Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer Dr. Christoph Weist
Sonntag, 5. Juli
Eiserner Vorhang
Ich hätte es niemals für möglich
gehalten. Dass das, was man einmal den „Eisernen Vorhang“ nannte,
einfach so fallen kann. In diesen Wochen vor zwanzig Jahren begaben
sich an der österreichisch-ungarischen Grenze, aber bekanntlich
nicht nur dort, Dinge, mit denen auch die Politikerinnen und
Politiker, die immer wieder von Wiedervereinigung gesprochen hatten,
völlig überrascht - und wohl auch ein bisschen überfordert waren.
Der christliche Glaube deutet diese
Ereignisse: Hier war Gott am Werk, der Herr der Geschichte. Sein Tun
ist für Menschen immer wieder unerwartet und kaum verständlich. Und
deshalb sollte man Danke sagen, einfach Danke. Danke dafür, dass von
Menschen errichtete Grenzen, wie und wo immer sie verlaufen, fallen
können. Und dass Freiheit des Denkens und der Bewegung nicht
selbstverständlich sind, sondern ein Geschenk. Nicht ein Geschenk
der Menschen, sondern Gottes Geschenk. Auch das Danke Sagen ist ja
ein Akt der Freiheit. Er hängt damit zusammen, dass Gott so frei
ist, Grenzen niederzureißen. In der großen Politik wie im kleinen
Leben. Auch wenn man es niemals für möglich gehalten hätte.
Montag, 6.7.2009
Grenzen im Kopf
Grenzen gibt es nicht nur auf der
Landkarte, Grenzen gibt es auch im Kopf. Da kann das
Schengen-Abkommen noch so mit Schlagbäumen und Kontrollen aufgeräumt
haben und der Euro Weltgeltung besitzen, das Denken scheint oftmals
noch nicht mitgekommen zu sein. Das beobachten nicht nur Politik-
und Sozialwissenschaftler, das sagt auch der christliche Glaube.
Denn der ist von Natur aus grenzübergreifend.
Das eigene Land „zuerst“, Inländer
gegen Ausländer, die hier und die dort, - das hält der Glaube nicht
aus, da muss er widersprechen. Er tut das leider viel zu wenig durch
den Mund seiner einzelnen Anhänger, der Christinnen und Christen. In
vielen ihrer Köpfe scheinen die Grenzen zu existieren und in Ordnung
zu sein. Der Glaube widerspricht in Gestalt von Institutionen,
kirchlichen Behörden, sozialen Einrichtungen. Sie rennen gegen die
Grenzen an, die Menschen bei und für sich noch immer ziehen aus
falschem Sicherheitsbedürfnis oder dumpfer Abneigung gegen alles,
was „anders“ zu sein scheint.
Aber die anderen sind nicht
gefährlicher als ich selbst, sie haben dasselbe Recht auf Zuwendung
und Verständnis. Christlicher Glaube besteht nicht nur aus schönen
Worten. Er sieht die Welt anders, weil er mit Gottes Liebe zur Welt
rechnet. Und die ist auf jeden Fall grenzenlos.
Dienstag, 7.7. 2009
Grenzen im Neuen Testament
Grenzen in unserem Sinn kennt das Neue
Testament, die wichtigste Grundlage des christlichen Glaubens,
nicht. Die Geschichten, die es erzählt, spielen sich im Römischen
Reich ab, das den gesamten Mittelmeerraum und noch viel mehr
umfasste. Und doch ist von „Zöllnern“ die Rede. Die saßen an den
Eingängen und Toren der Ortschaften, also an den „Hottergrenzen“,
und sammelten von den Vorübergehenden Gebühren ein. Als Steuern für
die römische Besatzungsmacht. Gelang es ihnen, mehr zu erzielen,
konnten sie den Rest behalten, das war ihr Lohn. Und das grenzte sie
aus. Sie waren als Kollaborateure und Wucherer verschrienen.
Gerade an ihnen aber zeigt das neue
Testament: Grenzen gibt es nicht. Auch für Leute, mit denen niemand
etwas zu tun haben will, gilt: Sie gehören dazu. Sie gehören zu den
Geschöpfen Gottes, denen er seine Liebe zugesagt hat. Damals die an
den Zollstationen, heute die im Eck der Bahnhofshalle oder die, die
sonstwie gezeichnet und „ausgegrenzt“ sind. Das hört sich schön an,
ist aber schwierig. So schwierig, wie es immer ist, Grenzen zu
überwinden. Und trotzdem ist es schön. So schön, wie es immer ist,
wenn man nicht für sich, nicht für Gott, sondern einfach für einen
anderen Menschen etwas geleistet hat.
Mittwoch, 8.7.2009
Grenzenlose Botschaft
Der christliche Glaube hat sich
Jahrtausende lang mit allem Möglichen und Unmöglichen verbunden,
darunter mit ganz bestimmten Völkern und Nationen, - aber eigentlich
kennt er keine Grenzen. Das wussten Christinnen und Christen bereits
in ganz früher Zeit. Spontan machten sie sich auf, um das
Überwältigende und Frohe, das sie mit Jesus von Nazareth erlebt
hatten, buchstäblich überall hin weiterzutragen.
Da reiste der Fischer Petrus vom See
Genezareth im nördlichen Israel hinauf in die heutige Türkei und bis
nach Rom. Da pendelte der Lederarbeiter Paulus zwischen Kleinasien
und Griechenland hin und her, nachdem er schon ausgiebig Palästina
und Syrien bereist hatte, und kam schließlich ebenfalls in die
damalige Weltmetropole Rom. Da hinterließen andere Apostel in
anderen Teilen der damaligen Welt bis heute ihre Spuren.
Es ist schon so: Der Anspruch der
christlichen Botschaft sprengt alle Grenzen. Deshalb ist die
Vorstellung einer „christlichen Nation“ oder gar eines „christlichen
Europa“ mit äußerster Vorsicht zu genießen. Christlich sind nicht
Länder oder Erdteile, christlich sind Menschen. Die sich hoffentlich
auch christlich verhalten. Und das wiederum hat grenzenlose Folgen.
Donnerstag, 9.7.2009
Wo es Grenzen gibt
„Nein, es gibt Grenzen!“ Diesen
energischen Ausruf hört man manchmal bei Auseinandersetzungen. Und
ich glaube auch, er stimmt. Zwar sollten Grenzen nicht zwischen
Menschen verlaufen. Dennoch gibt es notwendige Grenzen im
Zusammenleben: Im Umgang mit dem, den die Bibel den „Nächsten“
nennt, aber auch im Umgang mit Gott. Es sind Grenzen in uns selbst,
die unser Verhalten bestimmen, ob wir sie einhalten oder nicht.
Abgesteckt und definiert sind diese
Grenzen in unerreichter Weise in den guten alten Zehn Geboten:
Achtung vor anderen Generationen, nicht töten, Ehe oder
Partnerschaft ernst nehmen, Eigentum achten, bei der Wahrheit
bleiben, keinem etwas wegnehmen oder, wie sich Martin Luther sehr
aktuell ausdrückt, „mit einem Schein des Rechtes an sich bringen“.
Aber auch: Den einen Gott, von dem ich mich herleite, im Blick
behalten, ihn nicht lächerlich machen und regelmäßig einen Ruhetag
einlegen, - um seinetwillen und um meinetwillen.
Das steckt Grenzen ab, mit denen man
leben kann, ja die eigentlich Leben erst möglich machen. Werden sie
verletzt, entsteht Leid, Leid für andere Menschen oder für mich
selbst. Darum sind es gute Grenzen, und sie sind es Wert, niemals
aufs Spiel gesetzt zu werden.
Freitag, 10.7.2009
An Grenzen kommen
Man kann an Grenzen kommen. An die
eigenen, aber auch an die anderer Menschen. Die eigenen sind
manchmal schnell erreicht. Das berüchtigte Burnout-Syndrom ist nur
ein extremes Stichwort dafür. Oder ich selbst bringe andere Menschen
an ihre Grenzen. Mit ungerechtfertigten Erwartungen, persönlichen
Zumutungen oder herablassendem Verhalten. Da gibt es viele
Möglichkeiten.
Auch die Arbeit in der Kirche ist hier
nicht frei von Fehlern. „Du darfst den Lohn nicht messen, musst
Freud und Lust vergessen, nur sehn auf deine Pflicht“, hat einmal
ein evangelischer Pfarrer für einen jungen Kollegen gedichtet. Und
von anderen kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurde
lange Zeit Ähnliches erwartet.
Dass dies schlicht und einfach gegen
die christliche Verkündigung ist, haben auch Christen verdrängt.
Darum muss man immer wieder sagen: Andere „an ihre Grenzen zu
bringen“, ist keine Ruhmestat, sondern man macht sich schuldig. Und
wenn man selbst an Grenzen gerät, muss es um Gottes willen Menschen
geben, die einen zurückreißen und alles tun, damit man wieder Ruhe
finden und Tritt fassen kann. Das sind wir einander schuldig, auch
und gerade in einer Leistungsgesellschaft.
Samstag, 11.7.2009
Grenzen der Rede
Dass Dank umfassender
Kommunikationsmöglichkeiten heute sehr vieles auf uns einstürmt an
lauten Tönen, ist eine verbreitete Weisheit. Dass wir uns hier
Grenzen wünschen ebenso. Es beginnt ja bereits bei jenen Redeflüssen
mancher Mitmenschen, die Themen breit ausführen, die keine Themen
sind, und deren Dauerreden einfach nicht zu stoppen sind.
„Wovon man nicht reden kann, darüber
muss man schweigen“ hat einmal ein österreichischer Philosoph
gesagt. Ein Philosoph empfiehlt also das Schweigen.
„Der Ertrag der Gerechtigkeit wird
ewige Stille und Sicherheit sein“, so hat im Alten Testament der
Prophet Jesaja das künftige Reich der Gerechtigkeit beschrieben (Jes
32,17b). Und damit auch die Sehnsucht der Menschen nach der Stille,
nach dem Schweigen. Und er bringt sogar Schweigen mit Sicherheit in
Verbindung, mit Sicherheit, nach der gerade heute so viele
verlangen.
Allem Lauten Grenzen zu setzen, dafür
ist die Ruhe eines Samstagmorgens, mehr noch die des morgigen
Sonntags, gut geeignet. Auch Worte der Besinnung sollten sie nicht
allzu lange stören. Es ist nicht das Schweigen des Ratlosen, es ist
die Stille, die Sicherheit heißt.
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