Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrer i.R. Josef Seidl aus Raabs an der Thaya, NÖ

 

 

Sonntag, 24.5.2009

Aus meiner Volksschulzeit prägte sich eine Geschichte, die wir mit unserer Lehrerin gelesen hatten, in mein Gedächtnis ein:

Ein Gutsbesitzer schreitet mit seinem heranwachsenden Sohn die Grenzen seines Landgutes ab. Jedes Mal, wenn sie an einen „Grenzstein“ treffen, bleibt der Vater mit seinem Sohn stehen – und verabreicht seinem Sprössling eine kräftige Ohrfeige. Durch dieses „Erlebnis“ soll sich der Sohn die Grenzmarkierungen gut merken – muss er doch einmal das Erbe der Familie treu verwalten und erhalten.

„Grenzen“ wahren und anerkennen aus Achtung vor dem Nachbarn ist hilfreich und notwendig zur Wahrung des Friedens und der guten Nachbarschaft. Auch wenn wir kein Landgut besitzen, gibt es im Leben und in der Gemeinschaft Grenzen, die wir kennen und anerkennen sollen, auch ohne Gewaltanwendung. „Grenzstreitigkeiten“ lohnen sich nie. Weder für den materiellen Wert, noch für das persönliche Wohl.

 

 

Montag, 25.5.2009

„Grenzenlose Wünsche“, „Wohlstandsgesellschaft“, „Wirtschafts- und Finanzkrise“ – Begriffe unserer Zeit.

Viele Eltern heute klagen, sie könnten die Wünsche ihrer Kinder nach mehr Freiheit, nach Markenkleidern und Spielsachen, nach Computerutensilien – nach all dem, was  „die anderen ja auch alle haben“ – nicht mehr erfüllen.

Die heurige NÖ Landesausstellung unter dem Titel „Österreich. Tschechien. Getrennt. Geteilt. Vereint.“ Dokumentiert auch das Gegenteil: Die Armut der Grenzbevölkerung im 20.Jahrhundert, die Not und das Elend der Heimatvertriebenen.

Aber es leuchtet auch etwas anderes durch: Der grenzenlose Optimismus, der Mut, die Not zu überwinden und neu anzufangen – was schließlich den meisten Vertriebenen und ihren Quartiergebern gelungen ist.

Dieses Beispiel und eine weise Aussage des altrömischen Philosophen und Autors Seneca seien uns allen, auch den Millionären, Managern und Aktionären ans Herz gelegt: „Willst Du glücklich werden, dann mehre nicht den Besitz, sondern mindere die Wünsche!“

 

 

Dienstag, 26.5.2009

Schlagworte gibt es nicht nur in den Medien, in der Politik, in der Werbung – Schlagworte hören wir oft auch im Alltag, im kleinen Kreis von uns selber und unseren Mitmenschen, wie: „Ich will frei sein!“; „Was ich mache, geht niemand etwas an“; „Ich lass mir nichts vorschreiben!“; „Ich will mich selbst verwirklichen!“

Ja – aber warum werden wir so nicht glücklich? Erfolgreich? Warum ecken wir immer wieder wo an?

Um „unbegrenzt“ nach solchen Grundsätzen leben zu können, müssten wir alleine auf der Welt sein. Das aber würde uns auch nicht gefallen. Mein „Freisein“, meine Selbstverwirklichung stößt dort an Grenzen, wo die Freiheit und die Verwirklichung anderer beginnt.

Vielleicht werden wir erst frei, finden wir uns selbst, wenn wir die Freiheit der Mitmenschen anerkennen, wenn wir die Persönlichkeit anderer achten und schätzen – einfach Rücksicht nehmen auf die Rechte, Wünsche und Bedürfnisse unserer Mitmenschen und auf unsere Umwelt.

 

 

Mittwoch, 27.5.2009

Durch den „Eisernen Vorhang“, durch das Ein- und Aussperren von Menschen und Völkern ist der Begriff „Grenze“ sehr negativ belastet. Es ist begreiflich, dass über Abbau von Grenzen, über Grenzen überwinden geredet wird und wurde.

Aber „Grenze“ muss nicht nur negativ gesehen werden. Grenzen sind auch wichtig und notwendig. Denken wir nur an grenzenlosen Egoismus, an grenzenlose Gewalt und Ausbeutung, grenzenlose Brutalität und Gier nach Bereicherung, an grenzenlosen Materialismus.

Je mehr Grenzen überschritten oder ignoriert werden, umso mehr ist es wichtig und gut, sich selber Grenzen zu setzen, Grenzen aufzuerlegen. So könnte das Leben sogar schöner werden. Das gilt für uns alle persönlich und im Großen in der Politik, in Wirtschaft und Wissenschaft.

Nicht alles was der Mensch kann, darf er auch!

 

 

Donnerstag, 28.5.2009

Der Dorferneuerungsverein in meiner Heimatgemeinde im Waldviertel hat entlang des Weges zur NÖ Landesausstellung Grenzzaunelemente aufgestellt. Hüben und drüben von dieser Umzäunung stehen Menschenfiguren – Puppen in Lebensgröße. Nur durch Fähnchen in ihren Händen erkennt man ihre Nationalität. Sie überragen die Zaunelemente an Größe und schauen sich an oder schauen aneinander vorbei. Manche schauen auch zurück. Sie symbolisieren so den verschiedenen Umgang mit der „Grenze“ zwischen ihnen. Sie sagen uns auch: „Wer emporschaut, sieht die Grenze nicht“ – könnte auch heißen: „Wer auf die Würde des Nachbarn schaut, findet trotz Grenze den rechten Umgang mit den Menschen.

Wer emporschaut zum „Schöpfer“, der erkennt und anerkennt die Werte, die zu einem menschlichen und friedlichen Zusammenleben führen können. Sowohl zwischen den Völkern, wie auch zwischen den Haus- und Gartennachbarn.

 

 

Freitag, 29.5.2009

In der Welt gibt es viel Leid und Unrecht. Auch gläubige Menschen fragen in solchen Situationen oft: „Warum lässt Gott das zu?“ Bei der Überschwemmung in unserer Stadt vor einigen Jahren ruderte eine Helfergruppe durch das meterhohe Hochwasser auf unseren Stadtplatz und einer fragte: „Was will der Herrgott uns damit sagen?“

Auf der Suche, Gott zu verstehen als den Gütigen, den Starken, den Geheimnisvollen, stößt unser Verstand immer wieder an Grenzen. Besonders bei Unglück und Schicksalsschlägen, aber auch bei der Fragen nach seiner Liebe und Güte.

Der Jesuitenpater und Autor Karl Rahner gibt uns dazu einen Tipp. Er schreibt: „Gott findet man nur, wenn man liebend „ja“ sagt zur Unbegreiflichkeit Gottes selbst – ohne die er nicht Gott wäre.

 

 

Samstag, 30.5.2009

Wir befinden uns gerade in der Pfingstnovene! Die Apostel haben neun Tage vor Pfingsten im gemeinsamen Gebet verharrt, um Gott zu bitten, dass er ihnen den Heiligen Geist schenke, der ihnen helfe, den Auftrag Jesu zu erfüllen: „Gehet hin in alle Welt und lehret sie alles halten, was ich euch gelehrt habe.“ Die Apostel stehen vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Trotz ihrer „begrenzten“ Fähigkeiten wollen sie aber das aufgetragene Werk erfüllen. Auch die Menschheit, die Kirche unserer Zeit hat ungeheure Probleme zu lösen – in Wirtschaft und Umwelt, bei Hunger, Krieg und Terror. Unser Wissen und Können scheint auch an die Grenze zu kommen. Der Apostel Jakobus gibt uns ein Rezept, wie alles gelingen könnte. Er schreibt in seinem Brief: „Suchet die Nähe Gottes, dann wird er sich euch nähern.“

Das kommende Pfingstfest möge uns und der Welt helfen, uns nicht vom Geist dieser Welt, von Egoismus und Materialismus leiten zu lassen – sondern vom Geist Gottes, vom Geist der Verantwortung und vom Geist des guten Willens.

Diesen Geist können und wollen wir uns erbitten und erbeten!