Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Pfarrer Peter Karner, Wien
Sonntag, 5.8.2007
Nestroy hat sich bestimmt
nicht für einen Prediger gehalten; aber er war auf jeden Fall ein
großer Bibelkenner. Und er hat großes Geschick, biblische
Geschichten auf seine Art weiter zu erzählen und sie zeitgemäß zu
kommentieren.
Sie kennen vielleicht die komische Geschichte von dem
alttestamentlichen Propheten Jona. Mein Kollege Sascha Abrahamowicz
hat ihn den “Herrn Karl unter den Propheten“ genannt. Gott schickt
Jona nach Ninive, eine Millionenstadt schon in der Antike, aber:
Jona nimmt ein Schiff in die Gegenrichtung und geht prompt unter.
Und so erzählt Nestroy diese Geschichte in einem Couplet weiter:
“Wie der Jonas ins Meer hineinplumpst is, was geschieht?
Kommt ein Walfisch und schluckt ihn vor lauter Appetit.
Doch er muss ihm nicht gschmeckt haben, ’s war ein heikliges Viech.
Nach drei Tagn gibt er’n ganzen Propheten von sich.
Das habn d’Leut unerhört, für ein Wunder erklärt.
Wir habn Politiker jetzt voll prophetische Gabn,
die bei alln, was gschiecht, sagn, dass sie ’s voraus gwusst habn.
Ohne dass sie wer schluckt, liegen s’allen Leuten im Magen.
Was kein Walfisch verdaut, müssen oft Menschen ertragen.
Und man nennt das kein Wunder mehr heutzutag, man findts ganz
natürlich bei BAWAG und EUROFIGHTERPLAGN.“
Na ja: Dass ma die Wahrheit sagt, dazu gehört oft Mut.
Wie man sie sagt, des könnt ma beim Nestroy lernen.
Montag, 6.8.2007
Nur keine schweren
Gedanken in aller Herrgottsfrüh! Zum beschwingten Aufstehn gehört
eine Portion Optimismus. Schließlich wollen sie ja heute leben und
nicht nur dahinvegetieren.
Nichts gegen fromme Wünsche, aber mit dem Lebenwollen scheint es gar
nicht so leicht zu sein.
Das ist sogar schon einem biblischen König aufgefallen. Der sagt:
“Als ich mein Tagewerk ansah, und alles, was ich mit Arbeit und Mühe
gemacht habe, schau: da war alles nichts, so als wollte ich den Wind
einfangen. Was hat der Mensch schon von seiner ganzen Plage? Es is
eh alles für die Katz“, hätt der König g’sagt, wenn er ein Wiener
gwesen wär.
Übrigens der Dichter
Nestroy, den s’ jetzt überall im Sommer spieln, sagt das Gleiche
besonders realistisch:
“Wer in der Früh aufsteht, in die Kanzlei geht, nachher essen geht,
nachher Karten spieln geht und nachher schlafen geht, der
vegetiert.“
Und dann noch ganz frech:
“Zum Leben gehört sich, billig berechnet, eine Million.“ Und das ist
nicht genug. Auch ein geistiger Aufschwung ghört dazu. Ein Schuss
Humor.
Komisch: Es gibt Sandler, die leben, und Millionäre, die vegetieren.
Für einen satirischen Gewerkschaftler ist die Diagnose klar: die
Leut wolln leben, aber in Wirklichkeit tun die meisten ja doch nur
dahinvegetieren. Sie könnten es doch einmal ausprobieren und sagen:
Heut wird einmal zur Abwechslung glebt.
Dienstag, 7.8.2007
Der Dichter und Komödiant
hat mehr Gefühl für die Bibel gehabt, als sich so mancher
“Kerzlschlucker“ vorstelln kann. Nestroy hat Jesus sicher besser
verstanden als so mancher Pfarrer. “Du sollst deinen Nächsten lieben
wie dich selbst“, hat Jesus gesagt - darüber sind wir uns einig.
Aber was heißt das? Viele Christen tun so, als hätte Jesus gesagt:
Du sollst deinen Nächsten lieben, aber dich selbst nicht!“ Das ist
natürlich falsch. Nestroy sagt ganz richtig “jesuanisch“: “Die
Nächstenlieb’ fangt bei ein’m selber an.“ Wer sich selber nicht mag,
wird auch keinen anderen mögen. “Ich brauch keine Gattin zum
Pflegen, ich pflege mich selbst, und ich pfleg mich sehr gut. Ich
bin mein eigener geliebter Gegenstand. Ich kajolier mich unendlich.
Ich bin vollkommen einverstanden mit mir, ich bin mein dankbarstes
Publikum, mir gfallt alles an mir, ich applaudier mir nach jeder
Szene meines Lebens.“
Wenn der Herr von Nestroy zu mir gesagt hätte: “Herr Pfarrer Karner,
i mag Ihna grad aso, wie i mi selba mag.“ Dann hätt ich ihm
geantwortet: “Danke schön, Herr von Nestroy. Jetzt gehts ma gut.
Denn wanns Ihna wirklich mit mir so viel antuan wolln, wie mit ihna
selba - dann stehn ma gute Zeiten ins Haus.“ Und wie ist das jetzt
mit Ihnen? Habn sie a Faible für sich?
Mittwoch, 8.8.2007
Jammerts net über die
vielen Scheidungen“, hätte der Dichter Nestroy sagen können, „schauts
lieber auf die vielen Leute, die a ihre Probleme haben, und sich
trotzdem net scheiden lassen.“ Bis heute ist Nestroy der Trost für
viele, die unter dem Joch der Ehe leiden. Da kann ein Pfarrer nur
vor Neid erblassen. Ein Bühnenleben lang hat Nestroy die Ehe
satirisch kommentiert.
“Ich bin immer gern bei Hochzeiten. Schon das Bewusstsein, dass es
nicht die Meinige ist, macht, dass sich die Brust froh und frei
erhebt.“ Liebe ja, Ehe nein - oder bestenfalls vielleicht - ist
Nestroys Motto gewesen, trotz seiner wunderbaren Lebensgefährtin
Marie Weiler. Und manche seiner Monologe und Couplets waren oft
unbeabsichtigte Warnungen an heiratslüsterne junge Leute:
„Bei der Liebe ist das Schöne, man kann aufhören zu lieben, wenn’s
einen nicht mehr gfreut. Aber bei der Ehe? Das Bewusstsein, du musst
jetzt allaweil verheirat sein, schon das bringt einen um!“
Meine Kollegen im
19.Jahrhundert haben da natürlich ihre größte Kanone aufgefahren und
mit dem Hohelied der Liebe, 1.Korintherbrief 13 auf den berühmten
Spötter geschossen: “... die Liebe glaubt alles, sie hofft alles,
sie erduldet alles...“ Sie kennen schon die Nummer 1 in den Charts
der Traupredigten.
Wer da den Ehepaaren helfen könnte? Vielleicht ein satirischer
Seelsorger, der selber verheiratet sein muss.
Donnerstag,
9.8.2007
Nestroy hat als
kritischer Christ, Autor und Schauspieler viele Jahre mit der Zensur
zu kämpfen gehabt. Immer wieder wurde er dafür mit kurzfristigem
Arrest bestraft. Aber die Wiener haben ihn für seine Offenheit und
Originalität geliebt. Und er hat die Zensur bewusst lächerlich
gemacht.
In seinem Revolutionsstück “Freiheit in Krähwinkel“ 1848, definiert
er erbarmungslos:
“Ein Zensor ist ein Mensch gewordener Bleistift
oder ein Bleistift gewordener Mensch,
ein Fleisch gewordener Strich über Erzeugnisse des Geistes,
ein Krokodil, das an den Ufern des Ideenstromes lagert,
und den darin schwimmenden Literaten die Köpf abbeißt...
Die Zensur ist die Jüngere von zwei schändlichen Schwestern, die
ältere heißt Inquisition.
Die Zensur ist das lebendige Geständnis der Großen,
dass sie nur verdummte Sklaven treten,
aber keine freien Völker regieren können.“
Heutzutage ist die Zensur längst abgeschafft. Also könnte Herr
Nestroy heute unbehelligt von jeglicher Zensur auf der Bühne
agieren? Oder müsste Nestroy heute dem Publikum sagen, dass die
abgeschaffte Inquisition und die abgeschaffte Zensur noch eine
dritte Schwester haben, nämlich die Medien: und die werden nach
Eigenaussage von unabhängigen, nicht manipulierbaren und nur der
Wahrheit verpflichteten Leuten gemacht. Ob sie denen zu Recht
vertrauen? Das sollten sie sich sogar bei mir überlegen!
Freitag, 10.8.2007
In seinem Stück “Nur
Keck“ lässt der Dichter Johann Nestroy seinen Helden mit dem
Gedanken an ein neues Leben spielen. Denn - seit es Menschen gibt,
wollen sie sich endlich einmal ändern; oder es wenigstens probieren:
oder wenigstens träumen davon; oder wenn schon gar nichts anderes,
dann wenigstens so tun als ob: So heißt es im Couplet:
“Wenns jemand nicht glaubn will, ich mach eine Wett,
ich brings noch dahin, geh um Zehne ins Bett,
ich werd dem Bier, dem Champagner entsagn.
Denn so ists in der Ordnung, und ich werd solid,
vielleicht schon aufs Jahr, aber heuer noch nit!“
Dieses Lied hat der Pfarrer, der damals auf meiner Pfarrstelle in
der Dorotheergasse war, bestimmt als frech und skandalös empfunden.
Es ist ja schon schlimm genug, wenn man vom “neuen Leben“ immer nur
redet, aber es nicht einmal versuchen will?
Eigentlich hätte der “Biedermeier-Pfarrer“ ja wissen müssen, dass
sich auch die Menschen nicht vollständig zum Guten ändern können,
die sich ernsthaft bemühen. So stehts ja auch in der Bibel: “Das
Wollen ist zwar bei mir vorhanden, das Vollbringen des Guten aber
nicht. Denn nicht das Gute, das ich will, tue ich; sondern das Böse,
das ich nicht will, das tue ich.“ Das sagt immerhin der Apostel
Paulus. Oder wie es mein Kollege Martin Luther gesagt hat: “Der alte
Adam hängt uns am Gnack, bis wir in die Gruabn fahren.“
Sonntag, 11.8.2007
Die Wiener, ja die
Österreicher, mögen ihre Propheten und Prediger nicht. Sie hören
ihnen zwar gern zu, aber sie tun nicht, was ihnen ihre Propheten
sagen. So ist es auch dem Satiriker und “Prediger“ Johann
Nestroy ergangen. Sie haben herzlich gelacht, wenn er ihnen auf der
Bühne gezeigt hat, wie daneben Eltern sein können. Aber dann sind
sie nach Hause gegangen und haben ihre Kinder weiter sekkiert.
Womöglich noch mit Berufung auf das 4. Gebot: “Du sollst Vater und
Mutter ehren, dass es dir wohl ergehe in dem Land, dass dir der
Herr, dein Gott, gibt.
Nestroy hat eben gewusst, dass in der Bibel noch etwas anderes
steht, nämlich: “Ihr Väter reizet eure Kinder nicht zum Zorn, damit
sie nicht mutlos werden. Und deshalb hat er wahrscheinlich von der
Kindererziehung mehr verstanden als alle Pfarrer und Lehrer
zusammen.
In seinem Stück “Der Schützling“ sagt er:
„Ich hab zuviel Erwachsene kennengelernt, die der Nachsicht
bedürfen, als dass ich je mehr gegen die Kinder streng sein könnt’.
Den Kindern gschieht ohnedem viel Unrecht. Is das nicht schon
Unrecht genug, dass man sie für glücklich halt‘. Uns kommt das so
kindisch vor, wenn das Kind über einen zerbrochenen Wurstel weint.
Und ich hab
schon alte Herrn gesehn, die sich wegen einer verlornen Gretl die
Haar ausgrissen habn.“
So etwas hat ein großer Wiener Moralist gesagt - und das mehr als
150 Jahre vor unserm berühmten Professor Ringel.
|