Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Johannes Fenz, Berufsschuldirektor in Eisenstadt
Sonntag, 1. Februar 2009
Vergangenen Sonntag ging ich in einem Rudel von Leuten vom Kirchgang
nach Hause. „Viele junge Leute waren heute wieder nicht in der
Kirche, die müssten sich alle einmal bekehren“, sagte eine Frau.
„Sich bekehren – was soll das heißen? Wie soll das funktionieren?“,
dachte ich mir. Heißt Bekehrung, jemanden verändern wollen? Bedeutet
bekehren eine geistige innere Umstellung? Ich meine, eine
Veränderung des religiösen Gefühls alleine kann es nicht sein. Die
Frage hat mich ziemlich beschäftigt. „Ich will niemanden bekehren
und mich nur in die Kirche zurückziehen“, dachte ich. Ich will als
Christ aktiv mitgestalten, mittragen, mitfeiern und mitleiden in
einer Gesellschaft, die sich christlich nennt; meine Entscheidungen
und mein Leben, nach Jesu Christi ausrichten. Ich bin mir sicher,
das kann man nicht erzwingen kann; und schon gar nicht bei anderen
Menschen. „Herr, erneuere uns und fange bei mir an“, heißt es in
einem Gebet. Die Bekehrung konsequent in sich selbst vollziehen.
Offen, klar, entschieden, gläubig und christlich tätig sein, das ist
der Anfang in uns. So werde ich zum Vorbild, das anderen Menschen
aufzeigt, wie das irdische Leben gelingen kann. Und nicht durch
bekehren!
Montag, 2. Februar 2009
Gegenwärtig jagt eine Krise die andere. Finanzkrise,
Wirtschaftskrise, Energiekrise, Nah-Ost-Krise. Das sind Worte die
gegenwärtig in aller Munde sind. Das schafft Unsicherheit! Was gibt
mir Sicherheit und Stabilität in einer solchen Zeit? – Sind es
Wirtschaftsforscher, sind es Energieexperten, sind es Politiker? Mir
vermitteln alle diese Experten nicht die Sicherheit, die ich mir
wünsche. Ich bekomme meine Sicherheit im Glauben und in der Familie.
Hier ist nicht jeden Tag alles anders. Hier bekomme ich Antworten
auf Fragen, die mich beschäftigen. Hier lerne ich, wie man lebt,
damit das Leben gelingen kann. Hier erfahre ich Erleuchtung. Wäre es
zu all diesen Krisen auch gekommen, wenn es bei den Verantwortlichen
im Vorfeld eine Erleuchtung gegeben hätte?
Viele Fragen tun sich auf, auf die ich eine Antwort suche.
Kommt die Erleuchtung erst dann, wenn ich in der totalen Finsternis
sitze, ist die Auswirkung doppelt groß. Daher meine ich: „Das Licht
muss ich sehen, das Licht muss ich hüten, das Licht muss ruhig und
konstant immer leuchten, das Licht muss dort hingebracht werden, wo
es finster ist!“ Lichtbringer können wir alle sein, wenn wir es
wollen.
Dienstag, 3. Februar 2009
Manchmal möchte ich etwas sagen, möchte laut lachen, möchte
schreien. Aber mir bleibt das Wort, das Lachen oder das Schreien im
Hals stecken. Ich schnappe nach Luft und dennoch gelingt es mir
nicht, das herauszubringen, was ich ausdrücken will. Meistens ist es
etwas Unerwartetes, ein Schock, der mir den Hals zuschnürt. Wenn die
Sprachlosigkeit vor Freude entsteht, löst sich dieses beklemmende
Gefühl sehr schnell. Schwieriger ist es, wenn es Frust ist, wenn es
Trauer ist, wenn es Enttäuschungen sind, die zu Sprachlosigkeit
führen. Ich spüre zwar, dass es heraus müsste, schlucke meine
Gedanken und Empfindungen aber immer tiefer hinunter. Die so
entstandene Beklemmnis wieder zu lösen, wird zunehmend schwieriger.
Eine Fischgräte lässt sich im Vergleich dazu leicht entfernen.
Wenngleich es dabei auch zu Verletzungen kommen kann. Doch viel
schlimmer sind Verletzungen, die man nicht sieht und die sich
einprägen und eingraben in uns. Solche Verletzungen hinterlassen
keine sichtbaren Spuren und man braucht viel Geduld und
Einfühlungsvermögen, damit sie langsam wieder herauskommen. Dafür
sind viele „Blasiusse“ notwendig. Vielleicht kann man aber schon im
Vorfeld dafür sorgen, dass sie nicht notwendig werden.
Mittwoch, 4. Februar 2009
Ich erinnere mich noch, als ob es gestern gewesen wäre. Dabei ist es
schon 14 Jahre her. Es war in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar
1995. Ich war mit meiner Familie auf Skiurlaub, als wir in der Früh
in den Nachrichten hörten, dass es in Oberwart einen Bombenanschlag
gab, bei dem mehrere Menschen starben. Ein Anschlag, nicht weit von
meiner Heimatgemeinde entfernt. Ein Anschlag bei uns in meiner
unmittelbaren Nähe? Die Nachricht fuhr mir in die Knochen, da ich
derartiges nur aus Irland, Spanien oder dem Nahen Osten kannte. Ein
Bombenanschlag im Burgenland – ich konnte es kaum fassen, obwohl ich
durch die Briefbomben schon etwas sensibilisiert war.
„Die Zeit heilt alle Wunden“, sagt ein gängiges Sprichwort. Auch
wenn die Wunden verheilt sind, bleiben Narben. Narben, die heute
versteckt werden. Niemand kann voraussehen, dass krankhafte Menschen
Taten setzen, die mit normalem Menschenverstand unbegreiflich sind.
Dennoch haben solche Taten einen Ursprung. Einen Ursprung, dem Jede
und Jeder schon am Anfang entgegenwirken kann, indem jeder einzelne
aufsteht und Stellung bezieht, wenn es um Pauschalierungen, verbale
Verletzungen und Vorverurteilung geht. Fehler sind nur schlimm, wenn
man nichts daraus lernt. Der größte Fehler unserer Zeit ist es, sich
zurückzuziehen und zu schweigen, anstelle aktiv zu sein und Stellung
zu beziehen.
Donnerstag, 5. Februar 2009
Vor kurzem war ich bei einer jungen Familie eingeladen. Die zwei
Kinder – sieben und zehn Jahre alt – waren sehr lustig und
aufgeweckt. Es war offensichtlich, dass die Kinder sehr zielstrebig
handelten. Ich sinnierte dahin und dachte: „Sobald ein Mensch lebt,
hat er ein Ziel, lebt auf etwas hin. Kinder können über sich noch
nicht nachdenken, sind noch nicht berechnend, aber sie gehen auf ein
Ziel ganz bestimmt zu. Wünsche und Verlangen leiten sie. Werden
diese Wünsche und das Verlangen nicht erfüllt, sind sie enttäuscht.
Als Mutter und Vater möchte ich mein Kind vor Enttäuschungen
bewahren. Daher unterstütze ich es auf seinem Weg und halte
unangenehme Dinge von ihm fern. Ich meine, das ist schon gut so,
aber wird nicht manchmal etwas übertrieben? Wäre es nicht besser,
Kinder auch Enttäuschungen erleben zu lassen?“ „Niederlagen machen
stark“, sagt ein Sprichwort, das sicher seine Berechtigung hat. Aber
von lauter Niederlagen nicht mehr aufstehen zu können, ruiniert
einen Menschen. Die Balance zu finden, zwischen eingreifen und
unterstützen und das Kind eigenverantwortlich entscheiden zu lassen,
das ist nicht einfach. Sich diese Schwierigkeit bewusst zu machen
und sich zu überlegen was die Erziehungsziele sind, helfen sicher
die richtige Balance zu finden.
Freitag, 6. Februar 2009
Es gibt Situationen im Leben, da ist man sprachlos. So eine
Situation der Sprach- und Hilflosigkeit erlebe ich derzeit. Mein
Vater, der an Alzheimer leidet, zieht sich langsam aus dieser Welt
zurückzieht, und ich muss hilflos zusehen. Meistens ist er müde,
verweigert die Nahrungsaufnahme. Wenn es ihm gut geht, ist er
gesprächig - wenn auch mit den typischen Alzheimer-Symptomen. Auf
den Hinweis, dass er essen muss, da er sonst verhungert und stirbt,
sagt er ruhig aber bestimmt: „Das ist unser Weg!“ In solchen
Momenten bin ich sprachlos. Paul Watzlawick sagt in seinen
Grundsätzen der Kommunikation: „Man kann nicht nicht kommunizieren“.
Das erfährt man am besten in solchen Situationen. Man hört zu, nimmt
sich gegenseitig an der Hand. Ich sage aufmunternde Worte, lasse ihn
reden, auch wenn es für mich wirr klingt. Es sind seine Worte, es
ist seine Sprachmelodie, es ist seine Welt. Ich lasse es auf mich
wirken und bin froh, dass ich das noch hören, ihn noch spüren kann.
Spätestens hier denke ich mir, die Grundsätze der Kommunikation
müssten ausgeweitet werden mit dem Satz: „Das schönste Wort ist
nicht das gesagte, sondern das gespürte!“
Samstag, 7. Februar 2009
Wir sind mitten in der Faschingszeit und bei manchen Veranstaltungen
werden Masken getragen. Masken verdecken das wahre Gesicht. Man kann
anders sein als es das Umfeld erwartet. Man kann in andere Rollen
schlüpfen, sich anders geben als man ist. Ich denke mir: Oft werden
Masken getragen, auch wenn nicht Fasching ist. Um besser zu
erscheinen, um Mängel zu verdecken, um Traurigkeit und Sorgen zu
vertuschen. So spiele auch ich verdeckt meine Rollen. Manche, die
ich spielen will, und manche, die mir aufgezwungen werden. Rollen,
aus denen ich lange nicht mehr heraus komme. Irgendwann kommt es zur
Demaskierung. Ich empfinde das dann als ein Aufdecken meiner
verborgenen Schwächen. Das ist nicht immer angenehm.
Immer öfter entscheide ich mich, meine Masken abzulegen und mutig
offen zu meinen Schwächen zu stehen. Das ist befreiend und oft
bestärkend. Nicht nur in der Faschingszeit sondern auch im
alltäglichem Leben. So gewinne ich an Glaubwürdigkeit und Ruhe. Ruhe
in mir selbst. Ich bekomme Sicherheit darin, so sein zu dürfen wie
ich bin, mit all meinen Fehlern und Schwächen.
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