Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Dr. Elisabeth Dörler
Leiterin des „Werk der Frohbotschaft“ in Batschuns (Vorarlberg)
Sonntag, 14. Dezember 2008
Advent ist eine Zeit der Sehnsucht. Es ist die Sehnsucht nach
geglückter Beziehung, nach Friede, nach Wärme. Es ist eine
Sehnsucht, die ein Mensch besonders schmerzlich wahrnimmt, wenn es
Gebrochenes in seinem Leben gibt. Es ist aber auch die Frage, wer
kann mir im Letzten die Erfüllung meiner tiefsten Wünsche geben oder
meine Verletzungen heilen. Auch Menschen, die ich gerne habe, die
alles, was ihnen möglich ist, für mich tun, können dies nicht
leisten. Es ist eine schmerzliche Erfahrung, geliebte Menschen mit
den eigenen Sehnsüchten zu überfordern.
Sie sind nicht das Christkind, von dem ich mir wie ein kleines Kind
alles wünschen kann.
Doch finde ich diese Sehnsucht in der Bibel: Gott selber sieht
unsere Nöte, er versteht unsere Sehnsucht nach einer heilen,
geheilten Welt. Von Gott darf ich mir das Ernstnehmen meiner
Sehnsüchte erwarten, denn wie es im Propheten Jesaja heißt:
Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe
und alle heile, deren Herz zerbrochen ist, damit ich den Gefangenen
die Entlassung verkünde und den Gefesselten die Befreiung, damit ich
ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.
Montag,15. Dezember 2008
Wir sind in der dunklen Jahreszeit, die Tage werden täglich kürzer,
das Aufstehen in einen anfangs dunklen Tag schwerer. Ich sehne mich
nach warmem Licht, hell und warm soll es sein.
Viele Menschen haben die gleiche Sehnsucht, doch ihre Erfahrung
sagt: Es ist eine kalte Welt, in der keiner dem anderen hilft oder
rund um mich ist alles dunkel, ich sehe für mich kein Licht mehr.
Es ist die Sehnsucht nach mehr als nur in Lux messbarem, vielleicht
sogar nur gleißendem Licht oder nach in Grad messbarer Wärme. Es ist
die Sehnsucht nach einem vollen, zufriedenen Leben, in dem man sich
an dem, was für mich erreichbar ist, freuen kann. Es muss nicht
alles sein, aber das kleine Stück Leben, das für mich Licht ist: Das
etwas verbröselte selbstgemachte Weihnachtskeks, das mir ein Kind
schenkt, oder der kitschige Stern, der mir von einer Bekannten mit
viel Liebe geschenkt wird.
Sie sind die kleinen Lichter, die das Leben warm machen. „Ein Stern
geht in Jakob auf“, heißt es in der Bibel. Ein Stern geht bei mir
auf, weil es diese kleinen, warmen Lichter in der Dunkelheit gibt.
Dienstag, 16. Dezember 2008
In diesen Tagen des Advent werden viele Gefühle angesprochen. Die
Ebene unserer persönlichen Beziehungen, besonders in der Familie
wird thematisiert. Es wird die Sehnsucht nach geglückter Beziehung
angesprochen. Wenigstens zu Weihnachten sollte die Familie dem Bild
vom der Fest der Familie entsprechen.
Advent ist Ankunft, aber auch der Prozess des Ankommens an der
Krippe.
Schenken wir uns die Möglichkeit, beieinander anzukommen. Das ist
Zeit, in der wir beieinander sind, aber auch Zeit, die uns einander
zuhören lässt, Zeit die uns aussprechen lässt, Zeit die im Gespräch
Konflikte heilen lässt.
Wir alle haben diese Sehnsucht nach dem Ernst genommen Sein oder
auch dem Versöhnt-Sein mit uns und den Menschen rund um uns. Die
Erfüllung dieser Sehnsucht kommt nicht von selber, sie ist Bemühen
von uns und Geschenk Gottes gleichzeitig. Wenn diese Sehnsucht
erfüllt wird, wird eine Vorahnung von Weihnachtsfrieden erfahrbar.
Ich wünsche Ihnen die Möglichkeit, sich gut aussprechen zu können.
Mittwoch, 17. Dezember2008
Ich bin mit Geschwistern aufgewachsen. Wie wichtig war es uns,
gerecht behandelt zu werden. Das hat sich eigentlich bis heute nicht
geändert. Gerechtigkeit ist mir bis heute wichtig, ganz gleich ob es
um Gerechtigkeit zwischen Mann und Frau, Migranten und
Mehrheitsbevölkerung, Nord und Süd, Arm und Reich geht.
Diese Sehnsucht nach Gerechtigkeit hat sich aber geändert. Ging es
damals um genau gleich viel Pudding, merke ich heute, dass
Gerechtigkeit nur zum Teil mit absolutem Maß zu erreichen ist. Denn
die Bedürftigkeit jedes Menschen, jeder Bevölkerungsgruppe ist sehr
unterschiedlich. Auch die Fähigkeit etwas hergeben zu können ist
sehr verschieden, nicht messbar. Jetzt spüre ich immer mehr, dass
Gerechtigkeit mit Liebe zu tun hat, dass liebelose Gerechtigkeit
Menschen nicht ernst nimmt, sondern Gleichschalten ist. Und doch, es
braucht Gerechtigkeit im Sinne der Zuwendung zu allen Menschen. Denn
dann wird der Vers aus dem Psalm 72 wahr: Gerechtigkeit blüht auf in
seinen Tagen und Friede ohne Ende.
Nach Gerechtigkeit und Frieden sehnen wir uns alle, der Advent gibt
uns die Möglichkeit dies auszusprechen.
Donnerstag, 18. Dezember 2008
Ich werde für David einen gerechten Spross erwecken. Dieser Spross
Davids, den der Prophet Jeremia ankündigt, begegnet uns im bekannten
Weihnachtslied: Es ist ein Ros – eigentlich ein Reis – entsprungen.
Was steckt den hinter diesem Versprechen? Es ist wiederum eine
Antwort auf eine Sehnsucht von Menschen: Wie wird unsere Zukunft?
Haben wir eine Zukunft? Diese Frage stellen sich viele Menschen auch
heute. Es ist die Sehnsucht nach einer lebenswerten Gesellschaft, in
der Menschen zufrieden zusammen wohnen können.
Damit verbunden ist die Sehnsucht nach einer Gesellschaft, in der es
menschenwürdige Lebensmöglichkeiten für alle gibt. Eine alte und
zugleich höchst aktuelle Sehnsucht für so viele Menschen. Zukunft
hat mit dem Gefühl zu tun, dass es für alle Menschen möglich ist,
angenommen zu sein, Chancen zu haben.
Damals wie heute dürfen wir uns nicht alles von den jeweils
Mächtigen erwarten, wir dürfen auch Gott vertrauen, dass er uns
Menschen Zukunft schenkt.
Freitag, 19. Dezember 2008
Kinder sind Zukunft. Das zeigen nicht nur Umfragen, Initiativen für
Kinder, sondern auch die Menschen in ihrem Verhalten. Damit ist bei
vielen Menschen die Sehnsucht nach Zukunft ausgedrückt. Denn mit
jedem Kind beginnt eine neue Wirklichkeit, ein Neuanfang. Kinder
sind sozusagen die menschgewordene Zukunft.
Von da her kann ich das Leid der Paare verstehen, die keine Kinder
bekommen können. Ihre Sehnsucht nach Leben in der Zukunft wird
enttäuscht.
Ich glaube, es gehört aber hierher auch die enttäuschte Sehnsucht
derer, die so wenig in die Zukunft, in die Gesellschaft vertrauen
können, dass sie sich nicht getrauen, Kinder zu bekommen. Damit
werden sie auf das hier und jetzt eingeengt.
Wenn in der Bibel von wunderbaren Geburtsgeschichten erzählt wird,
geht es immer um die Erfüllung der Sehnsucht der Menschen nach der
Zukunft, die sich in den Kindern ausdrückt. Denn Gott will sowohl
für die Menschheit als auch den einzelnen Menschen Leben, Zukunft.
Samstag, 20. Dezember 2008
Nicht nur wir Menschen haben viele Sehnsüchte in unserem Leben, auch
Gott hat eine tiefe Sehnsucht in sich: Er will mit uns sein.
So verstehe ich den Satz aus dem Buch Jesaja: „Darum wird euch der
Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein
Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den
Namen Immanuel (Gott mit uns) geben.“ (Jes 7,14)
Gott will nicht über oder neben, sondern mit uns sein. Er will das
für uns sein, was wir uns auch in den vielfältigen Beziehungen zu
den Menschen wünschen.
Jetzt, ein paar Tage vor Weihnachten darf es uns bewusster werden:
Wenn Gott Mensch wird, dann kommt er in ganz normaler menschlicher
Gestalt auf unsere Augenhöhe. Er wird der Gott mit uns.
Dieses mit uns Sein schenkt mir Kraft und Mut für den Alltag. Er
zeigt mir aber auch, wo sich meine Sehnsucht nach Gott und Leben
trifft. Advent, Ankunft Gottes bei mir ist immer wieder neu, wenn
ich meine Sehnsucht nach diesem „Gott mit uns“ zulasse.
|