Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrer Christian Öhler, Linz-Auhof

 

 

Sonntag, 18.11.2007

Im Sommer habe ich mit Freunden Mosambik besucht. Es liegt in Südostafrika und gilt als eines der ärmsten Länder der Welt. Man muss einmal erlebt haben, wie die Menschen dort Gottesdienst feiern, wie sie Gott mit ihren Liedern und Tänzen loben, auf flinken Füssen, einfache Instrumente in ihren Händen. Wie sie Ausschau halten nach Gott.

 

Pfarrer Arcanjo leitet den Gottesdienst. Er studiert bei uns in der Stadt Linz und hat uns auf unserer Reise in sein Heimatland begleitet. Er predigt zu kurz. Diese Untugend hat er aus Europa mitgebracht. Die Leute sind enttäuscht. Und das bringen sie auch zum Ausdruck. Sie wollen sich etwas mitnehmen. Was er sagt, muss für eine ganze Woche reichen. Arcanjo setzt seine Predigt fort. Immer wieder wird er durch Zurufe unterbrochen. „Bravo, gut hast du das gesagt.“ „Wir lieben dich Padre Arcanjo.“ Ich muss an das Bibelwort denken: „Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ (Dtn 8,3) Ich möchte nicht missverstanden werden. Es geht mir nicht darum, die Armut zu idealisieren. Ich möchte eine Erfahrung mit Ihnen teilen:

Mit welcher Leidenschaft Menschen Gott suchen, die nicht gesichert sind, die buchstäblich nichts besitzen, wie offen sie sind! Menschen wie ihnen gilt das Wort, das uns heute im katholischen Gottesdienst gesagt wird, in der Lesung aus dem Buch Maleachi: „Für euch aber wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen und ihre Flügel bringen Heilung.“ (Mal 3,20) Nach dem Segen nehmen Frauen uns Pfarrer bei der Hand und führen uns vor den Altar. Wir tanzen mit ihnen zur Ehre Gottes und zur Freude der Menschen in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kirche.

 

 

Montag, 19.11.2007

Heute besuchen wir das „Haus der Hoffnung“. Auf portugiesisch „casa esperanca“. Mosambik war bis 1975 eine portugiesische Kolonie. Die Amtssprache ist bis heute Portugiesisch. Darüber hinaus werden 33 Sprachen gesprochen, nicht Dialekte wohlgemerkt, sondern eigenständige Sprachen.

 

Wir finden die „casa esperanca“ in einem Stadtteil von Quelimane. Das ist die Hauptstadt der Provinz Zambezia, benannt nach dem gleichnamigen Fluss, dem Sambesi. Derzeit leben im Haus 33 Burschen unter 18 Jahren. Es sind Waisenkinder oder Kinder, die aus einem anderen Grund auf der Strasse gelandet sind. Sie haben ein neues Zuhause gefunden. Die Älteren schauen auf die Kleinen. Es gibt klare Regeln. Unterstützung bei den Hausaufgaben geben Freiwillige aus Portugal, die hier einen Teil ihrer Ferien verbringen. Das Beten gehört genauso selbstverständlich zum Tagesablauf wie das Erledigen von Arbeiten, das Musizieren und das Fußballspielen auf dem sandigen Platz vor dem Haus.

 

Wir sind eingeladen, eine „capuera“ mit zu erleben. Das ist eine von schwarzen Sklaven in Brasilien entwickelte, unbewaffnete Kampfart. Die Kinder stellen sich zwei und zwei gegenüber auf. Handshake. Trommler geben einen Rhythmus vor und die Kinder leben paarweise ihre Aggressionen aus. In einer ritualisierten Form und ohne einander weh zu tun. Sie tanzen, kämpfen und schreien ihre Wut hinaus. Destruktive Aggressionen werden verwandelt. Die positive Energie bleibt. Der Geist wird geschult.

 

Die „casa esperanca“ wird von Ordensfrauen geleitet. Viele Ordensfrauen folgen dem Beispiel der Hl. Elisabeth. Heute ist ihr Namenstag. Vor 800 Jahren ist sie geboren worden. Es wird erzählt, dass sich ein Korb mit Brot in ihrer Hand in einen Korb mit Rosen verwandelt hat. Die Armen brauchen nicht nur Brot. Sie brauchen auch Schönheit und Kultur: Brot und Rosen, wie wir in einem Lied singen. Die Ordensfrauen von Quelimane geben den Straßenkindern beides. So entsteht ein Ort der Hoffnung.

 

 

Dienstag, 20.11.2007

In Maputo, der Hauptstadt Mosambiks, sind die Gegensätze enorm. Erste und Dritte Welt in einer Stadt. 10% der Bevölkerung Mosambiks lebt so wie wir, modern, europäisch, wohlhabend. Diese Oberschicht lebt in eigenen Vierteln. Ihre Besitztümer sind von hohen Mauern eingefriedet, mit Glassplittern gespickt oder mit elektrisch geladenen Zäunen gesichert. Vor jedem Eingangstor steht ein Wächter. Tag und Nacht. Das ist kein Problem. Die Arbeitskraft ist nichts wert. Der Mindestlohn beträgt € 50,-. 80% der Bevölkerung muss mit etwa € 2,- pro Tag das Auslangen finden, die unteren 10% mit noch weniger. Die große Mehrheit führt tagtäglich einen Überlebenskampf gegen die Armut, den Hunger und den allgegenwärtigen Mangel. Auf dem Land sind es meist Kleinbauern und Fischer. In der Stadt schlagen sie sich als Handwerker, Haushaltshilfen, Nachtwächter, Lastenträger, Schuhputzer, Straßenhändler durch. Sie wissen oft nicht, wovon sie am nächsten Tag ihren Lebensunterhalt bestreiten werden, leben buchstäblich von der Hand in den Mund. Obwohl sie die große Mehrheit sind, kommen sie im Fernsehen nicht vor. Da sieht man die Welt der oberen 10%: der Fernsehkoch hantiert nicht etwa am offenen Feuer wie die meisten Landsleute, sondern in einer High-Tech-Küche. Außerdem Aerobic, Golfplätze und portugiesische Telenovelas.

 

Maputo ist ein Spiegel für die Welt, in der wir leben. Ohne Gerechtigkeit werden wir in Zukunft nicht in Freiheit leben können. Denn was wäre das für eine Freiheit, wenn sie sich hinter elektrisch geladenen Zäunen verschanzen müsste. Wir brauchen mehr Solidarität, die waagrecht verläuft und weniger Wohltätigkeit von oben nach unten. Dann werden die Machtverhältnisse auf der Welt nicht so bleiben wie sie jetzt sind.

 

 

Mittwoch, 21.11.2007

Tagesanbruch auf der Fahrt nach Norden. Dunkelheit. Nebel. Die Morgensonne gibt sich alle Mühe, die dichten Nebelschleier aufzulösen. Noch leuchtet sie in gedämpftem Rot-Orange. Noch sieht sie ziemlich blass aus.

Schon um 4 Uhr früh starker Morgenverkehr auf der Nationalstrasse. Es sind fast ausschließlich Fußgänger und Radfahrer unterwegs. Sie gehen und fahren auf ihre Machambas. Das sind kleinparzellierte Felder, auf denen traditioneller Hackbau betrieben wird. Oder auf den Markt in eine oft mehrere Kilometer weit entfernte Stadt. Sie tragen alles auf dem Kopf: ein Bündel Binsen, Brennholz, einen großen Korb mit Früchten, Mais, einen Kanister Wasser, eine Hacke. Der aufrechte Gang, die Wickelröcke, deren bunte Farben und Muster allmählich sichtbar werden, die Babys auf den Rücken ihrer Mütter. Es ist ein würdevolles Bild, das sich unseren noch schläfrigen Augen an diesem Morgen darbietet. Auf den Gepäcksträgern der Fahrräder werden riesige Säcke befördert, bis zu vier Cola-Kisten, Bretter, ein Hühnerpaar an die Lenkstange gebunden. Ein Fahrrad ist Sparziel Nr 1. Es kostet €100,- und viele werden dieses Ziel niemals erreichen.

 

Trotzdem beginnen die Menschen voller Hoffnung ihren Tag. Wir sehen kaum griesgrämige Gesichter. Lebensfreude versprühen unter schwierigsten Über-Lebensbedingungen, auch das ist Afrika. „So soll...“ beten wir im Stundengebet der Kirche um diese Tageszeit „So soll, was in uns dunkel ist, was schwer uns auf dem Herzen liegt, aufbrechen unter deinem Licht und dir sich öffnen, Herr und Gott.“

 

 

Donnerstag, 22.11.2007

Wir fahren durch Buschland. Am Straßenrand kleine Ansiedlungen. Ziegel aus Termitenkot geformt und gebrannt. Zu Mauern zusammengefügt. Die Hütten sind mit Kokospalmblättern gedeckt. Unser Freund Arcanjo ist ein Meister im Flechten der Palmwedel. Ovalförmige Körbe entstehen unter seinen geschickten Händen.

 

Ein Bub klettert den Stamm hinauf. Geschickt bewegt er sich in schwindelerregender Höhe. Mit einem trockenen Schlag schneidet er die Kokosnüsse ab. Sie enthalten eine erfrischende Milch, die auch zum Kochen verwendet wird. Das weiße Fleisch schmeckt köstlich. Kokosseife wird auf den Märkten entlang der Strasse feilgeboten. Den Armen dient der halbierte und ausgehöhlte Baumstamm als Sarg.

 

Der Tod gehört ganz selbstverständlich zum Leben und die Toten auch. Die Ahnen wohnen gleich nebenan. Die Verbundenheit mit ihnen ist selbstverständlich und eng. Manchmal nimmt sie auch skurrile Formen an. Bevor wir in einem See baden dürfen, müssen wir einen Ahn um Erlaubnis bitten. Es ist ein Offizier aus Tansania, der hier vor Jahren mit seinem Flugzeug abgestürzt ist. Wir besuchen sein Grab. Eine Frau aus dem Dorf spricht die Gebete.

 

„Aus dem glühenden Sonnenuntergang kam er, vom Ende der Welt und durch die Hintergasse. Im abendlichen Gesang der Wachteln, dem letzten Flug der Turteltaube, dem Abendgebet der Kröten im Sumpf, als die Erde sich mit Schatten und Stille bedeckte.“

So beschreibt der mosambikanische Dichter Suleiman Cassamo die Heimkehr einer toten Seele, eines in der Ferne verunglückten Minenarbeiters.

 

Das Totengedenken wird sorgfältig gepflegt. Wir feiern die Sonntagsmesse in der Heimatstadt unseres Freundes Arcanjo. Im Hochgebet wird eine lange Liste von Namen aufgerufen. Alle Ahnen mütterlicher- und väterlicherseits haben mitgeholfen, dass wir das Ziel unserer langen Reise wohlbehalten erreicht haben.

 

 

Freitag, 23.11.2007

Der Tanz ist in Mosambik allgegenwärtig. Im Gottesdienst bringen die Gläubigen ihre Gaben tanzend zum Altar. Bongos geben den Rhythmus vor, Schlagzeug. Einer bläst in ein langes Horn irgendeines exotischen Tieres. „Alles, was atmet, lobe den Herrn!“ Psalm 150.

 

Manche Texte der Bibel könnten direkt aus dem Leben dieser Menschen genommen sein, sind ihnen viel näher als uns Europäern. „Lobt ihn mit Pauken und Tanz! Lobt ihn mit dem Schall der Hörner! Lobt ihn für seine großen Taten!“ Dass er alles gut gemacht hat. Wir Pfarrer stehen vor dem Altar und nehmen dankbar eine mit Reis gefüllte Schale entgegen, einen Korb voll saftiger Orangen, Maniokknollen, ein Huhn, ja sogar einen Ziegenbock.

 

Typisch für den Gesellschaftstanz in der Hauptstadt Maputo ist die Marabenta, aber auch andere afro-amerikanische Tänze. Es ist schön, den Tänzern dabei zuzuschauen, wie sie sich zunächst umkreisen, ohne sich zu berühren. Wie der junge Mann mit der einen Hand zärtlich den Hals seiner Partnerin, mit der anderen ihre Hüfte umfasst. Wie sie einige Schritte tun und sich wieder voneinander lösen. Einige Drehungen um sich selbst vollführen, um einander schließlich wieder zu suchen. Ganz aneinander hingegeben. Getanzte Beziehung in Nähe und Distanz, Suchen und Finden, Werbung und Annahme.

 

Die Hl. Schrift weiß auch davon ein Lied zu singen. „Schwarz bin ich, doch schön, ihr Töchter Jerusalems“ (Hld 1,5), spricht die Geliebte im Hohelied der Liebe. Und der Geliebte antwortet: „Schön sind deine Wangen zwischen den Kettchen, dein Hals in der Perlenschnur.“ (Hld 1,10)

 

Der junge Mann am Nachbartisch in der Disco sagt es seiner Angebeteten nicht so lyrisch, aber nicht weniger leidenschaftlich: „Ich liebe dich wie Reis und Bohnen“.

 

 

Samstag, 24.11.2007

Wir essen in einem einfachen Lokal. Auf offenem Holzkohlenfeuer gebratenen Fisch aus dem Indischen Ozean. Die Senhora sagt nach dem Essen zu unserem Freund Arcanjo mit Blick auf uns: „Das sind aber keine Südafrikaner.“ Weiße Südafrikaner wohlgemerkt. „Die schicken uns nämlich immer weg von ihrem Tisch und sagen: `wir wollen essen`“ „Nein“, antwortet unser Freund Arcanjo: „das sind Menschen“.

Der Tourismus boomt entlang der Küste des indischen Ozeans. Schier endlos lange feine Sandstrände und ausgedehnte Tauchgründe ziehen kapitalkräftige Gäste aus dem Ausland an. Den Profit machen südafrikanische Companys, die Arbeit Migranten aus dem Nachbarland Zimbabwe, das wirtschaftlich am Zusammenbrechen ist. Für die ansässige Bevölkerung bleibt nicht viel übrig. Hilfsorganisationen versuchen, die lokale Landwirtschaft zu stärken. Die Bauern sollen dazu befähigt werden, die Tourismusbetriebe mit Produkten aus der Region zu beliefern. Wir besuchen Andreas aus Grieskirchen. Er arbeitet mit Bauern im Hinterland. Ein Schlachthof soll gebaut werden, damit sie ihre Rinder gemeinsam vermarkten können. Es gibt viele solcher Projekte, in denen mit den Menschen vor Ort auf gleicher Augenhöhe zusammengearbeitet wird. Pfarrer Arcanjo kommt aus der Stadt Maganja an der Küste. Engagierte Leute aus seiner Heimatpfarre möchten die Bildungschancen für Mädchen verbessern. Die Entfernung zu den entlegensten Dörfern beträgt 80 Kilometer. Ein Internat soll gebaut werden. Der Enthusiasmus ist groß. Das Geld fehlt. Wir können eine erste Rate übergeben.

 

Nach der feierlichen Grundsteinlegung, dem Zusammensitzen, Miteinander essen und Palavern werden wir reich beschenkt und verabschiedet. Pfarrer Arcanjo bekommt einen Wunsch mit auf die Reise. „Papa Arcanjo“, rufen ihm die Menschen zu, „bewahre dir deinen Mut, und lass dein weites Herz nicht irgendwo liegen“.