Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

„Wüste – Bilder für unser Leben“

von Peter Bösendorfer, Pfarrer in St. Stephan in Amstetten/NÖ

 

 

Sonntag 14. September 2008

Land des Lebens

Die Wüste hat für viele Menschen etwas Bedrohliches: Die Hitze; das Fehlen von Wasser; die Weite; die Gefahr, sich zu verlaufen und sich nicht mehr zurecht zu finden und nicht weiterzukommen. Die Wüste ist ein Bild für unser Leben - für das Leben des modernen Menschen.

Viele Menschen leben heute innerlich in Wüsten. Sie leiden unter der Hitze der alltäglichen Herausforderungen im Beruf, zu Hause, in der Schule. Menschen finden keine Quellen mehr, wo sie auftanken können – sie haben einfach keine Zeit dazu und keine Möglichkeit.

Die Weite der bunten Möglichkeiten der modernen Gesellschaft macht vielen Angst. Sie finden sich unter den unzähligen Angeboten, das Leben zu gestalten, nicht zurecht. Auf der Stelle zu treten und nicht weiterzukommen, ist eine Erfahrung vieler moderner Zeitgenossen.

 

Gott will einen Weg aus diesen Lebenswüsten aufzeigen. Im heutigen Sonntagsevangelium heißt es: „Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet  wird.“

 

Gott möchte den Menschen – auch heute – in ein Land führen wo er leben kann.

 

 

Montag 15. September 2008

Horizont

Vor einigen Jahren war ich mit einer Gruppe von Freunden für ein paar Wochen in der Wüste Sinai. In dieser Zeit hat die Wüste im Erleben ihrer Schönheit für mich viel von ihrer Bedrohlichkeit verloren, obwohl ich mir ihrer Gefahren nach wie vor sehr bewusst bin.

 

Beim Gehen durch diese Landschaft gibt es einen beständigen Wechsel. Der Horizont verändert immer wieder seine Gestalt. Die Neugierde, was hinter dem Horizont sein wird treibt einen weiter, auch wenn die Hitze drückt  und das Weiterkommen beschwerlich ist.

 

Den Horizont im eigenen Leben wahrnehmen und auf ihn zuzugehen, bleibt eine Herausforderung für jeden Menschen. Aber nur im beständigen weitergehen, auch wenn es mühsam ist, können wir erfahren, was hinter dem Horizont liegt.

 

Wenn wir das Leben und damit uns selbst finden wollen, müssen wir immer wieder aufbrechen, Ausschau halten und den Horizont überschreiten, um einen neuen zu sehn.

 

 

Dienstag 16. September 2008

Geheimnis

Vieles in der Wüste ist für einen aus der westlichen Welt fremd und damit geheimnisvoll. Pflanzen und Tiere, die Geräusche in der Nacht, ja, sogar die Menschen, mit ihren Gebräuchen und ihrem Verhalten. Trotz allem, was man über die Wüste weiß, was man sich angelesen hat, kommt man zuerst ihrem Geheimnis nicht näher. Erst wenn man sich ganz auf sie einlässt, kann man sich ihr nähern.

 

Gleicht da nicht die Wüste uns Menschen, mir selbst?

Corinna Mühlstedt beschreibt das so:

Lass alles hinter dir zurück,

was deinen Weg beschwert.

 

Vergiss, was du dein Eigen nennst.

Es ist nicht dein.

Lass dein Wissen, deine Wünsche,

deinen Willen, deinen Stolz.

 

Erst, wenn du dir selbst ganz zur Frage wirst,

kommst du dem Geheimnis deines Lebens auf die Spur.

 

Dem Geheimnis des eigenen Lebens ein wenig näher kommen – möge es ihnen heute gelingen.

 

 

Mittwoch 17. September 2008

Neue Hoffnung

Ein Tag in der Wüste. Nichts als Hitze, Sand und Staub liegen in der Luft. Der Mund ist trocken, das warme Wasser schmeckt schal. Auch im Schatten eines Felsen findet man kaum Abkühlung. Der Wind hat die Spur der Karawane, die vor einigen Stunden durchgezogen ist, wieder verweht. Die Kräfte gehen zu Ende. Man ist gedanklich zumindest dem Nichtsein näher, als dem Sein.

 

Doch plötzlich eine Spur, neue Hoffnung wächst, es geht weiter, das Ziel kann erreicht werden.

 

Auch mir legen Menschen in trockenen und schwierigen Zeiten, wo ich nicht mehr weiter kann wieder Spuren der Hoffnung, durch ihr Dasein, durch ein aufmunterndes Wort, durch ihre Freude, durch ihr Lachen ...

 

Aber ich selbst bin auch gerufen, ein Spurenleger der Hoffnung zu sein, in Menschen neue Hoffnung zu erwecken, damit sie ihr Ziel erreichen.

 

 

Donnerstag 18. September  2008

Nichts

Meine Reise damals in die Wüste Sinai, führt mich innerhalb von Stunden direkt heraus, aus dem Lärm und der Hektik meines priesterlichen Alltags. Anstatt des Läutens meines Handys, der Stimme im Fernsehen, des Brummens der Lastautos auf der Straße, war um mich nur mehr das Licht der Sonne, das Rauschen des Windes, vielleicht das Schnauben des Kamelhengstes.

 

Die anfängliche Unruhe in mir wich sehr bald einer inneren Ruhe und einem Frieden. Ich konnte es genießen in dieser Stille zu sein. Es tat gut, den Tag nicht gestalten zu müssen und darüber nachzudenken, was in den nächsten Stunden alles zu erledigen ist. Ich spürte immer mehr eine Leichtigkeit, ein Getragen sein.

 

Diese Leichtigkeit und das Getragenseins kann man da wo man ist erfahren. Den Ort dafür muss man suchen und die Zeit dafür muss man sich zugestehen. Ein Freund sagte mir einmal: „Es ist besser man entzieht sich von Zeit zu Zeit seinen Beschäftigungen, bevor sie einen ziehen.“

 

 

Freitag 19. September 2008

Wasserträger

Eine Woche verbrachte unsere Gruppe damals am Sinai direkt auf einer kleinen Hochebene am Moseberg. Dort oben gab es nichts – auch kein Wasser. Wir waren angewiesen auf den Beduinen, der uns jeden Tag mit seinem Esel brachte, was wir zum Leben brauchten – Lebensmittel und Wasser. Dieser Beduine wurde für uns zum sprichwörtlichen Wasserträger. Mit seiner Hilfe konnten wir oben am Berg leben. 

 

Auch wir können Wasserträger werden. Durch unser glauben, hoffen und lieben. Wir können Menschen das Leben bringen durch einen zuversichtlich gelebten Glauben, durch ein hoffnungsvolles Wort, durch eine liebende Tat.

In einem Lied heißt es: Wasserträger wollen wir sein, weil die Welt ringsum verdorrt. Schick du Herr, den Regen herab, erfrisch uns durch dein Wort. Wasserträger wollen wir sein, mach mit. Jesus löscht den Durst Jesus Christ allein.

 

Die Botschaft Jesu, die wir in Wort und Tat zu den Menschen bringen, soll den Lebensdurst der Menschen stillen.

 

 

Samstag 20. September 2008

Gott begegnen

Im ersten Buch der Könige lesen wir wie Elija nach der heftigen Auseinandersetzung mit der Königin in die Wüste flieht. Er hat Angst und möchte aufgeben. Am liebsten wäre es ihm, wenn er sterben könnte. Doch Gott gibt ihm Kraft zum Weitergehen und er besteigt den Berg Horeb, um Gott zu erfahren. Und der begegnet ihm tatsächlich – aber nicht in einer gewaltigen, lärmenden Naturerschei­nungen: nicht im Sturm, Erdbeben oder Feuer, sondern Er begegnet in einem sanften, leisen Säuseln; oder wie es Martin Buber übersetzt: in einer „Stimme verschwebenden Schweigens“.

 

Gott begegnet uns Menschen ganz anderes als wir es erwarten. Er kommt uns so nahe wie wir das gerade brauchen und wie es uns gut tut. Elija brauchte im Augenblick die Stimme verschwebenden Schweigens. Wir haben das vielleicht auch manchmal notwendig. Ein anderes Mal kommt Gott zu uns in einer heftigen Begegnung, durch einen Schuss vor den Bug unseres Lebens, eventuell in einer Krankheit oder Krise oder gar in einer großartigen Naturerscheinung.

 

Elija erkannte in dem Augenblick Gott. Diese Fähigkeit ist auch uns geschenkt.