Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von P. Berthold
Mayr (Wels, OÖ)
Sonntag, 4. 5.2008
Am Ende von Elizabeth Georges
Kriminalroman “Gott schütze dieses Haus“ denkt Inspektor Lynley über
das Beten nach. “Er hatte von Gebeten nie viel gehalten“, heißt es
da“, aber während er jetzt im Wagen saß begann er zu verstehen, was
beten hieß. Es hieß aus Bösem Gutes machen wollen, aus Verzweiflung
Hoffnung, aus Tod Leben. Es hieß, Träume wahrmachen wollen,
Gespenster zu Wirklichkeit machen wollen. Das Leiden enden und die
Freude beginnen lassen wollen.“ Welch ein Unternehmen gegen die
Ohnmacht. Bei dem Mann aus Nazareth klingt das alles ganz
unkompliziert: Wer bittet, der empfängt. Dass es so einfach nicht
ist, weiß jeder, der mit glühendem Herzen die Lippen trocken
gewispert hat und dessen Hoffnungen auf Erfüllung seiner Wünsche
bisher ausgeblieben sind. Böses ist Böses geblieben, Verzweiflung
Verzweiflung, Tod ist Tod geblieben.
Aber verändert das Gebet, wenn
nicht die Situationen, dann doch den Beter selbst, vielleicht ganz
unmerklich? Der dänische Theologe Sören Kierkegaard schreibt: “Als
mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich
immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still.“
Montag, 5. 5.2008
Simone Weil schreibt auf einem
Blatt ihrer Aufzeichnungen: „Liste der Versuchungen - jeden Morgen
wieder - lesen“. Und dann folgt an erster Stelle: „Versuchung der
Faulheit“. Das ist überraschend. Wer das kurze und unruhige Leben
der Philosophin, Lehrerin und Mystikerin kennt, kann sich eine faule
Simone Weil nicht vorstellen. Aber ihre Faulheit ist nicht von der
Art der Versuchung, des Morgens im Bett zu bleiben. Es ist die
„Flucht vor dem wirklichen Leben mit seinen Begrenzungen und der
wesentlichen Begrenzung, der Zeit.“ Und sie fasst den Vorsatz:
„Niemals vor dem Verstreichen der Zeit feige sein. Niemals etwas
aufschieben, was man beschlossen hat zu tun.“
Das klingt nach guten Vorsätzen,
nach solchen zudem, die nicht die geringste Chance haben,
verwirklicht zu werden. Niemals etwas aufschieben, was man
beschlossen hat zu tun - wie soll das gehen inmitten der Hitze des
Tages? „Du brauchst nichts zu bereuen“, fügt Simone Weil an. „Man
muss etwas nach und nach erringen. Und jetzt ist genau der
Augenblick dafür. Aber jetzt muss es sein. Denn sonst läufst du
Gefahr‚ niemals erwachsen zu werden.“ 25 Jahre ist die Philosophin
alt, als sie diese Zeilen notiert. Zu leben hat sie noch ein knappes
Jahrzehnt. Ob sie noch erwachsen geworden ist?
Dienstag, 6. 5.2008
Das Selbstbewusstsein kam ihm aus
allen Knopflöchern. Was ihm nicht alles gelungen sei, und wo er
überall frisch gewagt und haushoch gewonnen habe. Und als ich ihn
irgendwann fragte, was er beruflich mache, da fiel für ihn das
Stichwort. „Ihm sei“, meinte er mit überlegenem Lächeln, noch kein
Samenkorn unter die Dornen gefallen. Er ernte selbst dort, wo er
nicht gesät habe.
Eigentlich kam ich mir schäbig vor.
Ich dachte an all das, was ich angefangen und nicht zu Ende gebracht
hatte. Wie viel war in meinem Leben kometenhaft aufgestiegen und
ebenso schnell wieder in sich zusammengefallen? Statt Prachtbauten
erkenne ich an meinem Lebensweg eher jede Menge Ruinen und
verlassene Baustellen. Bei einem Theologen lese ich: Wir sind immer
zugleich auch gleichsam Ruinen unserer Vergangenheit, Fragmente
zerbrochener Hoffnungen, verronnener Lebenswünsche, vertaner und
verspielter Chancen“. Dieses Wort tröstet mich. Es muss nicht jede
ausgestreute Saat in meinem Leben hundertsechzigfache oder auch nur
dreißigfache Frucht bringen. Neben meinem Versagen und meiner
Unfähigkeit wird es immer auch die Verluste geben, die mir einfach
widerfahren sind, die ich erleiden musste. Es tut gut: Ich darf
Fragment sein.
Mittwoch, 7. 5.2008
Mit dem Bösen ist nicht zu spaßen.
Als Gewalt und Täuschung, als Verführung und Lüge begegnen uns seine
Facetten. Das war schon immer so, und jede Woche sucht nach Wegen,
mit diesem Erbe zurechtzukommen. Im Mittelalter gaben die Menschen
dem Bösen Gesichter, besser wohl: Fratzen. Die Künstler stellten in
Gotteshäusern nicht nur die Abbilder des Heiles dar, sondern auch
des Dämonischen. Als Skulpturen, als Wasserspeier, als Schnitzereien
im Chorgestühl bevölkerte die Höllenbrut die Kathedralen:
Missgestaltete‚ brüllende Löwen oder Affen, von ihren Lüsten und
ihrer Gier deformierte Menschen. Sie sollten abschrecken, die
Gefahren des Lasters vor Augen stellen.
Wir Heutigen sehen in diesen
Fratzen wohl nur noch Kurioses. Ob wir mit dem Bösen besser umgehen
können als die Menschen damals? Ob unser naturwissenschaftliches und
historisches Wissen allein genügt, um die nötige Widerstandskraft zu
entwickeln? Für mich bewahren die fratzenhaften Gesichter ihre
Botschaft: Bleibe wachsam, lasse dich nicht blenden. Und mir fällt
dabei Blaise Pascal ein: „Der Mensch ist weder Engel noch Tier; und
das Unheil will, dass, wer den Engel spielen will, das Tier spielt.“
Donnerstag, 8. 5.2008
Wir leben in einer der sichersten
Gesellschaften aller Zeiten. Trotzdem leiden wir heute mehr unter
Angst als unsere Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, die mit viel
heftigeren Notlagen fertig werden mussten. Depressionen, Stress,
Phobien gelten als moderne Zivilisationskrankheiten. Könnte es nicht
sein, dass das größere Problem unserer Zeit gar nicht zu viel Angst
ist, sondern eine gewisse Art von Angstlosigkeit: Wir ängstigen uns
vor dem Falschen. Wir fürchten uns vor vielem, vor dem wir uns nicht
fürchten sollten. Doch wir fürchten uns oftmals nicht vor dem, wovor
wir eigentlich Furcht haben müssten. Sinnvolle Angst verbreitet
gerade nicht lähmendes Entsetzen, sie stimuliert zur Achtung,
Achtsamkeit, Aufmerksamkeit, Andächtigkeit, Konzentration.
Hochseilartisten werden oft gefragt, ob sie nicht Angst vor dem
Risiko - dem Tod - haben. Sie sagen meistens: Nein, nicht Angst, das
hindert nur. Wohl aber: Respekt, Achtung vor der Herausforderung,
vor der Aufgabe. Vielleicht hängt das Übermaß an Angst doch mit
einem Verlust an Gottesfurcht, das heißt an Ehrfurcht vor Gott
zusammen. Wir fürchten uns vor dem Falschen, vor dem Götzen. Vor
dem, was wir zum Gottesersatz gemacht haben.
Freitag, 9. 5.2008
Wir wollen bei der Fußball
Europameisterschaft Sieger sehen, wir wollen von Siegen schwärmen
und auf der Seite der Sieger stehen.
In jüngster Zeit höre ich - auch in
Predigten - Vergleiche zwischen Fußball und Religion, zwischen der
spirituellen Energie im Stadion und dem liturgischen Geschehen im
Kirchenraum. Was soll das? lm Gottesdienst jedenfalls kann es keine
Sieger und Verlierer geben. Niemand der Teilnehmenden, der
Feiernden, der Betenden verliert. Im Raum des christlichen Glaubens
ist das Spiel bereits entschieden. Der österliche Sieg Jesu über den
Tod wird hier kommentiert. Dabei geht es nicht um Sieger und
Verlierer. Wir sind Eingeladene. Bleibt dann aber noch Raum für
Spannung, von der ein Spiel, manchmal bis zur letzten Minute, lebt?
Paulus ruft uns in einem Brief zum siegreichen Lauf auf. Wir ahnen,
was er damit meint. Bewegung tut immer gut .Doch im Stadionrund des
Glaubens laufen wir nicht gegeneinander, füreinander vielmehr und
manchmal auch „anstatt“. Und so hat die Siegeshymne des Glaubens
einen ganz besonderen Ton. „Meine Gnade genügt dir“, bekam Paulus zu
hören, „denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit“.
Samstag, 10. 5.2008
Artfremd sind sie, die Moscheen und
Minarette. Hochgestellte Leute haben uns die Augen dafür geöffnet.
Aber wissen wir, was artfremd bedeutet? Im Dritten Reich gab es den
Begriff artfremd bereits. Er wurde besonders in Bezug auf Juden,
Roma und Sinti gebraucht. „Mitten unter ihnen, doch nicht von ihrer
Art“ zu sein wünscht sich in „Fast ein Poet“ der Gastwirt Cornelius
Melody. Er findet es also durchaus positiv, von anderer Art zu sein
als sein Umfeld. Artfremd bedeutet eine Eigentümlichkeit, die wir
nicht kennen. Zum Beispiel ein Minarett.
In unserem Land wollen wir
Halbmond, Minarett und Muezzin nicht. Wir wollen trotz Islam „daheim
sein“. Wo kämen wir denn hin wenn, wie im Kalifat Cordoba, Kirchen,
Synagogen und Moscheen im gleichen Ort ständen? Womöglich wären die
Moscheen voll und die Kirchen leer. Der Begriff „artfremd“ hat seine
Vorteile. Alles, was einem nicht passt, kann man unter „artfremd“
subsumieren. Aber sollte sich herausstellen, dass dieses engstirnige
“Mir-san-mir-Denken tatsächlich mehrheitlich unsere „Art“ ist, dann
- ja dann müsste man eigentlich stolz sein, artfremd zu sein.
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