Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer Michael Max (Neumarkt am Wallersee, Salzburg)
Sonntag, 9. August 2009
Vor gut zwei Wochen bin ich von meinem Sommerurlaub in Spanien
zurückgekehrt. „Braungebrannt, wie du bist, hast du dich sicher gut
erholt!“, haben einige Freunde zur Begrüßung gemeint. Sommerliche
Bräune auf der Haut lässt uns allzu gerne an Strand, Meer, Zeit
haben und somit eben an Erholung pur denken. Dass mein Sommerurlaub
aber gar nichts mit Strand sondern viel mehr mit gut 350 Kilometern
auf dem spanischen Jakobsweg zu tun hatte, klingt da schon mehr nach
Anstrengung und Plagerei und manchmal wäre es uns lieber gewesen,
nicht so viel Sonne auf der Haut zu spüren. Urlaub ist aber nicht
nur Sonne auf der Haut. Urlaub ist vor allem, Sonne auf der Seele!
Und von der gab es trotz aller äußeren Anstrengungen genug. Heute
ist Sonntag. Der Tag, um die Seele in die Sonne zu halten, um
einander und Gott wieder näher zu kommen. So gesehen war auf dem
Jakobsweg jeder Tag ein Sonntag.
Montag, 10. August 2009
Wer eine Zeit lang auf dem spanischen Jakobsweg unterwegs ist, dem
sind sie bald ein vertrauter Wegbegleiter: Die gelben Pfeile, die
einem den richtigen Weg anzeigen. Ob dezent klein an der Seite von
Gehsteigkanten, ob riesig groß an Garagenwänden. Man findet sie
nicht nur an Wegkreuzungen. Auch an kilometerlangen, geraden
Strecken, an denen man gar keine Möglichkeit hätte, auf einen
anderen Weg zu gelangen, tauchen sie in regelmäßigen Abständen auf
und versichern einem: „Geh ruhig weiter, du bist richtig unterwegs.“
Im Gehen entsteht dann manchmal so etwas wie ein stiller Dialog mit
dem Menschen, dessen Handschrift diese Pfeile tragen: „Danke für
deine Hilfe, danke für deine Mühe, und die Zeit, die du in diese
Arbeit gesteckt hast. Danke vor allem, dass du schon voraus gedacht
hast, wo mir der Weg Schwierigkeiten bereiten könnte. Ziemlich
sicher werden wir uns nie treffen, aber wir verstehen einander.“
Dienstag, 11. August 2009
Gleich hinter der Stadt Pamplona steigt der Jakobsweg ziemlich steil
auf den Perdonpass hinauf. Von weitem kann man schon die Windräder
sehen, die dort oben zur Energiegewinnung aus dem stetig kräftig
wehenden Wind errichtet wurden. Und es ist dann auch noch ein weiter
Weg, bis dann tatsächlich direkt am Fuß der Windräder der Blick sich
wieder weitet und der Pass überschritten werden kann. Eine moderne
Installation eines spanischen Künstlers macht darauf aufmerksam,
dass dieser Ort schon seit Jahrhunderten den Menschen heilig war.
„Hier kreuzt sich der Weg des Windes mit dem Weg der Sterne“, steht
da geschrieben. Der Wind - Zeichen für die Vergänglichkeit, und die
Sterne - Zeichen für das Ewige. Das Vergängliche meines Lebens würde
mir zum unüberwindbaren Hindernis, wenn ich es nicht hinein geborgen
erfahren dürfte in die Ewigkeit der Liebe Gottes. Dieser Ausblick
lässt die Pässe des Lebens überschreiten. Beim Hinuntergehen hatten
wir Rückenwind.
Mittwoch, 12. August 2009
„Buon Camino!“ Auch wer der spanischen Sprache überhaupt nicht
mächtig ist, lernt diese beiden Worte sehr schnell verstehen. Es ist
der übliche Gruß auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela und
bedeutet so viel, wie „Guten Weg!“ Nicht nur die Pilger
untereinander grüßen sich so, wenn sie einander an Raststätten oder
entlang des Weges begegnen. Auch die Einheimischen begrüßen oder
verabschieden einen stets mit diesen beiden Worten. Unterwegs habe
ich dann die Möglichkeit darüber nachzudenken, was denn das ist: Ein
„guter Weg“: Ein Weg ohne Hindernisse und ohne Unfälle? Ein Weg, der
genau nach der vorgesehenen Marschtabelle absolviert werden kann?
Ein Weg nur mit freundlichen und unkomplizierten Menschen? Oder ist
der gute Weg der Weg der Überraschungen, des Unvorhergesehenen, der
Herausforderungen und der ungeahnten Ausblicke? In diesem Sinn:
„Buon Camino“ auf ihrem Lebensweg.
Donnerstag, 13. August 2009
Ein französischer Mitpilger hatte bei einer Rast auf dem Jakobsweg
seine Trinkwasserflasche vergessen. Ich habe sie ihm nachgebracht.
Erleichtert sagte er: „Vielen Dank! Ohne Wasser stirbt man in dieser
Gegend hier!“ Obwohl ich ihm zunächst automatisch Recht gab, dachte
ich mir später, dass diese Feststellung, doch etwas übertrieben war.
Sicher war es um die Mittagszeit besonders heiß und jeder Schluck
Wasser wichtig. Aber der Jakobsweg ist realistisch betrachtet kein
Weg durch die einsame Wüste. Hunderte Menschen kommen täglich
vorbei, und das ganz normale nordspanische Leben auf
Hauptverkehrswegen, in Betrieben und Ortschaften ist nie mehr als
wenige Kilometer entfernt. Aber die Pilgerin und der Pilger sind
eben ein Stück weit in einer eigenen Welt unterwegs. Das dürfen sie
auch. So kann in der helfenden Hand und im guten Wort tatsächlich
etwas ereignen, das Lebensnot wendet. Ob das in der nahen, aber
anderen Welt auch zu spüren ist?
Freitag, 14. August 2009
Ein Pilgertag auf dem Jakobsweg beginnt früh. Meist um den
Sonnenaufgang, um die Kühle der Morgenstunden beim Gehen nützen zu
können. Dafür endet der Pilgertag aber auch relativ bald am
Nachmittag, wenn sich die größte Hitze einstellt. Dann gilt es,
einen schattigen Platz zu finden, um Rast zu machen und Ausschau zu
halten nach einer geeigneten Herberge für die Nacht. Solche gibt es
viele auf dem Jakobsweg. Sie werden ehrenamtlich, manche auch schon
professionell betrieben. In den Herbergen durften wir jeden Tag
etwas vom Gefühl des Ankommens verspüren. In der Freundlichkeit und
den Kochkünsten unserer Gastgeber genauso wie im respektvollen
Aufenthalt der Pilger. So konnten wir neue Kraft schöpfen für den
Aufbruch und das Weitergehen am nächsten Tag. Der Weg zum großen
Ankommen besteht aus vielen kleinen Ankünften und aus genau so
vielen Aufbrüchen. Die aufgehende Sonne machte den Schatten der
Herberge lange auf unserem Weg.
Samstag, 15. August 2009
„Der Weg ist das Ziel!“, schreiben viele, die auf dem Jakobsweg
unterwegs sind als Motto über ihr Unternehmen. Damit stellen sie das
Unterwegssein Schritt für Schritt, die konkrete Begegnung im Hier
und Heute, das Ausklammern von Gestern und Morgen, ins Zentrum.
Diese Art des Gehens hat tatsächlich einiges für sich. Sie lässt
mich Freiheit erleben, sie macht mich hellhörig und aufmerksam. Und
doch spüre ich, dass das zu wenig ist. Der Weg ist nicht einfach das
Ziel – der Weg HAT ein Ziel. Das Ziel auf dem Jakobsweg ist der Ort,
an dem das Grab des Apostels Jakobus verehrt wird. Was er, der
Jünger, von seinem Meister Jesus Christus erfahren, gelebt und bis
zum Ende bezeugt hat, darf sich in den Herzen der Pilgerinnen und
Pilger widerspiegeln. Weil der Weg ein Ziel hat, kann er Schritt für
Schritt zum Ziel werden. Heute, am 15. August feiern wir Maria
Himmelfahrt: Das hohe Fest vom Leben, das am Ziel ist, weil es ein
Ziel hat.
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