Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Propst Prälat Dr. Florian Huber (Innsbruck, Tirol)
Sonntag, 10. August 2008
In den Straßen einer Stadt verliert man leicht die Orientierung. Da haben
es die Menschen in Innsbruck leicht. Ein Blick in die Höhe, nach den
Bergen der Nordkette Ausschau halten und schon hat Mann und Frau
wieder eine Grundorientierung.
Von dort oben schaut ein Fels mit dem Namen „Frau Hitt“ auf die Stadt.
Die Sage erzählt, dass die Riesenkönigin Frau Hitt über dieses
Gebiet geherrscht hat. Eines Tages ist ihr Sohn ganz schmutzig aus
dem Wald heimgekommen. Er hat eine schlanke Tanne des Schutzwaldes
abknicken wollen, um sich daraus ein Steckenpferd zu schnitzen. Aber
der Baum ist ihm entglitten, in die Höhe geschnellt und der Junge
wurde in einen Sumpf geschleudert.
Frau Hitt hat einem Diener befohlen, das Kind mit weichen Brotkrumen zu
reinigen. Kaum aber hat der Frevel mit der Gottesgabe begonnen, ist
ein schreckliches Gewitter aufgezogen. Als sich der Himmel wieder
aufgehellt hat, sind Kornfelder und Obstbäume in eine öde
Felsenwildnis verwandelt gewesen. Das versteinerte Bild der Frau
Hitt, die ihren Sohn in den Händen hält, ragt zum ewigen Gedächtnis
ihres Frevels daraus hervor.
Ein Blick zur Nordkette, und in Innsbruck hat Mann und Frau eine
Grundorientierung. Manchmal denke ich, dass uns der Blick zur Frau
Hitt als orientierende Mahnung in unserem Umgang mit unseren
Lebensmitteln ganz gut tun könnte. Sagenhaft gut.
Montag, 11. August 2008
Heute steht im Namenstagskalender die Heilige Klara von Assisi.
Immer, wenn ich in der Stadt des Hl. Franziskus bin, stelle ich mir vor
dem Dom San Rufino vor, dass Klara als junges Mädchen vom Fenster
ihrer Wohnung aus die Szene miterlebt, wo Franziskus öffentlich auf
sein Erbteil verzichtet, sich seiner Kleider entledigt, sie dem
Vater hinwirft und sagt: „Von jetzt an gehöre ich dem Herrn und ich
sage nun nicht mehr: Vater Pietro Bernardone, sondern nur noch:
Vater unser, der Du bist im Himmel“.
Und immer, wenn ich das Portiunculakirchlein betrete, denke ich an die
Nacht, in der Klara als 18jährige aus dem Elternhaus flüchtet und
dort von Franziskus das Ordensgewand erhält.
Die gelebte Sehnsucht des Franziskus nach einem Leben in der Nachfolge
Jesu hat Klaras Herz berührt. Äußerlich wurde sie arm und hat mit
ihren Gefährtinnen im Kloster San Damiano ein innerlich reiches
Leben geführt.
Das lateinische Wörtchen clara bedeutet hell, klar, berühmt. In unseren
Tagen werden uns Tag für Tag Berühmtheiten vor Augen gestellt. Ob
sie unser Leben heller, klarer machen? Aus dem Schatz der
Jahrhunderte gibt es bis heute Namen von Frauen und Männern, die
leuchten und unser Leben bereichern. Klara von Assisi ist unter
ihnen ein heller, klarer, mit Recht berühmter Name.
Dienstag, 12. August 2008
Sagen sind lebendig. Sie werden weitererzählt, oft sogar auch neu gefasst
– wenn die Not der Zeit es erfordert.
So gibt es auch eine neuere Fassung der Sage von der Frau Hitt. Die
Neufassung lässt sie nicht für ihre Untat, mit weichen Brotkrumen
ihren schmutzigen Sohn reinigen zu lassen, zu Stein erstarren. Diese
Fassung hat uns in den vergangenen Sonntag begleitet.
Die Neufassung geht so:
Die Königin, hoch zu Ross, reitet einen steilen Bergpfad empor. Da reckt
am Weg eine Bettlerin, die ihr hungerndes Kind bei sich hat, flehend
die Hände zu ihr empor.
Doch statt einer milden Gabe hat Frau Hitt nur Hohn und Spott für die
arme Frau übrig, bricht einen Stein aus dem Fels und reicht ihn ihr.
In ihrer Verzweiflung stößt die unglückliche Mutter einen furchtbaren
Fluch aus, der sofort in Erfüllung geht. Die hartherzige Königin
wird mit ihrem Pferd in das bekannte Felsgebilde verwandelt, das als
Wahrzeichen auf dem Kamm der Nordkette hoch über Innsbruck thront.
Die Kluft zwischen denen „hoch zu Ross“, die immer reicher werden und den
auf der Strecke bleibenden wird gegenwärtig immer größer. Da wäre es
gut, sagenhaft gut sogar, könnten wir zu vielen schauen und
aufschauen, die in den globalen Umwälzungen an einer nachhaltigen
ökologischen und sozialen Marktwirtschaft arbeiten und denen die Not
der vielen kleinen Leute zu Herzen geht.
Mittwoch, 13. August 2008
Auf dem Platz vor dem weltberühmten Goldenen Dachl in Innsbruck ist immer
schon viel los gewesen.
Die Sage erzählt, dass Kaiser Karl V., als er in der Innsbrucker Burg Hof
gehalten hat, in seinem Gefolge auch den Doktor Johannes Faust
mitgebracht hat. Dieser war nicht nur wegen seiner Heilkunst,
sondern auch wegen seiner merkwürdigen Zauberein weitum bekannt. Und
er muss auch ein Schelm gewesen sein.
Eines Tages, als man zu Ehren des Kaisers vor dem Goldenen Dachl allerlei
Kampfspiele aufführt, gibt es einen besonders neugierigen Hofherrn.
Zum Ärger der übrigen Gesellschaft will dieser überhaupt nicht vom
besten Fensterplatz weichen. Da zaubert ihm Doktor Faust ein
mächtiges Hirschgeweih auf den Kopf, so dass der Gehörnte, zum
Gelächter des ganzen Volkes, seinen Kopf nicht mehr aus dem
Fensterrahmen zurückziehen kann. Erst nach vielem flehentlichen
Bitten lässt Doktor Faust das Hirschgeweih verschwinden, worauf sich
der Hofherr schleunigst dem Gespött seiner Umgebung entzieht.
Der Run auf die ersten Plätze, die beste Aussicht usw., das alles ist
menschlich, allzu menschlich. Unsere Erfahrung lehrt uns: solche
Menschen sterben nie aus. Gerne hätten wir dann einen Dr. Faust
unter uns, der den rücksichtslos Handelnden ein Hirschgeweih auf den
Kopf zaubert. Aber nur dann, wenn es andere betrifft.
Donnerstag, 14. August
2008
Das Stift Wilten verdankt der Sage nach seine Entstehung der Sühne für
eine Bluttat. Der Riese Haymon ist mit seinem Nachbarn, dem Riesen
Thyrsus, in einen heftigen Streit geraten. Der mörderische Zweikampf
endet mit dem Tod von Thyrsus. Da ist der Zorn von Haymon verraucht,
bittere Reue überfällt ihn. Er beschließt, dort, wo die Sill ins
Inntal strömt, ein Kloster zu erbauen. Er schleppt Steine herbei und
fügt sie schön behauen zusammen. Aber am nächsten Tag ist sein Werk
immer wieder zerstört – das Werk eines wilden Drachen, der die
Sillschlucht beherrscht, in der Nacht aus seiner Höhle kriecht und
mit mächtigen Tatzenhieben den Bau zerstört.
Da legt sich Haymon in der Nacht auf die Lauer, segnet sich und sein
Schwert mit dem Kreuzzeichen und tritt dem Drachen entgegen. Nach
heißem Ringen tötet er das Untier und reißt ihm als Zeichen des
siegreichen Kampfes die ellenlange Zunge aus dem Schlund.
Die Zunge des Menschen ist wahrlich kein harmloses Organ. Losgelassen wie
ein Drache können die von ihr geformten Worte ganze Lebenshäuser
über Nacht zerstören. Gute Worte hingegen bauen auf. In einem guten
Wort, so heißt es in einem afrikanischen Sprichwort, ist Wärme für
einen ganzen Winter. Die Jünger sagen zu Jesus: „Herr, zu wem sollen
wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens“.
Freitag, 15. August 2008
Auf dem Hochaltar der Wiltener Pfarrkirche wird bis heute das Gnadenbild
der Himmelskönigin „Maria unter den vier Säulen“ verehrt.
Über die Auffindung berichtet die Sage, dass einst eine der tapfersten
römischen Legionen, die sogenannte „donnernde Legion“, in Veldidena
ihr Lager aufgeschlagen hatte. Einige der Soldaten waren Christen.
Sie haben tief im Wald ein Bildnis der Gottesmutter gefunden und es
heimlich verehrt.
Im Jahre 137 nach Christi Geburt wurde die Legion verlegt. Die Soldaten
wollten das Gnadenbild nicht schutzlos zurücklassen und haben es in
der Wiltener Au unter vier Bäumen vergraben. Erst im 12. Jahrhundert
findet ein frommer Bauer namens Lorenz beim Pflügen seines Ackers
das Gnadenbild, über dem dann bald eine Kirche errichtet wird, die
älteste Form der heutigen Wiltener Pfarrkirche.
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und seiner Gräuel hätte es allen
Grund gegeben, am Menschen nur noch zu verzweifeln. Da stellt Papst
Pius XII. im Jahr 1950 ein Bild der Hoffnung vor unsere Augen: Maria
als die vollendet Erlöste, für die jetzt schon Wirklichkeit ist, was
für alle anderen noch aussteht. Wie das genau aussieht, was wir am
heutigen Fest Mariä Aufnahme in den Himmel feiern, das können wir
uns nur in Bildern ausmalen. Aber es tut uns gut, aus dem Acker
unseres Lebens einen solchen Schatz heben zu können. So wie damals,
als ein frommer Bauer namens Lorenz beim Pflügen seines Ackers das
Wiltener Gnadenbild „Maria unter den vier Säulen“ entdeckt.
Samstag, 16. August 2008
Kein Tiroler Landesfürst ist so im Gedächtnis des Volkes lebendig wie
Kaiser Maximilian I.
Sein berühmtestes Abenteuer hat Kaiser Max auf der Martinswand bei Zirl
bestanden. Der kühne Jäger hat sich so weit in den senkrecht
abfallenden Felsen vorgewagt, dass er nicht mehr weiter kann. Nur
ein schmaler Felsvorsprung gibt ihm noch Halt. Zwei Tage und Nächte
hofft der Kaiser vergebens auf Rettung. Niemand von seinen Getreuen
wagt es, ihn aus der furchtbaren Felswand zu befreien.
Kaiser Max sieht alle Hoffnung schwinden. Als guter Christ will er sich
wenigstens gut auf den Tod vorbereiten und bittet durch Zeichen, man
möge ihm das Allerheiligste vom Tal aus noch einmal zeigen. Das
geschieht auch. Schon hat sich Max mit seinem Schicksal abgefunden,
da hört er am dritten Tag plötzlich aus der Wand eine Stimme. Ein
Bauernbursch ist bis in die Nähe des Kaisers geklettert, befreit
ihn aus der Todesgefahr und bringt ihn auf einem Jägersteig in
Sicherheit. Der Jubel der Bevölkerung ist groß. Der Retter aber
verschwindet spurlos im Gedränge des Volkes.
So abenteuerlich wie bei Kaiser Maximilian schaut unser Leben meist nicht
aus. Aber dass alles gut geht, ist alles andere als
selbstverständlich. Da helfen viele mit. Der namenlose Retter von
Max hat auch in unseren Tagen viele Gefährtinnen und Gefährten.
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