Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrerin Gundula Hendrich

 

 

Sonntag, 25. 11.2007

Hertha putzt ihre Schuhe. Sie hat für den Gottesdienst heute eine persönliche Einladung bekommen, weil der Pfarrer im Frühjahr ihre Mutter beerdigt hat.

„Am Ewigkeitssonntag möchten sicher viele mit ihm sprechen, aber ich will ihn fragen, ob er demnächst eine halbe Stunde Zeit für mich hat.“

Hertha ist unsicher, ob ihre Trauer christlich angemessen ist. Weil sie in Amseln, die draußen singen oder gar neugierig in ihr Zimmer schauen, Grüße ihrer Mutter vermutet.

Hertha dachte lange, dass sie nun langsam seltsam würde – bis sie eines Tages ein Heft von einem Krankenhauspfarrer in die Finger bekam.

Er erzählt darin von einem todkranken Mann, der in seinen Träumen Besuch bekam von der Katze seiner verstorbenen Frau.

Diese kleine Katze ist für den Todkranken zu einer liebevollen Webbegleiterin geworden.

„Ob die Menschen in der Bibel wohl auch meinten verrückt zu werden, wenn Gott zu ihnen sprach?“ überlegt Hertha.

„Aber wenn es heißt, dass wir unter dem Schatten seiner Flügel Zuflucht haben – ja dann könnten Gottes Boten vielleicht auch einmal schnurren, zwitschern oder singen“, schmunzelt sie vor sich hin und eilt in ihre Kirche.

 

 

Montag, 26.11.2007

„Heute werde ich vorsichtig sein in der Stadt“, nimmt sich Hertha vor, als sie das Haus verlässt. „Da werden sie wohl die Lichtergirlanden wieder über die Straßen hängen und die sollen mir nicht auf den Kopf fallen.“ Hertha ist zwar nicht abergläubisch und geht auch unter Leitern durch, aber Girlanden mag sie erst, wenn sie fertig aufgehängt sind.

Als Kind glaubte sie, dass die Engel abends darauf herumlaufen. So wie bei Jakob, der die Engel in seinem Traum von einer Himmelsleiter hinauf- und herunterkommen sah.

„Sie haben in jedem Fall keine Höhenangst“, murmelt Hertha vor sich hin und auch keine vorm Heruntersteigen zu uns.

„Eigentlich mag sie keine vorzeitige Advents- und Weihnachtsbeleuchtung. Für Girlanden macht sie eine Ausnahme. Sie kommen ihr vor wie eine Lichtstafette, die vom alten ins neue Kirchenjahr weitergegeben wird und die Novembertraurigkeit in Vorfreude

verwandeln.

„Wenn sie hängen, ist alles gut. – So ein Unfug“, korrigiert sie sich, „er hat doch seinen Engeln aufgetragen, uns zu behüten, auf all unseren Wegen. Und das gilt ganz sicher auch in der Woche zwischen dem alten und dem neuen Kirchenjahr.“

 

 

Dienstag, 27.11.2007

„Ich habe schlecht geträumt“, brummt Hertha als sie aufwacht. Den Traum selbst bekommt sie nicht zu fassen, nur das ungute Gefühl ist geblieben.

„Irgendetwas ist nicht in Ordnung“, überlegt sie, geht ins Bad und schaut in den Spiegel auf ihr gesträubtes Gefieder. Ein gewohnter Anblick, die Haare stehen ihr morgens regelmäßig zu Berge. Sie lässt sich Zeit, ein paar Traumfetzen einzufangen, bekommt aber keinen zu fassen und steigt in die Dusche.

Die Minuten, bevor der Tag richtig beginnt, sind ihr wichtig. Sie braucht noch nicht zu funktionieren, kann noch ein wenig vor sich hinträumen – und sie betet.

Hertha ist nicht sehr diszipliniert beim Beten, sie redet je nach Bedarf und auf ihre Weise mit Gott. „Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf“, erinnert sie sich. „Gibt es etwas, worum ich mich kümmern soll?“ fragt sie. „Lass mich wissen, was Du meinst und schick den Traum, wenn es sein muss, einfach noch mal.“ Hertha ist dankbar für ihr Unterbewusstsein und die Träume, die es hervorbringt. Ein Gottesgeschenk ist das für sie. Im Schlaf kommt das Wichtige zum Vorschein – ohne dass sie sich anstrengen muss. „Danke“, schließt sie das kurze Gebet und startet in ihren Tag.

 

 

Mittwoch, 28.11.2007

Heute Abend sause ich noch in die Drogerie, überlegt Hertha. Eine Freundin hat ihr von einem Badezusatz namens Milch und Honig erzählt. Unten sei er milchig und oben honigbraun. Lecker hört sich das an, eine Wohltat für Haut und Seele.

„Abraham und Sarah, wenn Ihr wüsstet, dass es das Land, wo Milch und Honig fließen, bei uns als Badezusatz gibt“ haben sie gescherzt und sich über Israel unterhalten.

Von einer Reise dorthin träumen sie beide, aber das ist nicht ungefährlich. Das Land, wo Milch und Honig fließen könnten, ist so  wie der Inhalt des Cremebades zweigeteilt und hat mittlerweile eine hohe Mauer. Es gibt keinen fließenden Grenzverkehr wie bei uns. Kontrolleure halten Menschen auf, manchmal stundenlang, auch wenn es um Krankentransporte geht.

Hertha ist neugierig, wonach das Bad riecht: Sicher nicht nach der Angst vor Terroranschlägen oder Grenzkontrollen.

Sie wird ein paar Liter von dem Bad für den Adventbazar in ihrer Gemeinde einkaufen, den Erlös aufstocken und auf das Konto eines Israelisch-Palästinensischen Elternprojektes überweisen. „Es muss ja nicht immer Selbstgestricktes sein“, denkt sie macht sich auf die Socken.

 

 

Donnerstag, 29.11.2007

„Wenn’s dem Esel zu bunt wird, geht er aufs Eis“, hatte ihr die Großmutter eingeimpft, wenn sie zu waghalsig wurde. Aber Hertha wollte ein buntes Leben und sie hat Eislaufen gelernt.

Redensarten wie „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ oder „Träume sind Schäume“ warf sie als junge Frau über Bord.

Nur kommen sie wieder zum Vorschein, wenn sie traurig ist oder sich übernimmt. Dann braucht Hertha Verbündete, Freunde oder Erinnerungen wie die an ihr erstes Krippenspiel:

Alle Engelrollen waren schon vergeben. So wurde sie mit Leib und Seele Esel und übte auch zu Hause. Sie wurde störrisch.

„Gott mag aber Esel“, erklärte sie damals und mit den Jahren erfuhr sie auch von anderen Eseln in der Bibel: Jesus suchte sich eine Eselin für seinen Einzug in die Stadt Jerusalem aus; von anderen Eseln wird erzählt, dass sie durch ihr störrisches Verhalten viele Menschenleben gerettet haben.

„Dass auch die Schuster nicht bei ihren Leisten, also die Fischer nicht bei ihren Booten bleiben und der Traum vom gerechten Leben keine Seifenblase ist, erzähle ich Dir ein andermal,“ murmelt Hertha in ihrem stillen Zwiegespräch mit der Großmutter. „Jeder Tag hat schließlich seine eigene Plage.“

 

 

Freitag, 30.11.2007

„Aus der Traum“ Hertha schluckt, als die den Telefonhörer auflegt. Vor zwei Wochen hatten sie noch geplant, an diesem Freitagabend endlich mal wieder ausgelassen zu tanzen und nicht auf die Uhr schauen zu müssen.

Nun lag die Freundin im Krankenhaus. Rasend schnell ging das alles: die Routineuntersuchung bei der Ärztin, dann ins Krankenhaus und die Operation, gestern der Befund.

„Ich weiß jetzt, woran ich bin und die Behandlung kann beginnen“, hatte ihr die Freundin gerade tapfer erklärt. „Ich habe zumindest eine Chance“.

Hertha ist nicht so tapfer. Sie muss die schlechte Nachricht erst einmal betrauern, weint vor sich hin und hängt Wäsche auf. Sie muss sich beschäftigen, irgendetwas tun ohne nachzudenken.

Dann zündet sie mitten am Tag ihre große Kerze an. Sie setzt sich davor und bittet Gott um Segen für die Freundin. Dabei stellt sie sich vor, wie er sie einhüllt, ganz langsam, von den Zehen bis zu den Haarspitzen.

„Gott behütet Dich, Du“, murmelt sie vor sich hin.“ Geborgen sollst du sein wie in Abrahams Schoß, genau jetzt in dieser grässlichen Zeit.

„Und von wegen ‚aus der Traum’ und ‚nie wieder tanzen’’“, korrigiert sie sich leise. Wir werden diesem Krebs schon Beine machen.

 

 

Samstag, 1.12.2007

Heute wird Hertha ‚fremdgehen’. Am Samstag vor dem ersten Advent besucht sie den Adventbazar der katholischen Gemeinde.

Sie möchte einen Adventskranz und Wollsocken erstehen. Wenn ihr nicht wie im vergangenen Jahr die Klosterbrüder zuvor kommen und alle großen Sockenpaare ausverkauft sind.

Aber sie hat keine Eile. Wichtiger als die Einkäufe sind ihr die Gespräche mit den katholischen Frauen, die die zum Verkauf stehenden Handarbeiten für ein soziales Projekt herstellen.

Ökumene, so hat sie in den vergangenen Jahren erfahren, gelingt durch Interesse und Offenheit, durch gegenseitige Wertschätzung und all die kleinen Schritte aufeinander zu.

„Und den Brüdern seien die Socken gegönnt“, murmelt sie vor sich hin. „Sie sind so angenehm kooperativ, dass ich ihnen zum Nikolaustag eigentlich ein paar rote Luthersocken bringen könnte. Die mit der Aufschrift ‚Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.’ Gut gefüllt mit Keksen, Mandarinen – und ein paar harten Nüssen.“

Schmunzelnd macht sie sich auf den Weg, wohl wissend, dass es für solche Scherze wirklich noch zu früh ist.