Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Helga Kohler-Spiegel
Sonntag, 29. Juni 2008
Vor kurzem wurde ich gefragt, woran ich denn am Morgen als erstes denke,
wenn ich aufwache. Und die Frage begleitet mich seitdem. Manchmal
ist es ein Traum, der am Morgen noch nachklingt. Etwas schräg
vielleicht, verwirrend, manchmal auch ganz unbeschwert. An manchen
Tagen stellt sich beim Aufwachen bereits eine Unruhe ein: Ein
schwieriges Gespräch, eine anstrengende Aufgabe stehen bevor.
Manchmal fallen mir beim Aufwachen bereits die Sorgen wieder ein,
mit denen ich eingeschlafen bin – zumindest hat die Nacht ein paar
Stunden Ruhe erlaubt. Und manchmal wache ich auf, der Tag fängt noch
gar nicht an, ich höre Vogelstimmen vor dem Fenster, finde es
wunderbar, und schlafe noch ein wenig.
Vielleicht haben Sie beim Aufwachen eines der Kinder im Bett, weil es
nicht schlafen konnte oder wollte. Vielleicht genießen Sie es,
alleine aufzuwachen, oder genau nicht alleine aufzuwachen.
Heute ist Sonntag – ich hoffe und wünsche Ihnen, dass Ihre ersten
Gedanken heute beim Aufwachen erfreuliche, stärkende Gedanken sind.
Montag, 30. Juni 2008
Es gibt kurze Texte, einzelne Gedanken, die uns anregen, die den Blick
öffnen können. Petrus Ceelen, Seelsorger im Großraum Stuttgart, hat
solche kleinen Texte geschrieben:
Weißt du,
wann du in deinem Leben
am glücklichsten warst?
Dann weißt du auch,
wie wenig du brauchst,
um glücklich zu sein.
Ich erinnere mich, wie wenig wir in jungen Jahren brauchten, um glücklich
zu sein. Eine kleine Wohnung, das Auto mehr fahrbarer Untersatz als
wirklich Auto, ohne Radio, dafür haben wir bei unseren Fahrten
gesungen. Die Speisen waren einfach, die Kleidung billiger.
Es geht nicht darum, etwas in die Vergangenheit hinein zu idealisieren.
Es ist auch wunderbar, guten Wein zu trinken, verschiedene Sorten
Brot und Wurst und Käse zu genießen. Und doch – ein Stachel bleibt:
Was macht mich heute glücklich? Was brauche ich, um an einem Abend
sagen zu können: Heute war ich – irgendwie – glücklich.
Dienstag, 1. Juli 2008
Vermutlich kennen Sie das auch, wenn wir damit konfrontiert sind, dass
Menschen, die uns lieb sind, dass Menschen, die wir kennen, schwer
erkranken. Oder dass sich Paare, die wir kennen, trennen, dass
Kinder schwierige Wege vor sich haben.
Bei Petrus Ceelen habe ich den Text gefunden:
Ich denke:
Es trifft die anderen.
Die anderen
denken das auch.
Das ist unser aller
Denkfehler.
Betroffen sind wir erst,
wenn es uns getroffen hat.
Ich denke mir manchmal, wie das wohl ist, wenn es mich trifft, wenn es
uns betrifft. Und dann werde ich bescheidener, weil ich nicht weiß,
wie es sein wird. Weil ich nicht weiß, wie ich reagieren werde. Und
es macht mich nachsichtig im Urteil – und ein bisschen zufrieden,
ein bisschen dankbar für jeden Tag, an dem es mich nicht trifft.
Mittwoch, 2. Juli 2008
Es ist gar nicht so einfach mit der Toleranz. Manchmal, finde ich, ist es
mühsam auszuhalten, dass jemand anders ist, dass jemand zum selben
Thema so andere Gedanken hat, dass die Vorstellungen von Gott und
der Welt so verschieden sein können. Petrus Ceelen schreibt:
Wer anders denkt,
denkt auch.
Wer anders glaubt,
glaubt auch.
Wer anders liebt,
liebt auch.
Und auch nicht anders
als andere.
Vielleicht habe ich heute mit Menschen zu tun, die auch denken – aber
anders. Vielleicht habe ich heute mit Menschen zu tun, die auch
glauben – aber anders, die auch lieben, aber anders als ich.
Vielleicht haben Sie heute mit solchen „Verschiedenheiten“ zu tun –
in der eigenen Familie, am Arbeitsplatz, unter Freunden. Und
vielleicht merken Sie: Irgendwie interessant, wie verschieden wir
denken, wie verschieden wir dieselbe Sache sehen können.
Donnerstag, 3. Juli 2008
Jede zweite Frau, so heißt es, betet. Männer beten weniger. Ist irgendwie
interessant – woran das wohl liegen mag?
Petrus Ceelen schreibt:
Wenn du betest,
wird dein Problem nicht kleiner,
doch dein Blick weiter.
So, habe ich mir gedacht, kann ich gut verstehen, was Beten ist: Ein
neuer, ein weiter Blick. Beten ist kein Versprechen, dass dadurch
das Schwierige im Leben einfach wird, beten ist keine Garantie für
„Hilfe“. Aber, es kann eine neue Perspektive geben. Petrus Ceelen
schreibt weiter:
Wenn du betest,
wird dein Kreuz nicht leichter,
doch deine Schultern breiter.
…
Vielleicht haben Sie das schon erlebt: Beten meint, den Blick zu weiten,
wieder Kraft zu schöpfen, weil ein Mensch in Beziehung zu Gott
begleitet und getragen ist. Die Herausforderungen, die Lösung der
Probleme bleiben in der Hand des Menschen, aber – es gibt einen
neuen Blick, eine neue Kraft.
Freitag, 4. Juli 2008
Manchmal, wenn ich so über mein Leben nachdenke, dann überlege ich, ob
ich wohl etwas anderes machen würde, wenn ich mein Leben nochmals
leben würde. Und – nach einiger Überlegung denke ich: „Nein, ich
glaube nicht.“
Petrus Ceelen denkt darüber nach:
Könnte ich mein Leben
noch einmal von vorn anfangen…
Vieles würde ich genauso machen,
vieles sicher auch anders,
viel, viel besser –
vielleicht…
Ich bin mir sicher, ich würde fast alles genauso machen, und dennoch –
manchmal bin ich hinter dem zurück geblieben, was ich mir von mir
selbst gewünscht hätte. Ich habe mich geschämt – für manche Worte,
für manches Verhalten. Und doch – genau diese Erfahrungen haben mich
verändert. Ich war glücklich und traurig, stolz und zufrieden – und
natürlich, ich habe auch Fehler gemacht. Vielleicht muss ich sogar
sagen: Gottseidank.
Samstag, 5. Juli 2008
Nun sind alle Schülerinnen und Schüler in die Ferien entlassen, alle
Bundesländer haben Schulferien. Wir hören von den Staus auf den
Straßen, vielleicht machen wir uns auch selbst bereit für Urlaub.
Petrus Ceelen schreibt ganz kurz:
Erlaube dir im Urlaub etwas,
was du dir sonst nicht gönnst.
Tue im Urlaub endlich das,
was du sonst nicht tust:
nichts.
Das ist eigentlich ein frecher Text. In einer Zeit, in der nur wichtig zu
sein scheint, wer viel zu tun hat, sollen wir den Urlaub nutzen, um
nichts zu tun. Zugleich gibt es genügend Gründe, sich darauf zu
freuen, gerade im Urlaub etwas zu tun, selbstbestimmt, freier als
sonst. Wie wird eigentlich „Freizeit“ zu freier Zeit? Wie geht das,
sich im Urlaub so zu erholen, dass ich mich nach dem Urlaub nicht
vom Urlaub erholen muss? Vielleicht kennen Sie das: Der Urlaub war
schon schön, aber dann – beim Nachhausekommen – die viele Wäsche,
die Arbeit im Garten, irgendwie ist doch Staub entstanden, es muss
geputzt werden. „Nach dem Urlaub bin ich richtig kaputt, nach dem
Urlaub würde ich Urlaub brauchen“, sagen manche.
Vielleicht ist es gut, schon vor dem Urlaub zu überlegen, was mir, was
uns hilft, dass „Freizeit“ wirklich „freie Zeit“ wird, dass ich nach
dem Urlaub nicht Urlaub brauche, um mich zu erholen.
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