Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
„Tür und Tor“([1])
von Veronika Prüller-Jagenteufel
Sonntag, 12.10.2008
Das Haus meiner Kindheit hatte ein
großes zweiflügeliges Holztor. Ich erinnere mich noch gut, wie es
war, wenn ich abends heimkam: Zuerst die mir oft unheimliche
Dunkelheit im Garten und dann endlich Licht und Geborgenheit hinter
diesem großen Tor.
Türen und Tore markieren eine
Grenze. Das verschließbare Tor kann Schutz bieten oder auch
bedrohlich sein. In jedem Fall ist es ein Durchgang von einem Raum
in einen anderen, von einer Sphäre in eine andere.
An diesen sensiblen Übergang, an die
Tür, heißt es in der Bibel, sollen die Israeliten ihr
Glaubensbekenntnis schreiben – für alle sichtbar. Bis heute hängen
gläubige Juden an ihre Türpfosten eine kleine Schriftrolle mit ihrem
Bekenntnis zu Gott, dem Gott für und mit uns Menschen.
Unter diesem Bekenntnis stehen neben
dem Judentum auch die christlichen Kirchen. Ihre mit diesem
Bekenntnis bezeichneten Türen möchten Geborgenheit bieten, zu
Einkehr und Labung einladen oder gar zur Heimkehr.
Dass der reale Kirchenalltag das oft
nicht so recht hergibt, ist schmerzlich – und ich weiß von Menschen,
denen die Kirche eher zum Gefängnis denn zur Heimat wurde.
Ich persönlich bin dankbar, dass ich
lernen durfte, die großen Tore der Kirche aufzuschließen und aus-
und einzugehen. Und immer noch finde ich innerhalb dieser Türen das
Licht, das die Finsternis bannt.
Montag, 13.10.2008
Eine mir sehr wertvolle Postkarte
zeigt ein Bild, das ein Mann in einem Gefängnis in Peru gemalt hat.
Zu sehen ist eine geöffnete Tür, die ein kleines Mädchen aufgemacht
hat, ein Wohnraum und dahinter ein Feld, das eine Frau gerade
bestellt. So stellt sich der peruanische Häftling seine Heimkehr
vor.
Ich sehe in dem Bild zwei wichtige
Elemente dafür, um mich wo daheim zu fühlen: Nämlich dass da
freudige Lebenslust ist – verkörpert in dem kleinen Mädchen; und
dass da gut für das Leben gesorgt wird – sichtbar in der Frau auf
dem Feld.
Ich habe diese Postkarte geschenkt
bekommen als Bild für die Sehnsucht nach dem Zuhause, das meine
Kirche für viele Menschen sein will.
Wie der Mann, der nach Jahren im
Gefängnis heimkommt, bringen Menschen, die in die Kirche kommen,
viele Erfahrungen mit und sie möchten genau damit willkommen sein
und offene Türen finden – und dahinter Lebenslust und
verantwortungsvolle Sorge für das Leben. Ob wir Kirchenleute die
Türen aufmachen und begrüßen, was von draußen auf uns zukommt?
Im Neuen Testament sagt Gott von
sich selbst: „Ich stehe an der Tür und klopfe: Wenn du meine Stimme
hörst und die Tür öffnest, werde ich zu dir hineingehen und mit dir
essen und du mit mir.“ (Off 3,20)
Oft klopft Gott mit denen an die
Kirchentüren, die ihn erst zu suchen meinen.
Dienstag, 14.10.2008
Ein langer Gang mit lauter Türen,
die alle gleich aussehen. Welche ist für mich bestimmt? Durch welche
soll ich gehen?
So beschreibe ich manchmal meine
Situation, wenn ich mich entscheiden soll. Was hinter den Türen
wartet, ist nicht immer zu sehen. Und oft lähmt es mich, dass es so
viele Möglichkeiten gibt, und ich verharre unentschieden im
Zwischenraum. Eine Tür zu wählen, würde ja die anderen ausschließen
– und wer verliert schon gern Chancen und Möglichkeiten?
Was mir hilft, dann doch durch eine
der Türen durchzugehen, ist, mich neu einzuschwingen in das
Vertrauen, in das Leben und vor allem: Mir zu erlauben, dass ich
umkehre, wenn die Tür falsch gewesen sein sollte.
Der heilige Paulus schreibt
mehrfach, dass Gott ihm eine Tür geöffnet hat. Und er bittet seine
Leute um ihr Gebet dafür, „dass Gott uns eine Tür für das Wort
öffnet, um das Geheimnis Christi zu verkünden.“ (Kol 4, 3)
Gott öffnet die Tür – da stellt sich
ein ganz anders Bild bei mir ein, keine verwirrende Türenvielfalt
mehr, sondern schöne helle Zimmer, in denen sich die Türen einfach
vor denen öffnen, die sie freudig durchschreiten.
Ihr aufrechter Gang hat wohl damit
zu tun, dass sie um ihren Auftrag wissen und dem vertrauen, der sie
gesandt hat.
Mittwoch, 15.10.2008
„Kämpft darum, durch die enge Tür
hineinzukommen.“ (Lk 13, 24)
Im Lukasevangelium steht dieses Wort
von der Tür, durch die viele noch hineinwollen, bevor sie
geschlossen wird. Jesus antwortet damit auf die Frage, wer gerettet
wird, und will dazu anspornen, sich um das Heil ebenso ernsthaft zu
bemühen wie Menschen, die darum kämpfen durch eine enge Tür zu
kommen. Das Gedränge kann man sich leicht vorstellen.
Dabei geht es sicher nicht um
Konkurrenzkampf: Vom Heil Gottes ist mehr als genug für alle da. Wir
müssen uns da nicht gegenseitig wegdrängen.
Doch durch ein enges Tor kann eine
nur allein gehen, zwei nebeneinander passen nicht durch. Über die
Schwelle hinein in Gottes Gegenwart kann jeder Mensch nur selbst
gehen. Da ist niemand vertretbar, sondern ganz persönlich gefragt.
Und um da durch zu gehen, muss oft erst einmal Ballast abgelegt
werden. Manche Gewohnheiten oder alte Lasten oder Verhärtungen
können uns zu breit machen, um durch zu passen.
Das loszulassen, was mich hindert,
die Gegenwart Gottes nah zu erfahren, das kann nun durchaus
anstrengend sein und ein herausfordernder Kampf – wie ein Drängen
durch eine enge Tür, wie eine Geburt.
Donnerstag, 16.10.2008
Ein Bauernhof, davor ein ummauerter
Pferch für die Schafherde. Ein altes Tor in der Mauer. Die Schafe
warten, dass der Hirte kommt, das Tor öffnet und sie auf die Weide
lässt.
Jesus bezeichnet sich ja als den
guten Hirten, aber er sagt von sich auch: „Ich bin die Tür“ (Joh,
10, 7) und meint genau so eine Tür im Schafzaun, die denen, die
kommen, Schutz gewährt und die hinausführt, dorthin, wo es Nahrung
gibt.
„Ich bin die Tür, wer durch mich
hineingeht, wird gerettet werden und hineingehen und hinausgehen und
Weide finden“ (Joh 10, 9), heißt es im Evangelium.
So gedeiht das Leben: Im Wechsel
zwischen innerer Einkehr, Ausruhen einerseits und Aufbruch, Neugier
auf die Welt andererseits. Jesus Christus zeigt sich als die Tür,
die beides so verbindet, dass das Leben Erfüllung findet.
Er ist die Tür für die Schafe, und
er ist auch die Tür zu den Schafen – zu den Menschen.
Wer sich – etwa im Namen der Kirche
– Menschen im Namen Jesu zuwenden will, muss durch diese Tür kommen.
Er oder sie muss sozusagen durch Jesus Christus hindurchgegangen
sein, um anderen Menschen so begegnen zu können, dass sie sich
geborgen erfahren und das finden, was sie wirklich nährt. Der
erwartungsvolle Blick auf das alte Tor soll nicht enttäuscht werden.
Freitag, 17.10.2008
„Wir werden vor Türen stehen, die
sich von innen öffnen.“ So beginnt ein Gedicht von Martin Gutl mit
dem Titel: Auferstehung.
Kein verschlossenes Himmelstor,
übergroß, eisenverstärktes Holz, mit einem Guckloch hoch oben. Auch
kein supermodernes, Kamera bewährtes, vollelektronisches
Edelstahltor. Und schon gar kein Tor, das ins Schloss fällt und nur
gähnende schwarze Leere hinterließe. Nein, sondern: „Wir werden vor
Türen stehen, die sich von innen öffnen.“
Auch keine peinliche Befragung, kein
brummiger Petrus. Nein, sondern offene Türen, die einladen
einzutreten, die willkommen heißen.
Will ich da hinein? Bin ich bereit?
Was bringe ich mit? Kann ich zu dem stehen, was ich mithabe? – Diese
Fragen bleiben ohnehin niemandem erspart, die stellen sich von
selbst, die stellen wir uns selbst. Die offene Tür wird uns
ermuntern, uns diesen Fragen im Wohlwollen mit uns selber und mit
allen anderen zu stellen.
„Wir werden vor Türen stehen, die
sich von innen öffnen.“
Bei Martin Gutl heißt es weiter:
„Die daran glauben, haben einen
festen Schritt.
Sie teilen mitten unter Geizigen.
(...)
Sie gehen mit einfachem Licht durch
siebenfache Finsternis. (...)
Sie tanzen durch die Reihen der ewig
Ernsten.“([2])
Samstag, 18.10.2008
Eines der Bilder für den Messias,
der am Ende der Zeiten erwartet wird, ist in der Bibel der Schlüssel
– als „Schlüssel Davids“ wird der Messias besungen – z.B. in manchen
Adventliedern: Ein wirkungsvoller Schlüssel – es heißt von ihm, das
Tor, das er schließt, kann niemand öffnen; und was er öffnet, kann
niemand mehr schließen. Sein Schließen und Öffnen sind endgültig.
Christinnen und Christen erkennen
den Messias in Jesus Christus, der den Himmel für alle
aufgeschlossen hat. Die daran glauben, verlieren die Angst – die
Angst, zu kurz zu kommen ebenso wie die Angst, allein zu bleiben.
Die Freiheit und der Mut, den sie dadurch gewinnen, machen ihr Leben
hell hier und jetzt. Ihr Leben bekommt eine Gestalt, die dann auch
am Ende gültig bleibt.
Und dabei geht es nicht einmal um
eine besondere Anstrengung, denn im Neuen Testament heißt es: „Da!
Ich habe vor dich eine geöffnete Tür hingesetzt, die niemand
schließen kann. Denn nur geringe Kraft hast du – und hast doch mein
Wort bewahrt.“ (Off 3, 8).
Wir brauchen keine Kraftmeier zu
sein, es genügt, das Wort zu bewahren, und wir werden vor Türen
stehen, die der Schlüssel Davids, Christus, uns für immer öffnet.
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