Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Elisabeth Rathgeb, Pastoralamtsleiterin der Diözese Innsbruck

 

 

Sonntag, 18. Mai 2008

Angst ist das Gegenteil von Glauben

Vor kurzem war Bischof Erwin Kräutler bei uns in Innsbruck zu Gast. Der gebürtige Vorarlberger lebt und arbeitet seit über 40 Jahren in Brasilien am Amazonas. In seinem Einsatz für die Armen und gegen die Zerstörung des Regenwaldes hat er sich die Feindschaft der Großgrundbesitzer zugezogen.

Bei einem Anschlag auf ihn starb ein Mitarbeiter. Eine Ordensfrau wurde vor 3 Jahren ermordet. Seither häufen sich auch die Todesdrohungen gegen ihn wieder. Seit 2 Jahren lebt er unter ständigem Polizeischutz. Erst vor kurzem wurde ein Kopfgeld von 350.000 Euro auf ihn ausgesetzt.

Bischof Erwin war eingeladen über "Glaube und Gerechtigkeit" zu sprechen.

Wir wollten natürlich wissen, wie man mit dieser ständigen Bedrohung leben kann: Auf die Frage "Haben Sie Angst?", antwortet Bischof Kräutler: "Angst ist das Gegenteil von Glauben." Daher kommt für ihn eine Flucht auch nicht in Frage. Seinen Mut schöpft er aus dem Glauben, seine Kraft aus dem Gebet: "Ich bete immer bevor ich etwas anprangere. Damit ich das rechte Wort am rechten Ort sage."

Das rechte Wort am rechten Ort sagen - das ist eine Gabe des Heiligen Geistes. Auch Mut, Kraft, Besonnenheit, Friede, Freude und Liebe zählen dazu.

Hier wird der Heilige Geist konkret. Hier wird der Glaube an den dreifaltigen Gott konkret. Auch im Jahr 2008.

 

 

Montag, 19. Mai 2008

Mit dem Leben bedroht

"Sie wurden immer wieder mit dem Leben bedroht." So stand es kürzlich in einem Interview mit Bischof Erwin Kräutler in einer Tiroler Tageszeitung zu lesen. Der Schreibfehler hat mich zum Lachen gebracht, obwohl der Inhalt keinen Anlass zur Heiterkeit gibt: Es geht um Morddrohungen und Kopfgeld-Prämien.

"Sie wurden immer wieder mit dem Leben bedroht." Wie das wohl geht?

Vielleicht hat der Journalist zu viel Sigmund Freud gelesen, der ja dem "Todestrieb" einen ganz hohen Stellenwert einräumt: Wenn der Todestrieb stark ist, ist das Leben eine Bedrohung.

Vielleicht steckt auch Oscar Wilde dahinter, der einmal gemeint hat: "Die meisten Menschen leben nicht, sie existieren nur." Ich teile diese pessimistische Einschätzung nicht. Die meisten Menschen, die ich kenne, wollen etwas aus ihrem Leben machen. Sie wollen es bewusst und aktiv leben, sie wollen es gestalten und in die Hand nehmen. Trotzdem tauchen manchmal Gefühle auf, sich nur noch im Hamsterrad zu drehen. Oder Gefühle der Ohnmacht und des Hilflos-Ausgeliefert-Seins. Aber vielleicht sind gerade das die Phasen, in denen Leben mehr wird als nur Existieren: Zum Leben gehören Licht und Schatten wie Tag und Nacht. Sie machen das Leben ganz und rund. Und dann kann nicht einmal mehr der Tod das Leben bedrohen.

 

 

Dienstag, 20.5.2008

Gott hat noch etwas Besseres für dich

"Gott gibt auf jede Bitte eine von drei Antworten: „Ja, noch nicht, ich habe etwas Besseres für dich." (unbekannt)

Gott gibt auf jede Bitte eine Antwort - das setzt voraus, dass ich an einen gegenwärtigen Gott glauben kann. Einen Gott, der hier und jetzt präsent ist - keinen Gott der Vergangenheit, dessen staubiges Bild irgendwo im Museum hängt. Wenn Gott auf jede Bitte eine Antwort gibt, dann ist es ein hörender Gott und ein interessierter Gott - kein gleichgültiger, kalter und abwesender Gott. Dann ist es ein Gott, mit dem man reden kann: Ein Gegenüber, ein Gesprächspartner für alle Lebenslagen.

Gott gibt auf jede Bitte eine von drei Antworten: „Ja, noch nicht, ich habe etwas Besseres für dich.“

Gott ist also kein Münzautomat, in den ich etwas einwerfe, das Programm einstelle und dann spielt er das Stück meiner Wahl. Im Gespräch mit Gott muss ich damit rechnen, dass die Antwort nicht nach meinem Geschmack ist. Aber wie in jedem guten Gespräch mit einem wohlmeinenden Gegenüber kann ich davon ausgehen, dass eine ablehnende Antwort nicht mein Unglück will, sondern eine langfristig gute Perspektive für mich im Auge hat: „Warte noch ein bisschen“. Oder: „Ich habe etwas Besseres für dich“. Wenn sich also heute etwas nach allen Seiten spießt und wehrt, könnte es gut sein, dass die Zeit dafür einfach noch nicht reif ist. Oder: Gott hat noch etwas Besseres für dich und mich.

 

 

Mittwoch, 21.5.2008

Besser die Hände gefesselt als der Wille

Heute ist Gedenktag für Franz Jägerstätter - Bauer und Mesner aus St. Radegund in Oberösterreich, von den Nationalsozialisten wegen "Wehrkraftzersetzung" zum Tod verurteilt und im August 1943 enthauptet. Am Nationalfeiertag 2007 ist er selig gesprochen worden.

Als Gedenktag für Franz Jägerstätter ist nicht sein Geburtstag oder sein Todestag gewählt worden, sondern sein Tauftag: Die Kraft für seinen Widerstand hat Franz Jägerstätter aus seinem Glauben und seiner Überzeugung geschöpft, dass es Dinge gebe, wo man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen. So schreibt er in einem Brief aus dem Gefängnis knapp vor seinem Tod: "Werde hier nun einige Worte niederschreiben, wie sie mir gerade aus dem Herzen kommen. Wenn ich sie auch mit gefesselten Händen schreibe, aber immer noch besser, als wenn der Wille gefesselt wäre. Offensichtlich zeigt Gott manchmal seine Kraft, die er den Menschen zu geben vermag, die ihn lieben und nicht das Irdische dem Ewigen vorziehen. Nicht Kerker, nicht Fesseln, auch nicht der Tod sind es imstande, einen von der Liebe Gottes zu trennen, ihm seinen Glauben und den freien Willen zu rauben."

Der Glaube an Gott und die innere Freiheit sind für Franz Jägerstätter untrennbar miteinander verbunden.

Wieviele äußere Fesseln rauben uns heute unsere innere Freiheit?

 

 

Donnerstag, 22.5.2008

Was bedeutet "Fronleichnam"? Keine Angst, wenn Sie hier eine Wissenslücke haben sollten: In den Morgengedanken hören Sie in Kurzfassung etwas über den Hintergrund des heutigen Feiertags und sind damit für allfällige Fragen gut gerüstet...

Heute ist Fronleichnam. Die Übersetzung dieses Wortes wäre eine gute Frage für die Millionen-Show: Was bedeutet Fronleichnam? Bevor Sie heute einem Reporter in die Hände fallen und sich mit der Antwort retten: "Ein arbeitsfreier Donnerstag", hier die Übersetzung aus dem Mittelhochdeutschen: Fron kommt von "Herr" und Leichnam von "Lichnam" - aber Achtung, nur jetzt keinen falschen Schluss: Lichnam ist nicht die Leiche, der tote Leib des Herrn, sondern das genaue Gegenteil, nämlich ein "lebendiger Leib". Es geht also um den "Lebendigen Leib des Herrn." Theologisch könnte man sagen, Fronleichnam ist das Hochfest des Leibes und Blutes Christi. Einfacher erklärt geht es um ein Fest der lebendigen Gegenwart Gottes. Deshalb gibt es heute auch im ganzen Land viele Prozessionen: Auf dem Weg durch Dörfer und Städte wird deutlich: Gott ist auch in unserem Alltag gegenwärtig. Gott zeigt sich an vielen Orten unseres Lebens. Menschen, die sich an Prozessionen beteiligen, würde man in anderen Zusammenhängen wohl als "Demonstranten" bezeichnen. Im Wort "Demonstrant" steckt das Wort "Monstranz": Das ist der kunstvolle Schrein für das Allerheiligste - die Hostie, den Leib des Herrn.

Wenn die Monstranz heute durch unsere Städte und Dörfer getragen und von vielen Menschen begleitet wird, ist es also ein Zeichen: Menschen zeigen ihre Verbundenheit mit der lebendigen Gegenwart Gottes.

 

 

Freitag, 23.5.2008

Es blüht hinter ihm her

"Es blüht hinter ihm her." Diese eigenartige Formulierung stammt von der Dichterin Hilde Domin. Gerade jetzt im Mai fällt sie mir immer wieder ein, wenn rundherum der Frühling seine Blütenpracht entfaltet. "Es blüht hinter ihm her" klingt fremd. Vertrauter sind uns Formulierungen wie: "Er hinterlässt eine Spur der Verwüstung" oder "Sie hinterlässt einen Scherbenhaufen". Oder "nach mir die Sinflut".

Solche Hinterlassenschaften haben etwas Zerstörerisches. Es wächst nichts mehr.

Was für den einzelnen gilt, kann auch für eine ganze Gesellschaft gelten: Unser Lebensstil in Europa und Nordamerika verbraucht einen Großteil der Ressourcen der Welt. Nachfolgende Generationen müssen ausbaden, was wir ihnen heute hinterlassen.

In Indien gibt es eine alte Volksweisheit: Bedenke die Folgen einer Entscheidung bis in die 7. Generation nach dir. Bei uns würde man diese Einstellung wohl mit "Nachhaltigkeit" übersetzen. Poetischer formuliert es Hilde Domin mit dem schon erwähnten Zitat: „Es blüht hinter ihm oder ihr her“.

Eine blühende Landschaft hinterlassen - das ist keine Frage des Lebensalters, das geht zu allen Jahreszeiten und in allen Lebenslagen. Auch wenn nicht alles im Leben gelingt, manches Brachland bleibt und einiges auf den Kompost muss: Wo blüht es hinter Ihnen schon her?

 

 

Samstag, 24. Mai 2008

Am Anfang ist die Sehnsucht

"Wir kommen, wohin wir schauen," sagt der Philosoph Heinrich Spaemann.

Sie meinen, für diese Erkenntnis müsse man kein Philosoph sein, das könnte auch ein Bergführer sagen? Viele Bergführer sind auch Philosophen und wissen, dass es in einer steilen Wand keinen Sinn macht, in den Abgrund zu schauen. Den Weg zum Gipfel findet man dort nicht. Genauso gefährlich kann es aber auch sein, nur auf den Gipfel in der Ferne zu schauen und den unmittelbaren nächsten Schritt unachtsam zu setzen.

Wir kommen, wohin wir schauen - wenn das so einfach wäre: Manchmal ist das Leben unübersichtlich und die Richtung, in der es weiter gehen soll, alles andere als klar. Wohin will ich? Was macht Sinn?

Ein Leitfaden zur stimmigen Antwort kann die Sehnsucht sein: Die Sehnsucht ist der Anfang von allem. Sagt zumindest Nelly Sachs. Wonach und worauf richtet sich meine Sehnsucht? Es lohnt sich, dieser Sehnsucht nachzuspüren, ihr auf die Spur zu kommen. Wohin führt sie mich? Die Sehnsucht als ganz persönlicher Kompass zeigt eine Richtung an, in die es sich zu leben lohnt. Damit die Sehnsucht aber nicht zur Sucht wird, braucht sie einen, der sie auffängt: Einen, der auch die unerfüllbaren Sehnsüchte aufhebt. Hier kommt Gott ins Spiel, und der Kreis schließt sich: Wir kommen, wohin wir schauen. Die Sehnsucht nach Gott ist ein immerwährendes Gebet. (Augustinus)