Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Elisabeth Rathgeb, Seelsorgeamtsleiterin in Innsbruck
Sonntag, 12.7.2009
Leichtes Gepäck
Wenn ich meinen Urlaub plane, kommt meine "Check-Liste" zum Einsatz.
Sie feiert heuer ihr 20-jähriges Jubiläum und schaut dementsprechend
zerfleddert aus. Aber es steht alles drauf, was ich am Meer
unbedingt brauche: Streichhölzer für den Gasherd, Korkenzieher für
den Valpolicella, Anti-Mücken-Gel und vieles mehr. Die Liste ist
ungefähr drei Seiten lang und sorgt für eine strategisch perfekte
Urlaubsvorbereitung. Ich liebe dieses Gefühl von Sicherheit.
Ganz anders klingen die Reisevorbereitungen im heutigen
Sonntags-Evangelium. Irritierend unprofessionell sind die
Anweisungen, die Jesus seinen Jüngern mit auf den Weg gibt: Außer
einem Wanderstab sollen sie nichts mitnehmen - kein Brot, kein Geld,
kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen. Stellen Sie sich
das Chaos vor, wenn sie die Geldtasche oder gar die Bankomat-Karte
daheim vergessen! Aber die Jünger Jesu sollen sich nicht absichern.
Sie sollen auf die Kraft der Botschaft vertrauen, die sie im Gepäck
haben. Dann bekommen sie alles, was sie zum Leben brauchen.
Ich werde weiter meine Urlaubsplanungs-Check-Liste benützen.
Zugleich aber weiß ich, dass sich die wirklich wichtigen Dinge im
Leben jeder Planung entziehen. Dafür steht ganz groß und ganz oben
"Vertrauen".
Und das muss man sich erst einmal trauen....
Montag, 13. Juli 2009
Zeit haben
Worauf ich mich im Urlaub am meisten freue, ist "Zeit haben".
Natürlich hat der Urlaubstag genauso 24 Stunden wie jeder andere Tag
im Jahr. Also habe ich logischerweise das ganze Jahr über Zeit. Und
trotzdem sage ich im dicht gedrängten Arbeitsalltag oft: Ich bin im
Stress, ich habe habe keine Zeit.
Urlaub heißt für mich, unverplante Zeit haben: Zeit für mich. Zeit
für Menschen, die sonst in meinem Terminkalender keinen Platz
finden. Daher gibt es in meinem Urlaub kein Programm. Ich stehe auf,
wenn ich Lust dazu habe und nicht, wenn der Wecker klingelt. Ich
gehe auf den Berg und brauche dafür so lange, wie ich will - und
nicht, wie es der Wegweiser vorschreibt. Ich pflücke die Ribisel und
rechne nicht aus, wie lange ich für die ganze Staude brauche, wenn
dieser Zweig zehn Minuten dauert. Alles hat seine Zeit. Wichtig ist
nur das "Hier und Jetzt". Im Urlaub entdecke ich eine neue Qualität
der Zeit. Sie dehnt sich wieder aus, sie vermehrt sich, sie wird
sogar manchmal zur Lange-Weile. Ich erobere die Hoheit über meine
Zeit zurück und spüre erst jetzt wieder, wie sehr ich mich sonst von
außen bestimmen, drängen, einteilen lasse.
Und ich nehme mir vor, dieses Gefühl auch in den Arbeitsalltag
hinüber zu retten: Ja, ich habe Zeit.
Dienstag, 14. Juli 2009
Atempause
Atempause ist ein seltsames Wort. Es meint eine Pause zum Atmen,
nicht eine Pause vom Atmen. Alle Musikerinnen und Sänger wissen, wie
wichtig solche Atem-Pausen an der richtigen Stelle sind. Sonst geht
einem schnell einmal die Luft aus, und die schönste Symphonie gerät
aus dem Takt.
Genauso ist es mit unserem Lebensrhythmus. Oft ist er heute von
atemloser Schnelligkeit geprägt. Viele Menschen leiden an
Kurzatmigkeit und bekommen keine Luft mehr.
Atem holen, wieder zu Atem kommen und Frischluft tanken - damit
werben viele Urlaubsprospekte und zeigen Bilder von weiten,
blühenden Bergwiesen oder stillen, blauen Meeresbuchten.
Auch in der Hektik des Alltags verhelfen mir solche Bilder zu einer
Atempause. Ich spüre, wie sich der Atem beruhigt, intensiver und
langsamer wird. Weit wird, was eng war. Tief wird, was flach war.
Ruhig wird, was hektisch war. So wird der Atem zum Spiegelbild
unseres Lebensrhythmus. Ein- und ausatmen, aufnehmen und loslassen.
Im Atem konzentriert sich unser ganzes Leben. Nicht zufällig wird in
der Schöpfungsgeschichte der Mensch erst lebendig, nachdem ihm Gott
"seinen Atem eingehaucht hat". Für manche Menschen ist der Atem das
einfachste Gebet. Atem schenkt Leben. Und wir müssen gar nichts
dafür tun.
Gönnen wir uns eine Atempause.
Mittwoch, 15.7.2009
Ich liebe dich. Leben
Auf einem Gartentor in Innsbruck habe ich ein großes Herz gesehen
und darunter in Großbuchstaben: "Ich liebe dich". Neugierig wollte
ich auch die Unterschrift daneben entziffern und war ziemlich
überrascht, als da stand: Ich liebe dich. Leben
Eine Liebeserklärung an das Leben. Oder eine Liebeserklärung des
Lebens an die Schreiberin oder den Schreiber? Ich liebe dich. Leben
Dieser Satz begleitet mich seither immer wieder - in schönen
Augenblicken oder im ganz normalen Alltag, wenn alles mehr oder
weniger "rund" läuft. Manchmal fällt er mir aber auch in kritischen
Phasen ein, wenn vieles schief geht. Dann hat der Satz einen
bitteren Beigeschmack mit einem großen Fragezeichen: Ich liebe dich.
Leben?
"Lieben heißt, jemanden gut leiden können. Daher hat Lieben immer
auch mit Leiden zu tun." Das ist eine Weisheit, die wohl auch für
die Liebe zum Leben gilt. Deshalb bewundere ich Menschen in meiner
Umgebung sehr, die ihr Leben trotzdem lieben. Trotz einer schweren
Krankheit oder trotz widriger Umstände. Die Trotzdem-Liebenden haben
den Schlechtwetter-Test bestanden.
Ich liebe dich. Leben - das könnte aber auch eine Liebeserklärung
des Lebens an den Schreiber oder die Schreiberin meinen. Welche
Liebesbriefe schickt Ihnen das Leben gerade?
Donnerstag, 16.7.2009
Da-Sein
Neulich wollte ich jemandem Kaffee einschenken. Aber statt einer
Tasse hat er mir die Untertasse entgegen gehalten. Wie oft sind wir
zwar da, aber in Gedanken ganz woanders: Beim nächsten Termin, im
Urlaub oder noch beim letzten Gespräch.
"Ich nippe alle heiligen Zeiten oder seltener einmal an einem
Zentimeter Rotwein (...).Aber ich kann das Gefühl nicht ausstehen,
das sich nach einem ganzen Glas einstellen würde. Ich will immer
ganz bei mir sein." So Norbert Pleifer, Gründer des Innsbrucker
Treibhauses und einer der bekanntesten Kulturschaffenden in Tirol in
einem Interview. (TT am Sonntag, 5.7.2009)
Ganz bei mir sein - ganz da sein. Das ist oft gar nicht so einfach,
auch wenn man gesund ist. Wieviel Erleichterung schwingt erst mit,
wenn jemand aus der Bewusstlosigkeit erwacht: "Er ist wieder bei
sich", oder "sie ist wieder da".
Da sein, meint ansprechbar und präsent sein, wach und
"geistes-gegenwärtig".
So stellt sich in der heutigen Tageslesung auch Gott dem Mose vor:
"Ich-bin-da". Lange hat mich dieser seltsame Name irritiert. Heute
könnte ich mir keinen besseren denken. Ein Gott, der da ist -
anwesend, ansprechbar, gegenwärtig. Die Heilige Teresa von Avila
drückt es praktischer aus: "Gott ist ein guter Freund, der jederzeit
zu sprechen ist". Und: "Inmitten der Kochtöpfe ist der Herr
zugegen."
Freitag, 17. Juli 2009
Ein hörendes Herz
Während ich diese Morgengedanken vorbereite, findet in meiner
Nachbarschaft ein Zeltfest statt: Gerade spielt die Gastkapelle aus
dem Burgenland eine Polka "Mit Herz". Durch das offene Fenster höre
ich Singen, Lachen und Klatschen - eine Super-Stimmung im Zelt.
Ich kann zwar nichts sehen, aber alles hören - hören verbindet.
Nicht immer ist es Musik für unsere Ohren, was wir hören. Oft ist es
einfach nur Lärm. Straßenverkehrsgeräusche, Flugzeuge, Sirenen,
Züge, die durch's Inntal brausen. Da fällt es schwer, die leiseren
Töne wahrzunehmen: Vogelgezwitscher, Grillengezirpe, das leichte
Rascheln der Blätter im Wind. Manchmal sehne ich mich nach
vollkommener Stille: Zum Glück finde ich noch Orte, wo es sie gibt.
Aber ich muss sie suchen, diese Oasen der Stille und schaffen. Weg
mit der Dauer-Musik-Berieselung, weg mit dem Gepiepse am Gameboy und
weg mit dem Wort-Durchfall, sprich Gequatsche. Einfach einmal
schweigen.
In der Stille fällt mir die prohetische Bitte aus dem Alten
Testament ein: "Gib mir ein hörendes Herz." Das ist der Ort, wo wir
auch unsere innere Stimme hören können. Und wo sich Gott Gehör
verschaffen kann.
Vielleicht könnte man - ähnlich wie Saint Exupéry - auch sagen: „Man
hört nur mit dem Herzen gut“.
Beides wünsche ich Ihnen und mir heute: Eine Oase der Stille und ein
hörendes Herz.
Samstag, 18. Juli 2009
Sehen, was ist
„Man sieht nur mit dem Herzen gut“, sagt Antoine de Saint Exupéry.
Sehen und sehen sind zweierlei. Sicher kennen Sie alle das Spiel
"Ich seh, ich seh, was du nicht siehst." Wie oft entdecken wir erst
auf den zweiten Blick, was auf den ersten unsichtbar war. Auch das
berühmte halbvolle oder halbleere Glas ist so ein Seh-Test-Fall.
Vieles ist eine Frage des Blickwinkels, der Perspektive, aus der wir
Dinge anschauen. Wir sehen, was wir erwarten. Das andere über-sehen
wir, blenden wir aus. Oft ist es gar nicht leicht, scharf zu sehen,
was ist. Wir sind weitsichtig oder kurzsichtig. Wir sehen mit den
Augen der Vergangenheit oder der Zukunft.
Eine Seh-Schule der besonderen Art hat der Heilige Ignatius von
Loyola, Gründer der Jesuiten, eingeführt: Bei ihm gibt es ein
richtiges Training für Scharf-Seherinnen und Seher. Er nennt es
Exerzitien-Übungen. Dabei geht es allerdings nicht darum,
Scharf-Richter zu spielen. Sein Trainings-Grundsatz ist der "Blick
der liebevollen Aufmerksamkeit". Damit soll man am Abend den Tag
rückblickend Revue passieren lassen. Das geht so:
1. Übung: Was war heute alles los? Da hat alles Platz.
2. Übung: Unterscheiden: Was war gut, was weniger? Und dankbar für
das Gute sein.
3. Übung: Alles Gott übergeben - sprich, ihm anvertrauen, nicht vor
die Füße spucken.
Damit steigt ihre Seh-Schärfe garantiert. Probieren Sie es einfach
aus...
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