Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Superintendentin Luise Müller (Tirol)
Sonntag,
23.11.2008
Sabbatruhe
Wie halten Sie
es eigentlich mit der Sonntagsruhe? Wozu haben Sie am Sonntag Zeit?
Müssen Sie bügeln, waschen, vorkochen? Oder endlich den Vortrag
vorbereiten oder das wichtige Meeting? Ich gestehe, dass es mir oft
so geht. Dass ich denke: Nur diesmal nehme ich mir die Zeit, um
weiterzuarbeiten. Nur heute geht es nicht, dass ich nichts tue. Die
Ruhe hat keine Chance sich auszubreiten. Und am Abend des Sonntags
sind wir dann ähnlich erledigt wie an jedem Werktag.
Martin Luther
schreibt seinem Freund Phillip Melanchton, als dieser in einer ganz
heiklen Phase der Reformation, beim Reichstag zu Augsburg, als
eigentlich überhaupt keine Zeit war, auch nur eine Stunde nichts zu
tun, die Confessio Augustana vorlegen soll: „…vor allen Dingen gebt
euch Mühe, Euch zu schonen und nicht Euren Kopf zugrunde zu richten,
wie ich es getan habe. Darum befehle ich Euch und allen Freunden,
Euch … Gesundheitsmaßregeln für Euer Körperchen aufzuzwingen; denn
Ihr sollt nicht Euer eigener Mörder werden und dann tun, als hättet
Ihr Euch im Dienste Gottes zugrunde gerichtet. Man dient Gott auch
durch Müßig sein, ja vielleicht durch nichts so sehr als damit.
Darum hat er den Sabbat so besonders streng gehalten wissen wollen.“
Alles hat
seine Zeit. Und der Sonntag ist nicht die Zeit zum Tun, sondern zum
Lassen, zur Ruhe in aller Unruhe.
Montag,
24.11.2008
Schweigeexerzitien
Das musst du
unbedingt auch mal machen, sagte schon vor ein paar Jahren ein guter
Freund zu mir. „Das“, was ich unbedingt machen sollte, waren
Schweigeexerzitien. Ich schaute ihn verständnislos an. Ich und
schweigen? Das würde ich nie und nimmer schaffen und auch gar nicht
wollen. Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Worte sind mein
Reichtum, Reden meine Profession.
Heuer habe
ich´s doch gemacht und habe mich aufs Schweigen eingelassen.
Vorausgegangen waren ein paar Weichenstellungen in meinem Leben, die
ich bedenken wollte. 10 Tage. Ohne Laptop, ohne Handy, ohne Zeitung,
ohne Krimi, ohne Small talk und große Worte. Zusammen mit 14
anderen. Eine Stunde Gespräch pro Tag mit meiner Exerzitienleiterin,
das war alles. Kein freundliches Wort bei den Andachten, kein
Gespräch beim Essen, kein Austausch nach den abendlichen Vorträgen,
keine gemütliche Runde zum Tagesausklang. Die Stille war mein
Mantel, meine Freundin, meine Ärztin. Sie hat mich geöffnet für
Bilder, für Gedanken, für das Rauschen der Bäume und die Stimmen der
Vögel. Die Stille hat mich in mein Innerstes geführt und zu Gott.
Ich war ganz
im Frieden in diesen Tagen. Die Bibel, Gespräche mit Gott, meine
Gedanken, und ein zunächst leeres Heft als Tagebuch, das war genug.
Auch jetzt
noch, Monate später spüre ich den Reichtum, den ich durchs Schweigen
und die Konzentration auf Gott gewonnen habe. Ich bin eine andere:
Hörender, ruhiger, gelassener. Ich bin näher bei Gott und näher bei
mir.
Dienstag,
25.11.2008
Über die
Stille
Heuer im Juni
habe ich Schweigeexerzitien gemacht. Dabei saß ich jeden Tag in
einer Kirche. Eine Stunde lang. Manchmal war der Messner da,
manchmal war die Putzfrau unterwegs, manchmal kamen Besucher.
Ansonsten hatte ich die Kirche für mich. Das große Kreuz im
Altarraum, die Kanzel, die Fenster, den Taufstein. Ich war
eingehüllt in eine unwahrscheinlich starke Ruhe und war in Gedanken
mit Jesus und seinen Jüngern unterwegs, am Berg der Verklärung, bei
einer Heilung oder beim letzten Abendmahl.
Ohne Worte
erlebte ich einen Reichtum an Wahrnehmungen, wie ich sie in meinem
normalen Leben nicht habe. Da sprachen Licht und Schatten, da
drängte sich eine Einzelheit in meinen Blick, da war mein Körper
leicht und angenehm. Fast immer kam mir der Raum freundlich
entgegen, beflügelte meine Gedanken.
Kirchen waren
für mich vorher ein Ort für den Gottesdienst oder ein Ort der Kultur
und Kunst gewesen. Ein Ort der Gemeinschaft, des Singens, des
Hörens, des Betens. Jetzt, allein, ruhig sitzend, entdeckte ich, was
so ein Raum anzubieten hat, wenn er ohne Menschen ist, ohne Reden,
ohne Singen, wenn ich mich nicht auf einzelne Kunstwerke oder den
Baustil konzentriere.
Ich war ganz
eins mit mir und genoss die Gottesbegegnung, die mich trug, mich
tröstete, mich heilte, mich entwickelte. Ich bin dankbar für diese
Erfahrung.
Mittwoch,
26.11.2008
Radio aus
In der Regel
ist eine der ersten Handbewegungen am Morgen, wenn ich die Küche
betrete, dass ich meinen Radio einschalte. Die Nachrichten, ein paar
gute Gedanken, Hintergrundinfos zur politischen Lage und gute Musik
begleiten mich bis 8.00 Uhr durch den Morgen. Dann beginnt
normalerweise mein Büroalltag.
In letzter
Zeit verordne ich mir immer mal wieder eine morgendliche Stille.
Immer dann, wenn ich merke, dass ich die Stimmen im Radio, die Musik
nur noch als ablenkende Geräuschkulisse benutze, wenn ich dreierlei
gleichzeitig mache, und mein Tempo wieder mal zu hoch ist, spüre
ich, dass es Zeit ist, der Zerstreuung ein Ende zu setzen.
Dass ich
multitaskingfähig bin, weiß ich seit ewigen Zeiten: Schon in der
ersten Klasse Volksschule habe ich meine Hausaufgaben beidhändig
gemacht, damit es schneller geht. Perfektioniert habe ich diese
Einstellung, als ich drei kleine Kinder hatte und außerdem
berufstätig war. Aber ich erinnere mich auch, dass mir in ruhigen
Momenten diese Frau, die ich war, manchmal ganz fremd vorkam.
Es ist
wohltuend, es streichelt die Seele, den Tag langsam und ruhig
anzugehen. Die Stille innen und außen zu genießen ist mir nicht in
den Schoß gefallen. Es fällt mir keineswegs leicht, mich nicht durch
Worte oder Töne ablenken zu lassen, ruhig sitzen zu bleiben, und
nicht einmal Zeitung zu lesen. Aber ich habe viel entdeckt, in
solchen halben Stunden: Dass nämlich zum Tun auch das Lassen gehört.
Und dass mich das manchmal weiterbringt als mein ganzer Aktionismus.
Donnerstag,
27.11.2008
Gott im
Schweigen
Da gibt es
diese nachdenklich machende Geschichte im 1. Buch der Könige im
Alten Testament. Die Geschichte von Elia, dem Propheten, der auf
Gott wartet. Ein heftiger Sturm bricht aus, der die Berge erzittern
lässt und die Felsen spaltet, aber Gott war nicht im Sturm. Darauf
folgte ein Erdbeben, noch schlimmer als der Sturm, aber Gott war
nicht im Erdbeben. Dann ein Feuer, mächtig, und mit der Kraft zur
Zerstörung, aber Gott versteckt sich auch hinter dieser Naturgewalt
nicht. Ganz zum Schluss kommt ein sanftes Säuseln, oder, wie Martin
Buber übersetzt, eine Stimme verschwebenden Schweigens. Und darin
ist Gott.
Eine Stimme
verschwebenden Schweigens. Ich brauche Fantasie, um mir das
vorzustellen. Manchmal, im Wald, kann man die Bäume hören, oder das
Meer am Strand macht ganz leise Geräusche. Wenn die Wiesen noch
nicht gemäht sind, dann streicht manchmal ein laues Lüftchen
darüber, das kann man hören, wenn sonst nichts zu hören ist.
Ab und zu kann
man das Schweigen auch in den Domen und Kathedralen hören und
manchmal erreicht uns das Unsagbare, wenn wir ein Bild in einem
Museum betrachten. Dort, wo unsere Ohren so gut wie nichts mehr zu
tun haben, brauchen wir unser Herz. Um zu hören, zu spüren, zu
erkennen. Gott, der uns im verschwebenden Schweigen nahe kommt.
Freitag,
28.11.2008
Kommunikation
ohne Worte
Kommunikation
ist ein Zauberwort unserer Tage. Wir wollen, dass unsere
Kommunikation gelingt. Wir wollen, dass wir miteinander besser
zurechtkommen. Und deswegen reden wir. Wir sagen einander alles: Wie
wir uns fühlen, wie wir etwas erlebt haben. Wir hören dann: Das habe
ich nicht so gut gefunden, wie du das gesagt hast. Oder: Da habe ich
mich nicht wirklich verstanden gefühlt. Es gibt viele solcher Sätze
und manchmal helfen sie absolut nicht weiter.
Viele haben
nichts zu sagen, und reden trotzdem. Ich bin manchmal das Geplapper
so leid. Überflüssige Befindlichkeitsäußerungen, nichtssagende aber
zeitgeistige Worthülsen, die den anderen keineswegs ernst nehmen,
sondern ihn in Grund und Boden reden.
Kommunikation
ist viel mehr, als das Wechseln von Worten. Kommunikation ist
aufmerksam hören, genau schauen, empfindsam dafür sein, was der oder
die andere braucht. Manchmal ist es nicht ein weiterer Satz, nicht
das Gespräch über Gefühle. Manchmal ist es ein Händedruck, eine
Umarmung, ein freundlicher Blick, mit einander schweigen. Manchmal
ist gelingende Kommunikation auch der Verzicht aufs letzte Wort, und
manchmal muss man sich einfach mit dem Vorläufigen zufrieden geben.
Nicht alles ist jetzt ausdiskutierbar, machbar. Schon gar nicht
durch Worte. Und nicht immer von mir.
Samstag,
29.11.2008
Über die
Leichtigkeit
Manchmal, da
ist es richtig, in aller Verantwortung die Dinge aus der Hand zu
legen und es gut sein zu lassen. Oft braucht man in diesen
Situationen jemand, der einem das sagt. Lass es gut sein. Der Berg,
den du scheinbar bewältigen musst, ist eigentlich ein
Maulwurfshügel. Und die Arbeit ist es nicht wert, dass sie dich noch
in deine Träume verfolgt oder dir den Schlaf raubt. Du kannst deine
Kinder nicht ein Leben lang beschützen. Das Zauberwort ist Abstand.
Einen oder zwei Schritte zurücktreten, die Dinge aus der größeren
Distanz anzuschauen, und erst dann zu entscheiden. Langsamer werden.
Gelassener.
Manchmal nicht
Macher zu sein, sondern Lasser. Nicht die, die alles immer erledigt,
sondern die, die auch mal Fünfe gerade sein lässt, sich mit dem
scheinbar Zweitbesten zufrieden gibt.
Manchmal darf
ich Gott die Möglichkeit zum Einschreiten geben. Und dann unter
seinem Segen weitergehen. In den Tag, in die Woche. Aufgehoben
spüren, was als Wahrheit im Matthäusevangelium zu lesen ist: Sehet
die Vögel unter dem Himmel an, sie säen nicht, sie ernten nicht und
unser himmlischer Vater ernährt sie doch.
Das Erkennen
ist, als ob jemand die eisernen Bänder um mein Herz zerbricht, die
Fesseln meiner Seele löst. Lass es gut sein. Gott segnet dich.
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