Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
„Nach- und Vorgedachtes“
von Pfarrer Wilfried M. Blum (Rankweil, Vlbg.)
Sonntag, 21. September
2008
Es gibt Orte, die lassen Worte verstummen. Da kann man nur schauen und
staunen.
So habe ich es im Sommer erlebt. Mit einer Gruppe besuchte ich die
weltberühmte Kathedrale Notre-Dame-de-Chartres aus dem 13.
Jahrhundert. Das gesamte Werk – vom Bau über die faszinierenden
Glasfenster und das Labyrinth bis zu den großartigen Figuren an den
Portalen – diente ausschließlich der Verherrlichung Gottes: Ein
Stück Himmel sollte auf Erden sichtbar werden.
Und es ist tatsächlich so: Ich empfand eine innere Berührung, wie ich es
bisher selten erlebt habe. Die tiefe Gläubigkeit und hohe
Handwerkskunst der damaligen Menschen haben mich besonders staunen
lassen. Es wird augenscheinlich, wie sehr wir – in aller
Bescheidenheit - auf dem weiterbauen dürfen, was frühere
Generationen uns hinterlassen haben. Bernhard von Chartres hatte
damals mit seinem Rat schon recht: „Mit unserem begrenzten
Erkenntnisvermögen sind wir alle Zwerge, aber auf den Schultern von
Riesen können auch Zwerge weit schauen“.
Die Geschichte der Menschheit und ihr Wissen, unsere Vorfahren und deren
Kulturen – das sind die Schultern von Riesen, auf denen wir
(heutigen) Zwerge weit sehen können.
Montag, 22. September 2008
Selber war ich in keinem kirchlichen Internat. Aber im Gymnasium habe ich
durch Mitschüler aus einem so genannten Kleinen Seminar sehr viel
miterlebt und mitbekommen. Darum war ich neugierig auf den Film „Der
letzte Zögling“ von Peter Oberdorfer. Bekannte Persönlichkeiten wie
Josef Hader, Andre Heller, Michael Köhlmeier und andere erzählen
darin von ihren Erfahrungen.
Nach dem Film blieb in mir ein etwas nachdenkliches Gefühl. Man kann
annehmen, dass für viele junge Menschen diese Jahre im Internat für
ihr weiteres Leben wichtig gewesen sind und ihre Persönlichkeit
wesentlich geprägt worden ist. Doch bleibt so mancher Schatten
zurück; und dafür gibt es auch Beispiele.
So resümierte der Sänger und Schriftsteller Reinhold Bilgeri in einer
ORF-Kultur-am-Montag-Sendung (30. Juni 08) über seine
Internatserziehung mit der traurigen Erkenntnis: „Es wurde mir die
Würde und das Vertrauen genommen!“
Warum erzähle ich es?
Ich bin überzeugt, es braucht noch einige Versöhnungsarbeit. Aber
wichtiger ist für mich als Christ das Bemühen, dem Nächsten – ob
Kind, Jugendlicher oder Erwachsener – stets so zu begegnen, dass er
stets in seiner göttlichen Würde ernst genommen und ihm Vertrauen
geschenkt wird.
Dienstag, 23. September
2008
Kinder sind doch oft die besten Theologen. Da erzählte mir unlängst eine
Oma vom Waldspaziergang mit ihrem achtjährigen Enkelkind. In bester
Absicht wollte sie ihm die wunderbare Schöpfung und etwas von dem
Geheimnis des Waldes ans Herz legen. So erzählte sie auch von Wald-
und Baumgeistern sowie von anderen guten Geistern, die nur mit
staunendem Herzen und offenen Sinnen wahrzunehmen sind. Das Kind
lauschte und lauschte.
Daheim angekommen stellte es sich vor die Oma und resümierte den
Spaziergang durch den Wald. Es stellte kurz und bündig fest: „Oma,
das mit den Geistern stimmt ja alles nicht. Die gibt es ja nicht!
Denn es gibt nur den Heiligen Geist!“
Das wars nun! Da blieb der Oma doch ein wenig die Sprache weg. Nicht dass
sie sich nicht über diese Erkenntnis gefreut hätte! Aber damit hatte
sie eigentlich nicht gerechnet.
Kinder sind oft doch die besseren Theologen als wir Erwachsene. Das habe
ich oft in meinem Leben erfahren. Wundert es, dass Jesus Kinder in
die Mitte gestellt und daran erinnert hat: Wenn ihr nicht umkehrt
und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich
kommen! (Mt 18, 3)
Mittwoch, 24. September
2008
Künstlerische Menschen haben es im Leben nicht immer leicht. Oft ecken
sie an oder werden nicht verstanden. Manchmal aber tun sie sich
schwer, das Leben einfach so zu leben. Die bunte Palette
vielfältiger Talente können sowohl eine Chance als auch ein
Stolperstein zur Alltagsbewältigung sein.
Vor einigen Wochen schrieb mir ein mit vielen Talenten gesegneter
Künstler der Fotographie: „Das ist wohl mein (Lebens-)Plan: Nicht
die Irre, aber die Neugierde und den Mut für ein Leben abseits vom
gedankenlosen Konformismus. .... Einfach „das Mark des Lebens“
lutschen. Und sind wir uns mal ehrlich, die Kunst war zu jeder Zeit
brotlos, und sie hat doch immer wieder wertvolle Früchte getragen
und so viel Anregendes hervorgebracht. Also tief durchatmen und
weiter, solange der Drive noch da ist!“ (P. I.)
Dieses Lebens-Credo eines jungen Künstlers bezeugt für mich das, was doch
auch unsere christliche Berufung wäre - oder richtiger gesagt - ist:
Das Mark des göttlichen Lebens lutschen, d.h. sich des Lebens mit
allen Möglichkeiten und Grenzen erfreuen und das Beste daraus zu
machen: Etwas von der göttlichen Fülle des Lebens zu verspüren.
Donnerstag, 25. September
2008
Ich weiß nicht, wie Sie es empfinden. Als leidenschaftlich politisch
interessierter Christ vergrämt mich der niveaulose und inhaltlich
dumme Stil vieler unserer Politiker und Politikerinnen. Umso mehr
beeindrucken mich Persönlichkeiten, die trotz unterschiedlicher
Wert- und Weltanschauungen einen respektvollen und wertschätzenden
Umgang miteinander pflegen.
In der ARD-Sendung „Menschen der Woche“ hatte vor längerer Zeit Frank
Elstner die beiden Brüder Bernhard und Hans-Jochen Vogel zu Gast.
Der ältere war lange Oberbürgermeister von München und Berlin,
SPD-Vorsitzender und Bundesminister in Deutschland. Der jüngere
hingegen war als CDU-Politiker Ministerpräsident des Landes
Rheinland-Pfalz und des Freistaates Thüringen in der ehemaligen DDR.
Nicht die Tatsache, dass sie Brüder sind, sondern ihr menschlicher
Charakter war bei aller ihrer parteipolitischen Unterschiedlichkeit
der Boden für einen respektvollen Umgang und eine sachlich
politische Auseinandersetzung. Ich denke, dass bei beiden
Persönlichkeiten ihre christlichen Wurzeln Früchte getragen haben –
mit und ohne großes C im jeweiligen Parteiprogramm.
Freitag, 26. September
2008
In letzter Zeit haben sich die Todesfälle durch plötzlichen
Herzstillstand gehäuft. Auch ein geschätzter Mitbruder ist auf einem
Berggipfel zusammengebrochen und war tot: Ein Schock für die beiden
Pfarrgemeinden, in denen er segensreich gewirkt hatte, ein Schock
für seine Angehörigen und Freunde.
Mag es den Betroffenen unter Umständen – wie man so zu sagen pflegt – ein
schneller und deshalb schöner Tod sein, umso schwerer trifft es aber
die Hinterbliebenen.
Solche unverhofft eintretenden Todesfälle stimmen nachdenklich und – ich
muss gestehen – gehen mir sehr nahe. Es macht einem bewusst, wie
sehr alles in unserem Leben „Windhauch“ (Koh1, 2) ist, um es mit
einem Wort des alttestamentlichen Kohelet auszudrücken.
Vaclav Havel hat einmal gesagt: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass
etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal
wie es ausgeht“.
Als Christ baue ich meine Hoffnung auf Jesus Christus. Durch sein Leben
und seine Auferstehung bin ich in meinem Glauben bestärkt, dass in
allem ein tieferer Sinn liegt und alles einmal gut ausgehen wird –
ob ich plötzlich oder erst im hohen Alter sterben werde.
Samstag, 27. September
2008
Morgen wird in Österreich der Nationalrat gewählt.
Endlich werden dann die schrillen Wahlkampftöne verstummen. Das
Dummverkaufen der Menschen nimmt ein Ende. Mich stimmt das alles
seit Jahren immer nachdenklicher und vor allem trauriger. Denn für
mich als Christen ist der Wert der Demokratie und der damit
verbundenen Haltung der Achtung und des gegenseitigen Respekts
wichtig. Deshalb sind eine den Gegner niedermachende Sprache, eine
auf Lügen und Wortbrüchigkeit aufbauende Strategie, eine auf Kosten
der zukünftigen Generationen verschwenderische Politik, eine Angst
schürende und beleidigende Wortwahl eine armselige Geisteshaltung.
Was tun?
Aus christlicher Verantwortung halte ich für entscheidend: Auf jeden Fall
zur Wahl gehen. Schließlich bin ich gefordert, für jene Partei zu
stimmen, in der ich am ehesten meine Überzeugung wieder finde. Wer
nicht zur Wahl geht, überlässt anderen das Feld und drückt sich um
die eigene Verantwortung.
Dringender denn je wird es wohl sein, dass Christen noch mehr als sonst
den Hl. Geist bestürmen müssen, um Klarheit für eine Entscheidung zu
finden.
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