Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Karin Engele  (Evangelische Pfarrerin in Peggau, Steiermark)

 

 

Sonntag, 28.9.2008

An diesem noch jungfräulichen Sonntagmorgen ein verstörender Gedanke. Geburt, fröhlich quiekende Babys, später Tauffeiern, Kindergeburtstage, da hat man die Zukunft noch vor Augen, da weiß man, wofür man lebt und arbeitet.

Nur die Kirchen lassen einen nicht in Ruhe, die bringen immer wieder den Tod ins Spiel des Lebens. Treten dagegen an, das Leben einfach Leben sein zu lassen, Spielverderber, Angstmacher, oder? Vielleicht sind sie aber auch verantwortungsbewusster und lebensnäher als alle Stimmen, die ein fröhlich seliges Leben beschwören. Es hat schon sein Gutes, hin und wieder vom eigenen Ende her zu denken und sein Leben zu gestalten. Vielleicht auch daran zu denken, dass nicht alle Menschen, die mir nahe stehen, die ich liebe, die  mich lieben, einfach immer da sind. Das verändert die Wahrnehmung, das schafft Intensität, das relativiert, vergrößert die Dankbarkeit für gemeinsame Zeiten. Die rechtzeitige Auseinandersetzung mit meiner Endlichkeit hilft vielleicht auch, die panische Angst mancher Zeitgenossen vor dem Alter und dem Tod ein wenig einzudämmen. Denn Gott ist es, der uns die Spanne unseres Lebens zumisst von der Geburt bis zum Tod. Unser Leben und Sterben liegt in seinen Händen.

 

 

Montag, 29.9.2008

Der Herbst ist in vollem Gange; wenn Sie einen Garten haben, wissen Sie was das heißt, all die vielen abgeernteten Zweige entfernen, die Sträucher zusammen schneiden, die welk gewordenen Blütenstängel kompostieren, Unmengen von vertrocknetem Laub entsorgen. Gewiss sie haben unser Herz erfreut mit ihrem Blühen, mit ihren Früchten, sie haben uns viel Arbeit gekostet und Zeit, die kleinen Pflänzchen haben wir sorgsam gepflegt, behütet vor Nacktschnecken und anderem Ungeziefer, wir haben sie beschnitten, gegossen, vor allzu greller Sonne geschützt, schließlich das Beet vom Unkraut befreit, um dann zu ernten. So wie auch unser Leben verläuft, vieles haben wir begonnen, gepflanzt, ausgesät, Samen in die Herzen unserer Kinder gelegt, in unsere Zukunft investiert, alles sorgsam gehütet und bewahrt.

Jetzt ist die Zeit, unnötig gewordenen Ballast abzuwerfen, das Leben von verdorrten Trieben zu befreien. Es ist nicht sinnvoll, alle alten Enttäuschungen, alle unerfüllten Sehnsüchte und Wünsche ständig mit durchs Leben zu schleppen, sondern durchaus manches auszureißen, bewusst zurückzulassen, Platz zu schaffen. Erst dadurch können wir aufatmen, erst dadurch werden wir wieder offen für Neues, für neue Begegnungen, für neue Ideen und Chancen.

 

 

Dienstag, 30.9.2008

Es gehört wohl zu unseren größten Sehnsüchten, einen Menschen im Leben zu finden, in dessen Armen wir uns aufgehoben und geborgen fühlen. So wie es vielleicht einmal gewesen ist kurz nach unserer Geburt, oder eben vielleicht gerade nicht, wo diese Suche nach Aufgehobenheit manchmal ein halbes Leben dauert. Und dann endlich einer, endlich eine, die meine geheimsten Wünsche erfüllt, mich einfach in den Arm nimmt, festhält, mir Zärtlichkeit und Nähe schenkt ohne Gegenleistung, völlig unverdient.

Wo wir zum Augenblick sagen möchten: Verweile doch, du bist so schön.

Doch dieses Gefühl hält nicht an, die Zeit bleibt nicht stehen - das Handy läutet, der Hunger kommt zurück, die Kinder müssen versorgt werden, die Arbeit fordert unseren ganzen Einsatz. Wie banal - und gleichzeitig wie wichtig diese Außenorientierung unseres Lebens. Einander Loslassen Können, Distanz schaffen, das hat nicht gleich etwas mit Lieblosigkeit zu tun, sondern kann eine wirkungsvolle Hilfe sein, Nähe umso beglückender und intensiver zu erleben. Also gilt es, mit dem Klammern aufzuhören und beides, Umarmung und Lösung, zu genießen als Zusammenspiel von Ebbe und Flut, von Begegnung und Abschied, von den Grundkräften des Lebens also.

 

 

Mittwoch, 1.10.2008

Naja, auf jeden Fall braucht Suchen seine Zeit, am besten ich würde jeden Tag in meinen Tagesablauf eine halbe Stunde Suchzeit einplanen, von der Brille zum Autoschlüssel, von der zu bezahlenden Rechnung bis wieder zum Autoschlüssel, von der e-card bis zum - nein - diesmal ist es wohl der Haustorschlüssel. Glücklicherweise bin ich damit nicht allein, aber es gibt auch Menschen, die immer alles bei der Hand haben, mir unheimliche Menschen. Was die nicht alles mit der so gewonnenen Zeit anstellen könnten. Wie tröstlich sind da des Predigers Gedanken: Sogar dem Verlieren seine Zeit einzuräumen - das finde ich entlastend, etwas richtig langsam zu verlieren, zu verlegen, verschustern, um es dann genauso gelassen wieder zu suchen, zu entdecken und sich dann riesig zu freuen. Ich hab das Geldtascherl doch nicht verloren, oder ich finde etwas genau dort, wo es eigentlich auch hingehört, den Schlüssel zum Beispiel am Schlüsselbrett und den Reisepass mitten zwischen den Dokumenten.

Freilich manchmal geht es nicht ohne Hektik oder Stress, weil im letzten Moment die Mappe mit den Unterlagen sich heimtückisch verkrochen hat. Aber wie - wenn ich mir fürs Verlieren und Suchen einfach mehr Zeit nehme, ein unproduktiver Gedanke, aber einer, der mich fröhlich und gelassen stimmt, und vielleicht ist das auch seine Absicht.

 

 

Donnerstag, 2.10.2008

Die Älteren unter uns wissen ein Lied davon zu singen, erst der traurige Abschied, wenn nach dem Vater auch die Mutter gestorben ist und dann das Räumen der Wohnung oder des Hauses ansteht. Nach dem Krieg, ja da war es notwendig, alles aufzuheben, Bindfäden, Einpackpapier, jedes Glas, jede Schraube, einfach alles, was man noch irgendwann einmal brauchen könnte - und man steht staunend vor Kästen, Truhen, Schubladen und wünscht sich - es wäre weniger durchzusehen oder zu entsorgen. Wer braucht schon so einen alten Krempel, die Altkleidersammlung, die Caritas höchstens. Nur das eine oder andere Foto wird aufgehoben, die alte Wanduhr mitgenommen, denn bei sich zu Hause hat man überhaupt keinen Platz mehr - was da nicht alles herumsteht und gesammelt wird: Schalen, Vasen, Souvenirs aus den Urlauben, Tischdekoration, Weihnachtsschmuck für mindestens fünf Christbäume und Unmengen an Wäsche, Gewand, Schuhen. Vielleicht sollten wir schon früher beginnen mit dem Sichten, dem Entlasten, dem Wegwerfen; Platz schaffen, ein leeres Regal, eine Lade, die noch nicht voll gestopft ist bis zum Rand. Sich zu fragen, was brauche ich wirklich zum Leben, was ist nur unnützes Zeugs, das mir die Sicht verstellt. So lässt sich beides in den Blick nehmen: das Aufbewahren und das Wegwerfen - es lässt sich erlernen  - und es befreit von unnötigem Ballast.

 

 

Freitag, 3.10.2008

Sag doch was, irgendetwas ist doch los mit dir, so red doch endlich. Wie oft haben meist Frauen mit diesen oder ähnlichen Sätzen ihre Männer bedrängt, sich zu öffnen, sie mit hineinzunehmen in ihre Gedanken, Gefühle und Sorgen. Wie oft kommt leider die Antwort: Lass mich in Ruhe. Viele Männer haben es nie gelernt, geübt oder als Hilfe erfahren, sich auszusprechen, sich mitzuteilen und lösen dadurch beim Gegenüber nicht selten das Gefühl aus, ausgeschlossen und ungeliebt zu sein. Umgekehrt erleben Männer ihre Frauen häufig als anstrengend, wenn alles, auch die kleinsten Sorgen oder Entscheidungen breit geredet werden. Jeder Hinweis darauf wird von Frauen oft kränkend und lieblos erlebt.

Wie gut wäre es, könnten die vom großen Schweigen geprägten Männer den Halbsatz beherzigen, dass auch Reden seine Zeit hat: mit den Kindern reden, mit der Partnerin reden, über Probleme und Gefühle reden lernen, über das was bewegt, über ihre Schmerzen, Sorgen und auch ihre Niederlagen. Wie gut wäre es, wenn manche Frauen sich den anderen Teil des Satzes zu Herzen nähmen, dass auch Schweigen seine Zeit hat. Vielleicht gelingt es, manchmal miteinander zu schweigen, denn es muss nicht alles geklärt, gelöst, geglättet, harmonisiert werden. Das ergäbe einen sinnvollen Ausgleich und würde wohl beiden Seiten gut tun, meint zumindest der Prediger Salomo.

 

 

Samstag, 4.10.2008

Wenn ich junge Paare frage, wie sie sich ihre zukünftige Ehe vorstellen, dann bekomme ich viele unterschiedliche Antworten: Wir möchten über alles reden können, wir wollen eine liebevolle, zärtliche und erotische Beziehung zueinander aufbauen. Wir wollen ein Haus bauen, eine Familie gründen, wir wollen uns gegenseitig unterstützen. So viele positive Erwartungen, so viele gute Wünsche. Da erscheint es oft unverständlich, warum immer mehr Ehen so rasch geschieden werden. Vielleicht liegt ein Grund darin, dass niemand von den beiden mit negativen Gefühlen gerechnet hat. In jeder noch so guten Beziehung werden diese Gefühle auftauchen, ungerufen, unerwartet. Plötzlich wird der andere hart und kalt, enorm verletzend oder abweisend. Nie war jemand so gemein, hatte jemand so wenig Verständnis für die eigenen Nöte wie ausgerechnet das geliebte Gegenüber. Was ist passiert? Je höher die Erwartungen an die Ehe, desto massiver die Enttäuschung. Solche Enttäuschungen schlagen dann manchmal in Wut oder Hass um und in diesen Zeiten erscheint die Liebe wie weggeblasen. Wenn wir diesen Phasen von Hass und Ablehnung keinen Raum geben, sondern gleich die Flinte ins Korn werfen und uns trennen, kann die Liebe nicht wieder aufleben. Beides gehört also zusammen. Mit der Wut, der Kränkung, dem Zorn zu rechnen und trotzdem zusammen zu bleiben, gibt der Liebe eine Chance, zu wachsen, zu reifen und den Stürmen des Lebens zu trotzen.