Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrer Christoph Pelczar (Weikendorf, NÖ) und Euro-Pfarrer

 

 

Sonntag, 22.6.2008

Am Fußballplatz sehen wir mehr als ein 105 Meter langes und 68 Meter breites Rechteck. Wir sehen Entscheidungen und Grenzen, Hektik, Lärm und Stille, wir sehen Würde und ihre Verletzlichkeit, wir sehen Verzagen, Jubel und Aufbruch, Abseits und Ignoranz, Glaube, Liebe und Hoffnung. Ja wir erspüren schließlich den alles tragenden, Sinn gebenden Grund: Gott. Wir sehen Bilder des Lebens, des Menschseins selbst.

Ein Fußballplatz ist mehr als ein 105 Meter langes und 68 Meter breites Rechteck.

Das Spiel ist immer unterwegs. Es lässt immer den Raum zu für Jubel wie für Bitterkeit. Am Rasen herrscht nicht das Festgelegte. Am Platz spielt die Freiheit.

Auch das Leben ist ein ständiges Unterwegssein. Denn der Mensch ist sich nicht einfach gegeben, er ist sich aufgegeben und muss sich erst vollbringen.

Wenn wir den Fußballplatz genauer betrachten, sehen wir grundlegende Fragen des Menschseins selbst. Vielleicht lassen sich dann am Kickerrasen Bilder und Wegweiser für das Unterwegssein zum gelebten Menschsein in seiner Fülle und Gänze ausmachen. Lassen wir uns also ein auf das Spiel! Nehmen wir den Ball zum ganzen Menschsein an!

 

 

Montag, 23.6.2008

Werfen wir einen Blick auf das Tor am Fußballplatz. Was sehen wir da? Wir sehen mehr als ein weißes Rechteck mit einem Netz. Wir sehen eine Gabe zum Bollwerk der Offenheit. Ganz wie im Leben.

Die Tormänner sind die Helden zwischen den Pfosten, die Gralshüter auf dem Felde. Mit unerklärbaren Reflexen wehren die Hüter des Tores den Angriff ab. Grübeln und Nachdenken ist hier fehl am Platze, wenn ein wuchtiger Kopfball aus dem Strafraum entgegenschnellt. Es ist eine Gabe, Hand und Fuß zur rechten Zeit zur rechten Stelle zu haben.

Das Leben selbst ist Gabe, ist Geschenk, das uns gewährt ist. Oder wurde je ein Mensch gefragt, ob er ins Dasein kommen will? Oder ist das Hineintreten ins Licht der Existenz ein Herstellbares? Nein. Jede Geburt, das heißt jeder Aufgang einer neuen Welt, ist gewährte und geschenkte Gabe, durch die das Gnadenreiche strömt.

Der Narziss will das Geschenk des Lebens im Säurebad der Selbstbespiegelung zersetzen. Aber auch er kann das wundersame Geschenk aller Geschenke nicht einholen: Dass überhaupt etwas ist. Und nicht nichts. Im Staunen und sich Freuen darüber ereignet sich Schöpfung. Schöpfung, das ist nicht irgendein Knall vor Millionen von Jahren, sondern heißt, sich in Offenheit davon durchströmen lassen, dass wir sein dürfen mit anderen in der Welt.

Bauen wir im offenen Hinhören auf die Gabe des Seindürfens ein Bollwerk des Lebens!

 

 

Dienstag, 24.6.2008

Werfen wir einen Blick auf den 5-Meter-Raum. Was sehen wir da? Wir sehen Hektik, Lärm und Stille. Ganz wie im Leben.

Was für ein Gedränge! Eine ganze Traube von Beinen verknotet sich zu einem

Knäuel, Offensive und Defensive bilden ein Gewirr, durchdringbar nur für das geschulte Auge. Dem Drängen der Gefahr sind Lärm und Hektik ständige Begleiter, in der Ruhe wächst das Rettende.

Ruhe und Gelassenheit: Das bedeutet nicht Lethargie und Langsamkeit, sondern Konzentration auf das Wesentliche und Eigentliche, auf das, worauf es im Spiel und Leben in erster Linie ankommt. Wenn der Lärm der Alltäglichkeit die Ruhe des Sammelns und Gesammeltseins erstickt, bricht der Schatten der Heimat- und Aufenthalts- und Ziellosigkeit herein: Man ist überall und nirgends zugleich. Unter den Füßen entgleitet der Boden.

Und oft schimmert gerade dann das Rettende durch: Stille. Sie ist eine ganz besondere Weise des Verbundenseins mit allem, was ist. Wie bei einer schweißtreibenden, die Grenze der Erschöpfung antastenden Bergbesteigung: Und dann, wenn der Fuß den Gipfelfels und die Hand das Kreuz berühren, die Augen sich schließen und jeder Atemzug hörbar wird: Dann ist Stille. Hören wir auf die Stille! Sie hat etwas zu sagen! Sie singt das Lied des Verbundenseins mit anderen, mit der Welt, mit mir selbst!

 

 

Mittwoch, 25.6.2008

Werfen wir einen Blick auf den Elferpunkt. Was sehen wir da? Wir sehen mehr als einen weißen Kalkpunkt. Wir sehen Verletztsein, Foul und Würde. Ganz wie im Leben.

Fouls am Menschsein werden tagtäglich verübt. Oft im Verborgenen und Stillen, systematisch und dauerhaft, oft aber auch direkt. Oft wird weggeschaut, oft wird zugeschaut, zu selten wird dem Foul die rote Karte gezeigt.

Wann wird der Mensch als Mensch verletzt? Immer dann, wenn die Würde des Menschen nicht anerkannt wird, wenn sie angegriffen wird. Der Mensch als Mensch hat Würde und ist Person, weil er ein Freiheitswesen ist, das zum Vollbringen des Guten befähigt und zugleich aufgefordert ist. Würde und Personsein, das sind keine Eigenschaften, die der Mensch gewinnen oder verlieren könnte, sondern Grundzüge, die allen Menschen schlechthin zukommen.

Würde kann dem Menschen nicht entzogen werden, weil sie mit seinem Existieren unantastbar, untrennbar verbunden ist. Der Vollzug unserer Personalität ist uns unbedingt aufgegeben: Das Gute zu tun, das Böse zu meiden.

Hören wir auf das, was uns Menschen allererst zu Menschen macht! Seien wir wachsam  und entschlossen, Verletzungen der Würde des Menschen entgegenzutreten!

 

 

Donnerstag, 26.6.2008

Werfen wir einen Blick auf die beiden Hälften am Fußballplatz. Was sehen wir da? Wir sehen einen Hochseilakt, der zwischen Eigenem und Fremden balanciert. Ganz wie im Leben.

Dass der Platz zwei Hälften hat, ist das Selbstverständlichste. Dass die eigene Hälfte nur die eigene sein kann, wenn es eine andere gibt, auch. Das Eigene kann nicht im Anderen aufgelöst werden. Und doch sind beide aufeinander bezogen, brauchen einander, um das zu sein, was sie sind.

Liebes-Leid und Lust: Kein anderes Phänomen lichtet den Hochseilakt zwischen dem Eigenem und  Anderen so durchdringend. Eine Liebe, die bloß das Eigene durchsetzt und den Anderen zur Kolonie machen möchte, eine Liebe, die den Geliebten ein- und unterordnen will und damit sein Selbstsein auflöst, ist überhaupt keine Liebe. Sie zerschellt an der Klippe des Unvermögens, den Raum für die Einzigartigkeit des Anderen anzuerkennen.

Eine Liebe, in der der Liebende sich selbst verleugnet, selbst klein macht und knechtet, ist überhaupt keine Liebe. Sie zerschellt an der Klippe des Unvermögens, das Eigene annehmen zu können.

Lassen wir uns ein auf die Liebe! Sie ist weder die Kolonialisierung des Geliebten noch ein Sich-selbst-Durchstreichen!

 

 

Freitag, 27.6.2008

Lassen wir uns mitreißen, wenn ein Tor erzielt wird. Was sehen wir da? Wir sehen Freude, Begeisterung, das Feiern von Festen. Ganz wie im Leben.

Tor, Tor, Tor, tönt es überall. Jubelgesänge stimmen die Loslösung von allen Schranken an, von aller Einengung, aller Sorge, aller Furcht. Im Lachen wird die Welt zur Sonne, in den Tränen planscht die Welt im Trüben.

Zum Menschsein gehört das Gefühl immer schon dazu. Nicht nachträglich, sondern von je an. Gefühle sind eine Art Filter, durch die alle Welt- und Selbsterfahrung strömt. Wer weltoffen existiert, hat einen durchlässigen Gefühlsfilter für das Schöne, das Lachen, das Festliche. Wessen Weltbezug – und damit auch immer Selbstbezug – eingeengt, erschüttert, verletzt, beschädigt ist, lässt das Schöne und Feierliche und Unbeschwerte gar nicht an sich heran, weil es nicht durch den Filter der dunklen Gestimmtheit dringt.

Es gilt, das Menschsein in seiner Weite und Tiefe selbst zu zelebrieren. Es gilt, in unserem Sein selbst das Fest zu sehen. Nicht die bloße Erlebnisjagd bringt das Lachen. Sondern die Begeisterung über das eigentliche Wunder, das Wunder aller Wunder: Dass wir sein dürfen. Dass unser Seindürfen einen Sinn haben darf.

 

 

Samstag, 28.6.2008

Werfen wir einen Blick auf das Stadion. Was sehen wir da? Wir sehen mehr als ein bloßes Bauwerk. Wir sehen das Ganze. Ganz wie im Leben.

Was wäre der Fußball ohne Zuschauer, ohne Fans? Was wäre das Fußballfeld ohne das Stadion, ohne die Arena? Das Stadion verleiht schlechthin allem Geschehen erst das Ganze und den Raum. Es ist das, was gar nicht übersehen werden kann. Wer es übersieht, übersieht das Offensichtlichste, wie der Nachtvogel, der das Hellste, der die Sonne, nicht erkennt. Es ist das, was der Mensch nicht ergreifen, nicht umgreifen kann. Dafür ist es viel zu groß.

Der allen Sinn und alles Sein Schenkende, der tragende Grund von allem, der alles erst ganz werden lässt: Gott, der der Welt und den Menschen als Personen Sein und Sinn stiftet, sie freigibt, ihnen ihr Selbstständigsein eröffnet.

Dieser Grund ist nichts Unpersönliches. Der Mensch kann Gott anrufen und ansprechen, der Mensch ist sich aufgegeben zum offenen Hören auf Sein Wort. Gott, der alles Geschaffene schlechthin übersteigt, bietet sich von sich aus an, Dialogpartner zu sein.

Dieser Grund ist kein Lückenbüßer. Er füllt nicht die Lücken des Alltäglichen, sondern trägt alles. Sich ergreifen lassen im Hören auf Ihn, ist der Sinn des Menschseins.

Lassen wir uns ein auf den eigentlichen Grund des Menschseins!