige Hotelanlagen und ein großer Flughafen, und man kann interessante Ausflüge in das Innere des Landes machen. Aber nicht nur in Urlaubskatalogen kommt Antalya vor. Auch in der Bibel wird die Stadt erwähnt, wenn auch nur ganz kurz. Da heißt sie Attalia nach Attalos, ihrem Erbauer, einem kleinasiatischen König. Genannt wird sie im Neuen Testament, weil in ihrem Hafen der Apostel Paulus mit seinem Begleiter Barnabas nach einer längeren Missionsreise ein Schiff bestiegen hat, um in seine Heimatgemeinde Antiochien, das heutige Antakya, zurückzukehren. Das lag im damaligen Syrien.

 

Wie gesagt, Antalya wird in einem kleinen Satz der dicken Bibel nur kurz erwähnt. Aber damit blitzt auf, wie beweglich und reisefreudig viele Menschen in alten Zeiten waren. In diesem Fall ging es allerdings nicht um Badestrände und günstige Hotelarrangements. Es ging um die Weitergabe einer Botschaft, die für sehr viele Frauen und Männer schon damals die Gute Nachricht überhaupt war. Welch eine Energie steckte in dieser Mobilität! Immer wenn ich nach Antalya komme, fällt mir das ein. Schon deshalb lohnt es sich für mich, dorthin zu reisen.

 

 

Mittwoch, 11. Juli 2007

Perge (Apg 13, 13; 15, 36ff)

Perge ist eine antike Stadt an der türkischen Südküste. Hier hat der Missionar Paulus eine große Enttäuschung erlebt. Es war ein Personalproblem. Paulus und seine Freunde, darunter ein Johannes Markus, waren von Zypern gekommen und in der Küstenstadt Perge in der Landschaft Pamphylien gelandet. Da vermerkt das Neue Testament kühl: „Johannes aber trennte sich von ihnen und kehrte zurück nach Jerusalem.“

 

Das muss Paulus sehr geärgert haben, denn später hat es deswegen noch einen furchtbaren Krach gegeben. Da wollte er mit einem anderen Freund, Barnabas, wieder zu einer Missionsreise aufbrechen. Der aber wollte Johannes Markus wieder mitnehmen, was bei Paulus auf heftigen Widerstand stieß. Denn, so heißt es „Paulus hielt es nicht für richtig, jemanden mitzunehmen, der sie in Pamphylien verlassen hatte und nicht mit ihnen ans Werk gegangen war.“ Der Streit wurde so heftig,  dass sich die Missionare trennten. Sie dürften nie wieder zusammengearbeitet haben.

 

Ein Streit, in dem es um das Üben von Nachsicht ging. Ein Streit, wie er in unzähligen christlichen Gemeinden immer wieder ausgefochten wird. So also auch in Perge. In den Ruinen dieser Stadt denke ich daran, dass ihn auch Paulus klüger hätte beenden können.

 

 

Donnerstag, 12. Juli 2007

Tarsus (Apg 22, 3)

Mitten im Gewirr der Altstadt von Tarsus an der türkischen Mittelmeerküste mit ihren alten osmanischen Häusern tut sich ein kleiner Platz auf. Hier gedenkt man eines besonderen Sohnes der Stadt. Eine Tafel an einer kleinen Ausgrabungsstätte informiert, daneben steht der „Paulusbrunnen“. Dieser rekonstruierte Ziehbrunnen aus dem ersten Jahrhundert nach Christus soll an den großen Missionar erinnern. „Ich bin ein jüdischer Mann, geboren in Tarsus in Kilikien“ sagt Paulus im Neuen Testament einmal von sich. Niemand weiß, ob Paulus den Brunnen je gesehen hat, aber dies war seine Heimatstadt, in der er sich auch sonst gelegentlich aufgehalten hat.

 

Die heute modern wirkende Industriestadt Tarsus wird nur von wenigen Touristen besucht, aber sie birgt viel Geschichte. Sie liegt am Fuße eines alten Passes, der über das Taurusmassiv ins Hochland von Anatolien führt, heute eine Autobahn, einst die „Kilikische Pforte“, ein enger Pfad, auf den schon das Heer Alexanders des Großen zur Küstenebene hinabgestiegen ist. Alexander brachte zahllosen Menschen Not, Tod und Verzweiflung. Der Mann aus Tarsus brachte die Nachricht von der Liebe Gottes, die zur Liebe zwischen den Menschen werden will. Was wohl besser ist? Es lohnt sich, einmal Tarsus zu besuchen.

 

 

Freitag, 13. Juli 2007

Ikonion (Apg 14, 3)

Die türkische Stadt Konya ist bunt: Brausender Verkehr, Straßenverkäufer, moderne Geschäftshäuser. Und in der Mitte das Kloster der „tanzenden Derwische“ mit der Grabstätte des islamischen Mystikers Rumi aus dem 13. Jahrhundert. Für ihn war die Liebe die Hauptkraft des ganzen Universums.

 

Mehr als tausend Jahre vor Rumi hat in Konya ein anderer gepredigt - auch von der Liebe. Der Apostel Paulus mit seinen Begleitern wohnte längere Zeit in der damals noch Ikonion genannten Stadt. Sie lehrten, so erzählt es die Bibel, „frei und offen im Vertrauen auf den Herrn, der das Wort seiner Gnade bezeugte und ließ Zeichen und Wunder geschehen durch ihre Hände“.

 

Doch dann kam der Umschwung. Ein „Sturm“ in der Bevölkerung habe sich erhoben, lesen wir, die Männer wurden bedroht und mussten fliehen. Die Predigt vom liebenden und gnädigen Gott stößt auf Widerstand – übrigens: auch Rumi hat das erleben müssen. Überzeugender sind die Götter und Mächte des Durchsetzungsvermögens, des entschiedenen Auftretens, des zielstrebigen Über-Leichen-Gehens. Die fühlen sich bedroht von Gutmenschen der verschiedensten Herkunft und sie schlagen zurück – und offenbaren damit ihre ganze Schwäche. Konya/Ikonion, eine Stadt, die man einmal besuchen sollte, ist dafür ein Beispiel

 

 

Samstag, 14. Juli 2007

Milet (Apg 20, 20f)

„Ich habe euch rückhaltlos alles, was euch zum Heil hilft, verkündigt und gelehrt, in der Gemeindeversammlung wie in den einzelnen Häusern. Juden wie Griechen habe ich die Umkehr zu Gott und den Glauben an Jesus, unseren Herrn, bezeugt.“  Ein stolzes Wort. Es ist der Rückblick des Apostels Paulus auf seine Arbeit in einer Abschiedsrede vor den Gemeindeleitern von Ephesus. Die Bibel erzählt, Paulus habe die Leute aus Ephesus aus Termingründen in die Stadt Milet gebeten, um sich dort von ihnen zu verabschieden.

 

Heute ist Milet eine große Ruinenfläche, beherrscht von den Resten eines gewaltigen Theaters, nicht weit vom berühmteren Ephesus und der Touristikregion Kusadasi entfernt. Zur Zeit des Paulus war die Stadt ein namhaftes kulturelles Zentrum mit einem belebten Hafen. Hier tummelten sich Juden, die Glaubensgenossen des Paulus, zusammen mit der griechischstämmigen anderen Bevölkerung, hier war Multikulti daheim wie überhaupt im ganzen Altertum.

 

Und hier wollte Paulus niemandem etwas vorenthalten, „was zum Heil hilft“. Allen hat er den „Glauben an Jesus, unseren Herrn“ bezeugt mit seinen Worten und mit der Art seines Lebens. Der Abschied war schwer, aber die Arbeit bis heute nicht vergeblich. Es lohnt sich, auf den Steinen von Milet darüber nachzudenken.