Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Abt Heinrich Ferenczy, Benediktinerstift St.Paul/Lavanttal, Kärnten

 

 

1. Juni 2008

Was ist besser: Jedem Streit auszuweichen oder sich einem Problem, einer Frage, zu stellen, wenn es um Überzeugungen und Wahrheiten geht, an denen uns etwas liegt?

Es ist sicher nicht leicht, sich für etwas einzusetzen, was gegen den ‚Trend’ gerichtet ist, wobei einem ein recht frischer Wind ins Gesicht blasen kann. Hinter allem, was die Welt wirklich bewegt hat, standen Menschen, die sich für eine Sache oder eine Überzeugung mit ihrer ganzen Persönlichkeit eingesetzt haben.

Diese Erfahrung gilt auch für die Heilsgeschichte in der Bibel: In ihr ist immer wieder von Konflikten, von Streitigkeiten die Rede.

Ebenso sind die Anfänge der Kirche mit zum Teil recht heftigen Kontroversen verbunden: Der Erzmärtyrer Stephanus musste sich mit verschiedenen Strömungen seiner Zeit auseinandersetzen und büßte dafür mit seinem Leben. Auch der Völkerapostel Paulus trat gegen traditionalistische Auffassungen auf, die den Heiden, die zum Christentum kamen, das ganze ‚Gesetz’ der damaligen Tradition aufnötigen wollten. – Kompromisse um jeden Preis können nicht gut sein. Ein fauler Friede hält nie lange.

 

 

2. Juni 2008

Wenn wir in dieser Woche über den Streit nachdenken, geht es auch um die alltäglichen, oft recht banalen Auseinandersetzungen: Auch bei diesen ist es besser, sich zu einem ehrlichen, offenen Wort durchzuringen als Unangenehmes nur hinunterzuschlucken. Selbstverständlich muss ein offenes Wort nicht zur Lösung oder zur Eintracht führen. Aber wir wissen, wie wir dran sind und können weiter über die eine oder andere Frage nachdenken. Wenn Probleme nicht angesprochen werden, können sie sich zu schwereren Konflikten auswachsen.

Solche Alltäglichkeiten sind zum Beispiel: Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Treue im Kleinen, Genauigkeit und Sorgsamkeit bei der Arbeit. Wie können uns Menschen auf die Nerven gehen, die ständig zu spät kommen, auf die wir uns nicht verlassen können, die lässig und schlampig arbeiten?

Im 16. Kapitel des Evangeliums nach Lukas steht der Satz: „Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu; und wer im Geringsten ungerecht ist, der ist auch im Großen ungerecht.“

Ehrliche, offene Menschen schätzen wir sicher viel mehr als solche, die nie etwas sagen, bei denen wir uns nicht auskennen. Selbstverständlich ist es immer klüger, die Emotionen nach Möglichkeit zu zügeln als so einfach ‚herauszuplatzen’. Aber das gelingt uns oft nicht so ohne weiteres. Das ist nur allzu menschlich.

 

 

3. Juni 2008

Die Anfänge der Kirche sind mit so manchen Streitigkeiten verbunden: Es ging vor allem darum, ob die Heiden, die Christen werden wollten, die ganze Tora, das Gesetz des Mose, befolgen müssen: Dazu gehörte die Beschneidung, gehörten die Sabbatgebote und zahlreiche rituelle Vorschriften. Aller Anfang ist schwer! Die Pioniere des christlichen Glaubens hatten es da nicht leicht. Aus diesen Streitigkeiten ist jedoch etwas sehr Wertvolles hervorgegangen: Die Toleranz gegenüber anderen Völkern, Sprachen und Kulturen. Allen voran ist der Apostel Paulus mit ganzer Kraft dafür eingetreten, alles Trennende, Überholte, fallen zu lassen. Es genügen die Taufe und das Bekenntnis zu Christus, um Christ zu sein. Es ist ja überhaupt viel wichtiger, das Gemeinsame, das Verbindende zu suchen als immer nur Einzelheiten hervorzuheben, die das Besondere herausstreichen sollen.

Wenn Gott der Schöpfer aller Menschen ist, haben wir kein Recht, andere nur deshalb auszugrenzen, weil sie eine andere Weltanschauung vertreten. Richtig verstandenes Christentum ist ‚katholisch’, also allesumfassend, universal und nicht separatistisch und schon gar nicht fundamentalistisch. – Wenn jemand einen anderen Glauben vertritt als wir, ist er zwar ‚andersgläubig’, aber nicht ‚ungläubig’.

 

 

4. Juni 2008

Ein sehr markanter lateinischer Ausspruch lautet: „Tot capita, tot mentes!“ Wie viele Köpfe, so viele Meinungen! Wir Menschen sind eben sehr verschieden: Schon in unserem Äußeren, in unserer Art und Weise zu sprechen, uns zu bewegen. Dies gilt besonders für bestimmte Ansichten, die wir uns zurechtgelegt haben: Denken wir an unsere politische Ausrichtung oder unsere weltanschauliche Überzeugung, die auch innerhalb eines bestimmten Bekenntnisses recht unterschiedlich sein kann.

Das ist weder sehr verwunderlich, noch kann es schlecht sein. Jeder bildet für sich eine eigenständige Person, die mit speziellen Fähigkeiten ausgestattet ist. Das allein genügt jedoch nicht. Ebenso wichtig ist es, sich mit anderen Ansichten auseinanderzusetzen, um das eigene Denken zu vertiefen und zu erweitern. Ein zu enger Horizont macht uns blind für die Anliegen unseres Nächsten. Es wäre eigenartig, wenn es dabei nicht zu ‚Kollisionen’ käme. Manchmal müssen wir liebgewordene Gedanken aufgeben, weil sie überholt und nicht mehr haltbar sind; es kann aber auch sein, dass wir in unserer Meinung bestätigt werden.

Der ganze Reichtum unseres Denkens wäre nicht möglich, wenn es im Lauf der Geschichte nicht gelungen wäre, unter den Menschen viel Gemeinsames zu entdecken.

 

 

5. Juni 2008

Ist der Satz des Heraklit von Ephesus richtig: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“? Ist ein Krieg, eine gewalttätige Auseinandersetzung notwendig, um Neues hervorzubringen? Revolution statt Evolution? Gewaltsame Veränderung der Situation statt einer allmählichen, langsamen und friedlichen? Kann der Weg, der mit kriegerischen Handlungen verbunden ist, der richtige Weg sein?

Die kämpferische Auseinandersetzung mit Waffen ist sicher die krasseste Form, Konflikte lösen zu wollen. Es ist keine Frage, dass im Zuge von Kriegen manchmal auch Neues entstehen konnte. Aber hat es wirklich so sein müssen?

Zweifellos gehört der Krieg zu den größten aller Übel. In unserer Zeit, in der ein Krieg unfassbar zerstörerische Dimensionen annehmen kann, ist es unverantwortlich, kämpferische Handlungen vom Zaun zu brechen.

Ist es da nicht viel besser, wenn in den verschiedenen Parlamenten und Sitzungsräumen der heutigen Welt, mit Worten gestritten wird, als dass Mittel der Gewalt angewandt werden?

Leider ist eine ‚messianische Sicht’ dieser Welt eine fromme Utopie; wie schön wäre es, wenn sich die Vision bei Jesaja vom Friedensfürsten verwirklichen ließe, dass ‚des Friedens kein Ende wäre’ (Jes 9, 6 ). Für den Frieden müssen wir eben bis heute auch ‚streiten’ – aber hoffentlich nicht mit Gewalt.

 

 

6. Juni 2008

Stimmt die Behauptung: „Der Gescheitere gibt nach?“ Kann es nicht durchaus der ‚Dümmere’ sein, der nachgibt? Es kommt darauf an, worum es geht: Geht es um Nebensächlichkeiten, Kleinigkeiten, wird es nicht sehr klug sein, herumzustreiten. Es gibt streitsüchtige Menschen, die jede Gelegenheit benützen, sich mit anderen anzulegen, immer Recht haben wollen und nicht zugeben können, dass sie vielleicht einmal etwas Falsches gesagt oder getan haben. Da ist es sicher besser nachzugeben. Der Konflikt liegt da meistens in ihnen selbst, den sie mit sich austragen müssen.

Es gibt aber auch eine falsche Nachgiebigkeit: Wenn Erzieher den ihnen Anvertrauten keine Grenzen setzen, wenn es um wesentliche Werte des menschlichen Lebens geht, um Ehrfurcht vor der Person und seinen Anschauungen. Da kann es geradezu fatal sein, nachzugeben.

Es gibt den Ausspruch: „Wer der Jugend keine Grenzen setzt, treibt sie ins Unglück.“ Da geht es nicht um Freiheitsberaubung oder Einengung selbstverständlicher Rechte des heranwachsenden Menschen. Es geht viel eher darum, vor einem größeren Unglück zu bewahren und Freiheit von Freizügigkeit, von schrankenloser Freiheit, zu unterscheiden. Freiheit hört immer dort auf, wo die Freiheit des Anderen beeinträchtigt wird.

 

 

7. Juni 2008

Worum müssen wir in unserer Zeit besonders streiten? Allem voran um einen persönlichen Freiheitsraum. Der ‚moderne Mensch’ hat viel zu wenig Zeit für sich selbst, viel zu wenig Muße für gehaltvolle Lektüre, für Meditation und Betrachtung, also für innerliches Gebet, aber auch zu wenig Zeit für Andere. Wie erfrischend können echte, offene Gespräche sein!

Der moderne Mensch muss sich wehren gegen die Flut von Informationen und Werbeslogans, gegen die Verhetzung durch manche Medien und deren sehr häufig negativ ausgerichteten Tendenzen. Sicher ist es heute nicht leicht, anspruchsvoll zu berichten und zu informieren.

Der kritische Mensch unserer Tage steht in einem Spannungsfeld zwischen dem Wohlstand der westlichen Gesellschaft und dem ständig zunehmenden Elend in weiten Teilen der Welt. Wie haben Geschäftemacher und Materialisten ärgster Sorte die Ressourcen der Erde jetzt schon ausgebeutet? Wie soll es weitergehen? Wird der trostreiche Spruch gelten können: „Unverhofft kommt oft?“ Lösungen für zahlreiche Probleme werden nicht ohne – schwere – Konflikte möglich sein. Unsere Aufgabe kann nur darin bestehen, im ‚Kleinen’ unsere Umgebung auf so manches immer wieder aufmerksam zu machen. Wir müssen oft ‚unbequem’ sein, womit wir nicht selten Konflikte heraufbeschwören. Das Ziel lautet: Umdenken auf zahlreichen Gebieten unseres Lebens. Dafür müssen wir streiten.