Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer
Dietmar Stipsits (Bad Tatzmannsdorf, Burgenland)
Sonntag, 17. Aug. 2008:
Herunter mit dem Tempo
Phil Bosmans schreibt in seinem
Buch „Leben jeden Tag“ Folgendes:
„Wenn man um etwas bittet, heißt es
meist: „Keine Zeit!“
Die Menschen kommen aus dem Tempo,
der Unruhe,
der Rastlosigkeit nicht mehr
heraus,
selbst nicht im Urlaub.
Reisebüros treiben sie wie Schafe
in die Ferienparadiese.
Auch aus Urlaub und Erholung wurde
eine Industrie gemacht.
…
Darum schlage ich vor: Tu einmal
nichts!
Oder tu mal, was du nicht musst,
sondern worauf du Lust hast.
Das Leben und sicherlich dein
Urlaub sind doch kein Fließband,
von dem dir vorgesetzt wird, was du
zu tun hast.
Geh herunter mit dem Tempo,
steig aus, suche die Stille.
In der Ruhe findest du die
wunderbaren Freuden des Lebens,
die den Menschen im Lärm und Stress
verloren gingen.
In tiefem Schweigen kommen wir
dem Urgrund der Liebe am nächsten.“
Ich möchte Sie in dieser Woche
einladen, nachzuspüren und sich zu fragen: Wofür möchte ich mir ganz
bewusst Zeit nehmen? Was schenkt mir wirklich Freude und Lebenslust?
Urlaub bedeutet für mich, Zeit haben, sie mir bewusst nehmen und zur
Ruhe kommen. Und für Sie?
Montag, 18. Aug. 2008:
Muße
„Die Muße ist die Schwester der
Freiheit“, sagt Sokrates im 5. Jh. v. Chr. In der griechischen Polis
meint Muße eine von Arbeit und Sorgen freie Lebenssituation. Für
Aristoteles schafft Muße die Bedingung, das letzte Glück zu
erreichen. Ich übersetze für mich Muße nicht mit „nichts arbeiten“,
auch nicht mit „Freizeit“ oder „Urlaub“ im Sinne von „sich erholen“.
Für mich bedeutet Muße – ich zitiere Goethe: „Ich beobachte mit
intensivem Anteil; was ich erfahre, was mir entgegen kommt, das
fasse ich auf, erfreue mich daran und werde davon produktiv
angeregt“.
Muße bedeutet für mich: Meinen
eigenen Interessen, Sehnsüchten und Begabungen nachspüren und ihnen
Raum geben und sich von ihnen schöpferisch motivieren und bereichern
lassen. Mein Leben wird plötzlich geschmackvoll und interessant, ja
sinnerfüllt.
Wo ist es in meinem Alltag
notwendig, dass ich mit ganz wachen Sinnen hinschaue, hinhöre,
beobachte? Was bereitet mir Freude? Welche sind die Quellen in
meinem Leben, die mich produktiv anregen? Horchen Sie hinein in Ihr
Innerstes und schenken Sie heute Ihren Sehnsüchten weiten Raum! Sie
werden erfahren, dass „die Muße die Schwester der Freiheit ist“.
Dienstag, 19. Aug. 2008:
Zeit für Muße
Zeit für Muße zu finden, ist heute
wohl überaus schwierig geworden. Unsere Arbeitswelt mit ihrem
scheinbar grenzenlosen Leistungsdruck fordert uns heraus. Kommt man
nach Hause, soll zumindest etwas Zeit für die Kinder vorhanden sein,
und natürlich auch für die Partnerin/für den Partner. Und dann noch
Freiräume für Muße haben?
Gerade deshalb ermuntere und
ermutige ich Sie, sich regelmäßig kleine Oasen der Muße zu schaffen,
um dem Druck unserer heutigen Leistungsgesellschaft ganz bewusst zu
widerstehen, um Ihre eigenen Fähigkeiten und Ihre Wünsche nicht zu
vergraben, sondern sie zu entdecken und sie zu fördern. Jede und
jeder von uns hat doch in seinem Innersten seine Träume, die es gilt
mehr und mehr Wirklichkeit werden zu lassen. Es widerspricht meiner
Sicht des von Gott geschaffenen Menschen, dass wir alles für unsere
Arbeits-, Leistungs- und Konsumgesellschaft opfern. Wenn ich keine
Zeit zur Muße habe, habe ich letztlich auch keine Zeit für mich
selber. Und damit werde ich auch keine Zeit mehr für die wunderbaren
Freuden in meinem persönlichen Leben haben. Schaffen Sie sich ganz
bewusst regelmäßig kleine Oasen der Muße!
Mittwoch, 20. Aug. 2008:
Stille
Urlaub als Chance, Muße zu pflegen.
Phil Bosmans hat uns mit seinem Text am Sonntag eine Hilfe
angeboten, wie wir diese Muße kultivieren können, wenn er schreibt:
„Geh herunter mit dem Tempo, steig aus, suche die Stille.“
Ich merke selber in meinem Leben,
dass es gar nicht so leicht ist, diese Stille zu finden. Anfangs
kann sich da viel Unruhe auftun oder so mancher Gedanke an Flucht,
weil alles andere plötzlich wichtiger wird, als mir Zeit der Stille
zu gönnen. Thomas Merton, der bekannte Dichtermönch, gibt uns eine
Anleitung, um still werden zu können: Er rät uns, Gottes Schöpfung
ganz intensiv zu genießen, einen Berg mit seinem wunderbaren
Ausblick, das Meer mit seinem beruhigenden Rauschen der Wellen,
einen alten Eichenbaum mit seinen mächtigen Ästen, eine Rose in
ihrer vollen Blütenpracht, ein Schmetterling in seiner Zartheit des
Seins. Muße kann ich erfahren, wenn ich im Suchen der Stille jene
tiefe Geborgenheit in mir entdecke, die meinem Leben Sinn schenkt.
Und ich werde wieder auf meine innere Stimme hören, die Gottes
Lebensmelodie in mir erklingen lässt.
Donnerstag, 21. Aug. 2008:
Gottes ewiges „Ja“
In der Schöpfung das erkennen, was
für mein Leben wesentlich ist. Dorothee Sölle schreibt dazu: „Die
Natur ist ein Buch, in dem wir lesen können, sie ist … Spiegel, in
dem wir uns erkennen … Was sagt uns denn die Rose?“
„Die Ros ist ohn Warum, sie blühet,
weil sie blühet. Sie acht nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man
sie siehet.“ In diesem Zweizeiler fasst Angelus Silesius seine
Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens zusammen. Während wir
denken, dass wir mehr sind als die Rose, einer höheren Seinsordnung
angehören, macht er die Rose zum Urbild – und Vorbild – des wahren
Seins. „Sie ist ohne Zweck, nicht für etwas anderes da, sondern in
sich selbst sinnvoll … Unser Dasein braucht keine Anerkennung von
außen, die ihm seine Würde erst gäbe, die Rose fragt nicht, ob man
sie siehet“, meint Dorothe Sölle.
Urlaub als Zeit der Muße, um so zu
erkennen, dass es im Leben weniger um die Anerkennung durch andere
ankommt, weil wir von Gott vom ersten Moment unseres Lebens an
zutiefst angenommen und bejaht sind.
Freitag, 22. Aug. 2008:
Lebensregeln 1
Im Urlaub kann ich mir Zeit nehmen,
um Muße als Lebenshaltung einzuüben. Dr. Christoph Jacobs, Professor
für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie in Paderborn nennt
zehn Regeln, wie wir unseren Alltag gestalten können, um die
wunderbaren Freuden des Lebens zu entdecken und genießen zu können.
Jacobs schreibt:
„1. Vergewissern Sie sich immer
wieder, dass Gott Sie zu einem Leben in Fülle berufen hat. 2. Lernen
Sie das Staunen angesichts der Vielzahl der gottgeschenkten
Möglichkeiten, das Leben zu meistern. 3. Orientieren Sie sich an
Ihren Ressourcen, Charismen, Stärken und Fähigkeiten. Defizite sind
eigentlich sehr selten interessant. 4. Gewinnen Sie eine Achtsamkeit
für alle Bausteine der Gesundheit: Den seelischen Baustein, den
körperlichen Baustein, den sozialen Baustein, den spirituellen
Baustein. Bauen Sie diese Bausteine ein in jeden Tag, jede Woche,
jeden Monat, jedes Jahr. 5. Betrachten Sie die unvermeidlichen
Belastungen in Ihrem Leben nicht als „Stress“, sondern als
Herausforderung zu Wachstum und Reifung. Es ist lohnenswerter und
leichter, sich Schwierigkeiten zu stellen, als ihnen auszuweichen.“
- Morgen folgt der zweite Teil.
Samstag, 23. Aug. 2008:
Lebensregeln 2
„Das Leben und sicherlich dein
Urlaub sind doch kein Fließband, von dem dir vorgesetzt wird, was du
zu tun hast“, schreibt Phil Bosmans. Um schöpferisch das Leben zu
gestalten, verrate ich Ihnen noch die restlichen fünf Regeln von Dr.
Jacobs, mit denen ich gestern begonnen habe:
„6. Tragen Sie Sorge für Ihre
Freundschaften, lassen Sie sich Ihre wertvollen Beziehungen auch
viel kosten. 7. Erwerben Sie sich eine Sensibilität für Ihre
Symptome der Verausgabung. Und: Genießen Sie, wenn jemand Ihre
Anstrengungen würdigt. 8. Überlegen Sie, in welchen Bereichen Ihres
Lebens Sie Ihre Selbstverantwortung und die Verwirklichung Ihrer
Ziele und Entscheidungen verstärkt entwickeln möchten. 9. Verwenden
Sie auch Energie dafür, die Lebensbedingungen an Ihrem Arbeitsplatz
und in Ihrem Freundeskreis gesundheitsförderlicher zu gestalten. 10.
Lassen Sie sich niemals die Freude an der Hingabe nehmen. Im
Gegenteil: Trauen Sie der Verheißung: Wer sein Leben hingibt, wird
es empfangen.“
Ich hoffe, ich habe Ihnen in dieser
Woche Geschmack gemacht, nicht nur Ihren Urlaub, sondern Ihr ganzes
Leben in der Haltung der Muße zu gestalten, um dem Urgrund der Liebe
am nächsten zu kommen.
Buchtipps:
Phil Bosmans, Leben jeden Tag. 365
Vitamine für das Herz, Verlag Herder, Freiburg i. Br. 2008, 130.
Dorothee Sölle, Das Fenster der
Verwundbarkeit. Theologisch-politische Texte, Kreuz Verlag,
Stuttgart 1987, 64f.
Christoph Jacobs, Salutogenese.
Eine pastoralpsychologische Studie zu seelischer Gesundheit,
Ressourcen und Umgang mit Belastung bei Seelsorgern, Echter Verlag,
Würzburg 2000, 617f.
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