Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfr. Jürgen Öllinger, Evang. Kirche, Villach

 

 

Sonntag, 30.08.2009

Freiheit

Wenn Sie heute frei haben, kann man Ihnen nur gratulieren. Sie haben keine Verpflichtungen und Termine, die das Leben manchmal so mühsam machen.

„Zur Freiheit hat euch Christus befreit, also steht fest und lasst euch nicht mehr unterjochen.“ Eine wilde Botschaft ist uns da übertragen worden. Auf den ersten Blick wünschen wir uns Freiheit fürs Leben. Aber recht schnell erkennen wir, dass das Leben in Freiheit wie ein Drahtseilakt ohne Netz ist. Wenn ich Begrenzungen und Zäune habe, kann ich mich orientieren. Ich kann Schubladen einräumen, weiß schon, wie der andere Mensch ist. Das Leben scheint aufgeräumt und einfach.

 

Frei sein bedeutet aber, dass ich ganz bei mir sein muss. „Als ich mich wirklich zu lieben begann, habe ich verstanden, wie sehr es jemanden beschämt, ihm meine Wünsche aufzuzwingen, obwohl ich wusste, dass weder die Zeit reif, noch der Mensch dazu bereit war, auch wenn ich selbst dieser Mensch war. Heute weiß ich, das nennt man ‚Selbstachtung‘“.

Ausgerechnet ein Komödiant hat als alter Mann diese Einsicht gewonnen. Charlie Chaplin hat vor 50 Jahren diese Worte geschrieben. Er hatte es nicht mehr nötig, sich unterjochen zu lassen. Er hatte erkannt, wie wohltuend die Freiheit ist, die uns versprochen wurde fürs Leben. Es bleibt eine wilde Botschaft, weil sie das herkömmliche Leben durcheinander wirbelt. Plötzlich habe nämlich ich jeden Tag frei, mein Leben in Freiheit zu gestalten.

 

 

Montag, 31.08.2009

Tabu

Ein Tabu ist ein Verbot, bestimmte Handlungen auszuführen, beziehungsweise geheiligte Personen oder Gegenstände zu berühren. In allen Kulturen gibt es dieses Phänomen, das keine wissenschaftliche Erklärung benötigt. Man weiß einfach, was sich gehört und was nicht. Auch in unseren Breiten ist vieles von dem geprägt, was man machen darf und was nicht. Am besten rührt niemand an dieser einfachen Wahrheit, sonst eckt er an.

Beliebt ist das Tabu der Wahrheit. Wir tun uns schwer, mit ihr umzugehen. Von der Wiege bis zur Bahre scheint die Wahrheit ein Tabu zu sein. „Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar“, hat eine Schriftstellerin formuliert. „Die Wahrheit macht euch frei“, heißt eine biblische Erkenntnis.

Und doch fangen wir bei den kleinsten Menschen an und wollen sie nicht mit der Wahrheit konfrontieren – woher kommen die Babys? Der Storch musste lange Zeit herhalten – was ist das mit Weihnachten – das Christkind muss noch immer herhalten – was ist der Sinn des Lebens – schnelle Antworten vernebeln diese wichtigste Frage im Leben eines Jugendlichen. Von der Wiege bis zur Bahre rühren wir das Tabu der Wahrheit oft nicht an. An der Bahre, am Sterbebett, bei Beerdigungen – nirgends wird so viel gelogen wie bei diesem Lebensabschnitt. Denn auch die Beerdigung gehört zum Leben, würdigt noch einmal das Wirken des Verstorbenen. Berühren wir allerdings die Wahrheit, werden wir geheiligt. Denn die Wahrheit ist kein Tabu, sondern ein Ort der Kraft und der Veränderungen. In diesem Sinn dürfen wir noch oft das Tabu der Wahrheit brechen.

 

 

Dienstag, 01.09.2009

Beschwerden

„Ich muss mich jetzt beschweren!“ Was als Erleichterung und Aussprache erscheint, ist in Wirklichkeit eine entlarvende Wahrheit. Hört man diesen Satz nochmals und stellt sich dabei einen Menschen mit einer Last vor, die er sich selbst auferlegt, bekommt der Satz eine neue Bedeutung: „Ich beschwere mich“.

Wir beschweren uns über Menschen und Zusammenhänge. Wir beschweren uns in unserer Kirche über Vorgänge und Fakten. „Wir beschweren uns“, wir legen also Lasten auf eigene Schultern und wundern uns, dass wir gebeugt durchs Leben laufen.

Die Gesetzmäßigkeit liegt auf der Hand und ist auch im Gesicht der Menschen, die sich ständig über dieses und jenes beschweren, abzulesen. Sie sind unzufrieden, finden ihre Last ungerecht und zu schwer. Sie werden durch ihre Beschwerde also nicht leichter und fröhlicher.

Jesus zeigt einen anderen Weg. „Einer trage des Andern Last.“ Ich trage die Last des Menschen mit, der leidet und bedrückt ist. Ich gehe darunter, versuche, dahinter zu kommen, was ihn beugt und grämt. Es ist mir also nicht gleichgültig, was ihn belastet. Ich höre seine Beschwerde und gebe ihm die Macht zurück, die Last abzugeben. Denn das ist ein altes Geheimnis: Wenn ich einem anderen meine Last anvertraue, kann er mir sagen, dass ich mich selbst nicht beschweren muss. So wie ich mich beschwere, kann ich meine Last wieder abgeben, hinlegen und loslassen.

 

 

Mittwoch, 02.09.2009

Zufall

Zufall, Unfall oder Glücksfall. Was Eltern bei der Geburt ihres Kindes rasch erkennen – jedes Kind ist hoffentlich ein Glücksfall - ist im Alltag schwieriger zu beantworten. Wäre ich eine Minute später weggefahren, hätte ich den Auffahrunfall nicht gehabt. Ganz zu schweigen von folgenreichen Unfällen.

Der Zufall spielt zuweilen mit uns und wir scheinen ihm ausgeliefert zu sein. Dennoch können wir den Ball aufnehmen, der uns zugeworfen wird und kreativ mit Zufall umgehen. Die Vogelperspektive hilft uns dabei, wenn der Zufall wieder seine Streiche spielt. Leider müssen wir diese Perspektive einnehmen, auch wenn andere schon wissend schmunzeln, weil sie die Zusammenhänge anders sehen und nicht betroffen sind. Der Zufall hat Kraft: Er wirft uns aus der Bahn, er irritiert und überrascht uns im alltäglichen Ablauf des Lebens.

„Als ich mich wirklich selbst zu lieben begann, habe ich verstanden, dass ich immer und bei jeder Gelegenheit zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin und dass alles, was geschieht, richtig ist – von da an konnte ich ruhiger sein. Heute weiß ich, das nennt man ‚Selbstachtung‘.“

Vor 50 Jahren schrieb der damals 70-jährige Charlie Chaplin diese Erkenntnis nieder. Er verquickt den Zufall mit der Selbstachtung. Ich würdige mein Leben, meine Lebensabläufe, meine Zufälle und nehme einmal an, dass sie richtig sind, dass sie mir den richtigen Hinweis geben auf die Fülle des Lebens. Zufälle sind also der dezente Hinweis, dass ich selbst ein Glücksfall bin.

 

 

Donnerstag, 03.09.2009

Angst

In der Bibel heißt es: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Mich hat schon immer verblüfft, dass nicht davon die Rede ist, dass die Angst überwunden wird. Als Christ darf ich demnach Angst haben. Es wird mir allerdings ein neuer Weg gezeigt, mit meinen Ängsten umzugehen, denn die Welt ist überwunden. Ängste gibt es genug. Sie sind einfach da, ohne dass ich sie kontrollieren kann.

Höhenangst ist ein weit verbreitetes Phänomen. Im übertragenen Sinn kann ich sie verstehen, wenn in Diskussionen das Niveau so tief ist, dass mir Angst und bang wird.

Fremdenangst geht durch unser Land und vergiftet die Atmosphäre. Wo Menschen zu Fremden werden, die mir alles Mögliche wegnehmen.

Homophobie, also Angst vor der Gleichgeschlechtlichkeit, ist weit verbreitet. Im Gespräch mit Männern kommt dabei die Rolle des eigenen Vaters ins Blickfeld. Wie war er? Hat er seine Kinder umarmt, sie geherzt und gekost? Als Jugendlicher in den Arm genommen? Niemals! Vielleicht habe ich deshalb Angst vor dem eigenen Geschlecht, habe Angst davor, dass ein Mann mich küsst oder umarmt.

Ängste sind unsichtbar. Ängste prägen unser Leben in dieser Welt. Aber diese Ängste können mir nichts mehr tun. Die Welt mit ihren Ängsten kann mich nicht mehr in die Knie zwingen, weil es noch eine andere Welt gibt, die genauso unsichtbar ist wie die vielen Ängste, die uns tagtäglich begegnen. Dieser unsichtbaren Welt können wir vertrauen.

 

 

Freitag, 04.09.2009

Veränderung

Charlie Chaplin war nicht nur ein Komiker der ersten Stunde des Films, er hat viel über Gesellschaft, Zukunft und die Menschen nachgedacht.

„Als ich mich wirklich selbst zu lieben begann, habe ich aufgehört, mich meiner Zeit zu berauben und ich habe aufgehört, weiter grandiose Projekte für die Zukunft zu entwerfen. Heute mache ich das, was mir Spaß macht und Freude bereitet, was ich liebe und was mein Herz zum Lachen bringt, auf meine eigene Art und Weise, in meinem Tempo. Heute weiß ich, das nennt man ‚Ehrlichkeit‘.“

Hilfreiche Worte eines erfolgreichen, berühmten und weisen Mannes. 70 Lebensjahre hat er dafür gebraucht. Möglicherweise braucht man so viel Erfahrung, um das eigene Tempo, die eigene Art und Weise zu entdecken. Es darf aber auch sein, dass man sich früher der Fremdbestimmung entzieht. Denn die Überlegung ist, dass jeder Mensch dieses eigene Tempo bereits im Herzen kennt. Ja, dass er genau weiß, was ihm gut tun würde. Aus verschiedenen Gründen plant man aber lieber für die Zukunft und investiert in sie, als in der Gegenwart zu leben. Es sind nicht wenige Menschen, die grandiose Projekte für die Zukunft entwerfen – man denke nur an Bindungen für die nächsten 20 Jahre beim Hausbau oder großartige Pläne für die Pension! Charlie Chaplin sagt: „Ich mache das, was ich liebe und mein Herz zum Lachen bringt.“ So eine Einstellung macht das Leben bunt und fröhlich.

 

 

Samstag, 05.09.2009

Geld oder Liebe?

Ein Familienvater, der nach einem anstrengenden Arbeitstag zu seiner Frau und seinem niedlichen, drei Jahre alten Töchterchen nach Hause kam, fragte: „Bekommt Daddy keinen Kuss?“ „Nein!“ „Schäm dich! Daddy muss den ganzen Tag hart arbeiten, um Geld für die Familie nach Hause zu bringen und du behandelst ihn so? Wo ist der Kuss?“ Das Mädchen schaut ihm in die Augen und sagt: „Und wo ist das Geld?“ Natürlich gebe ich meine Liebe nicht für Geld. Und wenn Männer oder Frauen sich freikaufen wollen, weil sie ihre Zeit lieber mit der Arbeit verbringen wollen, werden sie daran scheitern. Soweit ist das den meisten Menschen klar. Aber ich kann die Liebe mit nichts erwerben – nicht einmal mit Liebe. Ich kann für Liebe nicht Liebe verlangen. Ich bringe damit den anderen Menschen in eine unmögliche Situation. Davon sollte in unseren Freundschaften und Beziehungen die Rede sein.

Die selbstlose Liebe bleibt die spannendste Aufgabe des Lebens. Selbstlos zu lieben bedeutet, dass ich meine Liebe gebe, ohne vom anderen etwas zu erwarten. „Als ich mich wirklich selbst zu lieben begann, habe ich aufgehört, mich nach einem anderen Leben zu sehnen, und konnte sehen, dass alles um mich herum eine Aufforderung zum Wachsen war. Heute weiß ich, das nennt man ‚Reife‘“. Charlie Chaplin hat diese Worte vor 50 Jahren gefunden. Sehnsucht nach der Liebe anderer kann nur gestillt werden durch selbstlose Liebe.