Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Annemarie Indinger, pensionierte Sonderpädagogin und
Erwachsenenbildnerin im Salzburger Lungau
Sonntag, 7.10.2007
Sonntagmorgen. Ich öffne mein Fenster. Kalte Morgenluft strömt
herein, es ist Herbst. Ein
dickes Nebelmeer wälzt sich durchs Tal und nimmt mir die Sicht auf
die Berge, die mich sonst
am
Morgen begrüßen. So trüb wie der Morgen sind heute auch meine
Gedanken, sie liegen schwer auf meiner Seele. Es fällt mir das Wort
„Schwermut" ein. Manchmal ist es wirklich schwer, mutig in den Tag
zu gehen. So viel Elend in der Welt, so viel Sorgen rings um mich.
Wie soll ich mich da freuen können? Solche Gedanken löst der
Herbstnebel in mir aus. Während ich noch in diese dunklen Gedanken
versunken bin, durchbricht ein Sonnenstrahl
die
Nebeldecke, die sich nun langsam auflöst und den Blick freigibt. Es
ist Sonntag und dieser
Sonnenstrahl kommt mir wie eine Botschaft vor, von dem, der ihn
geschaffen hat. Er lässt den Nebel zu, nimmt mich an mit meinen
Ängsten und Sorgen, Schwächen und Fehlern. ER hat mir diesen neuen
Tag geschenkt und meinen Blick frei gemacht, die Schönheit rings um
mich wahrzunehmen und in den Nebelschwaden eines trüben Morgens
einen Sonnenstrahl zu
spüren. Das ist die frohe
Botschaft dieses Sonntagmorgens!
Montag, 8.10.2007
Eine neue Woche beginnt und ich darf Sie mit meinen Gedanken
begleiten. Es sind keine
großartigen Gedanken, ich möchte das, was mich am Morgen eines neuen
Tages bewegt, mit
Ihnen teilen. Die Dankbarkeit, dass ich einen neuen Tag erleben
durfte, die Begegnung mit
den kleinen oft
unscheinbaren Dingen des Alltags, vor denen ich immer wieder
staunend stehe.
Am Küchentisch liegt ein
Apfel, gelb und rotbackig, so richtig zum Hineinbeißen. Ich habe
ihn gestern beim Spaziergang
gefunden und weil er so schön war, nicht gleich verspeist. Nun
erfüllt sein Duft den ganzen Raum. Ich nehme ihn in meine
Hände, bestaune noch einmal
seine Farben, fühle die glatte Schale, schicke meine Gedanken in
sein Inneres, wo die braunen Kerne schlummern, die ich in die
Erde stecken könnte um einen neuen Apfelbaum wachsen zu lassen. Wie
gleichgültig verspeisen wir oft so eine köstliche Frucht, ohne mit
all unseren Sinnen zu spüren, welch großes Wunder uns in einem
gewöhnlichen Apfel begegnet.
Dienstag, 9.10.2007
Manchmal nehme ich die Bibel zur Hand und lese den Text, den ich
zufällig aufschlage. Heute steht da: Und Gott sprach: Das Land lasse
junges Grün wachsen. Alle Arten von Pflanzen und
Bäumen. So geschah es und
das Land brachte junges Grün hervor und Gott sah, dass es gut war.
Beim Lesen dieses Textes fällt mir eine Geschichte ein, die ein
weiser Lehrer seinen Schülern erzählte und er sprach: Ich habe die
Menschen der Wissenschaft und der Technik gebeten, mir
einen lebendigen Grashalm
zu machen. Und sie machten einen Grashalm. Er sah so aus wie ein
Grashalm, so grün, so dünn, so biegsam. Als ich ihn näher anschaute
sah ich, dass er tot war. Er
konnte nicht atmen, er konnte nicht wachsen, er konnte nicht leben
und nicht sterben. Eigentlich hatte er nichts von einem
echten Grashalm, nur den Namen. Keine Kuh und nicht einmal eine
Ziege konnten ihn fressen. Ich hörte, wie alle Grashalme der Welt
über den Grashalm lachten. Die
großen Menschen können mit ihrer ganzen Wissenschaft und Technik
nicht einmal einen kleinen Grashalm machen.
Ja, die Menschen glauben, alles ist machbar. Der Funke aber, der
letztlich „das Leben"
ausmacht, der kommt von
Gott.
Heute einmal einen Augenblick stehen bleiben und staunen über das
unscheinbare Wunder
am Wegrand, eben über
einen Grashalm.
Mittwoch, 10.10.2007
Ein neuer Tag beginnt. Verschlafen greife ich nach dem rasselnden
Wecker. Ich bin noch müde, trotzdem muss ich aus dem warmen Bett.
Meine ersten Gedanken - heute wartet dies und jenes auf mich, ja ich
muss auch das noch zu Ende führen, was ich gestern nicht mehr
schaffte. Meine Gedanken eilen, ich bin schon wieder im Stress -
mein Körper kommt nicht nach. Mit müden Augenlidern beginne ich den
Tag. „Bist heute mit dem linken Fuß
aufgestanden", pflegte
meine Mutter zu sagen, wenn sie mich so schlaftrunken ins Bad wanken
sah. Da tu ich etwas, was man eigentlich nicht tut - ich leg mich
wieder ins Bett. Nicht hinein
unter die warme Decke, sondern oben drauf. Ich recke mich und
strecke mich, atme ganz tief und gähne laut - die schlechte
Luft und mit ihr die Müdigkeit strömt aus
meinem Körper. Ich bewege meine Zehen, kreise mit den Fußschaufeln,
krabble mit den Fingern in der Luft und zum Schluss fahre ich auch
noch ein wenig Rad. Meine Gedanken klären sich und ich
bemerke auf einmal den Ast vor meinem Fenster, an dem ein goldenes
Herbstblatt hängt, das mir
zuwinkt. „Danke, lieber Gott für den neuen Tag", sag ich ganz laut
und steige mit dem rechten Fuß aus dem Bett. Die paar Minuten
für mich selber haben sich gelohnt.
Donnerstag, 11. 10.2007
Heute möchte ich eine Geschichte erzählen.
Ein Indianer besuchte
seinen Freund, einen weißen Mann in der großen Stadt. Die vielen
Menschen und der Lärm der Autos verwirrten den Indianer. Doch plötzlich
blieb er stehen, tippte seinem Freund auf die Schulter und
sagte: „Hörst du, was ich höre?" Der Freund meinte:" Ich höre das
Hupen der Autos, das Rattern der Straßenbahn." „Ich höre das Zirpen
einer Grille", sagte der Indianer. „Da täuschst du dich, hier gibt es
keine Grillen", erwiderte der Freund, „und wenn es welche gäbe,
könnte man das Zirpen in diesem Lärm nicht hören." Der
Indianer bog die Blätter eines wilden Weines, der sich an einer
Hauswand empor rankte auseinander und da saß wirklich eine Grille.
„Indianer können eben besser hören", sagte der Freund, „da täuschst
du dich", meinte der Indianer und warf ein Geldstück auf den
Asphalt. Sofort blieben ein paar Leute stehen, um nach dem Geldstück
zu suchen. „Siehst du“, sagte der Indianer „das Auffallen des
Geldstückes war nicht lauter als das Zirpen der Grille und doch
hörten es viele weiße Menschen. Sie hören wohl nur das, worauf sie
zu achten gewohnt sind.
Ja, so ist es - wir hören nur das, was uns im Moment wichtig
erscheint. Die Geschichte aber
soll uns aufmerksam
machen, dass wir im Trubel des Alltags nicht das Wesentliche
überhören, das unserem Leben Sinn gibt.
Freitag, 12.10.2007
Ein goldener
milder Herbsttag. Was kann er uns sagen?
Das Licht der Sonne ist mild
geworden. In diesem milden Licht der Herbstsonne schauen wir
auf unser eigenes Leben und entdecken die Fülle des Herzens, die
sich in der Buntheit des
Herbstes widerspiegelt. Wenn wir mit einem milden Blick auf unser
Leben schauen, erkennen wir das positive Bild von uns selber.
Wir dürfen die Ernte unseres Lebens dankbar genießen,
um
so auch für Andere ein Genuss zu werden. Das Gegenteil ist die
Härte, mit der wir uns manchmal umgeben. Wer selber verhärtet, geht
auch mit seiner Umgebung hart um. So
werden oft Menschen im Herbst ihres Lebens hart und schwierig.
Lernen wir von der Milde
der Herbstsonne. Sie lehrt
uns Hineinzuwachsen in die Milde.
Waten wir heute einmal durch den raschelnden Blätterteppich im
Garten, im Park oder am
Weg
zur Arbeit. Genießen wir die Farbenpracht, das milde Sonnenlicht des
Herbsttages und
nehmen diese Schönheit in unsere Seele auf. So können wir die Ernte
unseres Lebens in
Dankbarkeit genießen.
Samstag, 13.10.2007
An
einem stürmischen Herbsttag wartete die Fischersfrau auf die
Heimkehr ihres Mannes und
ihrer Söhne. Sie nahm eine kleine Kerze aus ihrem Schrank, zündete
sie an und ging mit ihr eine Wendeltreppe hinauf. Die Kerze fragte:
„Wohin gehen wir?" „Wir gehen auf den Turm, um den Schiffen den Weg
zum Hafen zu zeigen." „Mein Licht ist doch viel zu klein und
schwach, um von den Schiffen im weiten Meer bemerkt zu werden",
meinte die kleine Kerze. „Leuchte nur weiter mit deinem kleinen
Licht, du wirst das Weitere schon sehen", sagte die Frau. Als sie
ganz oben im Turm angekommen waren, standen sie vor einer großen
Lampe.
Die
Frau zündete mit der brennenden Kerze die große Lampe an und bald
darauf sendeten die
Spiegelreflektoren, die sich hinter der Lampe befanden, Licht über
das dunkle Meer, dass es
weit draußen noch zu sehen
war.
Auch wir können wie kleine
Kerzen wirken. Unsere Aufgabe ist es, so viel Licht
auszusenden, wie wir fähig sind. Alles andere und unsere Wirksamkeit
liegen in Gottes Hand. |