Morgengedanken

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ORF Regionalradios

 

 

 

„Weisheit aus der Wüste“ - Die Botschaft der frühen Mönche für uns

von Pater Bernhard Eckerstorfer (Stift Kremsmünster, OÖ)

 

 

Sonntag, 27. Juli 2008

Wie oft betest du denn? Was erlebst du eigentlich beim Gottesdienst? Die frühen Mönchsväter geben keine Antworten auf solche Fragen. Sie richten ihre Aufmerksamkeit schlicht auf das Dasein vor Gott. So wollen sie zuerst einmal die Dinge des Alltags anschauen und in Ordnung bringen.

Von Altvater Poimen wird erzählt: Wenn er zum Gottesdienst gehen wollte, setzte er sich zuerst hin und untersuchte seine Gedanken, etwa eine Stunde lang. Und so ging er dann zur Kirche. (AP 606)

Ich merke bei mir selbst, dass ich oft rastlos zum Gebet gehe. Dann brauche ich lange, bis ich mich auf die Psalmen konzentrieren kann. Meist hänge ich mit meinen Gedanken noch nach – einer Sache, einer Auseinandersetzung, einem Problem. Oder ich plane bereits die Zukunft. So lebe ich eigentlich mehr in der Vergangenheit oder in der Zukunft, aber nicht in der Gegenwart.

Der Wüstenvater Poimen aus dem Ägypten des 5. Jahrhunderts kann mir helfen; er zeigt mir: Wenn du zum Gottesdienst gehst oder vor einer wichtigen Besprechung stehst, komme zuerst einmal zu dir. Nimm deine inneren Regungen wahr; lasse die Gedanken, die dich beschäftigen, eintreten. Halte dir Personen und Dinge, die dich aufregen, vor Augen. Schaue genau an, was in der Stille aufsteigt und ordne diese Bilder. Dann verabschiede sie bewusst und mache den nächsten Schritt.

 

 

Montag, 28. Juli 2008

Für viele ist diese Woche der Beginn ihres Urlaubs, andere fangen mit der Arbeit wieder an. Für alle von uns ist dieser Montagmorgen in irgendeinem Sinn ein neuer Anfang. Die frühen Mönche erzählten von Altvater Pior, dass er jeden Tag einen neuen Anfang machte. (AP 659) Welcher tiefere Sinn mag sich hinter dieser schlichten Aussage verbergen?

Zuerst einmal kann ich entdecken, dass mir heute ein neuer, kostbarer Tag geschenkt ist. Auch wenn sich viel aufgestaut hat, brauche ich nicht mutlos zu werden: Ich darf heute neu anfangen! Zum anderen bewahrt mich der immer neue Anfang davor, überheblich zu werden: Ich muss neu anfangen!

Und noch etwas sagt mir die Weisheit vom Anfang: Ich darf und ich muss den anderen einen neuen Anfang gewähren. Nichts ist schlimmer, als in der Familie, in der Nachbarschaft, in der Arbeit alte Sachen immer wieder aufzuwärmen, anderen keinen neuen Anfang zu ermöglichen. Großartig dagegen, wenn jemand bei mir einen neuen Eindruck machen kann. Ich erlaube ihm, ich erlaube unserer Beziehung neu anzufangen. Das ist offenbar gar nicht so leicht. Deshalb erzählten sich die alten Mönche mit großer Bewunderung: Altvater Pior verstand es, jeden Tag einen neuen Anfang zu machen.

 

 

Dienstag, 29. Juli 2008

Von den sogenannten Wüstenvätern geht eine Faszination aus. Sie waren Teil einer Bewegung von zehntausenden Christen, die im 4. und 5. Jahrhundert in die Wüsten des Orients auszogen; sie wollten sich in der Abgeschiedenheit ganz auf Gott konzentrieren. Dabei lernten sie sich auch selbst sehr gut kennen.

Die Wüstenväter beherrschten die Kunst, in wenigen Worten viel zu sagen. Ihre Weisheiten sind zeitlos. Ich glaube, wir brauchen diese Einfachheit gerade heute, wo doch alles so kompliziert und undurchschaubar ist.

Da sagt etwa ein Altvater: Wer in seiner Seele die Erinnerung an Böses festhält, gleicht einem Feuer, das man unter Stroh verbirgt. (AP 1031) Das Geheimnis der Wüstenväter sind solche Bilder. Nur Appelle auszusenden wie „Sei ein guter Mensch!“ bewirkt wenig. Aber die Dynamik eines falschen Denkens aufzuzeigen, kann uns zur Umkehr bewegen. Wer in seiner Seele die Erinnerung an Böses festhält, gleicht einem Feuer, das man unter Stroh verbirgt.

Hänge ich an schlechten Erinnerungen? Dann muss ich damit rechnen, dass die bösen Gedanken zu einem Feuer werden, das mich verzehrt. Es ist nicht leicht, aber heute könnte ich versuchen, diese Glut auszulöschen und das Feuer der Liebe zu entfachen.

 

 

Mittwoch, 30. Juli 2008

Anstehende Entscheidungen können uns fertig machen. Gedanken schwirren in uns herum und wir wissen nicht: Was ist das Richtige? Wo geht es lang? Gäbe es doch jemanden, der uns das sagen könnte! Die alten Mönche in der Wüste Ägyptens nahmen den Ratsuchenden die Entscheidung nicht ab. Aber sie gaben ihnen wertvolle Hilfen.

Ein Bruder sagte zu Altvater Joseph: „Ich möchte das Kloster verlassen und allein leben.“ Der Einsiedler antwortete ihm: „Wo du deine Seele in Ruhe und ohne Schaden siehst, dort lass dich nieder.“ Der Bruder erwiderte: „Sowohl im Kloster als auch in der Einsiedelei habe ich Ruhe. Was willst du dass ich tue?“ Da antwortete der Altvater: „Wenn du sowohl im Kloster als auch in der Einsamkeit Ruhe findest, lege deine beiden Gedanken wie auf eine Waage, und wo du siehst, dass dein Gedanke mehr Nutzen hat und wo er hinneigt, das tu!“ (AP 133)

Der Bruder soll also die Alternativen anschauen – auf die Waage legen – und sich dabei beobachten. Entscheiden soll er sich dann für die Schale, die mehr Gewicht hat und sich neigt. Ich brauche kein Orakel zu befragen und auch nicht unzählige Berater aufzusuchen. Wo ich mich lebendiger, freier, echter fühle, das soll ich tun – auch wenn es die schwierigere Wahl ist.

 

 

Donnerstag, 31. Juli 2008

Die frühchristlichen Mönche in den Wüsten Ägyptens teilten nur mit, was sie selbst erfahren hatten. Das macht ihre Worte so authentisch und lebensnah. Diese Wüstenväter wussten, wie die innere Gedankenwelt zu ordnen und wie bedeutend das Reden und das Essen für ein gelungenes Leben sind. In der Einsamkeit übten sie sich in Demut, Zurückhaltung und Ausgeglichenheit. Anscheinend gelang dies manchen von ihnen auf vorbildliche Weise. Deshalb zogen sie im 4. und 5. Jahrhundert viele Ratsuchende an – von den Städten Ägyptens, von Konstantinopel und Rom. Ihre knappen Aussprüche wurden gesammelt und in viele Sprachen übersetzt. Da liest man etwa:

Altvater Pambo fragte Antonius: “Was soll ich tun?” Antonius entgegnete ihm: “Baue nicht auf deine eigene Gerechtigkeit und lass dich nicht ein Ding gereuen, das vorbei ist, und übe Enthaltsamkeit von der Zunge und vom Bauch.” (AP 6)

Vielleicht birgt dieser Weisheitsspruch auch für uns in Österreich an diesem letzten Julitag 2008 ein anspruchsvolles, aber zielführendes Programm: Sich nicht nur auf das eigene Können verlassen; Dinge, die bereits vorbei oder entschieden sind, nicht immer wieder aufwärmen und bedauern; weniger reden und maßvoll essen.

 

 

Freitag, 1. August 2008

Sind Sie heute wieder aufgewacht? Blöde Frage, werden Sie jetzt sagen. Trotzdem: Sind Sie heute wieder aufgewacht? Oder anders gesagt: Ist Ihnen klar, dass einmal das letzte Mal sein wird, wo sie in der Früh aufwachen? Eine selbstverständliche Tatsache, die wir jedoch nur selten bedenken. Und doch brauchen wir diese Gewissheit zum Leben.

Die Wüstenväter wussten das ganz genau. Der hl. Antonius sagt: „Beim Erwachen sollen wir jeden Tag denken: Wir leben vielleicht nicht bis zum Abend. Und wenn wir uns niederlegen, sollen wir denken: vielleicht werden wir nicht mehr erwachen.“ (Athanasius, Leben des hl. Antonius, 248)

Die Mönche üben sich seit alters her ein ins Sterben. Das hilft ihnen, Gott nicht zu vergessen und das derzeitige Leben nicht zu verabsolutieren. Vielleicht kann überhaupt nur richtig leben, wer auch zu sterben versteht. Ein anderer Wüstenvater sagt daher:

Denke jeden Tag: Ich habe nur heute in der Welt zu leben. Und du wirst gegen Gott nicht sündigen. (Jesaja von der Sketis, Asceticon 9,21)

 

 

Samstag, 2. August 2008

Altvater Poimen empfahl einem Bruder: „Fliehe einen Menschen, der nicht reden kann, ohne unaufhörlich zu streiten.“ (AP 988) Widerspricht dieser Rat nicht der christlichen Nächstenliebe? Ja, wir sollen die anderen annehmen und ertragen wie sie sind. Aber wir dürfen auch nicht übersehen, dass uns jeder Mensch und jedes Ding, mit dem wir es zu tun haben, beeinflusst. Heinrich Spaemann sagt: „Was wir im Auge haben, das prägt uns, dahinein werden wir verwandelt. Und wir kommen, wohin wir schauen.“ Uns prägen Bilder, Erlebnisse, Gespräche.

Auch Paulus weiß, dass wir unausweichlich andere nachahmen. Deshalb warnt er die jungen Christen: „Haltet euch von jedem Bruder fern, der ein unordentliches Leben führt.“ (2 Thess 3,6) Altvater Poimen spürte offensichtlich, dass der Ratsuchende von anderen Menschen negativ beeinflusst und sein Leben dadurch verwirrt wird: „Fliehe einen Menschen, der nicht reden kann, ohne unaufhörlich zu streiten.“

Und mit wem verbringe ich meine Zeit, auf wen lasse ich mich ein? Es liegt an mir, Situationen und Menschen zu meiden, die mich negativ prägen. Manchmal ist es in der Tat angebracht zu fliehen – und sei es nur, innerlich abzuwenden.