Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrer Christian Wiesinger (Gaubitsch, NÖ)

 

 

Sonntag, 16. August 2009

Die Begegnungen von Maria und Elisabeth

Am gestrigen Feiertag haben wir im Evangelium von der Begegnung von Maria und Elisabet gehört. Ich möchte heute mit Ihnen über diese Begegnung der beiden Frauen des Evangeliums nachdenken.

„Maria machte sich auf den Weg“ so heißt es dort.

Wenn ich einem Menschen begegnen will, dann muss ich mich auch auf den Weg machen. Manchmal ist das ganz praktisch nötig, um zu jemandem hinzukommen. Und manchmal muss ich mich innerlich auf einen Weg einlassen, muss mich auf einen anderen einstellen, damit ich ihm oder ihr wirklich begegnen kann.

Maria eilt zu ihrer Verwandten:

Die Eile stellt für mich die Bedeutung klar: es ist wichtig, nein: Du bist wichtig. Das ist für mich eine Erfahrung aus vielen Kontakten: Sie werden dort zu echten Begegnungen, wo es nicht mehr nur um etwas, sondern um dich und mich geht.

Und Maria begrüßt Elisabet…:

Es tut uns gut, wenn wir einander begegnen können, wie diese beiden Frauen. Bevor sie noch viel miteinander sprechen, sehen sie tiefer, liebevoll und erstaunt – sie haben einen besonderen „Durchblick“, den Durchblick des Herzens.

Begegnen hat so etwas mit der Gegenwart zu tun: Achtsam und ganz da sein, jetzt, bei mir und beim anderen.

 

 

Montag, 17. August 2009

Betrachtung

Es ist etwas ganz besonderes daran, wie frischgebackene Eltern ihr Kind anschauen.

Sie bewundern die kleinen Finger und staunen über einen Augenaufschlag. Sie sind ergriffen und berührt von einem Gähnen und beobachten fasziniert den Schlaf des Kindes. Liebevoll achten sie auf jeden Atemzug, und sind oft ganz versunken in die Betrachtung ihrer Tochter oder ihres Sohnes.

Und die Kinder sind angewiesen auf die liebevolle Betreuung. Sie brauchen jemand der sie hält und füttert, der die Windeln wechselt und auf ein Schreien reagiert. Und sie spüren es wohl, wenn sie liebevoll gehalten und angeschaut werden.

Diese besondere Art der menschlichen Begegnung, dieser liebevolle Blick auf einen Menschen lässt mich verstehen, was wir in der Kirche „Kontemplation“ oder „Betrachtung“ nennen: So staunend und versunken wie Eltern vor ihrem Kind möchte ich betrachten können: Ein Wort aus der Bibel oder eine Ikone, ein Ereignis oder auch mein eigenes Leben: Ganz offen für diese Begegnung.

 

 

Dienstag, 18. August 2009

Eine Begegnung im Straßenverkehr

Begegnungen im Straßenverkehr können ja ganz verschieden ablaufen. Eine besondere Begegnung kommt mir manchmal immer noch in den Sinn, obwohl sie schon Jahre her ist und gar nicht viel dabei passiert ist:

Ich bin in der Stoßzeit irgendwo in den inneren Bezirken Wiens mit dem Auto unterwegs gewesen. Vor einem Zebrastreifen musste ich stehen bleiben, eine Frau mit Kinderwagen hat vor mir die Straße überquert und hinter ihr noch ein anscheinend zu ihr gehöriger, ca. vierjähriger Bub. Mitten auf dem Zebrastreifen, direkt vor meinem Auto hat er kurz angehalten und hat mich angeschaut, hat sich ein Busserl auf die Hand gedrückt und es mir – offensichtlich als Dankeschön für mein Warten – mit einem Blasen über seine Hand geschickt. Dann ist er seiner Mutter nachgelaufen.

Meine Eile und Ungeduld waren wie weggeblasen. Ich war den ganzen Tag gut aufgelegt und erinnere mich noch heute an dieses Kind und sein ungewöhnliches Danke.

So einfach kann eine Begegnung unser Leben verschönern.

 

 

Mittwoch, 19. August 2009

Lächeln

Haben sie schon einmal versucht, jemand, den sie nicht kennen, zum Lächeln zu bringen?

Man kann da ein richtiges Spiel daraus machen, mit einer gewissen Herausforderung: Bis zu einem bestimmten Punkt des eigenen Weges einen Menschen zum Lächeln zu bringen.

Am besten geht es dann, wenn sie zu Fuß oder in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind und ihnen viele Menschen begegnen. Der Weg in die Arbeit ist ein gutes Beispiel. Viele Menschen schauen da ja noch nicht sehr wach aus, was ich gut verstehe. Viele schauen einander gar nicht an und wenn sie es doch tun, dann oft mit einem leeren Gesichtsausdruck.

Wenn sie da anfangen, irgendjemand anzulächeln, dann löst das vielleicht zuerst Verwunderung oder ein fragendes Gesicht aus – meint der oder die mich? Und warum lächelt mich jemand an?

Aber manchmal lächelt jemand zurück – einfach so. Weil Lächeln ansteckend ist. Weil es schön ist, wenn mich jemand anschaut. Und aus Wild-Fremden werden auf einmal Mit-Menschen.

Bis zu welcher Stelle ihres Weges möchten Sie heute brauchen, um jemand zum Lächeln zu bringen?

 

 

Donnerstag, 20. August 2009

Meinen Träumen begegnen

Eine besondere Art der Begegnung mit mir selber ist es, wenn ich mich mit meinen Träumen beschäftige.

Da gibt es zunächst einmal die Träume, die ich während des Schlafes habe. Nur manche bleiben mir in Erinnerung, und hin und wieder schreibe ich mir einen Traum auf, auch wenn ich oft nicht verstehe, was er bedeutet.

Eine andere Art von Träumen sind die, die eine Sehnsucht von mir zum Ausdruck bringen: Ich träume von etwas, das ich mir wünsche; ich stelle mir vor, wie mein Leben werden könnte. Ich träume von einem Ziel, das ich erreichen möchte oder ich stelle mir ein schwieriges Gespräch vor und wie ich es gut bewältige.

In diesen Träumen begegne ich manchmal einer wichtigen Sache für mein Leben, werde ich aufmerksam auf etwas, das gut für mich wäre. Neue Impulse können aus solchen Träumen entstehen.

Und manche dieser Träume nehmen mich gefangen – da habe ich dann den Eindruck, dass ich mich in einen solchen Traum auch verrennen kann.

Bei Franz Grillparzer hab ich einmal folgende Verse gefunden:

„Ach, ich fühl es wohl, wir scheiden

kaum so schwer von wahren Freuden

als von einem schönen Traum.“

Und so merke ich, dass es gut ist, mich von manchen Träumen auch zu verabschieden, mich von ihnen zu befreien, damit ich Neuem begegnen kann.

 

 

Freitag, 21. August 2009

Begegnung als das Wahrnehmen des „Gegen“

Im Wort Begegnung steckt das „gegen“ – das weist mich hin auf ein Gegenüber.

Dieses Gegenüber kann jemand sein, der mir entgegen kommt: Ich begegne einem Menschen heißt dann, dass wir uns näher kommen, uns treffen und einander vielleicht immer besser kennen lernen.

Auf diese Weise kann ich einem Menschen begegnen mit allem, was zu ihm gehört: Ich begegne seinen Erfahrungen, seinem Blick auf die Welt, seinen Gedanken und Träumen, seiner Art, zu leben. Nach und nach entsteht so durch Begegnungen eine große Nähe.

Das Gegenüber in einer Begegnung kann aber auch eine Auseinandersetzung bedeuten: Da reibt sich etwas, da gibt es einen Widerstand, da ist jemand nicht auf meiner Seite. Im Sport wird ein Match ja auch Begegnung genannt. Und auch in dieser Art von Begegnung treffe ich immer auf einen ganzen Menschen und kann von ihm lernen: Dass es mehr gibt als meine Welt, dass meine Sicht der Dinge nicht von vornherein die einzig mögliche ist.

Jemand dagegenzuhalten kostet oft viel Kraft, aber gerade auch darin begegne ich mir und anderen Menschen wirklich.

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ lese ich bei Martin Buber.

 

 

Samstag, 22. August 2009

Entgegenkommend

„Das ist ein sehr entgegenkommender Mensch“, sagen wir von jemand, der höflich ist, großzügig oder hilfsbereit.

Bei einer Gastgeberin zum Beispiel empfinden wir es als höflich, wenn sie uns bis zur Tür entgegenkommt und uns dort abholt und uns damit noch ein Stück unseres Weges begleitet.

Nach einer Reise abgeholt zu werden ist auch so etwas Entgegenkommendes – da komme ich am Bahnhof an, müde von einer langen Fahrt und mit ein paar Gepäckstücken, die es mir nicht leichter machen. Ich bin froh, halbwegs am Ziel zu sein, aber ein letztes und mühsames Stück nach Hause fehlt eben noch.

Einer, der mich abholt, bewirkt da vieles gleichzeitig: Er zeigt mir, dass ich wirklich angekommen bin, ein Händedruck oder eine Umarmung stellen den Kontakt wieder her, er hilft mir beim Tragen und macht das letzte Stück des Weges leichter und mit all dem gibt er mir zu verstehen, dass er mich schätzt.

So entgegenkommend beschreibt Jesus uns Gott in seiner Geschichte vom barmherzigen Vater mit dem verlorenen Sohn: Dem, der mit der Last seiner verschwendeten Möglichkeiten zurückkehrt, müde von der Enttäuschung über sich selbst, dem geht er entgegen und holt ihn ab – begrüßt ihn mit einer Umarmung, hilft beim Tragen der Lasten und macht ihm den Weg nach Hause leicht.

Immer wieder begeistert mich diese Begegnung, dieses Bild des entgegenkommenden Gottes.