Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer
Jürgen Öllinger
(Villach,
Kärnten)
Sonntag, 30.09.2007
Versöhnt
Ein Sämann ging aus, seinen Samen zu
säen. Manches fiel auf harten Fels, manches auf die Straße, manches
in die Dornen und das meiste auf guten Boden. Diese uralte
Geschichte ist aktueller denn je. Oder kennen sie keine Menschen,
bei denen sie das Gefühl haben, dass sie Kraft und Energie kosten?
Kennen sie keine Hartherzigen, die durch enttäuschte Liebe
zertrampelt worden sind und deshalb nur hart zu allen anderen sein
können. Vor allem hoffe ich, dass sie Menschen kennen, die sie gerne
treffen, wo sie das Gefühl haben, aufgeladen worden zu sein.
Menschen, die Kraft geben und mit denen man gerne beisammen ist.
Davon ist in dieser Geschichte die Rede.
Jesus streut sie auf den Boden
unseres Lebens aus. Man spürt das Thema: Es geht um die Versöhnung.
Versöhnt mit Gott, damit beginnt Jesus Christus. Mit dieser frohen
Botschaft der bedingungslosen Liebe soll ich im Einklang sein. Ich
kann mich mit mir versöhnen. Auch mit meiner Geschichte, mich
verneigen vor meinen Eltern. Versöhnt mit mir, kann ich mein eigenes
Leben gestalten.
Wie ein roter Faden oder wie eine
kraftvolle Saat zieht sich dann die Geschichte durch mein Leben und
meine Begegnungen. Und man merkt es den Menschen schnell an, ob sie
versöhnt sind, mit sich, mit der Welt und mit Gott.
Montag, 01.10.2007
Belesen
Es war einmal ein Wunderkind, das so
belesen war, dass alle darüber staunten. Den wichtigsten Lehrer
befragte daraufhin der König, dem vom Wunderkind berichtet worden
war. Sag mir, stimmt es, dass der junge Mann soviel wiedergeben
kann, wie allgemein behauptet wird. Ehrlich gesagt, erwiderte der
Lehrer trocken, der Bursche liest so viel, dass ich mir nicht
vorstellen kann, woher er die Zeit nimmt, irgend etwas zu wissen.
Als Lehrer an einer berufsbildenden
Schule und selbst auch leidenschaftlicher Vielleser würde ich mir
natürlich wünschen, dass ganz viele meiner Schüler ganz viel lesen
würden. Aber die Geschichte hat die Erkenntnis zur Grundlage, dass
viele Menschen zwar viel gelesen haben, aber wenig Wissen haben.
Ein kleines Beispiel. Ich sagte zu
meinen Schülern: liebe Leute, ich hab nicht recht viel Ahnung von
den Dingen, die ihr so treibt. Ihr seid in Vielem besser als ich.
Ich weiß nichts vom Rechnungswesen oder Italienisch, was die
Theologie betrifft, werde ich versuchen, euch neue Horizonte zu
öffnen. So werden wir voneinander lernen.
Die Schüler waren sich nicht sicher,
ob ich sie auf den Arm nehmen wollte. Aber sie haben schnell
gemerkt, wie ernst es mir war.
Ich glaube eben nicht daran, dass
das Gelesene mich dazu ermächtigt, andere junge Menschen zu
unterrichten. Es ist das erlebte und erlittene Wissen, das für
Schüler interessant und lernenswert ist.
Dienstag, 02.10.2007
Besessen
Ein kleiner Rabe hatte eines Morgens
eine großartige Idee. Wenn er seine Freunde dazu brächte, ihre
liebsten Spielzeuge zu verachten, würde er diese mit einem Zug
einstreichen können. Zum Fuchs mit der wunderschönen Puppe sagte er:
du spielst noch mit solchen Sachen. Lächerlich! Davon überzeugt
legte der Fuchs die Puppe weg und der Rabe holte sie in sein Nest.
Mit deinen dicken Rollerskates schaust du blöd aus, behauptete er
bei einem jungen Elefanten und schon lagen die am Wegesrand. Kurz
darauf im Nest des Raben. Eins ums andere sammelte der freche Rabe
in seinem Nest.
Wem diese Geschichte zu kindisch
erscheint, möge mit einem Anwalt oder anderen Gerichtsbarkeiten
einmal angeregt plaudern und diese Geschichte einflechten. Ich bin
mir sicher, dass diese dann wissend nicken und sagen, dass das
echte, das erwachsene Leben genau nach diesen Spielregeln abläuft
und das ist kindisch.
Die Geschichte geht übrigens so aus,
dass es dem Raben eines Tages zu blöd wird und er bringt „seine“
Sachen nach unten, damit alle mit ihm spielen können. Er ist wieder
glücklich und lässt alle daran teilhaben und begreift, dass das
Spiel des Mein und Dein nicht nur ein langweiliges, sondern auch ein
gefährliches Spiel ist, weil es uns von den Menschen oder in dem
Fall, Tieren, wegführt, die uns etwas bedeuten.
Mittwoch, 03. 10.2007
Schön
Eine Frau fühlte sich tief verletzt
durch das Benehmen ihres fünfzehn Jahre alten Sohnes. Immer wenn sie
zusammen unterwegs ausgingen, lief er weit hinter ihr her. Schämte
er sich ihrer? Eines Tages sprach sie ihn darauf an. Aber nein,
Mama, bestimmt nicht, lautete seine verlegene Antwort. Du siehst so
jung aus, dass ich fürchte meine Freunde könnten denken, ich hätte
eine neue Freundin. Ihr Kummer war verflogen wie durch Zauberhand.
Sind Mütter so einfach zu handhaben? Glaubt man dieser Geschichte,
so muss man mit Ja antworten. Es scheint so, als würden Mütter im
Laufe der Zeit immer genügsamer, was die Zuwendung der Söhne,
vielleicht auch der Töchter betrifft. Mit diesem Wort ist der Kummer
der Mutter ein für alle mal aus der Welt geschafft. Oft kommt es
vor, dass eine Mutter Erwartungen und Hoffnungen hat und sie werden
weder ausgesprochen noch erfüllt. Eine Mutter hat Befürchtungen und
Annahmen, lässt sie allerdings nie überprüfen und dann passiert es.
Die Verneigung der Mutter gegenüber in dieser Geschichte scheint so
wichtig zu sein, weil weder Muttersöhnchen noch Macho-Männer in
unserer Welt gefragt sind.
Es ist so einfach und leicht. Mit
Liebe und Anteilnahme ist ein Herz zu berühren und zu beruhigen.
Donnerstag, 04.10.2007
Betrachtet
Einer behauptete einmal,
Erleuchtung tritt dann ein, wenn das nicht-deutende Sehen erlangt
wird. Und alle fragten, „wie geht das?“ und der Mann sagte: „Mehrere
katholische Straßenarbeiter waren an einer Baustelle nicht weit von
einem Bordell beschäftigt. Plötzlich kam ein Rabbi und verschwand in
dem Haus. Und die Arbeiter sagten: na ja, das haben wir uns ja
gedacht. Nach einer Weile schlüpfte ein evangelischer Pfarrer durch
die Tür und die Arbeiter tuschelten: so eine Frechheit! Als ein
katholischer Priester kam, sagten die Arbeiter betroffen: ist das
nicht schrecklich? Eines dieser Mädchen muss todkrank sein.“
Dieses Beispiel kann man natürlich
auch mit einer anderen Empörung garnieren. Klar erscheint mir
jedoch, dass es das deutende Sehen überall gibt, wo Menschen
einander begegnen. Wir haben unsere vorgefassten Meinungen so stark
in uns verankert, als ginge es darum, die Welt zu retten. Die
Wirklichkeit steckt jedoch voller Überraschungen und nur ganz wenige
Dinge scheinen wirklich sicher zu sein. Die Schubladen, in die wir
das Geschehene und Gesehene schnell stecken wollen, sind aber noch
immer verlockender als das offene Sehen und Leben. Es bleibt also
eine spannende Aufgabe, die uns auch heute wieder gestellt werden
kann.
Freitag, 05.10.2007
Berührt
Eine der schwierigsten Lebensübungen
ist es, mit einem Menschen eine intensive Beziehung zu führen. Mir
scheint es wie die Arbeit an einem Kunstwerk zu sein. Man beginnt
gemeinsam zu malen oder zu formen oder zu dichten und der andere
lässt sich davon inspirieren und beeinflussen. Das Kunstwerk
verändert sich, bleibt lebendig und als Kunstwerk erkennbar.
Natürlich gibt es Tage, Wochen oder
noch längere Zeiträume, wo nichts geschieht, wo keiner Lust und Zeit
hat, an dem Kunstwerk zu arbeiten. Es ist ja kein Auftragswerk, das
zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig sein muss. Im Gegenteil, es
wird ein echtes, schönes, bereicherndes Kunstwerk nie fertig sein,
sondern sich ständig durch die Gaben und die Liebe der betroffenen
Menschen verändern.
Tut sich überhaupt nichts mehr,
fangen Menschen an, am Kunstwerk herumzukratzen, zu übermalen oder
zu verformen. Manche Menschen beenden dann die Zusammenarbeit und
beginnen ein neues Kunstwerk. Andere wieder bleiben daran und leiden
vielleicht unter dem Erleben, dass es so sein kann, dass man sich
nichts mehr zu sagen oder zu geben hat. Beide Entscheidungen sind
mutig. Diejenigen, die bleiben und oft noch immer hoffen, dass sich
etwas tut. Und auch jene, die eine neue Beziehung beginnen und damit
ihre Kreativität nicht lähmen lassen.
Samstag, 06.10.2007
Überrascht
Im letzten Buch der Bibel wird
erzählt, dass beim Jüngsten Gericht sowohl die Guten als auch die
Bösen bei der Urteilsverkündung gleich reagieren. Herr, wann hast du
uns gebraucht? Wann haben wir dir geholfen?
Der eigenartige Humor Gottes kommt
in dieser Geschichte zum Tragen. Es geht nicht um theologische
Richtigkeiten, um ökumenische Streitereien, um Kirchenrecht oder
Seelsorge. Es geht um die menschliche Regung, die ich als Christ
zulasse bei Menschen, die mich brauchen.
Da gibt es die Leute, die
selbstverständlich eintreten und helfen und nicht nach theologischen
Richtigkeiten fragen. Sie sind es, die errettet werden. Als
Christinnen und Christen verlieren wir manchmal unsere
Menschlichkeit, wenn es darum geht, miteinander umzugehen.
Überraschungen sind also angesagt. Ihr werdet euch noch wundern, wie
Christus unser Erdenleben beurteilt. Also lassen wir uns lieber
jetzt im Leben überraschen und aufmerken, wenn Menschen uns
brauchen.
Vom Ende der Zeit, vom Ende unserer
Zeit her gedacht, geht es nämlich immer um die Frage, wie weit wir
liebesfähig waren und phantasiebegabt im Umgang mit den Menschen.
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