Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrer Mag. Roland Werneck, (Evangelische Akademie, Wien)

 

 

Sonntag, 16. 3.2008

„Hosianna dem Sohn Davids!“ Am heutigen Palmsonntag wird in den Kirchen das Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem gelesen. In der katholischen Kirche gibt es den Brauch der Palmsonntagsprozession. Sie erinnert daran, dass Jesus nach den Zeugnissen des Neuen Testaments auf einem Esel reitend in die Stadt Jerusalem einzog. Die Bevölkerung, so heißt es, begrüßte Jesus mit den Worten „Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“

Jesus wird so begrüßt, wie es damals für einen jüdischen Festpilger üblich war. Das Pessach- oder Passahfest, zu dem Jesus mit seinen Anhängern nach Jerusalem pilgerte, war eines der drei großen jüdischen Wallfahrtsfeste.

Noch heute beten Juden und Jüdinnen an großen Festtagen das sogenannte „Große Hallel“, das sind die Psalmen 113 bis 118. Im letzten dieser Psalmen heißt es in der deutschen Übersetzung des Rufes Hosianna: „O Herr, hilf! - O Herr, lass wohl gelingen! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“

Wenn in den Kirchen heute Hosianna gesungen oder gebetet wird, ist es gut, daran zu denken, dass wir Christen und Christinnen aller Konfessionen mit den biblischen Psalmen ein gemeinsames Gebetbuch mit unseren jüdischen Geschwistern haben. Jesus und seine Jünger waren ja selbst Juden, die wohl auch das Hallel an den Festen gebetet haben. Der gemeinsame Glaube an den einen Gott verbindet Juden und Christen.

 

 

Montag, 17. 3.2008

„So ein Pharisäer!“ – In unserem Sprachgebrauch wird dieses Wort oft als Schimpfwort für einen unehrlichen oder scheinheiligen Heuchler verwendet.

Nach den Erzählungen des Neuen Testaments gerät Jesus in Jerusalem in Konflikt mit verschiedenen Gruppen. Besonders werden immer wieder die Pharisäer als seine Gegner genannt. Aber wer waren diese Pharisäer eigentlich? Der Name bedeutet „die Abgesonderten“ und bezieht sich wohl darauf, dass diese jüdische Gruppe auf die Einhaltung besonderer Vorschriften Wert legte. Im Unterschied zu anderen Gruppen stand für die Pharisäer nicht der Opferdienst im Tempel von Jerusalem im Zentrum ihrer Frömmigkeit. Ihr Anliegen war die Heiligung des Alltages. Deshalb diskutierten sie oft stundenlang über die richtige Auslegung der göttlichen Gebote.

Dabei waren die Pharisäer keine straff geführte Religionspartei, sondern ein bunter Haufen, in dem viele unterschiedliche Meinungen Platz hatten. Ein berühmter pharisäischer Lehrer hieß Hillel. Mit ihm war Jesus in vielen Fragen einer Meinung. So antwortete Hillel z.B. einmal auf die Frage, ob er die gesamte jüdische Lehre auf einem Bein stehend zusammenfassen könne: „Das, was Dir missfällt, tue auch deinem Nächsten nicht an.“ Ganz ähnlich hören wir das von Jesus in der Bergpredigt.

Ich habe im Gespräch mit Juden gelernt, dass ein „Pharisäer“ kein Schimpfwort für einen Heuchler ist. Was die Pharisäer von damals mit Christen und Juden heute verbindet, ist die Suche nach einem Leben, wie es Gott gefällt.

 

 

Dienstag, 18. 3.2008

„Geheiligt werde dein Name!“ So beten Christen und Christinnen im Vater Unser zu Gott: Aber wie lautet der Name Gottes? Gott hat in der Bibel viele Namen und Eigenschaften, er wird z.B. barmherzig, ewig oder gerecht genannt.

Jesus zog mit seinen Jüngern als Festpilger zum Passahfest nach Jerusalem. Bei diesem jüdischen Fest steht die Erinnerung an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten im Mittelpunkt. Am Beginn dieser Geschichte steht die Vorstellung des Gottes Israels mit seinem besonderen Namen. Auf die Frage des Mose, was er seinen Leute sagen soll, wie dieser Gott heißt, der die Befreiung aus der Sklaverei verspricht, antwortet Gott aus einem brennenden Dornbusch: „Ich bin für dich da.“ In der hebräischen Originalfassung der Bibel erinnern vier Buchstaben an diesen Gottesnamen: JHWH. Juden und Jüdinnen sprechen den Namen Gottes nicht aus, weil sie dadurch eine besondere Ehrfurcht, einen besonderen Respekt gegenüber Gott ausdrücken wollen. Wir können davon ausgehen, dass auch Jesus als frommer Jude diesen Namen Gottes nicht ausgesprochen hat. Der Respekt gegenüber dem Gottesnamen kann Christen und Juden daran erinnern, dass es Bereiche im Leben gibt, über die wir als Menschen nicht verfügen können. Wenn wir mit unheilbaren Krankheiten, mit dem Sterben und dem Tod konfrontiert sind, stoßen wir an unsere Grenzen.

Gerade dann ist gut, sich an den besonderen Namen Gottes zu erinnern: „Ich bin für dich da, im Leben und im Sterben.“

 

 

Mittwoch, 19. 3.2008

Im Gespräch zwischen den Religionen, aber auch in der christlichen Ökumene werden in letzter Zeit die Stimmen lauter, die sagen: wir müssen ein klares Profil zeigen! Keine Kuschelgespräche, sondern wieder deutliche Abgrenzung gegenüber den anderen, lautet die Parole.

Als Jesus in den letzten Tagen vor seiner Verhaftung in Jerusalem mit den Schriftgelehrten diskutierte, waren das sicher keine „Kuschelgespräche“. Am Beginn dieser Auseinandersetzungen aber stellt Jesus immer klar, worin die Gemeinsamkeiten mit seinen Gesprächspartnern bestehen. Auf die Frage eines Schriftgelehrten nach dem höchsten Gebot antwortet Jesus z.B. einmal: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen und du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst.“ Jesus hat dieses höchste Gebot nicht neu erfunden. Als frommer Jude hat er selbstverständlich zweimal täglich das „Höre Israel“ gebetet, so wie es fromme Juden und Jüdinnen in der Früh nach dem Aufstehen und am Abend vor dem Schlafengehen bis heute tun. Auch hier heißt es: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, ganzer Seele und von ganzem Gemüt.“

Die Gottesliebe und die Nächstenliebe sind die zentralen Gebote in dem Teil der Bibel, den die Christen das „Alte Testament“ nennen. Jesus selbst hat ja keine andere Bibel gekannt.

Wenn wir mit Menschen diskutieren oder streiten, die einer anderen Konfession oder Religion angehören, ist es gut, sich an die Methode von Jesus zu erinnern:

Zuerst die Gemeinsamkeiten klären, dann dürfen auch die Unterschiede getrost zu Sprache kommen.

 

 

Donnerstag, 20. 3.2008

Am heutigen Gründonnerstag erinnern wir uns an das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern. Christen und Christinnen feiern im Gottesdienst das Heilige Abendmahl, die Eucharistie und glauben, dass Jesus dabei in Brot und Wein auf besondere Weise gegenwärtig ist.

In den Evangelien lesen wir, dass es das jüdische Passafest war, das Jesus und seine Jünger in Jerusalem zusammenkommen ließ, um gemeinsam zu essen und zu trinken.

Das jüdische Passafest wird heute ganz anders gefeiert als damals in Jerusalem.

Den Tempel und die Opferspeisen gibt es ja längst nicht mehr. Zum Passa oder hebräisch Pessachfest kommen die jüdischen Familien in den Häusern und Wohnungen zusammen. Der erste Abend des Festes ist ein Höhepunkt im jüdischen Festkalender. Es gibt einen bestimmten Ablauf, eine bestimmte Ordnung für diesen Abend. Auch hier steht die Erinnerung im Mittelpunkt. Die Geschichte vom Auszug aus Ägypten wird erzählt. Psalmen werden gebetet, Lieder gesungen. Symbolische Speisen und Getränke vermitteln die Botschaft: Der Gott Israels ist ein befreiender Gott, er hat vor Jahrhunderten sein Volk aus der Sklaverei herausgeführt. Deshalb gilt für heute und für die Zukunft: Unterdrückung und Sklaverei soll es nach Gottes Willen nicht mehr geben!

Auch wenn Juden und Christen ihre Erinnerungsfeste in verschiedener Weise feiern - diese Botschaft geht die ganze Menschheit an.

 

 

Freitag, 21. 3.2008

Heute ist Karfreitag, besonders für evangelische Christinnen und Christen ein wichtiger Feiertag. Die Botschaft dieses Tages lautet: Sogar wenn wir uns ganz von Gott verlassen fühlen, auch im Leiden und im Sterben lässt Gott uns nicht im Stich. So wurde das Kreuz, an dem Jesus starb, später zu einem Zeichen der christlichen Hoffnung.

Für viele Juden und Jüdinnen hingegen war der Karfreitag lange Zeit ein Tag voller Angst. Jahrhunderte lang wurden sie von einem christlichen Umfeld beschuldigt, sie hätten den Herrn Jesus umgebracht. In manchen Gegenden wurden ihnen während der Karwoche Ausgangssperren auferlegt, in anderen zwang man sie, in die Kirche zu gehen, um sich an ihre Schuld erinnern zu lassen. Die Passionszeit, in der die Christenheit der Leiden Jesu gedachte, war für die jüdische Bevölkerung im christlichen Abendland eine mit Leiden gefüllte Zeit.

Der Zusammenhang des Leidens Jesu mit dem Leiden des jüdischen Volkes wurde in ungewöhnlicher Weise vom Maler Marc Chagall neu gesehen.

Es gibt von ihm ein Kreuzigungsbild, das während der Zeit der nationalsozialistischen Judenverfolgungen entstanden ist. Jesus ist am Kreuz mit den Symbolen eines frommen Juden zu sehen, er trägt die Gebetsriemen und den Gebetsschal. Im Hintergrund sieht man brennende Häuser und klagende Menschen.

Der Jude Jesus leidet gemeinsam mit seinem Volk. Angesichts von Krieg und Gewalt bleibt diese Karfreitagsbotschaft für uns alle eine Herausforderung.

 

 

Samstag, 22. 3.2008

„Judas Ivanschitz“ wurde der Kapitän der österreichischen Fußballnationalmannschaft von enttäuschten Rapid-Fans bezeichnet, nachdem er den Verein verlassen hatte. Wie kommt es, dass der Name des Jüngers Jesu heute von Menschen, die wahrscheinlich sonst nicht sehr bibelfest sind, als Schimpfwort verwendet wird?

Judas Ischariot war einer der zwölf, mit denen Jesus das letzte Abendmahl gefeiert hat, als Versöhnungsmahl, wie es im Neuen Testament heißt.

Es wird berichtet, dass er den römischen Soldaten den Aufenthaltsort Jesu für Geld verraten hatte. Nach dem Todesurteil gegen Jesus bereute er seine Tat und beging Selbstmord. In der Bibel wird der Verrat des Judas zwar verurteilt, gleichzeitig aber betont, dass der Heilsplan Gottes ihm gar keine andere Wahl gelassen hat. Demnach war es also Gott selbst, der Jesus in die Hände seiner Gegner auslieferte. Für manche christliche Theologen der alten Kirche galt Judas deshalb sogar als Heiliger. Mit der Zeit aber wurde Judas immer mehr zum Prototyp des Judentums, von dem sich die Kirche zunehmend abgrenzte. Wer Judas heute als Schimpfwort verwendet, sollte wissen, dass er damit in der verhängnisvollen Tradition einer christlichen Judenfeindschaft steht - ob gewollt oder nicht. Auch die Begriffe „Judaslohn“ oder „Judaskuss“ werden von Juden aufgrund dieser Geschichte zu Recht als antisemitisch empfunden.

Ich wünsche mir, dass uns die biblische Botschaft der Versöhnung dazu bringt, mit unserer Sprache behutsam umzugehen und niemanden zu verletzen – auch nicht in den Fußballstadien.