Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Maria Wachtler, Religionsprofessorin am Gymnasium der Englischen Fräulein in St. Pölten

 

 

Sonntag, 6.1.2008

Heute feiern wir das Hochfest der Erscheinung des Herrn. Das Matthäusevangelium erzählt von Magiern oder Weisen, die in eine völlig ungewisse Zukunft aufbrachen.

Sie haben alles aufgegeben und folgten einem Stern. Sie ließen sich nicht irremachen durch die Begegnung mit Herodes, der durch die Ankündigung der Geburt Jesu um seine Macht zitterte. Sie ließen sich auch nicht irremachen, als ihr Stern vor einem Stall stehen blieb und sie darin eine Szene von enttäuschender Alltäglichkeit erblickten: Einen Mann, eine Frau und ein Kind, das nichts Äußergewöhnliches an sich trägt.

Aber diese Männer sahen hinter die äußere Fassade und begriffen, dass sie gefunden hatten, wonach sie so lange gesucht hatten. Sie wagten es, aufzubrechen und einem Stern zu folgen. Wir alle brauchen Sterne die uns den Weg weisen. Welcher Stern leitet Sie auf Ihren Wegen?

Nur der richtige Stern wird uns zum erfüllten Leben führen. Der richtige Stern lässt uns auch Ja sagen zu wirklichen Werten. Er macht es uns leicht, List und Tücke zu durchschauen. Die Magier kehrten nicht zu Herodes zurück. Sie hatten den wegweisenden Stern zum Kind in der Krippe gefunden, den wahren Wegweiser neben den vielen Irrlichtern am Horizont des Lebens.

 

 

Montag, 7.1.2008

Wenn ich den Abreißkalender ansehe, der über meinem Schreibtisch hängt,  frage ich mich manchmal: was werden diese vielen Tage mit sich bringen?

Werde ich meine Vorsätze halten können, werde ich meine Ziele erreichen?

Was ist mit den abgerissenen Blättern?

Ich denke, sie sind zu schade,  dass  ich sie einfach wegwerfe. Ich werde sie heuer sammeln und auf ihre Rückseite täglich etwas schreiben. Ich möchte das aufschreiben, wofür ich jeden Tag besonders dankbar bin. Es werden sicher viele schöne Erlebnisse in meiner Familie sein, viele Begegnungen mit Freunden, Eindrücke in der Natur, Gelungenes im Beruf.

Ich möchte mein Augenmerk besonders auf die Dankbarkeit lenken. So kann ich Schätze sammeln. Wenn die Seiten am Kalender immer weniger werden, dann wird der Stoß meiner beschriebenen Blätter immer höher.

Er zeigt mir, dass nichts verloren geht. Und in mir wächst eine Freude heran.

Ich sehe die Menschen, die Dinge und Ereignisse mit anderen Augen.

Ich weiß, dass ich keinen Anspruch habe auf Glück und Gesundheit.

Alles sind Gaben, die das Leben für mich bereithält.

Und wenn der Wecker mich morgens aus den Träumen reißt,

bin ich dankbar, dass ich am Leben bin.

Und ich sende einen stillen Dank zu dem, der alle meine gesammelten Kalendertage kennt.

 

 

Dienstag, 8.1.2008

Es ist ein eigenartiges Gefühl für mich, wenn ich Schülern zusehe, wie sie Schularbeiten schreiben. Sie sind da ganz auf sich allein gestellt. Jeder kämpft für sich. Jeder versucht das Beste zu geben.

Geht es uns nicht allen so? Das Leben stellt uns immer wieder Fragen. Wir können uns diese Fragen nicht selbst aussuchen. Aber wir sind verantwortlich für die Antworten.

Oft sind es leichte, alltägliche Fragen, die wir mit Routine beantworten.

Manchmal kommen harte Fragen auf uns zu und wir suchen lange nach einer richtigen Antwort.

Letztlich ist es wie bei der Schularbeit. Wir werden nicht nach den Fragen beurteilt, die uns das Leben stellt, sondern ganz allein nach unseren Antworten.

Ich sehe wieder meine Schüler vor mir: Manche denken lange nach, bevor sie schreiben.

Bei anderen geht es schnell. Es ist mucksmäuschenstill im Raum. Sie horchen in sich hinein und sind ganz bei der Sache.

In dieser Hingabe an eine Aufgabe vergessen sie sich selbst und wachsen oft über sich hinaus.

Manchmal kann es schon vorkommen, dass Aufgaben zu schwer sind für einzelne.

Aber dann stürzt die Welt auch nicht zusammen.

Das ist eben ein Hinweis, sich mit bestimmten Themen ausführlicher zu beschäftigen. Und beim nächsten Mal stellt sich wieder Erfolg ein.

Vielleicht sollten wir in dieser Art Lebensfragen beantworten?

 

 

Mittwoch, 9.1.2008

In den Herzen vieler Eltern und Großeltern gibt es Erinnerungen an schöne Stunden des gemeinsamen Spiels mit ihren Kindern. Manche Holzspielsachen, Püppchen oder Teddybären erinnern auch später in den Regalen der Kinderzimmer daran.

Für mich ist ein drolliges Stehaufmännchen mit freundlichem Clownsgesicht eine solche liebe Erinnerung. Wie viele Attacken meiner Kinder hat es wohl ausgehalten und sich immer wieder aufgerichtet?

Irgendwann kam mir dabei der Gedanke, dass ich von diesem kleinen Kerlchen auch etwas lernen kann.

Gibt es nicht auch Menschen, die nichts wirklich umwerfen kann?

Selbst nach schweren Krankheiten, Lebenskrisen oder dem Verlust lieber Menschen fassen sie wieder Mut zum Leben.

Früher oder später haben sie den Kopf wieder oben.

Wenn es schwer wird, fragen wir oft: Was habe ich noch zu erwarten vom Leben?

Vielleicht sollten wir die Frage einfach umdrehen. Was erwartet das Leben gerade heute von mir?

Gibt es eine Aufgabe oder Menschen, die gerade heute auf mich warten?

Jean Paul Satre schrieb: Freiheit ist, wie wir mit dem umgehen, was uns widerfährt.

Manches wirft uns vielleicht einmal um, aber dann haben wir die Wahl: wir können liegen bleiben oder uns wieder aufrichten.

 

 

Donnerstag, 10.1.2008

In einem Religionsbuch finde ich die Kapitelüberschrift: das billige und das kostbare Glück. Mich fasziniert dieses Kapitel immer wieder. Dabei erzähle ich gerne den Inhalt des Kinderbuches Higgelti Piggelti Pop.

Darin geht es um ein Hündchen, das wirklich alles hat, aber das Hündchen ist nicht glücklich.  Es muss im Leben mehr als alles geben, sagt das Tier traurig.

All das, was es hat, ist billiges Glück, das nicht wirklich erfüllt.

Das billige Glück kann oft sehr teuer sein. Es beglückt vielleicht kurzfristig.

Das kostbare Glück können wir oft kostenlos geschenkt bekommen, wenn wir die Augen dafür offen haben. Ein Lächeln, ein Sonnenaufgang, ein Spaziergang, ein stilles Gebet, Spielen mit den Kindern, Zusammensein mit Freunden. Das kostbare Glück verwandelt uns. Es macht uns reich und erfüllt.

Wir Menschen haben nicht nur Sinnesorgane, mit denen wir die Welt erfahren können.

Wir haben auch ein Sinn-Organ. Dieses Sinnorgan ist unsere innere Stimme.

Oft flüstert sie in uns und möchte uns sagen, was wirklich zählt. Es sind meist nicht die Dinge, die wir kaufen können.

Es muss im Leben mehr als alles geben.

Ich bin dankbar heute am Morgen für das kostbare Glück, das mir jeden Tag begegnet.

 

 

Freitag, 11.1.2008

In unserer Schule gibt es seit einigen Jahren die Aktion Partnerklasse.

Dabei ist ein Oberstufenschüler einer fünften Klasse für einen Partnerschüler der ersten Klasse verantwortlich. Das erleichtert unseren Neuen den Umstieg von der Volksschule in den unbekannten Schulalltag des Gymnasiums. In gemeinsamen Aktionen im Unterrichtsfach Soziales Lernen erkunden die Schüler das Schulgelände.

Es ist ergreifend, wenn man sieht, wie sich da die Älteren um ihre Schützlinge bemühen. Diese Freundschaften werden über all die Jahre weitergepflegt. Die Partnerklassen führen auch gemeinsame Wandertage durch. Am Schönsten aber ist es immer wieder zu beobachten, wenn die Großen die Kleinen vor Tests und Schularbeiten beruhigen oder ihnen ein Stückchen von der eigenen Jause schenken. Oftmals organisieren Partnerschüler auch außerschulische Treffen.

Wenn ich die Eigendynamik beobachte, die da immer wieder entsteht, kann ich nur staunen. Da erleben 15Jährige, dass sie Verantwortung tragen können und Vorbild sein können. Da erleben aber auch 10Jährige, dass sie Schutz und Geborgenheit und Freundschaft erfahren.

Ich bin stolz auf unsere Jugendlichen und ich sehe, dass sie große Sehnsucht nach gelebten Werten haben.

Wäre das nicht auch eine Möglichkeit in Betrieben und vielen anderen Bereichen? Eine Form, füreinander da zu sein?

 

 

Samstag, 12.1.2008

Heute möchte ich Ihnen die Geschichte vom Holzpferdchen erzählen:

 „ Das Holzpferd lebte schon sehr lange im Kinderzimmer.

„Was ist wirklich“, fragte es eines Tages der Stoffhase. „Wirklich“, antwortete das Holzpferd, „ ist nicht, wie man gemacht ist. Es ist etwas, was an einem geschieht. Wenn ein Kind dich liebt für eine lange, lange Zeit, nicht nur, um mit dir zu spielen, sondern dich wirklich liebt, dann wirst du wirklich.“

„Tut es weh?“, fragte der Hase.

„Manchmal“, antwortete das Holzpferd, denn es sagte immer die Wahrheit. „Wenn du wirklich bist, dann hast du nichts dagegen, dass es weh tut.“

Es geschieht auch nicht auf einmal. Es dauert lange. Im Allgemeinen sind zu der Zeit, da du wirklich sein wirst, die meisten Haare verschwunden, deine Augen ausgefallen und du bist sehr hässlich. Aber diese Dinge sind überhaupt nicht wichtig; denn wenn du wirklich bist, kannst du nicht hässlich sein, ausgenommen in den Augen von Leuten, die überhaupt keine Ahnung haben.“

„Ich glaube, du bist wirklich“, meinte der Stoffhase. Und dann wünschte er, er hätte es nicht gesagt – das Holzpferd könnte empfindlich sein. Aber das Holzpferd lächelte nur.

Ich wünsche uns den Mut, wirklich zu sein!