Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer Gilbert Schandera (Schwanenstadt, Oberösterreich)
Sonntag,
28.6.2009
Während meiner
Studienzeit vor 40 Jahren des letzten Jahrhunderts gab es den
Spruch: „Jesus ja – Kirche nein“. So etwa: Suchen wir die Mitte, das
Äußere lassen wir weg! Heute empfinde ich eher das Gegenteil: Kirche
Ja – aber Gott ist nicht so wichtig.
Die Kirche
scheint – trotz aller Kritik an ihr – doch wichtig als soziale
Institution. Sie schenkt angenehme Gemeinschaft, wenn man außerhalb
der Familie Anschluss sucht. Die Kirchen fangen manche auf, die in
einem brutalen Wirtschaftssystem in Gefahr sind, unter die Räder zu
kommen. Sie mahnen Frieden ein und sind eine wichtige moralische
Instanz.
Um Gott selber
ist es dagegen merkwürdig still geworden. Wenig bewegen die Christen
die Bibel oder die Frage, wie man mit Gott verbunden lebt. Man tut,
als ob Gott existierte. Ein höheres Wesen anzuerkennen ist manchmal
ganz praktisch. Mehr nicht.
Ähnlich läuft
es in den Gruppen und Gremien: Da ist so eine Art Atheismus in aller
Geschäftigkeit. Viel Betrieb, wenig Gottverbundenheit.
Mancher echte
Gott-Sucher verlässt uns in der Kirche vielleicht deswegen, weil er
den Eindruck hat, die Gottesfrage werde bei uns ja gar nicht mehr
gestellt.
Montag,
29.6.2009
„Gott, zeige
mir meinen Weg!“ Das ist für einen gläubigen, religiösen Menschen
eine nicht so seltene Bitte in Entscheidungssituationen. In der
Bibel finden wir die Bitte „Zeig mir deinen Weg, Herr!“ Der
biblische Beter schafft diese neue Sicht: Das Leben von einem
Anderen her zu sehen – und die Verstrickung in sich selbst zu
überwinden.
Wie
selbstverständlich richten wir unser Leben nach den eigenen
Vorstellungen und Vorlieben aus. Religiöser Glaube besteht nun in
der Überzeugung, dass der Blick auf den Willen eines Größeren das
Leben nicht einschränkt. Ja, dass dieser größere und weitere Blick
bereichert und dem Leben erst einen Sinn gibt.
Dazu eine
persönliche Erfahrung. Vor meiner Priesterausbildung habe ich
gebetet: „Das kann doch nicht alles sein, was ich bisher erlebt
habe, ich muss etwas anderes suchen.“
In der
begeisterten frühen Phase des Berufs habe ich gebetet: „Es ist gut,
Herr, Deine Wege zu versuchen, leider gelingt es nur stümperhaft.“
Jetzt, gegen
Ende der Berufslaufbahn, bete ich gern mit dem Psalm 18: „Du führst
mich hinaus ins Weite – es tut manchmal ganz gut, das Eigene
loszulassen.“
Dienstag,
30.6.2009
Ein
französischer Heiliger des 19. Jahrhunderts, der berühmte „Pfarrer
von Ars“ soll einmal von einem Freund gefragt worden sein, wie er
bete. Seine Antwort: „Ich gehe in die Kirche, setze mich hin und
sage „Herr, da bin ich“. Und ich spüre, wie ER zu mir sagt: „Und da
bin ich für dich.“
In der Kirche
gibt es die Tradition der Anbetung. Sie ist die höchste Form des
Gebets- und gleichzeitig aber auch die einfachste. Es genügt, sich
an einen ruhigen Platz, etwa in eine Kirche zurückzuziehen und
einfach da zu sein. Ruhig, ohne „Plan“.
Der eine spürt
etwas, erlebt vielleicht die Nähe seines Gottes, die andere meint
nichts Besonderes zu erfahren. Geht jemand aber immer wieder in
diese Stille, wird sie ihm eines Tages fruchtbar. Die wichtigen
Erfahrungen brauchen Zeit und Geduld. Sinn kann ich finden durch
Studieren von Büchern, durch intensive Gespräche, durch Forschen und
Philosophieren, aber auch durch Anbetung. Da wird Sinn nicht
erklärt, sondern geschenkt. Auf die Frage „Glaubst du an Gott?“
antwortet ein solcher Beter vielleicht: „Nein, ich bin mit ihm
befreundet.“
Mittwoch,
1.7.2009
Der frühere
Bischof von Sao Paolo (Brasilien), Dom Helder Camara, ermunterte die
Menschen immer wieder zum Aufbruch und zur Suche nach Neuem.
„Wenn dein
Boot“, sagte er einmal, „seit langem vor Anker liegt, wenn das Boot
schon den Anschein einer Behausung erweckt, wenn das Boot am Ufer
schon Wurzeln schlägt, dann such das Weite! Um jeden Preis müssen
die reiselustige Seele Deines Bootes und Deine eigene Pilgerseele
bewahrt bleiben.“
Die
Pilgerseele muss bewahrt bleiben, sonst haben wir auf einmal unsere
Standpunkte und bewegen uns nicht mehr. Jesus hat sich nicht als
Standpunkt bezeichnet, sondern als Weg! „Ich bin der Weg!“, sagt er.
Und alles gute christliche Leben beginnt damit, „auf Christus zu
schauen“. Der Blick auf unseren „Herrn und Meister“ reißt uns ja
immer wieder aus den festgefahrenen Gleisen. Es ist zu wenig, die
Veränderung nur bei anderen oder etwa bei der Kirchenleitung
einzumahnen. Ich muss mich ändern. Ich bin gar nicht so ohnmächtig,
sondern oft eben nur untätig. Ich kann nicht die ganze Welt
verändern, aber ich kann mich selber verändern. Das ist schon sehr
viel. Und ein Stück der Welt verändert sich dann mit.
Donnerstag,
2.7.2009
Wo ist nur die
Zeit hingekommen? – Das fragt man häufig. Von den Tagen und Wochen
ist manchmal kaum etwas in der Erinnerung. Dagegen hilft es, täglich
bewusst zurückzuschauen. Das, was man früher mit
„Gewissenserforschung“ bezeichnet hat.
Da gibt es
eine Begegnung, ein belebendes Gespräch, eine Aufgabe, die mir
Freude gemacht hat, eine Stunde in der Natur… Dazwischen gibt es
viele Pflichten und Notwendigkeiten zur Bewältigung des Lebens.
Diese Zeiten gehen im Rückblick tatsächlich verloren.
Wir müssen
verlagern. Vielleicht ist so manches „Notwendige“ gar nicht so
notwendig. Und vielleicht wagen wir es umgekehrt zu wenig, das zu
leben, was uns im Tiefsten bewegt und betrifft. Da sitzt man zu
einem angeregten Gespräch zusammen. Mittendrin ein Handy-Klingeln.
Das Gespräch bricht ab, der „Faden ist verloren“.
Oder die
Familie sitzt zusammen, jeder hat etwas zu erzählen. Plötzlich der
Ruf: „Halb acht – Nachrichten!“ Gipfeltreffen, Flugzeugabstürze,
Börsenkurse… Und die Frage: Was davon ist für mein Leben wichtig?
Nicht die Zeit
verrinnt so schnell. Aber wir vernichten so viel davon.
Freitag,
3.7.2009
Lebensmut und
Freude an den kleinen Dingen des Lebens erlebe ich oft gerade bei
Menschen, die es schwer haben: Bei Menschen, die etwa mit schweren
Krankheiten konfrontiert sind. Bei Menschen, die einen schweren
Verlust erlitten haben oder sich ungerecht behandelt fühlen. Da
spüre ich selber meine innere Blindheit für die täglichen Geschenke
des Lebens.
Wie sehr lasse
ich mich vom „Be-lastenden oft nach unten ziehen. Wie wenig be-lebt
mich das Gute, die Zuwendung von Menschen, die positive Wirkung
meiner Arbeit!
Bei Thomas
Bernhard lese ich: „Einmal am Tag freut man sich, dass man am Leben
ist, das ist ein unwahrscheinliches Kapital.“
Bei dieser
Überlegung verlieren Alltagsprobleme an Gewicht. Und die
„Lebendigkeit“ zeigt sich nicht in großer Geschäftigkeit, um das
Leben mit Vielem „auszufüllen“. Lebendigkeit zeigt sich in der
Fähigkeit, sich selbst zu haben und den großen Fragen des Lebens
nachzugehen. Bin ich mit meinen tiefsten Bedürfnissen verbunden,
habe ich mich selber und religiös gesehen, habe ich auch Gott. Dann
bin ich äußerlich vielleicht sehr ruhig, aber im Inneren lebendig.
Samstag,
4.7.2009
Es gibt so
manche, die in der Kirche oder in der Gesellschaft alles Mögliche
anders haben möchten. Sie warten aber, bis es von den sogenannten
„zuständigen Stellen“ verändert wird (oder eben auch nicht…). So
lange etwas geboten oder verboten ist, dürfe man dem nicht entgegen
handeln. Ich fürchte nur: Wenn alle so dächten, gäbe es überhaupt
keine Veränderungen und Entwicklungen. Fortschritt findet meistens
dann statt, wenn Menschen in bestimmten Situationen den Gehorsam
auch verweigern.
Ungehorsam
kann manchmal sogar eine religiöse Tugend sein. Das ist eine uralte
Menschheitserfahrung. Sie zeigt sich etwa im Märchen vom „Wolf und
den sieben Geißlein“: Die braven sechs Geißlein, die in den
Uhrkasten nicht hineinschauen, weil es eben verboten ist, werden vom
Wolf gefressen. Das 7. ungehorsame Geißlein weiß, dass der Uhrkasten
hohl ist, weil es verbotenermaßen schon hineingeschaut hat und
versteckt sich dort. Dort findet es der Wolf nicht. So rettet es die
Situation. „Da war die Mutter Geiß aber froh!“ heißt es.
Was ist denn
eine vielleicht beschädigte Uhr gegen das Leben?
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