Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

„Ausgrenzung und Integration“

von P. Rudolf Decker S. D. B., Wien

 

 

Sonntag, 27.4.2008

Im Unterschied zur westlichen Tradition feiern heute und in den nächsten Tagen die orthodoxen Kirchen ihr Osterfest. Diese zeitliche Verschiebung  verdanken wir religiösen und politischen Streitereien der Christen schon in den Anfängen ihres Weges, welche letztlich zur Spaltung der christlichen Kirchen geführt haben. In der Folge kann man erkennen, dass Ausgrenzungen und religiöse Intoleranz unsere Glaubensgeschichte ständig begleiten. Wir sind irritiert, wenn ähnliches im nächsten Umfeld, etwa in der eigenen Pfarre, geschieht. Viele fühlen sich dort nicht mehr beheimatet. Geänderte Lebensumstände drängen Menschen zu Entscheidungen, welche andere -  oder die offizielle Kirchenleitung  -  nicht gutheißen. Man könnte versucht sein, sich von diesen lästigen  Problemen bloß abzuschotten und das eigene Versagen bei den Ausgegrenzten zu bekämpfen. Anscheinend wird die Reinheit des Glaubens dadurch gewahrt, doch im Inneren verkümmert die Vielfalt des Lebens. Es herrscht gekünstelte Aufregung über den Bau eines Minaretts oder über Kreuze in den Schulen.  Solche Versuchungen zur Ausgrenzung können aber auch Anlässe für bereichernde Neuansätze des Glaubens mitten im heutigen Leben sein.

 

 

Montag, 28.4.2008

Die Bibel berichtet nichts von den ausgrenzenden Hintergründen, welche einst Abraham bewogen hatten, seine Heimat Kaldäa zu verlassen und in die Fremde zu ziehen. Heute will man die Hintergründe meist auch nicht wissen, wenn Menschen aus andern Ländern bei uns nach einem Lebens- und Bleiberecht verlangen. 15 minderjährige Migranten dürfen vorübergehend im Don Bosco Flüchtlingswerk unterkommen, wo ich sie ein Stück mitbetreuen kann. Mit Bedacht trägt diese Wohngemeinschaft den Namen „Abraham“. Wir wollen diesen jungen Menschen mit Wertschätzung begegnen, wenn es um ihre Menschenrechte geht. Ihr Anrecht auf gleiche Bildung zum Zweck ihrer Integration mit allen in Österreich lebenden Jugendlichen wird in unserem Land vielfach ignoriert. Die gesamte EU reagiert mit schroffer Ausgrenzung. Sie interpretiert die Menschenrechte oft gegen die wahren Lebensbedürfnisse dieser jungen Migranten. In schwerster Stunde in der Fremde versicherte Gott dem Abraham, er werde ein Segen für alle Völker sein. Du selbst erkennst spontan eine fremde Frau, einen fremden Mann. Weiche dem Blickkontakt nicht aus. Fremd seid ihr euch beide. Versuche dem Gedanken Raum zu geben: Diese Begegnung könnte wirklich ein Segen sein.

 

 

Dienstag, 29.4.2008

Glaubenswert lässt sich daran testen ob er Lebensangst mindert oder schürt.

In unserer christlichen Tradition kennen wir beides. Die moralisierende Fehldeutung des biblischen Bildes von Himmel und Hölle hat in vielen Menschen von klein auf viel Unheil angerichtet. Die Hölle gilt als schlimmster Ort von Ausgrenzung. Glaube soll aber helfen, Angst so zu integrieren, dass sie zur Triebkraft konstruktiver Lebensgestaltung wird. Damit bedachtsamer umzugehen, sollte ein Übungsfeld für unsere Glaubenshaltung sein. Aus dem Grundvertrauen, dass Gott in seiner Liebe alle Menschen ausnahms- und vorbehaltslos akzeptiert, könnte es doch gelingen, in wertschätzender Neugier, uns den Ausgegrenzten anzunähern. Gehen wir unvoreingenommen fragend aufeinander zu, können sich für beide Seiten neue Erfahrungswelten erschließen.

Wir werden erkennen, wie oft wir uns selbst im Leben täuschen. Und wir werden fähig, in einem konstruktiven Dialog Fehlhaltungen zu korrigieren.

Was denn wäre besser, als dieses Risiko einzugehen, um mit Andersgläubigen, mit illegal gestempelten Zuwanderern, mit in Anstalten abgeschobenen  Rechtsbrechern, den Alten, den Behinderten sogar neue gemeinsame Wege zu entdecken?

 

 

Mittwoch, 30.4.2008

Heute zum Tag und der Nacht der Walburgis wende ich mich einem weiteren Bereich arger Ausgrenzung zu: Frauen leisten mehr als die Hälfte aller von Menschen verrichteter Arbeit, genießen aber bei weitem nicht die Hälfte des Erlöses, der durch Arbeit entsteht. Christlich geprägte Fehlhaltungen erschweren noch immer das mühselige Ringen um die Gleichstellung und Gleichberechtigung der Frauen. Wir wissen vom schrecklichen Exzess der Hexenverfolgungen. Bis zum heutigen Tag reagiert nicht nur die klerikale Männerwelt mit Argwohn, wenn sich Frauen in ihrer Umgebung emanzipatorisch gleichwertig und gleichberechtigt akzeptiert wissen wollen.  Als Religionslehrerinnen bringen Frauen schon über viele Jahre eine neue, gute Qualität der Glaubensunterweisung in den Schulunterricht ein. Doch die Amtskirche blockiert vehement den Zugang der Frauen zu Weiheämtern für die Spendung der Sakramente. Vieles an Gestaltungskraft kommt dadurch nicht zum Tragen. Dem Bibelwort gemäß hat Gott den Menschen gleichberechtigt, gleichwertig als Mann und Frau erschaffen.  Die Forderung der Frauen nach gleichberechtigter Akzeptanz steht dringend im Raum. Gott hat auch ein Wort an uns Männer: „Fürchtet euch nicht!“ davor.

 

 

Donnerstag, 1.5.2008

Tag der Arbeit: Ein emanzipatorischer Feiertag, mit dem die Kirche bis heute nicht viel anzufangen weiß. Die biblische Forderung nach lohngerechter Arbeit ist konsequent mit dem Kampf um Freiheit und Menschenrechte verknüpft. Solchen Bestrebungen stand die Kirche stets skeptisch gegenüber und hatte in den gottlosen Marxisten auch bald ein ausgrenzendes Feindbild gefunden. So entwickelte sich alles gegeneinander. Verhetzt und ausgebeutet in Links- und Rechts-Diktaturen wurden Arbeiterinnen und Arbeiter millionenfach Opfer ungerechter Gewalt. Statt in eine weltweite Solidargesellschaft zu gelangen, diktiert heute der kapitalistisch-neoliberale Weltmarkt die Bedingungen der auf Lohnarbeit angewiesenen Menschen. Nur leistungsstarke Arbeitskräfte sind willkommen. Wer schwach ist, kommt erst gar nicht rein. Ausgegrenzt aus dem Erwerbsleben sterben jährlich um die 30 Millionen Menschen an Hunger.

Viele Christen beteiligen sich an neuen sozialen Netzwerken. Doch die kirchlichen Sozialworte bleiben wirkungslos, weil etablierte Kirchenkreise selbst sie sabotierten, zuletzt die Theologie der Befreiung. Heute solidarisieren sich Kirche und Gewerkschaft zur Rettung des freien Sonntags. Und woran beteiligen Sie sich?

 

 

Freitag, 2.5.2008

Religiöses Leben hebt gern ins Spirituelle ab. Die materielle Seite wird vernachlässigt. Die Abwertung des Leiblichen speziell in Form der Erotik und Sexualität ist auch im Christlichen tief verwurzelt. Ein bedauerliches Kapitel dazu liefert die Verketzerung und Ausgrenzung homosexuell veranlagter Frauen und Männer. Heute weiß man, dass schon Kinder diese andere Zuneigung in sich tragen. Tabus einer heterosexuell dominierten Umwelt erschweren massiv die gesunde Entwicklung der Betroffenen, weil ihnen positive Leitbilder verwehrt sind. Am stärksten mauert noch immer die katholische Kirche. Sie bezeichnet jedwede gleichgeschlechtliche Handlung und Beziehung dieser Menschen als schwere Sünde. Die Angst, dass solche Beziehungen nun eine gleichberechtigte, menschenwürdige Akzeptanz in der Gesellschaft bekommen sollten, weckt neue Homophobien. Immer mehr Christen leben und schätzen dies anders. Man weiß, wie viel menschliche Lebensqualität von homosexuellen Frauen und Männern seit je in den gesellschaftlichen und kirchlichen Kontext eingebracht wird. Es kann kein Fortschritt sein, solch veranlagten Personen ein Leben in Partnerschaft oder den Zugang zu Ordensgemeinschaften und kirchlichen Diensten zu verwehren.

 

 

Samstag, 3.5.2008

Im Verlauf dieser Woche habe ich einige ärgerliche Ausgrenzungs-Aspekte in unserem Alltag, insbesondere im Umfeld unseres Glaubens beleuchtet. Wie wollen wir weiter damit umgehen? Der Kraftaufwand gegen die Vielfalt des Lebens wird sich nicht lohnen. Gehen wir fragend, nicht wertend auf Menschen zu, die zu verstehen uns schwer fällt. Ausgrenzung ist ein Zeichen innerer Schwäche. Der vor 10 Jahren durch das Kirchenvolks-Begehren eingeleitete Dialog wurde von den österreichischen Bischöfen einseitig eingestellt. Es gibt inzwischen weit mehr als eines von den 100 Schafen, welchen nachzugehen Jesus den Hirten der Kirche empfiehlt. Jesus steht nicht im Weg. Selbständig gewordene Christinnen und Christen, ausgegrenzt, drinnen geblieben oder ausgetreten, wollen mit ihrer Mutter Kirche anders umgehen als unmündige Kinder. Ähnliches ist auch den Frauen und Männern in Politik und Wirtschaft ins Stammbuch zu schreiben. Weltweit arbeiten Millionen von Menschen an besseren Rahmenbedingungen für ein integratives Leben in Wertschätzung und Respekt  voreinander. Für Gläubige heißt dies, dass Gottes Geist durch die Menschen am Werk ist. Christen werden hoffentlich nicht die schlechtesten unter ihnen sein.