Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer Dietmar Stipsits (Bad Tatzmannsdorf, Burgenland)
„Krise als Chance“
Sonntag, 26. April 2009
Krise als Chance?
Wenn man heute das Wort „Krise“ hört,
verbindet man damit vor allem Negatives. Man denkt wohl sofort an
die Immobilienkrise in den Vereinigten Staaten, die die globale
Finanz- und Wirtschaftskrise verursachte, in der wir uns gerade
befinden. Vielleicht denken wir beim Wort Krise auch an die
Beziehungskrisen, die in unseren Ehen und Familien zu finden sind
oder die Sie vielleicht sogar selber durchleiden oder durchlitten
haben. Oder an die Krise, die die röm.-kath. Kirche, auch in unserem
Österreich, gerade durchlebt.
Schlägt man im Duden nach, kann man
lesen, dass das Wort „Krise“ seit dem 16. Jahrhundert bezeugt und
vom griechischen Wort „krisis“ entlehnt ist, und mit „Entscheidung,
entscheidende Wende“ übersetzt wird.
Ich möchte Ihnen in dieser Woche zu
vermitteln versuchen, dass Krise nicht nur Schwierigkeiten und
Ohnmacht bedeutet, sondern dass Krise auch eine Chance ist,
schöpferisch an mir selber zu arbeiten, persönlich zu wachsen und zu
reifen. Dazu will ich die fünf Buchstaben des Wortes Krise mit
Begriffen assoziieren, die sowohl Krise wie auch Chance sein können.
Krise als Chance zu sehen, dazu will ich Sie ermutigen!
Montag, 27. April 2009
K-rankheit
Wer wünscht sich das nicht: Niemals
krank zu sein. Krankheit empfinden wir oft als Niederlage oder als
massive Einschränkung unserer Persönlichkeit. Für mich kann
Krankheit auch eine Chance sein, Verborgenes in mir zu entdecken.
Krankheit als eine Art Ruf Gottes, damit ich nicht länger an der
Oberfläche lebe, sondern die tiefste Wahrheit meines persönlichen
Lebens finde. Dazu ist es notwendig, mit meiner Krankheit „ins
Gespräch zu kommen“, um zu erkennen, was in mir leben möchte.
Andererseits kann ich manchmal noch
soviel nachspüren, um zu erkennen, was mir meine Krankheit sagen
möchte, ich finde doch keinen Sinn darin, keine Antwort. Da helfen
dann die vielen Fragen und Gefühle nicht weiter, die meinen, dass
ich etwas falsch gemacht habe, dass ich selber schuld an meiner
Krankheit bin. In solchen Situationen ist es hilfreich, wenn wir
alles Suchen nach der Ursache und alle Schuldgefühle loslassen
lernen und uns einfach in Gott hineinfallen lassen. Dann kann es
passieren, dass wir auf dem Grund unserer totalen Ohnmacht Gottes
zärtliche Fürsorge entdecken. Krankheit kann eine Chance sein, sich
Gott völlig anzuvertrauen.
Dienstag, 28. April 2009
R-eligion
Den Buchstaben „R“ des Wortes Krise
möchte ich heute mit dem Begriff „Religion“ verbinden, und dazu
gehört für mich auch unsere Kirche. Ich bin der Überzeugung, dass
viele Menschen mit unserer derzeitigen zur Vergangenheit hin
ausgerichteten röm.-kath. Kirche nicht mehr zurechtkommen und sich
von ihr verabschieden. Die vergangenen Wochen und Monate haben uns
dies drastisch vor Augen geführt.
Wenn wir heute Gott wieder ins
Gespräch bringen wollen – auch als Kirche -, dann müssen wir die
Menschen unmittelbar ansprechen bei dem, was sie an Sorgen und
Nöten, an Erwartungen und Hoffnungen haben. So hat es Jesus gemacht.
Dann müssen wir eine Atmosphäre in unserer Kirche schaffen, in der
man sich nicht gegenseitig mit Argumenten und Belehrungen
niederzuringen und den Glauben, in Wirklichkeit die eigene Meinung,
aufzuzwingen versucht.
Die Not und Schwäche, wie auch die Sehnsucht nach Glück der Menschen
von heute (!) wirklich ernst zu nehmen; bereit zu sein, aufmerksam
den Menschen zuzuhören und ihnen auf ihrer Suche nach Geborgenheit
und Lebensfreude WegbegleiterIn zu sein, das ist die Chance in
unserer derzeitigen Religions- und Kirchenkrise, die es gilt, zu
ergreifen.
Mittwoch, 29. April 2009
I-dentität
Wir sind beim Buchstaben „I“ des
Wortes Krise angelangt. „I“ wie „Ich, Identität“. C. G. Jung
behauptet, dass Jesus wie kein anderer Religionsgründer dem
einzelnen Mut dazu gemacht hat, zu sich selbst zu finden und sein
eigenes Leben zu leben, unabhängig vom Willen der Eltern, einzig dem
Willen Gottes, der inneren Stimme seines Gewissens folgend, um ein
Mensch mit Identität zu werden. Das Ziel des Entwicklungsweges ist
es also, dass jeder sein Selbst entdeckt, das einmalige Bild, das
Gott sich nur von diesem Menschen gemacht hat.
Meine Identität, meine Ganzheit zu
finden, das bedeutet, dass ich mich als Mensch annehmen kann, wie
ich bin, dass ich „Ja“ sage zu meiner Lebensgeschichte, dass ich
mich aussöhne mit allem, was in mir ist. Meine Identität finde ich,
wenn ich gut mit mir umgehe, nicht mehr gegen meine Natur lebe,
sondern ihr entsprechend, nicht mehr irgendeinen Bereich aus meinem
Leben abtötend, sondern ihn integrierend. So werde ich mein Leben
gemäß meiner persönlichen Berufung von Gott her gestalten können,
werde meinem Wesen, meiner wahren Identität entsprechend leben.
Donnerstag, 30. April 2009
S-olidarität
Den Buchstaben „S“ des Wortes Krise
möchte ich heute assoziieren mit dem Begriff „soziales Handeln“ oder
„Solidarität“. Die derzeitige Wirtschaftskrise führt dazu, dass auch
hier in Österreich Menschen zur Kurzarbeit gezwungen sind oder sogar
ihren Arbeitsplatz verlieren. Der Wiener Caritasdirektor Msgr.
Michael Landau hat vor kurzem in einem Interview gefordert, Arbeit
zu schaffen, von der man leben kann.
Landau warnt die österreichische
Regierung eindringlich davor, die Not der Menschen zu privatisieren.
Von einem funktionierenden Sozialstaat dürfe man erwarten, „dass in
Zeiten der Not nicht nur für Banken und Wirtschaftsbetriebe
Notfallpakete geschnürt werden, sondern auch für Menschen, die in
Armut abrutschen". Die Politik müsse die konkrete Realität der
Menschen sehen und rasch und wirksam helfen.
Soziales Handeln und Solidarität
bedeutet für mich – formuliert mit dem ökumenischen Sozialwort aus
dem Jahr 2003: „Im Bewusstsein, dass gerechte Strukturen und
Rahmenbedingungen wesentliche Voraussetzung für ein
menschenwürdiges Leben für alle sind, setzen sich Christinnen und
Christen für die notwendigen Veränderungen von Strukturen und
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ein.“ So kann auch unsere
momentane soziale Krise durch mein soziales Engagement tatsächlich
zu einer Chance werden.
Freitag, 01. Mai 2009
E-he
Wir sind beim letzten Buchstaben des
Wortes Krise angelangt, beim „E“, das ich mit dem Wort „Ehe“
verknüpfen möchte. Viele Frauen klagen mir in Gesprächen die
Sprachlosigkeit und Kommunikationsverweigerung ihrer Männer, und
viele Männer fragen sich: Was hätte aus mir werden können, wenn ich
meine Partnerin nicht geheiratet hätte oder die Partnerin anders
gewesen wäre? Beziehungskrisen gehören einfach zu unserem Leben
dazu, und die meisten lernen es auch, mit derartigen Krisen
umzugehen.
Ich halte die einfache
„R-L-Z-K-G-Therapie“, die Ulrich Beer in seinem Buch „Lebenskraft
aus Lebenskrisen“ erläutert, für sehr sinnvoll. Sie kennen die
„R-L-Z-K-G-Therapie“ nicht? Therapie „R“ steht für Richtlinien,
Regeln und Rituale. Therapie „L“ für Liebe, Lust und Leidenschaft.
Therapie „Z“ verbindet er mit Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit.
Therapie „K“ mit Kompromiss, Kooperation und Kommunikation. Und die
Therapie „G“ steht für Geduld, Glaube und Gebet. Diese
„R-L-Z-K-G-Therapie“ kann so manche Krise in der Ehe zur Chance
werden lassen, um zu reifen, um zu erkennen, dass Liebende von der
Vergebung leben.
Samstag, 02. Mai 2009
Krise als Chance!
In der vergangenen Woche war ich
bemüht, Sie zu ermuntern, Krisen im persönlichen wie im
gesellschaftlichen und kirchlichen Leben mit viel Mut und Hoffnung
zu begegnen; in Krisen also nicht nur Zerstörerisches und Ohnmacht
zu sehen, sondern immer wieder auch Chancen und neue Möglichkeiten.
Ob eine Krise für uns zur Chance wird, entscheidet sich daran,
inwiefern wir uns der Situation in ihrem ganzen Umfang stellen und
uns nicht apathisch einem blinden Schicksal überlassen. Alles hängt
davon ab, wie viel persönlichen Einsatz wir aufbringen. Ein
unbekannter Autor bringt es auf den Punkt:
Krise als Chance ist
trotz aller Kriege der Welt
Lieder des Friedens singen
trotz aller Zukunftsängste
die Freude am Heute nicht verlieren
trotz aller Dunkelheiten der Seele
Lichter der Hoffnung entzünden
trotz wiederholten Fallens
immer wieder aufstehen
trotz aller versklavenden Mächte
die Freiheit wagen
trotz aller Leiden der Welt
an die Gegenwart des Himmels glauben
trotz aller Tode im Alltag
dem Leben zum Aufbruch verhelfen.
Krise als Chance ist
gegen alle scheinbaren Endgültigkeiten
das TROTZDEM des Neubeginns.
Literatur-Hinweise:
Guido Kreppold, Krisen – Wendezeiten
im Leben, Vier-Türme-Verlag Münsterschwarzach, 1997.
C. G. Jung, Gesammelte Werke, Band 11:
Zur Psychologie westlicher und östlicher Religion, Zürich 1963.
Wunibald Müller, Die Ehre Gottes ist
der lebendige Mensch. Selbstverwirklichung als Menschwerdung,
Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1995.
Ulrich Beer, Lebenskraft aus
Lebenskrisen, Echter Verlag, Würzburg 2000.
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