Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrer Dietmar Stipsits (Bad Tatzmannsdorf, Burgenland)

 

 

Sonntag, 09. Dez. 2007

Rorate, coeli, desuper – Taut, ihr Himmel, von oben! Dieser Vers stammt aus dem Buch Jesaja. Das Wort „Rorate“ bürgerte sich nach und nach als Bezeichnung für die Eucharistiefeiern in den frühen Morgenstunden der Adventzeit ein, ursprünglich nur an Samstagen gefeiert, später dann an allen Werktagen des Advents. Der ganze Vers 8 aus dem 45. Kapitel des Buches des Propheten Jesaja lautet: „Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen! Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor, sie lasse Gerechtigkeit sprießen. Ich, der Herr, will es vollbringen.“

 

Taut, ihr Himmel! soll uns durch die kommende Woche begleiten. Ich möchte versuchen, nachzuspüren, wo heute in uns selber, in unserem Miteinander und in unserer röm.-kath. Kirche ein „Taut, ihr Himmel!“ notwendig ist. Und dieses Motto „Taut, ihr Himmel!“ soll uns aufmuntern, uns nicht mit Oberflächlichkeit, Ausgrenzung,  Unterdrückung und Unrecht abzufinden, sondern mutig und überzeugend Wege der Hoffnung zu beschreiten. Darf ich Sie einladen, trotz aller Widersprüchlichkeiten und Schwierigkeiten des Lebens diesen Weg der Hoffnung mit mir zu gehen, damit Gerechtigkeit und Heil-Sein durch unser Tun erfahrbar wird?

 

 

Montag, 10. Dez. 2007

 „Taut, ihr Himmel!“ ist unser Motto für diese Woche. Heute möchte ich Sie dazu einladen, in sich selbst hineinzuhören und zu erfühlen, wo ist in mir ein „Taut, ihr Himmel!“ nötig? Angelus Silesius hat den bekannten Ausspruch verfasst: „Halt an, wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir. Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.“

 

Der Himmel in uns, mein Himmel in mir… ist da was oder verspüre ich da derzeit eher ein großes schwarzes Loch in mir? Brennt mein Lebenslicht noch oder stehe ich dem Leben eher ohne Hoffnung und ohnmächtig gegenüber? Funktioniere ich nur mehr und mache nur mehr das, was mir andere an Aufgaben aufbürden oder gestalte ich mein Leben selbstbewusst und kann auch „Nein“ sagen? Was ist versteinert in mir oder ganz tief in meinem Keller des Lebens deponiert, verstaubt und vergessen? Was bedarf in mir und in meinem Leben dieses göttlichen Taus des Himmels, damit mein Leben wieder wachsen und aufblühen kann, damit ich heil werde, ein ganzheitlicher Mensch, ein Mensch voller Lebensmut?

 

 

Dienstag, 11. Dez. 2007

 „Jesus ist einer, der alles von mir weiß. Und trotzdem nicht irre wird an mir, sondern der mir sagt: Ich leide mit dir, wenn du an dir selber leidest. Das ist der Trost, der uns zugesprochen wird: Ich bin durchschaut, aber ich bin von einem Liebenden durchschaut“, schreibt Helmut Thielicke im Adventkalender „Der andere Advent“ aus dem Jahre 2005. In meiner Pfarre im südburgenländischen Kurort Bad Tatzmannsdorf erfahre ich immer wieder im Seelsorgegespräch mit Kurgästen, dass in ihnen oft noch das Gottesbild des strafenden Buchhalter-Gottes lebt. Gott, der jeden meiner Handgriffe, jede meiner Aussagen und jede Unterlassung peinlichst genau protokolliert, um sie mir am Ende meiner Tage zu präsentieren und mich zu bestrafen.

 

Aufgrund meiner Erfahrungen meine ich, dass ein krankes Gottesbild auch die menschliche Seele krank macht und damit auch meine Frömmigkeit. Daher versuche ich den Menschen stets dieses Gottesbild, wie es Helmut Thielicke beschreibt, zu vermitteln: Ich bin von Jesus durchschaut, aber ich bin von einem Liebenden durchschaut. Dieser Gott lässt die Himmel tauen, damit ich Heil-Sein und Gerechtigkeit erfahre in meinem Leben.

 

 

Mittwoch, 12. Dez. 2007

 „Taut, ihr Himmel!“ ist auch in unseren Gemeinschaften wichtig, also dort, wo wir leben und arbeiten. Pierre Stutz beschreibt im Eschbacher Adventkalender „Bei sich selber zu Hause sein“ hervorragend, was ich damit meine:

 

Du Grund unserer Hoffnung

manchmal sind wir blind

für die Not in unserer Nähe

manchmal sind wir taub

für die subtilen Lebensschreie

manchmal sind wir

stumm und gelähmt

angesichts der weltweiten Unterdrückung

 

Du nimmst uns diese Wüstenerfahrungen

mit ihren Durststrecken nicht weg

sondern ermutigst uns

der Resignation und Ohnmacht

auf den Grund zu gehen

um einander die erschlafften Hände

zu stärken und

die wankenden Knie zu festigen

 

Du bist jene Erinnerungskraft

die uns mitten in der Wüste

Oasen mit sprudelnden Quellen finden lässt

die unsere Lebensfreude erneuern

und zum Hoffnungstanz bewegen

 

Ich wünsche Ihnen, dass Sie heute mit offenen Augen und Ohren auf Ihre Mitmenschen zugehen und dadurch mitten in Situationen von  Ausweglosigkeit und Niedergeschlagenheit Oasen mit sprudelnden Quellen finden oder sogar selber sind. Dann können andere durch uns das „Taut, ihr Himmel!“ hautnah erfahren!

 

 

Donnerstag, 13. Dez. 2007

 „Taut, ihr Himmel!“ wird für mich ganz konkret umgesetzt durch den Bischof von Barra do Rio Grande in Brasilien, Luís Flavio Cáppio, der Ende November neuerlich in den Hungerstreik getreten ist. Er wirft Staatschef "Lula" da Silva vor, Versprechen gebrochen zu haben, die nach einem ersten Hungerstreik des Bischofs im Jahr 2005 gegeben wurden. Statt das Projekt zur Umleitung des Rio Sao Francisco zu stoppen und darüber einen landesweiten Dialog mit der Zivilgesellschaft zu beginnen, seien die Bauarbeiten gestartet worden. Die Regierung argumentiert, durch die teilweise Ableitung des Flusswassers in Dürrezonen könnten Millionen Menschen mit Trinkwasser versorgt werden. Kritiker, wie etwa die Brasilianische Bischofskonferenz,  befürchten dagegen, dass nur etwa fünf Prozent des Wassers tatsächlich für die Bevölkerung bestimmt seien. Der größte Teil diene der Bewässerung von agro-industriellen Anbauflächen sowie der Industrie. Zudem wenden sich Gegner des Projekts gegen die Abholzung der Regionen entlang des 2.700 Kilometer langen Stroms sowie gegen die ungehinderte Einleitung von Abwässern. Bischof Cáppio in seinem Einsatz für die unterdrückte Bevölkerung Brasiliens zeigt mir, wie „Taut, ihr Himmel!“ auch durch die Verantwortlichen unserer r.-k. Kirche praktiziert werden muss.

 

 

Freitag, 14. Dez. 2007

Ein ganz intensives „Taut, ihr Himmel!“ hab ich vor wenigen Tagen geschenkt bekommen, als ich das neue Buch von Weihbischof Helmut Krätzl mit dem Titel „Eine Kirche, die Zukunft hat“ gelesen habe. Darin versucht er in sehr fundierter, kompetenter und offener  Art und Weise die Probleme innerhalb unserer röm.-kath. Kirche beim Namen zu nennen und Lösungswege anzubieten. Weihbischof Krätzl vertritt den Standpunkt, dass z. B. die Liturgie neue Gebetstexte verlangt und die offizielle Zulassung von besser verständlichen Hochgebeten, die mancherorts schon jetzt verwendet werden.

 

Und er wird sehr deutlich, wenn er sagt: „Ich erwarte mir, dass der ganze Schatz des liturgischen Erbes wieder entdeckt wird, um aus dieser Kenntnis – gegen allen Dilettantismus - Riten, Symbole, Gesten und Sprache dem Heute so anzupassen, dass sich der moderne Mensch und vor allem auch die Jugend angesprochen fühlen. Der Auftrag des Konzils zur Erneuerung der Liturgie ist noch lange nicht erfüllt.“ „Taut, ihr Himmel!“ wird hier überaus konkret für unsere r.-k. Kirche.

 

 

Samstag, 15. Dez. 2007

 „Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen! Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor, sie lasse Gerechtigkeit sprießen. Ich, der Herr, will es vollbringen.“ Dieser Vers des Propheten Jesaja hat uns durch die Woche begleitet. Es war mir ein Anliegen, diesen Ausspruch Jesajas zu vergegenwärtigen, ins Heute unseres alltäglichen Lebens zu übersetzen. Zuletzt möchte ich Pierre Stutz nochmals zu Wort kommen lassen:

 

Ankommen bei dir

mit dem Kraftvollen des Tages

mit dem Mühsamen

was ich mir anders gewünscht hätte

 

Ankommen bei dir

mit der Hektik und den ungelösten Fragen

mit der Sehnsucht

nach Ruhe und Geborgenheit

 

Ankommen bei dir

mit unserer Lebenslust und Ängstlichkeit

mit unserer Zerrissenheit und engagierten Gelassenheit

 

Ankommen bei dir

weil du uns näher bist

als wir uns selber sind

 

Ich wünsche Ihnen, dass der heurige Advent Ihnen dabei hilft, bei ihm, bei unserem Gott, bei diesem treuen Wegbegleiter, bei diesem Beschützer meines persönlichen Lebens anzukommen. So werden auch Sie erfahren, wie befreiend Gottes „Taut, ihr Himmel!“ ist.

 

 

Literatur-Nachweise:

 

Andere Zeiten e. V. (Hrsg.), Der andere Advent 2005, Hamburg 2005.

Pierre Stutz, Eschbacher Adventskalender. Bei sich selber zu Hause sein, Verlag am Eschbach der Schwabenverlag AG, Eschbach 2004.

Helmut Krätzl, Eine Kirche, die Zukunft hat. 12 Essays zu scheinbar unlösbaren Kirchenproblemen, Styria Verlag, Wien 2007.