Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Mag. Jakob Bürgler, Generalvikar der Diözese Innsbruck
Sonntag, 2. November 2008
Der Allerseelentag ist für viele
Menschen ein beklemmender Tag. Gilt es doch, an die Verstorbenen zu
denken, dem Sterben und dem Tod ins Auge zu schauen. Sich an
diejenigen zu erinnern, die das eigene Leben geteilt haben und nun
nicht mehr da sind. Und damit bricht am Allerseelentag jedes Jahr
neu die Unausweichlichkeit des Todes auf, der Schmerz der Trennung,
die Mühe des Loslassens, die Bitterkeit eines zerbrechlichen Lebens.
Der Tod hat uns liebe Menschen geraubt, und auch wir gehen auf
dieses Tor des Todes zu. Unausweichlich. Jeder und jede von uns.
Jedes Jahr berührt mich aufs Neue, wie
viele Menschen zu Allerheiligen und Allerseelen am Grab ihrer Lieben
ein Licht entzünden, eine Kerze. Und besonders am Abend, wenn die
Dunkelheit hereinbricht, liegt über unseren Friedhöfen ein heller
Schein, der ausgeht von einem Meer an Kerzen, der einen stillen
Glanz verbreitet und der eine Botschaft in sich trägt: Die
Dunkelheit hat nicht das letzte Wort. Ein kleines Licht nur ist
stärker als die tiefste Dunkelheit. Hinter dem dunklen Tor des Todes
erwartet uns eine lichtvolle Wirklichkeit. Wenn das nicht tröstlich
ist…
Montag, 3. November 2008
Manche Menschen finden die Jahreszeit
des Herbstes schön. Die Fülle des Lebens in Früchten und Farben wird
so richtig herausgepresst. Bevor die Kälte des Winters kommt und die
Kargheit Einzug hält, zeigt sich das Leben noch einmal von seiner
vollen, kraftvoll leuchtenden Seite. Andere Menschen fürchten sich
vor den Tagen des Herbstes. Das Absterben und Vergehen der Natur,
die Länge von Dunkelheit und Nacht, all das drückt auf ihre Seele,
macht sie schwermütig und müde. Die Bitternis und Sterblichkeit
allen Lebens bedrängt und belastet.
Wie ich eine Jahreszeit, einen Tag,
erlebe und deute, hängt natürlich von meinem Naturell ab, von dem,
wie ich „gestrickt“ bin. Der eine nimmt alles leichter, der andere
trägt schwer am Leben. Wir sagen manchmal: „Ein Mensch kann nicht
heraus aus seiner Haut.“ Und dennoch: Ich kann meinen Blick, meine
Aufmerksamkeit, meinen Zugang zu dem, was um mich ist, auch
„schulen“ und verändern.
Ein jeder Tag kennt Licht und
Schatten. Kein Leben ist frei von Dunkelheit. Es ist gut, den Blick
auf das Lichtvolle zu richten. Immer wieder neu. Denn jeder Tag ist
ein einmaliges Geschenk.
Dienstag, 4. November 2008
Vor kurzem bin ich in eine neue
Wohnung eingezogen. Der Umbau des Hauses hat diese Übersiedlung
notwendig gemacht. Und es war mir sehr wichtig, meine Räume so
einzurichten, dass ich mich dort wohlfühle, dass ich gern dort bin,
dass ich etwas von einem Daheim und von Geborgenheit in diesen
Räumen spüre.
Jeder Mensch sehnt sich nach einem
Daheim, nach Beheimatung für Leib und Seele. Jeder Mensch wünscht
sich ein gutes Dach über dem Kopf, einen Ort, an dem er Geborgenheit
erfährt und sagen kann: Hier bin ich gern. Hier bin ich zufrieden.
Hier finde ich zum inneren Frieden. Die Sehnsucht nach Heimat, der
Wunsch nach einem Daheim stecken ganz tief im menschlichen Herzen.
Ja, diese Sehnsucht ist so groß, dass sie die Grenzen des Lebens
übersteigt.
Jesus Christus hat gesagt: „Im Haus
meines Vaters gibt es viele Wohnungen.“ Und er hat damit gemeint:
Die menschliche Sehnsucht nach einem Daheim ist kein leerer Wahn,
keine verrückte Idee. Gott will, dass wir in diesem Leben ein Daheim
finden, ein Daheim für unser Innerstes. Und wenn die Wohnung dieses
Lebens einmal zerbricht, dann dürfen wir ein bleibendes Daheim
erhoffen bei ihm.
Mittwoch, 5. November 2008
Der Monat November und das, was
derzeit in der Natur geschieht, richten unsere Gedanken immer wieder
hin auf das Geheimnis des Sterbens, auf das Vergehen und
Abschied-Nehmen, auch auf die Frage, was denn von diesem Leben
bleibt.
Im ersten Testament der Heiligen
Schrift vergleicht der Prophet Jesaja das Leben mit einem „gewobenen
Tuch“. So viele Fäden sind es, die dieses Tuch des Lebens ausmachen.
Helle und leuchtende Fäden, oft genug auch goldene: Die tiefe Freude
über ein unerwartetes Glück, die Liebe zu einem anderen Menschen,
ein schönes Fest. Es gibt aber auch dunkle und bedrohliche Fäden:
Die Sorge um einen mir anvertrauten Menschen, eine hereinbrechende
Krankheit, ein unergründliches Schicksal, Not, die zur Last wird.
Im gewobenen Tuch meines Lebens steckt
die ganze Fülle dessen, was Leben heißt. Eine Fülle an hellen und
dunklen Fäden. Gott will mein Leben zur Fülle bringen, will es mit
seinem Leben erfüllen. Ich darf dankbar wahrnehmen, dass sich immer
wieder alles zusammenfügt, ein Ganzes ergibt, wie ein bunt gewobenes
Tuch, wie ein Kunstwerk.
Donnerstag, 6. November 2008
Was ist das Leben? Was macht es aus?
Wer über das Leben nachdenkt, wer sich Gedanken zum Leben macht, der
denkt eigentlich schon über dieses Leben hinaus, überschreitet
gewissermaßen die Grenze des Todes.
Das Leben ist wie ein „gewobenes
Tuch“, sagt der Prophet Jesaja. Und er setzt fort: „Du, Gott, du
schneidest mich ab wie ein fertig gewobenes Tuch.“ Wer an die Grenze
des Lebens kommt, wer sich der Schwelle des Todes nähert, der spürt
etwas von diesem Abschneiden, von diesem Schnitt, der weh tut und
verwundet. Das Abschneiden verwundet den, der sterben muss genauso
wie den, der loslassen muss. Der Tod ist wie ein schmerzlicher
Schnitt.
Immer wieder machen wir die Erfahrung
im Leben, dass das Abschneiden weh tut, nicht nur beim Sterben: Wenn
eine Beziehung zerbricht, wenn ein Kind erwachsen wird und von
daheim auszieht, wenn eine Unversöhnlichkeit einfach nicht zu klären
ist. Immer dann spüren wir in uns die Sehnsucht nach Heilung, die
Sehnsucht nach Versöhnung. Und es ist unsere große Hoffnung, dass
Gott, wenn er das fertig gewobene Tuch unseres Lebens abschneidet,
zugleich den Balsam der Heilung auf alle Wunden gibt.
Freitag, 7. November 2008
In dieser Woche, liebe Zuhörer, sind
die Gedanken am Morgen geprägt von der Zeit des Herbstes, vom
Absterben der Natur, vom Monat November, von dem, was die Jahreszeit
vorgibt. Und immer wieder leuchtet in diesen Gedanken der
eigentliche Wert des Lebens auf, jene Kostbarkeit, die sich im
menschlichen Leben wie ein Schatz verbirgt.
Alles Leben ist Begegnung. Für sich
allein kann der Mensch kein gutes und kein gelingendes Leben führen.
Dazu braucht er Gemeinschaft, Einbindung, Kontakt. Er braucht im
letzten ein DU. Wer keine Gemeinschaft hat, kein soziales Netz,
keine Beheimatung bei anderen, der vereinsamt und „erfriert“. Vom
ICH allein kann der Mensch nicht leben.
Die Sehnsucht nach einem DU, nach
einem Anderen, der mich versteht und mich mag, das Verlangen nach
einem, der mich als einmaligen Menschen wahrnimmt und aufnimmt,
steckt tief in unserem Herzen. Und was für jede Stunde unseres
Lebens gilt, das gilt auch über das Leben hinaus: Gott ist das DU,
das mich wahrnimmt und trägt und auffängt, auch wenn ich einmal
sterbe.
Samstag, 8. November 2008
Noch gut kann ich mich an meine Zeit
in Frankreich erinnern. Nachdem ich mein Studium beendet hatte,
durfte ich einige Monate in der Ökumenischen Bruderschaft von Taizé
mit leben und dabei auch den Gründer der Gemeinschaft, Frère Roger
Schutz, kennen lernen.
Von ihm ist mir eine Formulierung, ein
Wort, immer in Erinnerung geblieben. Wenn er vom Leben nach dem Tod
gesprochen hat, hat er gesagt: „das Leben von Ewigkeit“. Und damit
ist mir deutlich geworden: Das Leben auf dieser Welt, das irdische
Leben ist nicht etwas, das kaputt gemacht oder ausgelöscht werden
muss, damit das andere Leben beginnen kann. Nein, ganz im Gegenteil:
Jetzt schon, schon in diesem Leben bereitet sich ein Leben vor, das
einmal bleiben wird. Die Spuren und der Glanz der Ewigkeit sind in
die alltäglichen und manchmal so unscheinbaren Stunden des irdischen
Lebens eingeschrieben.
Es ist wichtig, für diesen Glanz
wachsam zu sein, die Spuren dessen, was über das Leben hinausweist,
zu suchen. Denn im erfüllten Augenblick begegnet uns schon das Leben
von Ewigkeit.
|