Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Nikolaus Krasa

 

 

Sonntag, 21.6.2009

Taufe. Nach den ersten Fragen am Kircheneingang sind wir gemeinsam in die Kirche gezogen um ein Stück Bibel zu hören, um für das Kind zu beten, um unseren Glauben zu bekennen. Allerdings: Viel war davon nicht zu hören. Seit Beginn der Feier hatte das Kind in einem fort durchgeschrien.

Und nachdem Mutter Natur das wohl zu Recht so eingerichtet hat, ist ein schreiendes Kind kaum zu überhören, noch weniger zu übertönen. Kurzum: Schriftlesung, Predigt, Gebete, eigentlich war nichts zu hören gewesen. Und das trotz aller Anstrengung zuerst der Patin, dann auch der Mutter, die mit allen Tricks den Täufling zu beruhigen suchten.

Nach der Taufe dann die Chrisamsalbung: Mit Öl wird der Kopf des Babys gesalbt um zu zeigen, dass er wie Christus ein Gesalbter ist. Und auf einmal wurde es still in der Kirche. Das Schreien verstummte. Und in die Stille hinein war ein größeres Kind zu hören, das seine Mutter fragte: „Warum schreit er jetzt nicht mehr?“ „Weil das sehr sehr gut tut“, so die Antwort der Mutter - sie hat‘s erfasst, dachte ich mir damals: Die Nähe Gottes zu erfahren tut sehr sehr gut.

 

 

Montag, 22.6.2009

Eine Geschichte, ich glaube, Martin Buber erzählt sie. Ich habe sie vor längerem gehört und sie lässt mich nicht mehr los und so möchte ich sie heute weitererzählen. Irgendwo im Ostjudentum spielt sie, in einem kleinen Dorf. Zur Erntezeit pflegten die Bauern dort Tagelöhner anzustellen, die für sie gingen um die Felder zu bewachen. Abends pflegte der Rabbi des Dorfes seinen Spaziergang durch die Felder zu unternehmen. Da fragte man ihn: „Und für wen geht Ihr, Rabbi?“ Verblüfft hielt da der Rabbi inne: „Für wen gehe ich eigentlich?“ Eine gute Frage für den Beginn eines neuen Tages: „Für wen gehe ich durch diesen Tag?“

 

 

Dienstag, 23.6.2009

Ob ich denn ein ungetauftes Kind begraben könne - so die Frage der Blumenfrau auf unserem Friedhof. Plötzlicher Kindstot, wenige Monate war das Kind alt, der Vater hatte die junge Frau bereits verlassen, als das Baby noch unterwegs war. Selten habe ich die Bestatter auf dem Friedhof so betroffen gesehen, als wenige Tage danach das Begräbnis anstand. Wenn der Sarg, der da zum Grab getragen wird, nicht einmal einen Meter lang ist, bewegt das wohl jeden. Die Blumenfrau wartete auf mich am Eingangstor des Friedhofs, zwei Rosen in der Hand - „Eine ist für Sie, die andere werfen Sie für mich in das Grab.“ Davon habe ich dann auch in der Predigt erzählt. Es kostet nicht viel, mitzufühlen mit anderen, das angemessener Weise zu zeigen und bringt doch so viel - bringt uns Menschen zusammen.

 

 

Mittwoch, 24.6.2009

Wir sitzen im Festsaal des Priesterseminars von Sarajewo zusammen und reden. Wir, das sind Seminaristen aus dem Wiener Priesterseminar und dem Seminar von Sarajewo und ihre Ausbildner. Thema: Wie mit den Konflikten, die sich in Bosnien Herzegowina in jüngster Vergangenheit zugetagen haben, leben? Wie mit diesen blutigen Auseinandersetzungen umgehen? Wie zu einem stabilen Frieden kommen? „Wir müssen lernen, mit den Augen der anderen zu sehen“ - diese Wortmeldung eines Seminaristen aus Sarajewo ist mir im Gedächtnis geblieben - „Die Welt mit den Augen der anderen zu sehen.“ Spannende Aufgabe, vielleicht auch für diesen Tag, die Welt so mit den Augen der anderen zu sehen. Eigentlich auch eine sozusagen mit höchstem Auftrag. Immerhin hat er ja in Christus die Welt mit menschlichen Augen angeschaut.

 

 

Donnerstag, 25.6.2009

 Hinneh mah tov u ma naim. Ein Lied, ein Kanon, der einen Psalmvers vertont. Siehe wie gut und schön ist es, wenn Brüder beisammen sind. Ich stand damals auf der Bühne eines größeren Wiener Theaters, neben mir Oberrabbiner Eisenberg. Ich, ziemlich nervös, aufgeregt, die Melodie des Liedes zu verlieren, das wir gemeinsam sangen: Hinne mah tov u ma naim. Vorausgegangen war ein gemeinsames Konzert unseres Kirchenchores mit dem jüdischen Chor, die einzelnen Stücke jeweils von uns einmoderiert. Ich weiß nicht mehr, ob ich bei unserem Duett richtig gesungen habe, ich glaube sogar, ich habe einmal die Melodie wirklich verloren, am Ende jedenfalls sind wir gemeinsam angekommen.

Miteinander singen baut Brücken, miteinander singen fördert aufeinander zu hören. Dort, wo jeder nur ohne Rücksicht auf Verluste seine Stimme singt wird das Ergebnis nie ansprechend sein. Am Ende des Psalmenbuches wird von einem gewaltigen Konzert erzählt. Die ganze Schöpfung ist mitbeteiligt. Schön, wenn in kurzen Momenten Teile dieses Konzerts jetzt schon erklingen.

 

 

Freitag, 26.6.2009

„Heast dei Predigt woa a Schaas“. Rückmeldung eines Jugendlichen nach der Sonntagmesse, ich gerade am Beginn meines priesterlichen Wirkens in meiner ersten Kaplanspfarre. Die Predigt, die gemeint war, war meine. Diese Bemerkung habe ich mir bis heute gemerkt, sie sitzt tief. Es ist wohl auch nicht so einfach, liebevoll direkte negative Kritik zu verdauen. Allerdings, ich denke sie war ehrlich gemeint und sie hat mich zum Nachdenken gebracht. Ob ich heute besser predige, ich hoffe schon. Was ich mich aber frage ist, wie oft ich mich traue, jemandem ehrlich und direkt Kritik zu sagen und wie oft es mir gelingt, auf solche Kritik zu hören.

 

 

Samstag, 27.6.2009

 „Einfach den Mund umbiegen!“ Diese Antwort war nicht vorgesehen. Ich hatte in die Predigt für die Kinder den Otto mitgebracht, ein auf Packpapier gemaltes Strichmännchen in Lebensgröße. Der Mund bestand aus Draht und war nach unten gebogen, so dass Otto ziemlich traurig aussah. „Otto sieht traurig aus“. Bis hierher hatten die Kinder entsprechend geantwortet. „Was kann man tun, damit Otto nicht mehr so traurig ist?“ So meine entscheidende Frage. Und die Antwort, die ich mir erwartete war für mich klar: „Man kann Otto zeigen, dass man ihn gerne hat, dann wird er nicht mehr so traurig sein.“ Nur, diese Antwort kam nicht, dafür die verblüffende Lösung: „Einfach den Mund umbiegen.“ Allgemeines Gelächter und ein kurzzeitig sehr verblüffter Priester, der nicht wusste, wie es jetzt weitergehen sollte. Gottes Geschichte mit den Menschen, von der die Bibel erzählt, ist voll solcher verblüffender Geschichten. Vielleicht auch unsere heutige Zeit. Können sie nur die Augen der Kinder wahrnehmen?