Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

 

Morgengedanken

von Generalvikar Benno Elbs (Feldkirch)

 

 

Sonntag, 31.5.2009 (Pfingsten)

Ein kleines Mädchen besaß eine zerzauste und zerlumpte Puppe. Eines Tages sagte eine Frau zu diesem Kind: „Meine Liebe, willst Du nicht eine neue haben, die alte ist doch wirklich nicht mehr schön!“ Die Kleine, ganz überrascht, warf einen Blick auf die Puppe und drückte sie ganz fest an sich. Dann sagte das Mädchen mit strahlenden Augen zur Frau: „Schau mal, jetzt ist sie wieder schön, die Puppe!“

 

Eine berührende Geschichte. Was macht Dich schön? Manchmal ist auch unser Leben  etwas zerzaust und durcheinander. Vielleicht finden wir uns selbst unansehnlich, sind nicht zufrieden mit unserer Situation.

 

Pfingsten heißt: Gott macht sein Versprechen wahr. Er ist mit uns jeden Tag unseres Lebens.

 

Pfingsten ist ein Fest der Liebe Gottes zu uns Menschen.

 

Pfingsten, so könnte man in diesem Sinn sagen, ist das Fest der Schönheit von uns Menschen.

 

 

Montag, 1.6.2009 (Pfingsten)

Die Vorarlberger Schriftstellerin Elisabeth Marx hat einen berührenden Text mit dem Titel ZERBRECHLICH betitelt:

Es ist

das Zerbrechliche

das Glas so kostbar macht

selbst gebrochen

bleibt es durchscheinend

jede Scherbe spiegelt das Ganze

bündelt das Licht

gibt es

großzügig

bedenkenlos

tausendfarben

wieder

 

Ist es nicht das Brüchige

das mich Menschen lieben heißt

dieses Aufleuchten

das auch im Scherbenhaufen

noch sichtbar wird

 

Manchmal stehen wir im Leben auch vor einem Scherbenhaufen. Eine Beziehung, die zerbrochen ist. Eine Arbeitsstelle, die ich verloren habe. Eine Diagnose, die mich bedrückt oder gar mein Leben bedroht.  Jede menschliche Situation, auch wenn sie noch so schwer ist, birgt Sinn in sich. Gott schickt uns auf die Reise, damit wir ihn dann und wann entdecken können.

 

 

Dienstag, 2.6.2009

Entscheidend im Leben sind Beziehungen und Begegnungen. Die Gestaltung ist eine tägliche Herausforderung.

 

Arthur Schopenhauer führt uns in seiner Fabel von den Stachelschweinen zu einem wesentlichen Punkt. Es ist kalt. Die Stachelschweine frieren und rücken näher zusammen. Sie kommen sich so nahe, dass sie sich aneinander schmiegen könnten. Doch in dieser Situation pieksen sie sich gegenseitig und rücken wieder voneinander ab.

 

Daher frieren sie wieder. Und der Wechsel zwischen der Suche nach wärmender Nähe und dem kühlenden Abstand beginnt von vorne. Bis sie die gute Balance finden zwischen wärmender Nähe und gesunder Distanz.

 

Eine humorvolle und wichtige Herausforderung für die Beziehungen, die uns geschenkt sind.

 

 

Mittwoch, 3.6.2009

Die Balance zwischen Nähe und Distanz gehört zu den großen Herausforderungen in unseren Beziehungen. Was kann uns konkret helfen?

 

Vielleicht das Gönnen: dem anderen eigene Wege gönnen. Eigene Zeit, eigene Entscheidungen, eigene Wünsche, auch eigene Freundschaften. Und überhaupt dem anderen gönnen, dass er ein eigener Mensch ist, der sein Leben mit seinen eigenen Augen sieht.

 

Vielleicht das Lassen: ein (zu-)freilassender Respekt vor den Gedanken des anderen, die man nicht alle zu wissen braucht. Ein Wissen auch, dass eine Frau und ein Mann, ja zwei Menschen, kaum etwas gleich empfinden werden.

 

Vielleicht das Bleiben: auch in den Dunkelheiten, die über die Seele des anderen ziehen und nicht schnell weggewischt werden können. Ein Bleiben an dem Lager, an dem der andere ein Leiden durchzustehen hat.

 

Geglückte Beziehungen leben wohl aus diesen Leitgedanken, dem Gönnen, dem Lassen und dem Bleiben.

 

 

Donnerstag, 4.6.2009

Der Mensch ist von Natur aus ein spirituelles und ein religiöses Wesen. Beziehungen versteht man am besten, wenn man einen Säugling an der Brust der Mutter sieht. Das Baby blickt in großer Freude auf, es ernährt sich aus dem Körper der Mutter, und für sie ist es – so scheint es – ebenfalls reine Freude und reiner Segen.

 

Psychologen sagen, dass mit dem Blick zwischen Mutter und trinkendem Kind die Fähigkeit zur intimen Beziehung beginnt. Das ganze Leben hofft der Mensch wieder auf diesen Moment, den wir hoffentlich in unserer frühesten Kindheit auskosten konnten.

 

Unsere Sehnsucht ist die Sicherheit, dieses Leben in einer Welt, in der wir geliebt werden, wieder zu erlangen. Das spiegelt sich auch in der Kunst. In Museen ist die Madonna mit Kind das häufigst gewählte Gemäldemotiv. Und hier liegt der Grund jeder Religion. Die Sehnsucht nach der tiefen Geborgenheit und die Erfahrung, dass es sie gibt: im Gebet, in der Meditation, im Schauen auf Gott.

 

Jeder Mensch ist Wohnort Gottes, die eigentliche DNA jedes Menschen ist göttlich.

 

 

Freitag, 5.6.2009

Wenn Sie heute Morgen zur Arbeit fahren oder mit Menschen zusammen kommen, dann merken Sie vielleicht, dass sehr viel verglichen wird. Wie ist der andere gekleidet? Wie schaut sie aus? Oberflächliche Vergleiche. Wie sehe ich dabei aus? Der Vergleich scheint das Leben zu prägen.

 

Doch Vergleiche führen nirgendwo hin. Dieses Spiel kennt nur Verlierer.

 

Denn jede Unterscheidung ist im Grunde genommen sinnlos. Alle Menschen werden alt und hören auf schön und attraktiv zu sein. Wie viele Liftings wären wohl nötig, um beständig ein Alter von zwanzig vorzutäuschen?

 

Die Seele hingegen braucht kein Lifting. Im tiefsten Innern wissen wir, dass uns jede Erfahrung, auch die des heutigen Tages, reicher macht. Neues Selbstvertrauen kann entstehen, neue Zuneigung und Liebe kann wieder aufblühen. Wir leben nicht aus dem Vergleich, sondern aus dem Miteinander.

 

 

Samstag, 6.6.2009

Die Entstehung einer Perle ist ein grandioses Bild für unser menschliches Leben. Ein Sandkorn dringt in eine Muschel. Und dieses Sandkorn ist für das Tier lebensbedrohlich. Die Muschel hat nun zwei Möglichkeiten. Die eine besteht darin, dieses Sandkorn los zu werden. Wenn es nicht gelingt, hat die Natur einen Trick entwickelt.

 

Das bedrohliche Sandkorn wird in eine wunderschöne Kalkschicht gewoben. Dadurch entstehen wertvolle Perlen.

 

Das Leben stellt uns viele Fragen, jeden Tag, auch heute, auch morgen. Manchmal leichte und manchmal schwere. Das Geschenk sind unsere Antworten darauf. Wir ummanteln die Erfahrungen des Tages und machen sie damit erneut zu wertvollen Perlen in unserer Lebenskette.

 

Der Geist von Pfingsten schenke uns die notwendige Kreativität und Gelassenheit dafür.

 

 

Bücher von Elisabeth Marx:

„Wachgerüttelt. Gedichte und Zeichnungen“, Hämmerle Druck und Verlag, 2000

„Umarme den Sommer. Gedichte“, Bucher Druck Verlag, 2007