Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrer Adolf Karlinger, Innsbruck

 

 

Sonntag, 17.2.2008

Noch nie hatte der Mensch so viel Freiheit. Noch nie war er so herausgefordert, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Noch nie hatte er in diesem Ausmaß wie heute die Möglichkeit, die Welt, kennen zu lernen, zu verändern, zu behüten oder auch zu zerstören. Nach dem Vorbild des großen Schöpfers ist er gefordert, schöpferisch, verantwortlich und frei seinen Beitrag für „Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung“ zu leisten.

Die Freiheit hat aber auch ihre Kehrseite. Niemand kann alles, was man sich theoretisch leisten könnte, auch tatsächlich leisten. Das tut weh!

Freiheit kann auch verkommen und absinken zur Freizügigkeit, zur Beliebigkeit, zur Unverbindlichkeit. Es liegt im Trend der Zeit, sich von traditionellen Bindungen zu lösen, und Werte aufzugeben. Niemandem verpflichtet, an niemanden gebunden, ohne Richtung und ohne Beziehung, ohne Orientierung, das ist dann „frei“. So träumt man! Nur der Augenblick gilt. „Frei von allem“ neigt er dazu, im Namen der Freiheit dahinzutreiben, ohne Sinn und ohne Ziel.

Eines sollte man dennoch nicht vergessen: jeder ist hineingestellt in eine Welt, die ihm diese Freiheit, aber auch ihren Missbrauch erst ermöglicht; jeder ist vernetzt mit einer Gesellschaft, die ihm Brot gibt zum Leben; jeder ist gehalten von Menschen, die zu ihm stehen; und nicht zuletzt ist jeder getragen von den weiten und tiefen „Wassern des Lebens“. Das sollte man auch bedenken.

 

 

Montag, 18.2.2008

Viele Leute erkennen mich an meiner Stimme. Darüber freue ich mich. Auch ich erkenne Leute an ihrer Stimme. Ich höre z.B. die Stimme meiner Mutter, die längst tot ist, die immer gesagt hat: „Was auf den Teller kommt, das wird gegessen!“ „Brot wirft man nicht weg!“ „Das ist schmutzig, da schaut man nicht hin!“

Dann höre ich auch die Stimmen meiner Lehrer, Erzieher, des Beichtvaters, der mir immer gute Ratschläge gab, später die Stimmen der Freunde, die wie Gegenstimmen bereits manchen Misston bewirkten. Ich vernehme gütige, harte, Angst machende, aber auch tröstende und aufmunternde Stimmen in mir. Ich erlebe den Überbau eines mächtigen „Über-Ich“ und ich kann nicht allen Stimmen folgen. Hier stimmt der Satz: „Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann!“

Andere Stimmen melden sich auch noch: „Sei nicht so dumm! Lass dich nicht ausnützen! Zeig’s ihnen! Diese Stimmen geben sich harmlos, doch durch kleine Verdrehungen, durch kleine Übertreibungen erreichen sie, dass ich etwas will, was ich eigentlich gar nicht will, weil ich spüre, dass es mir nicht gut tut.

Ich höre aber noch eine andere Stimme in mir und ich spüre, dass diese ganz „die meine“ ist. Sie kommt aus meiner tiefsten Mitte – von dort, wo ich ganz ich selbst bin. Es ist die Stimme meines Gewissens, wo ich manchmal sogar glaube, Einflüsterungen eines liebenden Gottes leise zu vernehmen.

 

 

Dienstag, 19.2.2008

Von den ersten Menschen wird erzählt, dass sie im Paradies waren: Alles, was das Herz begehrte, haben sie bekommen. Doch „alles“ war zu wenig, sie wollten noch mehr. Es war die Schlange, die der Frau einredete, dass Gott kleinlich sei und ihnen gerade das nicht vergönne, was für ihr Glück das Tüpfelchen auf dem „i“ wäre. „Wie Gott werdet ihr sein!“, sagte die Schlange und auf einmal war der Apfel, oder was immer auch damit gemeint ist, das Wichtigste in der Welt, das Begehrenswerteste, der Inbegriff des Glücks, die Seligkeit schlechthin.

Gott sagt, das tut dir nicht gut, der Mensch sagt, das muss ich haben! Ich will, ich muss es haben! Das war die Versuchung am Anfang. Und heute? Das ist heute aktueller denn je. In manchen Familien entsteht ein geradezu unerträglicher Druck, weil die Kinder alles haben müssen, was auch die anderen haben.

Tragödien in den Beziehungsgeschichten.

Es wird uns aber auch eingeredet, dass du dies und jenes brauchst, ja haben musst, um glücklich zu sein.

Adam, der Mensch ist nackt, er ist bloßgestellt, er versteckt sich, schiebt natürlich die Schuld auf die Frau, diese weiter auf die Schlange. Schuld auch für die Maßlosigkeit sind wie üblich und von Anfang an immer die anderen!

 

 

Mittwoch, 20.2.2008

Immer mehr Haushalte und Privatpersonen in Österreich sind verschuldet. Man will unbedingt einen Lebensstandard halten, den man sich eigentlich gar nicht leisten kann.

Es ist heutzutage auch keine Schande, Schulden zu haben, von den Banken bekommt man Geld relativ leicht, nicht selten wird es problematisch, oft sogar tragisch, wenn es um die Rückzahlungen geht.

In der Bibel wird von einem Fall erzählt, wo ein hoher Beamter eines orientalischen Königs seinem Herrn 10.000 Talente schuldet, heute wären dies Millionen von Euro. Weil er aber das Geld nicht zurückzahlen konnte, befahl der Herr, ihn mit Frau und Kindern und allem, was er besaß, zu verkaufen und so die Schuld zu begleichen. Der Diener flehte seinen Herrn um Aufschub an. Dieser wusste genau, dass der Diener nie imstande ist, das Geld zurückzuzahlen. Und er erlässt ihm die Schuld.

Als nun dieser Diener hinausging, traf er einen anderen Diener, der ihm hundert Dinare - eine Lappalie - schuldig war. Er packte ihn, würgte ihn und rief: „Bezahl, was du mir schuldig bist!“ Er hatte kein Erbarmen und ließ ihn ins Gefängnis werfen. Als die übrigen Diener das sahen, waren sie empört und berichteten es dem König. Der König sagte zu ihm: „Deine große Schuld habe ich dir erlassen. Hättest du nicht auch deinem Schuldner die ohnehin kleine Schuld erlassen können? Warum misst du mit zweierlei Maß?“ Und er übergab ihn den Folterknechten.

Im Vater unser beten wir: Vergib uns wie auch wir vergeben!

 

 

Donnerstag, 21.2.2008

Ich erinnere mich an einen alten Bauern, der mir in freundschaftlicher Zuneigung sagte: „Du, deine Predigten gefallen mir!“ Ich hake ein wenig nach und frage zurück: „Was gefällt dir denn an meinen Predigten?“ Er sagt: „Bei deinen Predigten fällt mir immer jemand ein, den dies angeht!“ Ich versuche herauszubringen, was sich der Bauer für sich selber aus der Predigt herausnimmt. Es kommt nur ein verlegenes, unverständliches Lächeln.

Ich denke oft an diese Begebenheit, weil sie so typisch ist. In eigenen Belangen ist man „blind“, bei den anderen sieht man die Fehler scharf und schnell.

Bei gemeinsamen „Beichtgesprächen“ in der Schule, wo Kinder freiwillig zu zweit oder zu dritt kommen können, beginne ich mit einer Übung: „Sag Du zuerst, was dein Mitschüler, deine Mitschülerin gut macht!“ „Mir fällt nichts ein!“, ist die Antwort stereotyp. Mit der Zeit kommt dann doch etwas. „Er/sie ist verlässlich, freundlich, hilfsbereit usw.“ „Dann sag du, wo du dich ändern solltest!“ Fällt einem auch nicht so schnell etwas ein. Würde ich fragen, was der andere schlecht macht, dann könnte man den Redefluss kaum stoppen.

„Mir fällt immer jemand ein, den dies angeht!“, sagte der alte Bauer.

Offensichtlich braucht man jemanden, der einem hilft, das Gute auch bei anderen zu sehen und sich selber gegenüber ein wenig kritischer zu sein.

 

 

Freitag, 22.2.2008

Wer ist schuld? Das ist in unserer Zeit eine der häufigsten Fragen. Wenn etwas passiert, ein Unfall, eine Katastrophe, eine Verfehlung, fragt man sofort, wer ist schuld?

Die Nachrichten, die sich am besten verkaufen lassen, sind die schlechten Nachrichten und die wichtigste Frage ist dann immer: „Wer ist schuld?“  „Schuld“ muss auf der Stelle aufgedeckt werden, „Schuldige“ müssen unverzüglich zur Rechenschaft gezogen werden. Wie noch nie in der Geschichte der Menschheit werden heute die „Schuldigen“ öffentlich an den Pranger gestellt.

Es gibt so etwas wie eine moderne Form der öffentlichen Inquisition und wehe dem, der in ihre Krallen gerät. Dies ist die Kehrseite unserer Informationsgesellschaft, die alles ans Licht bringen will und sehr vieles auch tatsächlich ans Licht bringen kann und auch soll. Natürlich ist es recht, die Schuld eines Menschen auszuforschen, auch zu bestrafen. Mit Recht gibt es auch die Unschuldsvermutung.  Es gibt aber auch für den Schuldigen eine Privatsphäre, es muss nicht alles in der Öffentlichkeit breitgetreten werden, oder!? Unterstellungen, Schuldzuweisungen,  Verdächtigungen, üble Nachreden: Mir geht das alles oft viel zu schnell. Wie leichtfertig reden wir auch im Alltag von der Schuld der anderen. Unrecht getan ist schnell, Unrecht wieder gut gemacht ist kaum möglich. Es ist als ob man einen Sack Federn in den Wind streut, die man nie mehr einsammeln kann. Wir sind wahrhaftig Weltmeister im Beschuldigen, aber Zwerge im Vergeben.

 

 

Samstag, 23.2.2008

Gott ist ein gerechter Richter, der das Gute belohnt und das Böse bestraft, so haben wir es früher im Katechismus gelernt. Manche Darstellungen vom Jüngsten Gericht zeigen Jesus als den Scharfrichter. So wie auch wir gern und schnell scharf zu richten geneigt sind.

Es sind sehr unterschiedliche Gründe, die zur Entdeckung des liebenden Gottes geführt haben. Die neue Bußordnung vom Jahre 1973 weist z.B. den Priester an, dem Beichtenden nach der Beichte den Friedensgruß zu geben und aufzurichten. Das Aufrichten ist in diesem Zusammenhang eine neue, aber sehr ansprechende Geste. Sie zeigt, dass die Schuld, die wie eine Last den Menschen „in die Knie“ gezwungen hat, jetzt weggenommen ist. Es bleibt zwar immer noch viel aufzuarbeiten, weil jede böse Tat bereits „ihre Kreise“ gezogen hat. Dennoch ist mit dem Zuspruch der Vergebung das Wesentliche geschehen. Eine Brise von dem „langen Atem“ und der „Eselsgeduld“, die Gott mit uns hat, sollten wir auch haben.

„Wie du mir, so ich dir!“, würde ich abändern auf: „Wie du mir, so ich dir nicht, anders aber schon“. Nicht  scharf-richten, sondern auf-richten!

Das menschliche Vergeben im Alltag braucht auch seine Zeit und ist ein längerer Prozess. Sich zuerst einmal von der Sache ein wenig distanzieren, die Gedanken der Rache, die sich gleich einmal einstellen, beiseite schieben, das Wiederkäuen der giftigen Gedanken bewusst abschalten und die „Waffen“, die man angehäuft hat bewusst und aus freien Stücken weglegen bis man am Schluss vielleicht doch ruhig sagen kann: „Es war einmal…“