Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Dr.
Jutta Henner (Wien)
Sonntag, 3. August 2008
Die Bibel ist für mich
kein unbekanntes Buch. Nein, ist sie mein „täglich Brot“. Nicht nur,
weil es mein Auftrag ist, die Stimme der Bibel im Land lebendig zu
halten. Ich weiß mich berufen, mich täglich der Herausforderung zu
stellen, wie man Menschen zur Bibel - oder, vielleicht besser - die
Bibel zu den Menschen zu bewegen vermag.
Die Bibel, Altes und
Neues Testament, ist einerseits Urkunde des christlichen Glaubens.
Die Bibel hat auch unsere europäische Kultur, Kunst, Musik,
Literatur, unseren Kalender und die Feste im Jahr geprägt. An der
Bibel, so könnte man meinen, kommt niemand vorbei. Ob er oder sie
der Botschaft glauben mag oder nicht.
Die Bibel ist zugleich
ein unbekanntes, fremdes Buch: ein „Buch mit sieben Siegeln“:
Vorurteile gibt es zuhauf, die dem eigenen Blick in das Buch der
Bücher im Wege stehen.
Freilich, wer sich
einlässt auf dieses Buch und seine Leben schenkende Botschaft, wird
überrascht sein, wie lebensnah die Bibel sein kann! Auf den Versuch
kommt es an - vielleicht gerade in diesen sommerlichen Tagen. Dann
können Sie es möglicherweise erleben, dass die Bibel ein Buch ist
„das Löcher in die Herzen macht“, wie es einmal treffend formuliert
wurde.
Montag, 4. August 2008
Wer sich auf
Entdeckungsreise in die Bibel macht, dieses Buch in die Hand nimmt,
um darin zu lesen, wird staunen: Nicht graue Theorie, sondern Leben
in Fülle erwartet Sie dort. Sie begegnen in der Bibel Menschen, die
dem lebendigen Gott begegnet sind, die ihre Erfahrungen verdichtet
und aufgezeichnet haben - als Einladung und Wegweisung für andere.
Sie mögen staunen wie
lebensfroh die Bibel ist - sie erzählt vom guten Gott, der auf der
Seite des Lebens steht. Sie mögen staunen, dass der Bibel nichts
Menschliches fremd ist: Ängste, Sorgen, Neid, Freud und Leid,
Beziehungen - geglückte wie scheiternde - um all das weiß die Bibel.
Die Bibel lenkt den Blick auf die Wunder in Gottes guter Schöpfung,
die zu bewahren und staunend zu betrachten es gilt. Die Bibel ist
aber auch ganz aktuell und ihre Botschaft fordert uns heraus - wenn
es um den Umgang mit unseren Nächsten und mit den Fremden in unserem
Land geht. Wenn es um das Einstehen für die Schwachen geht, wenn es
um nachhaltigen Umgang mit dieser Erde und ihren Ressourcen geht und
darum, alle die Menschenfreundlichkeit Gottes erfahren zu lassen.
Wer die Bibel liest und sich von ihr verwandeln lässt, gestaltet das
Antlitz der Erde neu.
Dienstag, 5. August 2008
Wer sich Zeit nimmt,
einmal in die Bibel hineinzuschauen, wird möglicherweise erleben,
dass die Begegnung mit der Bibel alles bisher Selbstverständliche in
Frage stellt, eine ganz neue Sicht schenkt und über sich
hinauswachsen lässt. Dabei drängt die Bibel sich niemand auf. Ich
denke an den Kirchenvater Augustinus, der meinte, eine leise Stimme
zu hören, die ihn wiederholt dazu einlud: „Nimm und lies, nimm und
lies“. Er nahm die Bibel zur Hand, schlug sie auf - und die Worte,
die er las, trafen ihn im Innersten. Nichts sollte so bleiben, wie
es war.
Man muss aber gar nicht
so prominent sein wie Augustinus. Ich erlebe es bei meiner eigenen
Arbeit regelmäßig: Die Botschaft der Bibel hat verwandelnde Kraft.
Ein Gefangener hier in Österreich bedankte sich bei mir für eine
Bibelausgabe: Dieses Buch, das kein Buch, sondern Leben ist, hat
mein Leben verändert und mich auf den Weg geführt, den ich so lange
gesucht habe. Ich danke Ihnen aus ganzem Herzen und bitte Sie, uns
weiterhin tatkräftig im Gebet, Begleitung und noch vielen Bibeln zu
unterstützen, damit unser Weg nun kein Irrweg mehr ist, sondern Sein
Weg.
Mittwoch, 6. August 2008
Was weiß denn die Bibel
schon von meiner Situation und von meinem konkreten Problem? Sehr
viel!
Menschen der Bibel haben
Auf und Ab in ihrem Leben erlebt, haben Großes geleistet, aber auch
versagt, waren unsicher in ihrem Alltag und haben gesehen, wie
Beziehungen zerbrechen. Sie haben gelernt, dass ein neuer Anfang
möglich ist, und dass Gott geduldiger mit ihnen ist als sie es
meinten, verdient zu haben.
Die Bibel gibt Antworten
auf Fragen des Lebens. Die Bibel schenkt aber auch Orientierung in
den kleinen Fragen des Alltags, ganz konkret: Ein Afrikaner, bei uns
in Österreich in einer schwierigen Situation, hat es erfahren:
Ich möchte Euch danken,
dass Ihr mir eine Bibel geschickt habt. Ich bin Christ, aber früher
habe ich nie wirklich mir Zeit genommen, in der Bibel zu lesen.
Jetzt habe ich in sie hineingeschaut, um Antworten auf die vielen
Fragen zu finden, die in mir aufgekommen sind. Beim Lesen der Bibel
habe ich die Antworten auf nahezu alle meine Fragen gefunden. Denn
die meisten meiner Erfahrungen in meinem bisherigen Leben - und auch
in meiner jetzigen Situation - habe ich in der Bibel gefunden. Ich
danke Gott dafür, dass er mir jeweils die richtigen Stellen gezeigt
hat.“
Donnerstag, 7. August
2008
Wie liest man eigentlich
die Bibel? Diese Frage wird mir oft gestellt, von jungen Menschen
und auch von nicht mehr ganz so jungen. Die Bibel ist eben kein Buch
wie jedes andere, nicht nur weil sie älter ist als viele andere
Bücher und auch ihr Umfang beachtlich ist.
Die Bibel kann man nicht
lesen wie die Zeitung. Auch wenn einmal ein kluger Theologe gesagt
hat, neben die aufgeschlagene Bibel gehöre die aufgeschlagene
Zeitung! Und umgekehrt - möchte ich ergänzen!
Anfängern rate ich,
einmal mit einem Evangelium zu beginnen, dann vielleicht mit der
Geschichte der Apostel weiterzumachen. Die Psalmen, das großartige
Gebetbuch der Bibel, laden dazu ein, sich in ihren Worten zu bergen
und Lob und Dank, Klage und Zweifel vor Gott zu tragen. In den
vielen Büchern der Bibel, die ja selbst eine Bibliothek ist, in
ihrem vielstimmigen Glaubenszeugnis werden sich Worte, Geschichten
und Gedanken finden, die Lust machen auf mehr. Wichtig ist, dass
man die Bibel liest, in Ruhe und in der Erwartung, sich
ansprechen und herausfordern zu lassen, in der Erwartung einer
Gottesbegegnung. Martin Luther hat es einmal ganz treffend
formuliert: „Die Bibel ist ein Kräutlein, das umso stärker duftet,
je kräftiger man daran reibt“.
Freitag, 8. August 2008
Immer wieder denke ich an
den jungen Mann, dem ich eines Abends vor unserem Wiener
Bibelzentrum begegnete. Er war sichtlich vertieft in die Betrachtung
der Bibelworte, die eine Medieninstallation nächtens an die Fassade
projiziert. Er sprach mich an: Er könne es nicht glauben, dass all
das, was er da zu lesen bekäme, wirklich aus der Bibel sei. Die
Worte seien so gut! Und - er sei schon eine ganze Zeit hier und habe
noch kein einziges Verbot zu lesen bekommen.
Die Bibel hat - leider -
in unseren Breiten immer wieder ein schlechtes Image. Die Bibel sei
ein verstaubtes Buch, so ist zu hören, und ihre Leser seien
Menschen, die selbst keine Freude am Leben hätten und sie anderen
auch noch nehmen möchten. Sie mögen Recht haben, die Kritiker und
Zweifler, dass Worte der Bibel missbraucht worden sind in der
Geschichte.
Ich lade sie dann gerne
ein, sich selbst ein Bild zu machen: Zu entdecken, dass sich
gleichsam wie ein roter Faden durch die Bibel die Botschaft von der
Befreiung und die Botschaft vom Leben, das mehr ist, ziehen. Ich
lade dann dazu ein, von dieser zentralen Botschaft her die Bibel zu
lesen - Martin Luther hat von Jesus Christus als der Mitte der
Schrift gesprochen.
Samstag, 9. August 2008
Bibelleserinnen und
Bibelleser sind nie allein: Die Bibel ist ein Beziehungsbuch, ein
Gemeinschaftsbuch. Gott selbst geht den Menschen nach und sucht
Beziehung zu ihnen. Menschen kommen unter der Botschaft der Bibel
zusammen, lassen sich rufen, mit anderen unterwegs zu sein auf dem
Weg durchs Leben, lassen sich einladen, die Welt verantwortet zu
gestalten und einzustehen für die Schwachen.
Wo die Bibel zu Menschen
spricht, entsteht Gemeinschaft. Von zahlreichen Erlebnissen könnte
ich erzählen, wo unter Gottes Wort Gemeinschaft entsteht, wo Grenzen
der Sprachen und Nationalitäten, von Alt und Jung, Arm und Reich
nicht mehr gelten, wo das Reich Gottes schon anzubrechen scheint
mitten in dieser Welt. Wo Versöhnung passiert und Brücken gebaut
werden, wo scheinbar Unmögliches möglich wird.
Überraschendes ereignet
sich da, Überraschendes auch für die, die es sehen und neugierig
werden, das ja etwas dran sein muss an diesem Buch, das seit zwei
Jahrtausenden Menschen überall auf der Erde bewegt. Die Botschaft
der Bibel lässt sich nicht mundtot machen - auch wenn Machthaber im
Lauf der Geschichte und bis heute sich vor der Kraft, die von dieser
Botschaft ausgeht, fürchten.
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