Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
„Weisheit aus der Wüste“ -
Die Botschaft der frühen Mönche für uns
von Pater Bernhard Eckerstorfer (Stift Kremsmünster, OÖ)
Sonntag, 27. Juli 2008
Wie oft betest du denn? Was erlebst du eigentlich beim Gottesdienst? Die
frühen Mönchsväter geben keine Antworten auf solche Fragen. Sie
richten ihre Aufmerksamkeit schlicht auf das Dasein vor Gott. So
wollen sie zuerst einmal die Dinge des Alltags anschauen und in
Ordnung bringen.
Von Altvater Poimen wird erzählt: Wenn er zum Gottesdienst gehen wollte,
setzte er sich zuerst hin und untersuchte seine Gedanken, etwa eine
Stunde lang. Und so ging er dann zur Kirche. (AP 606)
Ich merke bei mir selbst, dass ich oft rastlos zum Gebet gehe. Dann
brauche ich lange, bis ich mich auf die Psalmen konzentrieren kann.
Meist hänge ich mit meinen Gedanken noch nach – einer Sache, einer
Auseinandersetzung, einem Problem. Oder ich plane bereits die
Zukunft. So lebe ich eigentlich mehr in der Vergangenheit oder in
der Zukunft, aber nicht in der Gegenwart.
Der Wüstenvater Poimen aus dem Ägypten des 5. Jahrhunderts kann mir
helfen; er zeigt mir: Wenn du zum Gottesdienst gehst oder vor einer
wichtigen Besprechung stehst, komme zuerst einmal zu dir. Nimm deine
inneren Regungen wahr; lasse die Gedanken, die dich beschäftigen,
eintreten. Halte dir Personen und Dinge, die dich aufregen, vor
Augen. Schaue genau an, was in der Stille aufsteigt und ordne diese
Bilder. Dann verabschiede sie bewusst und mache den nächsten
Schritt.
Montag, 28. Juli 2008
Für viele ist diese Woche der Beginn ihres Urlaubs, andere fangen mit der
Arbeit wieder an. Für alle von uns ist dieser Montagmorgen in
irgendeinem Sinn ein neuer Anfang. Die frühen Mönche erzählten von
Altvater Pior, dass er jeden Tag einen neuen Anfang machte. (AP 659)
Welcher tiefere Sinn mag sich hinter dieser schlichten Aussage
verbergen?
Zuerst einmal kann ich entdecken, dass mir heute ein neuer, kostbarer Tag
geschenkt ist. Auch wenn sich viel aufgestaut hat, brauche ich nicht
mutlos zu werden: Ich darf heute neu anfangen! Zum anderen bewahrt
mich der immer neue Anfang davor, überheblich zu werden: Ich muss
neu anfangen!
Und noch etwas sagt mir die Weisheit vom Anfang: Ich darf und ich muss
den anderen einen neuen Anfang gewähren. Nichts ist schlimmer, als
in der Familie, in der Nachbarschaft, in der Arbeit alte Sachen
immer wieder aufzuwärmen, anderen keinen neuen Anfang zu
ermöglichen. Großartig dagegen, wenn jemand bei mir einen neuen
Eindruck machen kann. Ich erlaube ihm, ich erlaube unserer Beziehung
neu anzufangen. Das ist offenbar gar nicht so leicht. Deshalb
erzählten sich die alten Mönche mit großer Bewunderung: Altvater
Pior verstand es, jeden Tag einen neuen Anfang zu machen.
Dienstag, 29. Juli 2008
Von den sogenannten Wüstenvätern geht eine Faszination aus. Sie waren
Teil einer Bewegung von zehntausenden Christen, die im 4. und 5.
Jahrhundert in die Wüsten des Orients auszogen; sie wollten sich in
der Abgeschiedenheit ganz auf Gott konzentrieren. Dabei lernten sie
sich auch selbst sehr gut kennen.
Die Wüstenväter beherrschten die Kunst, in wenigen Worten viel zu sagen.
Ihre Weisheiten sind zeitlos. Ich glaube, wir brauchen diese
Einfachheit gerade heute, wo doch alles so kompliziert und
undurchschaubar ist.
Da sagt etwa ein Altvater: Wer in seiner Seele die Erinnerung an Böses
festhält, gleicht einem Feuer, das man unter Stroh verbirgt. (AP
1031) Das Geheimnis der Wüstenväter sind solche Bilder. Nur Appelle
auszusenden wie „Sei ein guter Mensch!“ bewirkt wenig. Aber die
Dynamik eines falschen Denkens aufzuzeigen, kann uns zur Umkehr
bewegen. Wer in seiner Seele die Erinnerung an Böses festhält,
gleicht einem Feuer, das man unter Stroh verbirgt.
Hänge ich an schlechten Erinnerungen? Dann muss ich damit rechnen, dass
die bösen Gedanken zu einem Feuer werden, das mich verzehrt. Es ist
nicht leicht, aber heute könnte ich versuchen, diese Glut
auszulöschen und das Feuer der Liebe zu entfachen.
Mittwoch, 30. Juli 2008
Anstehende Entscheidungen können uns fertig machen. Gedanken schwirren in
uns herum und wir wissen nicht: Was ist das Richtige? Wo geht es
lang? Gäbe es doch jemanden, der uns das sagen könnte! Die alten
Mönche in der Wüste Ägyptens nahmen den Ratsuchenden die
Entscheidung nicht ab. Aber sie gaben ihnen wertvolle Hilfen.
Ein Bruder sagte zu Altvater Joseph: „Ich möchte das Kloster verlassen
und allein leben.“ Der Einsiedler antwortete ihm: „Wo du deine Seele
in Ruhe und ohne Schaden siehst, dort lass dich nieder.“ Der Bruder
erwiderte: „Sowohl im Kloster als auch in der Einsiedelei habe ich
Ruhe. Was willst du dass ich tue?“ Da antwortete der Altvater: „Wenn
du sowohl im Kloster als auch in der Einsamkeit Ruhe findest, lege
deine beiden Gedanken wie auf eine Waage, und wo du siehst, dass
dein Gedanke mehr Nutzen hat und wo er hinneigt, das tu!“ (AP 133)
Der Bruder soll also die Alternativen anschauen – auf die Waage legen –
und sich dabei beobachten. Entscheiden soll er sich dann für die
Schale, die mehr Gewicht hat und sich neigt. Ich brauche kein Orakel
zu befragen und auch nicht unzählige Berater aufzusuchen. Wo ich
mich lebendiger, freier, echter fühle, das soll ich tun – auch wenn
es die schwierigere Wahl ist.
Donnerstag, 31. Juli 2008
Die frühchristlichen Mönche in den Wüsten Ägyptens teilten nur mit, was
sie selbst erfahren hatten. Das macht ihre Worte so authentisch und
lebensnah. Diese Wüstenväter wussten, wie die innere Gedankenwelt zu
ordnen und wie bedeutend das Reden und das Essen für ein gelungenes
Leben sind. In der Einsamkeit übten sie sich in Demut, Zurückhaltung
und Ausgeglichenheit. Anscheinend gelang dies manchen von ihnen auf
vorbildliche Weise. Deshalb zogen sie im 4. und 5. Jahrhundert viele
Ratsuchende an – von den Städten Ägyptens, von Konstantinopel und
Rom. Ihre knappen Aussprüche wurden gesammelt und in viele Sprachen
übersetzt. Da liest man etwa:
Altvater Pambo fragte Antonius: “Was soll ich tun?” Antonius entgegnete
ihm: “Baue nicht auf deine eigene Gerechtigkeit und lass dich nicht
ein Ding gereuen, das vorbei ist, und übe Enthaltsamkeit von der
Zunge und vom Bauch.” (AP 6)
Vielleicht birgt dieser Weisheitsspruch auch für uns in Österreich an
diesem letzten Julitag 2008 ein anspruchsvolles, aber zielführendes
Programm: Sich nicht nur auf das eigene Können verlassen; Dinge, die
bereits vorbei oder entschieden sind, nicht immer wieder aufwärmen
und bedauern; weniger reden und maßvoll essen.
Freitag, 1. August 2008
Sind Sie heute wieder aufgewacht? Blöde Frage, werden Sie jetzt sagen.
Trotzdem: Sind Sie heute wieder aufgewacht? Oder anders gesagt: Ist
Ihnen klar, dass einmal das letzte Mal sein wird, wo sie in der Früh
aufwachen? Eine selbstverständliche Tatsache, die wir jedoch nur
selten bedenken. Und doch brauchen wir diese Gewissheit zum Leben.
Die Wüstenväter wussten das ganz genau. Der hl. Antonius sagt: „Beim
Erwachen sollen wir jeden Tag denken: Wir leben vielleicht nicht bis
zum Abend. Und wenn wir uns niederlegen, sollen wir denken:
vielleicht werden wir nicht mehr erwachen.“ (Athanasius, Leben des
hl. Antonius, 248)
Die Mönche üben sich seit alters her ein ins Sterben. Das hilft ihnen,
Gott nicht zu vergessen und das derzeitige Leben nicht zu
verabsolutieren. Vielleicht kann überhaupt nur richtig leben, wer
auch zu sterben versteht. Ein anderer Wüstenvater sagt daher:
Denke jeden Tag: Ich habe nur heute in der Welt zu leben. Und du wirst
gegen Gott nicht sündigen. (Jesaja von der Sketis, Asceticon 9,21)
Samstag, 2. August 2008
Altvater Poimen empfahl einem Bruder: „Fliehe einen Menschen, der nicht
reden kann, ohne unaufhörlich zu streiten.“ (AP 988) Widerspricht
dieser Rat nicht der christlichen Nächstenliebe? Ja, wir sollen die
anderen annehmen und ertragen wie sie sind. Aber wir dürfen auch
nicht übersehen, dass uns jeder Mensch und jedes Ding, mit dem wir
es zu tun haben, beeinflusst. Heinrich Spaemann sagt: „Was wir im
Auge haben, das prägt uns, dahinein werden wir verwandelt. Und wir
kommen, wohin wir schauen.“ Uns prägen Bilder, Erlebnisse,
Gespräche.
Auch Paulus weiß, dass wir unausweichlich andere nachahmen. Deshalb warnt
er die jungen Christen: „Haltet euch von jedem Bruder fern, der ein
unordentliches Leben führt.“ (2 Thess 3,6) Altvater Poimen spürte
offensichtlich, dass der Ratsuchende von anderen Menschen negativ
beeinflusst und sein Leben dadurch verwirrt wird: „Fliehe einen
Menschen, der nicht reden kann, ohne unaufhörlich zu streiten.“
Und mit wem verbringe ich meine Zeit, auf wen lasse ich mich ein? Es
liegt an mir, Situationen und Menschen zu meiden, die mich negativ
prägen. Manchmal ist es in der Tat angebracht zu fliehen – und sei
es nur, innerlich abzuwenden.
|