Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Josef Kopeinig, Rektor des kath. Bildungshauses in Tainach, Kärnten
Sonntag, 24. August 2008
In dieser Woche möchte ich Ihnen einige Gedanken über die Freundschaft
vermitteln, Erfahrungen, die auch mein Leben bereichern.
Mir ist Freundschaft sehr wichtig. Auch mein Verhältnis zu Gott nährt
sich von diesen positiven Erfahrungen. Zu seinen Jüngern, die zu
seinem engsten Freundeskreis gehören, sagt Jesus: „Ich nenne Euch
nicht mehr Knechte, ich nenne Euch Freunde, weil ich Euch alles
geoffenbart habe, was ich von meinem Vater gehört habe“.
Freunde stehen mitten in unserem Leben, nicht am Rande. Die Beziehungen
zu ihnen sind deshalb nicht flüchtig und oberflächlich, sondern
innig und vertrauensvoll.
Freunde leben nicht wie Monaden nebeneinander, sondern „bewohnen
gemeinsam ein geistiges Zuhause“, wie es so tiefsinnig der
bengalische Philosoph und Schriftsteller Rabindranath Tagore sagt.
Aber auch das geistige Zuhause kennt letztlich Geheimnisse, die sich
weder dem Freund, noch uns selbst ganz erschließen.
Deshalb meint Freundschaft neben liebender Nähe immer auch
ehrfurchtsvolle Distanz.
Wiederum zitiere ich denselben östlichen Denker, der uns Folgendes zu
bedenken gibt:
„Freund, lass mich deine Liebe sehen, selbst durch die Schranken der
Nähe!“
Vielleicht kann der eine oder der
andere Gedanke Sie in den heutigen Tag so begleiten, dass Sie für
gelebte und erlebte Freundschaft Gott danken können.
Montag, 25. August 2008
Wir erfahren es immer wieder, dass die tiefsten Erkenntnisse uns oft in
zufälligen Begegnungen, Beobachtungen und Erlebnissen geschenkt
werden.
Als ich Jugendkaplan war, machte ich mit einer Gruppe eine Bergtour. Die
Mädchen und Burschen waren natürlich schneller als ich, da ich doch
schon mehr an Körpergewicht zu schleppen hatte. Das merkte einer der
Jungen und blieb bewusst zurück, um mir stille Gefolgschaft zu
leisten. Er war ein Sportlertyp und hätte leicht der Gipfelsieger
sein können. Aber es ging ihm nicht um den Gipfelsieg und nicht um
den ersten Platz, sondern ihm war der Platz neben und hinter mir
wichtiger.
Ich habe seine stille und selbstverständliche Solidarität innerlich sehr
gespürt und war ihm dafür sehr dankbar. Das habe ich ihm damals noch
nicht gesagt, sondern es lange Zeit als Geheimnis im Herzen gehütet.
Als er auch Priester wurde, habe ich
ihm dieses Bergerlebnis anvertraut und ihm gesagt, wie sehr ich ihn
damals kennen und schätzen gelernt habe. Seine erwiesene
Sensibilität habe ich damals als Anfang tiefer Freundschaft erlebt
und bin dafür noch heute dankbar.
Freunde gehen nicht vor uns, sondern neben uns. Freundschaft braucht
nicht viele Worte, sondern kleine Schritte im Gleichklang der Seele.
Dienstag, 26. August 2008
Der slowenische Schriftsteller Ivan Cankar sagt: „Nicht im Wort, sondern
im Wortklang ist die Liebe“.
Wir können dasselbe Wort verschieden aussprechen und so bekommt es
verschiedene Bedeutungen. Das Wort Brot hat eine andere Bedeutung,
wenn es der Bäcker ausspricht, eine andere, wenn es der Hungernde,
ein anderes, wenn es jemand von der Müllabfuhr verwendet. So ergeht
es auch dem Wort „Freund“. Für den einen ist dieses Wort etwas
Heiliges, ein verletzliches Geheimnis, für den anderen nur die
Bezeichnung für eine unverbindliche Bekanntschaft.
Mahatma Gandhi hat in seinem Tagebuch wohl aus eigener Ehrfurcht vor der
Freundschaft geschrieben: „Bevor du zu jemandem Freund sagst,
überlege es aufrichtig, ob du selbst einer bist“.
Vor Jahren habe ich in Rocca di Papa bei einem mehrwöchigen Glaubenskurs
teilgenommen. Wir hatten noch das Glück, dass der Jesuit Pater
Lombardi, der vielen Konzilsvätern und anderen Bischöfen Exerzitien
gegeben hat, auch bei unserem Kurs Vorträge gehalten hat! Das
tiefste Erlebnis all dieser Wochen war die große Ehrfurcht, mit der
Pater Lombardi das Wort Jesus ausgesprochen hat.
Nicht nur ich, auch viele aus unserem
Kurs haben gespürt: So behutsam und ehrfürchtig spricht man nur über
den besten Freund.
„Nicht im Wort, sondern im Wortklang ist die Liebe und die Freundschaft“.
Mittwoch, 27. August 2008
Ein arabisches Sprichwort sagt: „Geh eine Meile, einen Kranken zu
besuchen, zwei, um Frieden zu stiften, und drei, um einen Freund zu
sehen“.
Für junge und ältere Menschen ist es wichtig, Freundschaft zu erleben und
zu leben.
Wenn Kinder die Schule wechseln oder mit den Eltern anderswohin ziehen,
hört man oft von der Betroffenheit der Kinder, deren Freundschaften
zerreißen oder die sich erst neue Freunde suchen müssen. Aber auch
ältere Menschen brauchen Freunde, damit sie in der Einsamkeit nicht
geistig erstarren und seelisch frieren.
Als Theologen haben wir in der
Freizeit im Pflegeheim vor allem solche Menschen besucht, die sonst
keine Besuche hatten. Als wenn es gestern wäre, denke ich gerne und
dankbar an eine bettlägerige Frau, die sich über den Besuch immer
sehr gefreut und mir auch immer gezeigt hat, wie viele Socken und
Handschuhe sie schon gestrickt hat.
Sie strickte für ein Heim mit behinderten Kindern. Es war im Advent 1962
als ich sie besuchte und sie mir ein Paket überreichte. Darin war
ein gestrickter Wollschal und ein kurzer Brief in slowenischer
Sprache: „Lieber Freund Josef, ich danke dir für die vielen Wege,
die dich zu uns führen“.
Mir kamen die Tränen und den Schal trage ich noch heute, damit die
Freundschaft über das Grab hinaus nicht erkalte.
Donnerstag, 28. August
2008
Unser Leben ist eine Geschichte unserer Begegnungen. Im Slowenischen
heißt Begegnung srečanje.
In diesem Wort
steckt das Wort: sreča,
d.h. Glück. Jede Begegnung soll uns glücklicher, froher, innerlich
reicher machen.
Mutter Teresa von
Kalkutta sagt in ihrem Tagebuch: »Verlasse
nie einen Menschen ohne ihn angelacht und glücklicher gemacht zu
haben«.
Es gibt Begegnungen, die
uns belasten oder die wir am liebsten aus unserem Gedächtnis
auslöschen möchten.
Glücklich ist, wer sagen
kann: »Wenn ich die schönsten Stunden meines Lebens aufzählen soll,
immer wird sich die Erinnerung an Freunde damit verbinden«.
Es ist ein Erlebnis,
sich mit dem Freund über persönliche Fragen zu unterhalten, aber
noch tiefer ist das Erlebnis, mit dem Freund über Wichtiges zu
schweigen. Im Schweigen sind wir uns oft näher als im Wort.
Simone Weil, eine
französische Mystikerin des 20. Jahrhunderts, die viel über den
Unglauben der Gläubigen und den Glauben der Ungläubigen nachgedacht
hat, bekennt: Mitten in der Nacht
bei der Geburt
des neuen Tages
suchte
ich Gott im Wort
und fand ihn im
Schweigen.
Unser Leben ist eine Geschichte
unserer Begegnung mit Gott, dem Freund unseres Lebens.
Freitag, 29. August 2008
Wenn ich 100 oder 1000 Menschen die Aufgabe stelle, sie mögen ohne lang
nachzudenken, sagen, was für sie lieben bedeutet, dann würden alle
Antworten richtig sein.
Jeder würde aus seiner Erfahrung und Sehnsucht, aus seiner Enttäuschung
und Nachdenklichkeit sagen, wie er Liebe erlebt oder gelebt hat.
Jede Antwort wäre richtig, wenn sie nur ehrlich ist. Aber unter alle
diese 100 oder 1000 Antworten könnten wir einen Strich ziehen und
zusammenfassend sagen: Lieben heißt Zeit haben!
Diese Wahrheit: Liebe heißt Zeit haben, könnte wahrscheinlich jeder
unterschreiben, ob alt oder jung, verliebt oder enttäuscht, auf der
Suche nach Freundschaft und mit der Sehnsucht nach Liebe oder auch
im Rückblick auf ein erfülltes und geglücktes Leben. Lieben heißt
Zeit haben.
Das leben und erleben Verliebte und Eheleute, Freunde und sensible
Menschen, die einen offenen Blick haben für die unausgesprochenen
Nöte der Menschen; Lieben heißt Zeit haben.
Was für mitmenschliche Beziehungen gilt, für Liebe und Freundschaft,
dasselbe gilt für unsere Beziehung zu Gott – Lieben heißt Zeit
haben.
Gott hat immer Zeit für uns!
Samstag, 30. August 2008
Ich kenne Sie nicht persönlich, die Sie mir jetzt in der Morgenstunde
zugehört haben. Wir kennen uns nicht von Angesicht zu Angesicht,
aber vielleicht sind wir uns innerlich näher gekommen. Wir haben
gemeinsam über Freundschaft nachgedacht und Sie hatten beim Zuhören
vielleicht Ihre eigenen Gedanken, Wünsche und Erfahrungen.
Vielleicht sind daraus bunte Bilder glücklicher Freundschaften
entstanden, vielleicht gab es auch Tränen der Trauer oder des
Glücks?
Ein chinesisches Sprichwort sagt:
Wir können Menschen vermissen, aber wir brauchen einen Freund!
Viele Menschen leben mitten unter den Menschen und bleiben allein, weil
sie niemanden gefunden haben, dem sie sagen könnten: mein Freund,
meine Freundin.
Der slowenische Dichter France Prešern klagt ähnlich, wenn er sagt:
„Viele Bekannte habe ich, aber keinen Freund“.
Ja, mit Bekannten kann man vieles
besprechen, aber das Herz öffnen willst du nur einem Freund, einer
Freundin.
Und es gibt Krankheiten, die heilt nicht der Arzt, sondern nur der
Freund.
Zum Schluss möchte ich Ihnen nochmals den indisch-bengalischen Dichter
Rabindranath Tagore zitieren:
„Lange musst du an der Schulter deines Freundes lehnen, bis er nach jener
Liebe verlangt, die du ihm schuldest“.
Das abschließende Wort der Kärntner Dichterin Christine Lavant möge für
uns alle ein kleines Vermächtnis sein, wenn sie sagt: „Ich brauche
einen Menschen, einen Freund, bis ich Gott gefunden habe“.
Ich wünsche Ihnen, dass wir alle in Gott auch unseren treuesten
Lebensbegleiter und Freund gefunden haben oder finden mögen.
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