Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
zu Paul Gerhardts
Lied: Ich steh an deiner Krippen hier (EG 37)
von Michael
Bünker
Sonntag, 23.12.2007
Mit dem heutigen Sonntag – dem
vierten Advent – beginnt die Woche der Weihnachtsfeiertage.
Gleichzeitig neigt sich das Jahr zu Ende, damit auch das Jahr, in
dem evangelische Christinnen und Christen besonders intensiv an
einen ihrer größten Dichter gedacht haben, an Paul Gerhardt. Er
wurde 1607, also vor vierhundert Jahren geboren. So nehme ich das
kommende Geburtstagsfest Jesu zum Anlass, um noch einmal an den
Geburtstag von Paul Gerhardt zu erinnern. Ihm verdanken wir einige
der bekanntesten Lieder des Protestantismus. Wer kennt nicht: „O
Haupt voll Blut und Wunden“, oder „Wie soll ich dich empfangen?“
Oder „Befiehl du deine Wege“ oder – natürlich – „Geh aus mein Herz
und suche Freud“. Paul Gerhardt hat die meisten Lieder für das
Hauptfest der Christenheit, für Ostern gedichtet. Aber es sind auch
viele, die er für Advent und Weihnachten geschrieben hat. So als
wollte er die Geburt und die Auferstehung miteinander verbinden.
Beides bringt ja ganz Neues in die Welt, die Geburt für uns alle das
neue Leben, die Auferstehung mit Jesus erstmalig das ewige Leben,
das von keinem Tod mehr überschattet wird.
1653 schreibt er das Lied: „Ich
steh an deiner Krippen hier“. Dieses Lied wird der rote Faden durch
die Morgengedanken dieser Woche sein.
Montag, 24.12.2007
Wenige Jahre nach dem Ende des
Dreißigjährigen Krieges schreibt Paul Gerhardt das Weihnachtslied:
Ich steh an deiner Krippen hier. Er ist Pfarrer in Mittenwalde in
der Mark Brandenburg. Der jahrelange Krieg und die Erfahrung
schlimmster Gewalt haben das Leben der Menschen zerstört. Nicht nur
äußerlich. Mittenwalde ist sieben Jahre nach Kriegsende noch immer
eine „Mördergrube“. An diesem Ort kann man sehen, was Krieg
anrichtet. Das Vertrauen der Menschen ist zerbrochen, Hoffnungen
zerstört. Auf Nachbarschaft ist kein Verlass mehr. Besonders arg
betroffen ist der Glaube. Was hat er schon geholfen? Wer braucht die
Kirche? In Mittenwalde sind die Kirchen zerstört, werden als
Rumpelkammern, als Hühnerställe missbraucht. Nach Jahren des Raubens
gibt niemand etwas freiwillig. Dabei schenkt doch Gott alles allein
aus Gnade! Am Heiligen Abend feiern wir das. Und genau in diese
Situation der Gnadenlosigkeit hinein dichtet Paul Gerhardt: „Ich
steh an deiner Krippen hier, O Jesulein, mein Leben. Ich komme,
bring und schenke dir, was du mir hast gegeben. Nimm hin, es ist
mein Geist und Sinn, Herz, Seel’ und Mut, nimm alles hin, und lass
dir’s wohl gefallen“.
Dienstag, 25.12.2007
Am Höhepunkt der weihnachtlichen
Freude sieht Paul Gerhardt, der große Liederdichter, in der Krippe
Jesu die Sonne aufgehen. In seinem Lied „Ich steh an deiner Krippen
hier“, heißt es: „Ich lag in tiefster Todesnacht, du warest meine
Sonne, die Sonne, die mir zugebracht Licht, leben, Freud und Wonne.
O Sonne, die das werte Licht des Glaubens in mir zugericht’, wie
schön sind deine Strahlen!“
„Unsere Sonne ist nicht eure
Sonne“, - so sagten es die ersten Christen, als sie nach dem
Unterschied gefragt wurden zwischen ihnen und der heidnischen
Umwelt, in der sie lebten. Nicht einmal die Sonne haben wir
gemeinsam! Als wäre es eine andere Welt, ein anderes Sonnensystem.
Hier das Reich der Gewalt, in dem die irdische Macht im Kaiserkult
vergöttlicht und angebetet wird, da das Hosianna der Geringen, der
Frieden auf Erden. Dieser Unterschied ist nicht klein. Bis heute ist
es dieses Reich des Friedens und der Gerechtigkeit, das Christinnen
und Christen unterscheidet von einer Gesellschaft, wo jeder auf
eigenen Vorteil aus ist und die Armen verkommen. Zu Weihnachten geht
sie auf, die Sonne der Gerechtigkeit, in Jesus Christus. Wie schön
sind deine Strahlen!
Mittwoch, 26.12.2007
Bei aller weihnachtlichen Romantik
darf nie vergessen werden: Die Krippe ist aus demselben Holz wie das
Kreuz. Heute – Stephanitag - gedenkt die Christenheit des ersten
Märtyrers Stephanus, der gesteinigt wurde. Paul Gerhardt spricht in
seinem Weihnachtslied „Ich steh an deiner Krippen hier“ mit keinem
Wort vom menschlichen Leiden. Menschliches Leiden hat er selbst in
den Jahren der Kriegsraserei mehr als genug erlebt. Er weiß es, -
alles ist aufgehoben bei diesem neugeborenen Kind. „Du fragest nicht
nach Lust der Welt und nach des Leibes Freuden. Du hast dich bei uns
eingestellt, an unsrer Statt zu leiden. Suchst meiner Seelen
Herrlichkeit, durch dein selbsteignes Herzeleid, das will ich dir
nicht wehren“.
Dass Gott in Jesus menschliches
Leiden auf sich nimmt, das kann Trost geben und Mut machen: Finde
dich nicht ab mit dem Leiden und der Ungerechtigkeit! In diesem Kind
ist das alles bereits überwunden für immer. Wenn Menschen sich aus
dem Glauben einsetzen für eine gerechtere Welt, dann wissen sie sich
getragen von dieser Menschwerdung Gottes. Sie setzen sich für andere
ein und treten auf gegen alle Formen der Ungerechtigkeit und Gewalt.
Donnerstag, 27.12.2007
Paul Gerhardt Lied: „Ich steh an
deiner Krippen hier“ ist ein langes Gedicht. Jede Strophe zeigt die
barocke Sprache seiner Zeit. Er besingt das Kind in der Krippe.
Alle, die schon einmal an der Wiege eines Neugeborenen gestanden
sind, können das nachempfinden. Alles ist ein Wunder! Letztlich
bleibt dem Betrachter das Staunen.
„Ich sehe dich mit Freuden an und
kann mich nicht satt sehen. Und weil ich nun nicht weiter kann so tu
ich, was geschehen. O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel
ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen!“
Das ganze Lied ist ein Lied des
Staunens. Vielleicht ist das Staunen ja die einzige angemessene
Reaktion auf das, was Gott tut. Mensch werden. Kind werden. Geboren
werden.
Paul Gerhardt hat viele Rufzeichen
des Staunens in sein Lied geschrieben, und viele Ausrufe mit O. Für
Weihnachten bei heutigen Erwachsenen ist das O und das Rufzeichen
eher ein Ausdruck des Stöhnens als des Staunens. Kinder wissen das
noch. Schön, wenn Erwachsene es sich erlauben, wenn Erwachsene so
frei sind, wieder wie ein Kind zu sein, wie ein Kind zu werden, und
auch wieder wie ein Kind zu Staunen.
Freitag, 28.12.2007
Der Tag der unschuldigen Kinder –
bis heute von schlimmer, ungebrochener Aktualität. Was damals der
König Herodes mit dem Kindermord von Bethlehem gemacht hat,
geschieht bis heute durch Hunger, Prostitution, Missbrauch,
Kindersklavenarbeit, selbst mitten unter uns. Wer vor dem
neugeborenen Kind in der Krippe staunend und anbetend steht, muss an
die Kinder und ihr schlimmes Schicksal denken. Paul Gerhardt hat das
in seinem Weihnachtsleid „Ich steh an deiner Krippen hier“ damit zum
Ausdruck gebracht, dass ihm der Unterschied einfällt: „Wie kann denn
das Kind des Allerhöchsten in einem Stall liegen? Für edle Kinder
großer Herren gehören güldne Wiegen“, schreibt er. So wird es wohl
gewesen sein in seiner Zeit. Aber auch heute sind die sozialen
Unterschiede bis in die Kindheit hinein spürbar. Die Kinder armer
Eltern haben durch unser Schulsystem weniger Chancen als die Kinder
der Wohlhabenden. Das wäre bei entsprechendem politischen Willen
leicht zu ändern. Länder wie Finnland und Kanada zeigen vor, wie es
geht.
Paul Gerhardt denkt nicht daran,
die sozialen Verhältnisse zu ändern. Aber er selber will helfen, die
Lage verbessern, Heu und Stroh wegnehmen und durch Blumen aus dem
eigenen Garten ersetzen. „Dass meines Heilands Lager sei auf
lieblichen Violen“, dichtet er. Aber dann fällt ihm ein: „Dieses
Kindlein liebt das dürre Gras mehr, als alles, was ich hier nenn und
denke“. Aus Solidarität mit den Armen, mit den Ausgestoßenen, kommt
Gott arm und ausgestoßen, als Flüchtlingskind, auf die Welt. Um zu
zeigen, auf wessen Seite er sich stellt.
Samstag, 29.12.2007
Was hilft in einer Zeit, in der
selbst der Glaube zerstört ist durch jahrlange kriegerische Gewalt?
Paul Gerhardt ist überzeugt: Es hilft die persönliche Frömmigkeit,
sich in Beziehung setzen zum Grund des Lebens, nicht im Materiellen
aufgehen.
„Eins aber, hoff ich, wirst du mir,
mein Heiland nicht versagen: Dass ich dich möge für und für in, bei
und an mir tragen“. So dichtet er in der 14. Strophe seines Liedes
„Ich steh an deiner Krippen hier“. Ich verstehe das so: Es gibt
keinen Bereich meines Lebens, in dem ich anderen Herren zu gehorchen
hätte als Jesus allein. Das befreit mich aus allen gottlosen
Bindungen dieser Welt. In Jesus ist die Freiheit eines
Christenmenschen begründet. Das kann von Paul Gerhardt und seiner
barocken religiösen Dichtung gelernt werden. Er steht staunend an
der Krippe und wundert sich über alles, was dieses kleine
neugeborene Kind für ihn tut. Er will sich versenken und hingeben
und schließlich selbst die Krippe sein: „So lass mich deine Krippe
sein; komm, komm und lege bei mir ein dich und alle deine Freuden“.
Wenn Jesus mit allen seinen Freuden
Einkehr hält in eines Menschen Herz, dann ist der Himmel auf Erden
Wirklichkeit geworden.
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